Ion Luca Caragiale (1852–1912) galt wegen seiner tiefen Verwurzlung in der rumänischen Sprache lange Zeit als unübersetzbar. Mit seinen Erkundungen in die feinsten psychologischen Verästelungen, seinem Abtauchen in die tiefsten menschlichen Niederungen und die abgelegensten sprachlichen Milieus hat Caragiale ein umfassendes Bild einer rumänischen Gesellschaft geliefert, wie es sie heute nicht mehr gibt. Der eigentlich vom Theater stammende Caragiale hat in Kurz- und Kürzesterzählungen – in "Humbug und Variationen" sind mehr als 60 abgedruckt – seine Mitmenschen und deren soziale Verflechtungen mit einem Feuerwerk an Witz und Sprachlust, an Präzision und Sinn für das entlarvend Absurde porträtiert. Noch heute meint man in seinen Figuren eigene Bekannte und Verwandte zu erkennen, so ewig gültig hat Caragiale ihre Verhaltensmuster und Sprechweisen festgehalten. Die deutsche Übersetzung von Eva Ruth Wemme, die es an Sprachverspieltheit und Punktgenauigkeit mit Caragiales rumänischen Texten aufnimmt, schenkt uns Lesern Einblicke in Situationen, Anekdoten, Journale, Dialoge, Streitgespräche – Momente und Skizzen (so bezeichnete Caragiale seine Erzählsammlungen) der rumänischen Gesellschaft um 1900 zu gewinnen. In Eugène Ionescus absurden Theaterstücken wie auch in der fabulierenden Großprosa Mircea Cartarescus findet sich ein geistesverwandter Nachhall. Mit Caragiale ist eine Zentralgestalt der rumänischen Literatur zu entdecken, dessen unbändige, feinsinnige, urkomische und einflussreiche Geschichten auch schlicht ein großer Spaß bei der Lektüre und ein berauschendes Fest der Sprache sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018Weiß denn der Teufel, wohin?
Rumänien ist Gastland der kommende Woche beginnenden Leipziger Buchmesse. Viel junge Literatur ist eigens dafür übersetzt worden, jedoch kaum ein Klassiker. Die Ausnahme aber ist ein Geschenk: Ion Luca Caragiales Kurzprosa bei Guggolz.
Von Andreas Platthaus
Das Denkmal für den Nationaldichter Ion Luca Caragiale steht in der rumänischen Hauptstadt Bukarest am Übergang von der Strada C. A. Rosetti in die Strada Maria Rosetti - zwei Straßen, die ein Ehepaar feiern, das wie Caragiale im neunzehnten Jahrhundert die rumänische Literatur geprägt hat. Allerdings waren die Rosettis auch politische Revolutionäre, und das kann man von dem eine Generation später geborenen Caragiale nicht behaupten. Vielleicht ist deshalb nach ihm nur eine kleinere Straße benannt, die man um einige Ecken vom Denkmal her erreicht. Aber den Kommunisten war der Dichter so wichtig, dass sie diese überlebensgroße Plastik von ihm aufstellten. Die war allerdings als eine Art Resteverwertung entstanden, denn der Bildhauer Constantin Baraschi hatte 1957 eigentlich eine Lenin-Statue angefertigt, die dann bei einem staatlichen Wettbewerb unterlag. Daraufhin ersetzte Baraschi den Kopf des russischen Revolutionsführers durch den des rumänischen Autors, weil der bürgerliche Anzug Lenins ihm auch zu Caragiale zu passen schien, und bot das Denkmal ein zweites Mal an - erfolgreich. Nun steht er da, der Dichter, linke Hand salopp in der Hosentasche, rechte am Revers und den Blick der Zukunft zugewandt. Die Ähnlichkeit mit historischen Fotos ist vage.
Diese Geschichte hätte sich auch Caragiale selbst ausdenken können, denn der 1852 geborene Schriftsteller liebte Grotesken und Satiren. Seinen Ruhm in Rumänien machen indes die Komödien aus; im Literaturmuseum von Bukarest ist er der Star im obersten Geschoss, das den Dramatikern gewidmet ist. Die Rumänen lieben Theater, deshalb ist es im Museum dem Himmel am nächsten. Sie schätzen aber auch die Lyrik, deshalb bilden die Dichter das Fundament im Erdgeschoss. Dazwischen ist die Belletristik eingeklemmt, und auch da gibt es einen Caragiale - Ion Lucas Sohn Mateiu, der mit seinem einzigen Roman, "Craii de Curtea-Veche" von 1929, in seiner Heimat als Meister des Modernismus gefeiert wird. Für den Vater ist im Prosa-Geschoss kein Platz, obwohl seine Texte Meisterwerke sind. Und ihrer Zeit weit voraus.
Das kann nun endlich auch wieder das deutsche Publikum feststellen, nachdem vereinzelte Übersetzungen durch den rumänischen Staatsverlag sowie DDR-Veröffentlichungen aus den fünfziger Jahren und eine schmale Sammelausgabe des Insel-Verlags von 1970 längst vergriffen waren. Angenommen hat sich des bei uns heute weitgehend unbekannten rumänischen Nationaldichters der auf Wiederentdeckungen spezialisierte Guggolz-Verlag aus Berlin. Und nicht nur, dass er die bei weitem umfangreichste deutsche Ausgabe von Caragiales Prosatexten erstellt hat, er hat auch alle eigens neu übersetzen lassen, von Eva Ruth Wemme, die in ihrem Nachwort den Autor dafür preist, dass er unter einer "chamäleonhaften Oberfläche" alles scheinbar Dumpfe in Boshaftigkeit und Komik verwandele "und dass sich mit diesen beiden Kräften die Texte Caragiales stellenweise von selbst zersetzen, zur Verzweiflung des Lesers".
Das klingt nicht nach einem Lob, doch Wemme - als Jüngste der etablierten Übersetzer aus dem Rumänischen und als selbst nicht in Rumänien Geborene wie die meisten ihrer prominenten Kollegen - betrachtet Caragiale ohne Nostalgie. Ihre Übertragung ist gerade deshalb auch ohne falsche Rücksichtnahme auf einen bestimmten Tonfall; Caragiale erscheint in seiner neuen deutschen Stimme wie ein Zeitgenosse, der lediglich in einem sehr seltsamen Land lebt. Und mit einem Mal wird klar, woran seine Erzählungen, die er selbst meist als "Novellen" bezeichnete, erinnern: an die ebenfalls groteske und dabei genau so präzise gearbeitete Prosa des russischen Schriftstellers Daniil Charms. Nur dass der erst zwanzig Jahre nach Caragiales Tod Kurzprosa publizierte, nachdem auch er zuvor vor allem fürs Theater geschrieben hatte.
Man nehme nur eine Erzählung wie "Ion . . .", deren Titelheld mit seinem Autor Caragiale den Vornamen teilt (wie es auch die meisten Ich-Erzähler der Geschichten tun). Dieser Ion wagt es, den von der Volksmasse bewunderten Gesang eines Esels zu kritisieren, wird von den begeisterten Zuhörern furchtbar verdroschen und bleibt seinem ästhetischen Urteilt dennoch treu. Am Schluss geht er "gemessenen Schrittes davon, weiß der Teufel wohin . . . um Besseres zu finden". Keine Lehre folgt aus der Schiderung, weder für den Verprügelten noch für die Schläger, noch für den Leser. Und doch ist da ein steter impliziter Verweis auf die Vernunft, die in diesen Geschichten zwar nicht zu finden ist, ohne die wir aber gar kein Kriterium hätten, die Erzählungen grotesk zu finden.
"Caragiale ist kein Moralist, und er hat keine Ideologie", behauptet Wemme, aber das ist so pauschal nicht wahr. Man nehme etwa die nur fünfseitige Erzählung "Manko". Darin trifft der Ich-Erzähler in einem Kurort auf einen gebildeten Ungarn, der sich als unerträglicher Nationalist erweist. Im Zeitraum, aus dem die bei Guggolz erschienene Prosa stammt, den zweiundzwanzig letzten Lebensjahren von Carigiale, war die Rivalität zwischen seinem erst 1881 selbständig gewordenen Heimatland und Ungarn gewaltig, weil letzterer Staat eine große rumänische Minderheit aufwies, von der man in Budapest fürchtete, sie könnte sich dem neuen Königreich anschließen wollen. Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Habsburgerreich zerschlagen worden war, sollten sich die Verhältnisse verkehren: Rumänien hatte sein Territorium vor allem auf Kosten Ungarns verdoppelt und besaß nun selbst eine große ungarische Minderheit, übrigens bis heute.
Caragiale hat das nicht mehr erlebt, aber "Manko" endet mit dem inneren Stoßseufzer des Ich-Erzählers angesichts des unbelehrbaren Ungarn: "Gut, dass Gott uns Rumänen vor so einem Manko bewahrt!" Und wer Caragiale kannte, der wusste, dass diese Bemerkung als Warnung zu lesen war. Die Einflusslosigkeit von Nationaldichtern in politischen Fragen aber zeigt sich immer, wenn sie der eigenen Nation den Spiegel vorhalten wollen - weiß Gott nicht nur in Rumänien.
Umso einflussreicher ist Caragiale literarisch. Bisweilen meint man in der Abstrusität des Geschilderten das absurde Theater seines Landmanns Eugène Ionesco, eines großen Bewunderers, vorweggenommen zu sehen; "verkehrt" ist eine von Caragiales Lieblingsvokabeln. Da ist die hinreißende Sammlung von Telegrammen, die in der gleichnamigen Erzählung im medienbedingt knappen Ton eine politische Rivalität aufscheinen lässt, die in einem Kuhhandel mündet, der mehr über Korruption und Intrigen erzählt, als es sogar die rumänische Gegenwart leisten könnte. In solchen Montage-Kunststücken, deren es einige gibt, erweist sich Caragiale als Avantgardist, der zu den experimentierfreudigsten Prosaisten der europäischen Moderne zu rechnen ist.
1899 war zum Beispiel seine Novelle "Osternacht" erschienen, die Caragiale mit einer Vorbemerkung einleitet, in der er behauptet, noch nie ernsthafte Literatur gemacht zu haben, es jetzt aber versuche. Dann erzählt er die Geschchte von einem Juden, der am höchsten christlichen Feiertag einen Raubüberfall auf sein Haus befürchtet und dem Einbrecher eine Falle stellt: Er bringt ihn dazu, eine Hand durch die Tür zu stecken, bindet diese fest und röstet den Arm über einer Fackel, als hätte er ein Osterfeuer entzündet. Nach dem Ende der Geschichte aber lässt Caragiale noch eine Notiz folgen, in der er sich selbst des Plagiats bezichtigt. Und tatsächlich gab es damals eine berühmte rumänische Novelle, die "Die Osterfackel" hieß und die gleiche Geschichte erzählte. Geschrieben hatte sie ebenfalls Caragiale, 1892. Solche intertextuellen Spiele waren nicht nur in Rumänien neu.
Aber auch Bodenständiges - Jargon, Reim, Umgangssprache - findet sich in seinen Texten, und die Lebendigkeit der Dialoge verrät den ursprünglichen Dramatiker. Dass er die Gesellschaftskritik, die auch einen wachen Blick für das Leben der Ärmsten beweist, von der Bühne auf die Seiten von Zeitungen und schließlich einer eigenen Zeitschrift verlagerte, die er "Rumänischer Humbug" nannte - diesem Namen verdankt sich der Titel des Guggolz-Buchs -, zeigt die aufklärerische Absicht des Schriftstellers. Mit der Benennung knüpfte er an zeitgenössische berühmte Satirezeitschriften wie den deutschen "Kladderadatsch", das österreichische "Kikeriki" oder die französischen Blätter "Charivari" und "L'Eclipse" an, die sich durch ihre Namen bewusst abqualifizierten, um desto rücksichtsloser kritisieren zu können. Caragiale machte sich dadurch Feinde in Rumänien, und Neider hatte er dank seiner Bühnenerfolge ohnehin bereits. Als er 1901 dann wirklich eines Plagiats beschuldigt wurde, war die öffentliche Aufmerksamkeit immens.
Caragiale verließ kurz danach das Land und starb 1912 in Berlin, von wo aus er aber immer weiter für rumänische Publikationen geschrieben hatte. Sein Denkmal in Bukarest ziert heute den Hundert-Lei-Schein des Landes - so bleibt auch Lenin in Rumänien lebendig. Und nun lebt Caragiale also auch bei uns, in dieser Fundgrube an Formen, Stilen, Sarkasmen und Sottisen.
Ion Luca Caragiale: "Humbug und Variationen".
Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Mit Nachworten von Eva Ruth Wemme und Dana Grigorcea. Guggolz Verlag, Berlin 2018. 432 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rumänien ist Gastland der kommende Woche beginnenden Leipziger Buchmesse. Viel junge Literatur ist eigens dafür übersetzt worden, jedoch kaum ein Klassiker. Die Ausnahme aber ist ein Geschenk: Ion Luca Caragiales Kurzprosa bei Guggolz.
Von Andreas Platthaus
Das Denkmal für den Nationaldichter Ion Luca Caragiale steht in der rumänischen Hauptstadt Bukarest am Übergang von der Strada C. A. Rosetti in die Strada Maria Rosetti - zwei Straßen, die ein Ehepaar feiern, das wie Caragiale im neunzehnten Jahrhundert die rumänische Literatur geprägt hat. Allerdings waren die Rosettis auch politische Revolutionäre, und das kann man von dem eine Generation später geborenen Caragiale nicht behaupten. Vielleicht ist deshalb nach ihm nur eine kleinere Straße benannt, die man um einige Ecken vom Denkmal her erreicht. Aber den Kommunisten war der Dichter so wichtig, dass sie diese überlebensgroße Plastik von ihm aufstellten. Die war allerdings als eine Art Resteverwertung entstanden, denn der Bildhauer Constantin Baraschi hatte 1957 eigentlich eine Lenin-Statue angefertigt, die dann bei einem staatlichen Wettbewerb unterlag. Daraufhin ersetzte Baraschi den Kopf des russischen Revolutionsführers durch den des rumänischen Autors, weil der bürgerliche Anzug Lenins ihm auch zu Caragiale zu passen schien, und bot das Denkmal ein zweites Mal an - erfolgreich. Nun steht er da, der Dichter, linke Hand salopp in der Hosentasche, rechte am Revers und den Blick der Zukunft zugewandt. Die Ähnlichkeit mit historischen Fotos ist vage.
Diese Geschichte hätte sich auch Caragiale selbst ausdenken können, denn der 1852 geborene Schriftsteller liebte Grotesken und Satiren. Seinen Ruhm in Rumänien machen indes die Komödien aus; im Literaturmuseum von Bukarest ist er der Star im obersten Geschoss, das den Dramatikern gewidmet ist. Die Rumänen lieben Theater, deshalb ist es im Museum dem Himmel am nächsten. Sie schätzen aber auch die Lyrik, deshalb bilden die Dichter das Fundament im Erdgeschoss. Dazwischen ist die Belletristik eingeklemmt, und auch da gibt es einen Caragiale - Ion Lucas Sohn Mateiu, der mit seinem einzigen Roman, "Craii de Curtea-Veche" von 1929, in seiner Heimat als Meister des Modernismus gefeiert wird. Für den Vater ist im Prosa-Geschoss kein Platz, obwohl seine Texte Meisterwerke sind. Und ihrer Zeit weit voraus.
Das kann nun endlich auch wieder das deutsche Publikum feststellen, nachdem vereinzelte Übersetzungen durch den rumänischen Staatsverlag sowie DDR-Veröffentlichungen aus den fünfziger Jahren und eine schmale Sammelausgabe des Insel-Verlags von 1970 längst vergriffen waren. Angenommen hat sich des bei uns heute weitgehend unbekannten rumänischen Nationaldichters der auf Wiederentdeckungen spezialisierte Guggolz-Verlag aus Berlin. Und nicht nur, dass er die bei weitem umfangreichste deutsche Ausgabe von Caragiales Prosatexten erstellt hat, er hat auch alle eigens neu übersetzen lassen, von Eva Ruth Wemme, die in ihrem Nachwort den Autor dafür preist, dass er unter einer "chamäleonhaften Oberfläche" alles scheinbar Dumpfe in Boshaftigkeit und Komik verwandele "und dass sich mit diesen beiden Kräften die Texte Caragiales stellenweise von selbst zersetzen, zur Verzweiflung des Lesers".
Das klingt nicht nach einem Lob, doch Wemme - als Jüngste der etablierten Übersetzer aus dem Rumänischen und als selbst nicht in Rumänien Geborene wie die meisten ihrer prominenten Kollegen - betrachtet Caragiale ohne Nostalgie. Ihre Übertragung ist gerade deshalb auch ohne falsche Rücksichtnahme auf einen bestimmten Tonfall; Caragiale erscheint in seiner neuen deutschen Stimme wie ein Zeitgenosse, der lediglich in einem sehr seltsamen Land lebt. Und mit einem Mal wird klar, woran seine Erzählungen, die er selbst meist als "Novellen" bezeichnete, erinnern: an die ebenfalls groteske und dabei genau so präzise gearbeitete Prosa des russischen Schriftstellers Daniil Charms. Nur dass der erst zwanzig Jahre nach Caragiales Tod Kurzprosa publizierte, nachdem auch er zuvor vor allem fürs Theater geschrieben hatte.
Man nehme nur eine Erzählung wie "Ion . . .", deren Titelheld mit seinem Autor Caragiale den Vornamen teilt (wie es auch die meisten Ich-Erzähler der Geschichten tun). Dieser Ion wagt es, den von der Volksmasse bewunderten Gesang eines Esels zu kritisieren, wird von den begeisterten Zuhörern furchtbar verdroschen und bleibt seinem ästhetischen Urteilt dennoch treu. Am Schluss geht er "gemessenen Schrittes davon, weiß der Teufel wohin . . . um Besseres zu finden". Keine Lehre folgt aus der Schiderung, weder für den Verprügelten noch für die Schläger, noch für den Leser. Und doch ist da ein steter impliziter Verweis auf die Vernunft, die in diesen Geschichten zwar nicht zu finden ist, ohne die wir aber gar kein Kriterium hätten, die Erzählungen grotesk zu finden.
"Caragiale ist kein Moralist, und er hat keine Ideologie", behauptet Wemme, aber das ist so pauschal nicht wahr. Man nehme etwa die nur fünfseitige Erzählung "Manko". Darin trifft der Ich-Erzähler in einem Kurort auf einen gebildeten Ungarn, der sich als unerträglicher Nationalist erweist. Im Zeitraum, aus dem die bei Guggolz erschienene Prosa stammt, den zweiundzwanzig letzten Lebensjahren von Carigiale, war die Rivalität zwischen seinem erst 1881 selbständig gewordenen Heimatland und Ungarn gewaltig, weil letzterer Staat eine große rumänische Minderheit aufwies, von der man in Budapest fürchtete, sie könnte sich dem neuen Königreich anschließen wollen. Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Habsburgerreich zerschlagen worden war, sollten sich die Verhältnisse verkehren: Rumänien hatte sein Territorium vor allem auf Kosten Ungarns verdoppelt und besaß nun selbst eine große ungarische Minderheit, übrigens bis heute.
Caragiale hat das nicht mehr erlebt, aber "Manko" endet mit dem inneren Stoßseufzer des Ich-Erzählers angesichts des unbelehrbaren Ungarn: "Gut, dass Gott uns Rumänen vor so einem Manko bewahrt!" Und wer Caragiale kannte, der wusste, dass diese Bemerkung als Warnung zu lesen war. Die Einflusslosigkeit von Nationaldichtern in politischen Fragen aber zeigt sich immer, wenn sie der eigenen Nation den Spiegel vorhalten wollen - weiß Gott nicht nur in Rumänien.
Umso einflussreicher ist Caragiale literarisch. Bisweilen meint man in der Abstrusität des Geschilderten das absurde Theater seines Landmanns Eugène Ionesco, eines großen Bewunderers, vorweggenommen zu sehen; "verkehrt" ist eine von Caragiales Lieblingsvokabeln. Da ist die hinreißende Sammlung von Telegrammen, die in der gleichnamigen Erzählung im medienbedingt knappen Ton eine politische Rivalität aufscheinen lässt, die in einem Kuhhandel mündet, der mehr über Korruption und Intrigen erzählt, als es sogar die rumänische Gegenwart leisten könnte. In solchen Montage-Kunststücken, deren es einige gibt, erweist sich Caragiale als Avantgardist, der zu den experimentierfreudigsten Prosaisten der europäischen Moderne zu rechnen ist.
1899 war zum Beispiel seine Novelle "Osternacht" erschienen, die Caragiale mit einer Vorbemerkung einleitet, in der er behauptet, noch nie ernsthafte Literatur gemacht zu haben, es jetzt aber versuche. Dann erzählt er die Geschchte von einem Juden, der am höchsten christlichen Feiertag einen Raubüberfall auf sein Haus befürchtet und dem Einbrecher eine Falle stellt: Er bringt ihn dazu, eine Hand durch die Tür zu stecken, bindet diese fest und röstet den Arm über einer Fackel, als hätte er ein Osterfeuer entzündet. Nach dem Ende der Geschichte aber lässt Caragiale noch eine Notiz folgen, in der er sich selbst des Plagiats bezichtigt. Und tatsächlich gab es damals eine berühmte rumänische Novelle, die "Die Osterfackel" hieß und die gleiche Geschichte erzählte. Geschrieben hatte sie ebenfalls Caragiale, 1892. Solche intertextuellen Spiele waren nicht nur in Rumänien neu.
Aber auch Bodenständiges - Jargon, Reim, Umgangssprache - findet sich in seinen Texten, und die Lebendigkeit der Dialoge verrät den ursprünglichen Dramatiker. Dass er die Gesellschaftskritik, die auch einen wachen Blick für das Leben der Ärmsten beweist, von der Bühne auf die Seiten von Zeitungen und schließlich einer eigenen Zeitschrift verlagerte, die er "Rumänischer Humbug" nannte - diesem Namen verdankt sich der Titel des Guggolz-Buchs -, zeigt die aufklärerische Absicht des Schriftstellers. Mit der Benennung knüpfte er an zeitgenössische berühmte Satirezeitschriften wie den deutschen "Kladderadatsch", das österreichische "Kikeriki" oder die französischen Blätter "Charivari" und "L'Eclipse" an, die sich durch ihre Namen bewusst abqualifizierten, um desto rücksichtsloser kritisieren zu können. Caragiale machte sich dadurch Feinde in Rumänien, und Neider hatte er dank seiner Bühnenerfolge ohnehin bereits. Als er 1901 dann wirklich eines Plagiats beschuldigt wurde, war die öffentliche Aufmerksamkeit immens.
Caragiale verließ kurz danach das Land und starb 1912 in Berlin, von wo aus er aber immer weiter für rumänische Publikationen geschrieben hatte. Sein Denkmal in Bukarest ziert heute den Hundert-Lei-Schein des Landes - so bleibt auch Lenin in Rumänien lebendig. Und nun lebt Caragiale also auch bei uns, in dieser Fundgrube an Formen, Stilen, Sarkasmen und Sottisen.
Ion Luca Caragiale: "Humbug und Variationen".
Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Mit Nachworten von Eva Ruth Wemme und Dana Grigorcea. Guggolz Verlag, Berlin 2018. 432 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2018Humbug ist das Siegel unserer Zeit
Der rumänische Autor Ion Luca Caragiale porträtierte in glänzenden Feuilletons die Gesellschaft um 1900
Den Namen Ion Luca Caragiale dürfte hierzulande kaum jemand jemals gehört haben. In Rumänien hingegen hat man den Geburtsort des dort berühmten Schriftstellers, der 1912 in Berlin starb, nach dessen Tod auf seinen Namen getauft; am Tag seiner Beerdigung, sein Leichnam war nach Bukarest überführt worden, waren alle Ämter geschlossen und die Bahnkarten kosteten nur die Hälfte. Ein Volksheld also, der bis heute als einer der bedeutendsten rumänischen Dramatiker gilt und dessen Konterfei eine Banknote ziert. Der in Berlin ansässige Guggolz Verlag, spezialisiert auf Wieder- wie auch Neuentdeckungen vergessener oder bei uns unbekannter Schriftsteller, hat sich nun mit einem fast vierhundertfünfzig Seiten starken Wälzer an die Entdeckung Caragiales gemacht.
Und das, obwohl die Übersetzerin Eva Ruth Wemme in ihrer kurzen Nachbemerkung von der „absoluten Unübersetzbarkeit“ dieses Autors der „Musikalität“ seiner Sprache wegen schreibt. Eine riesige Herausforderung also, auch wegen des Anklangs „des absurden Theaters“, der sich bei Caragiale findet und der nichts weniger ist als ein literarischer Vorfahr des berühmten Eugène Ionesco, wie man aus dem Nachwort von Dana Grigorcea erfährt. Der Verlag ist das Risiko einer Übersetzung aber auch deshalb eingegangen, weil man in Rumänien davon überzeugt ist, man könne das Land am besten durch die Lektüre von Caragiale verstehen. Seinen Humor versteht man dort als „typisch rumänisch“. Ist das auch für den deutschen Leser so, kann auch er entsprechende Erkenntnisse gewinnen?
Das kann er tatsächlich. Wider Erwarten ist nämlich die große Mehrzahl von Caragiales Texten frisch geblieben. Der legendäre Schriftsteller wurde 1852 im Geburtsjahr des rumänischen Theaters geboren, damals wurde das Nationaltheater in Bukarest eröffnet, dessen Direktor Caragiale später tatsächlich für ein Jahr auch war. Nach dieser Episode arbeitete er sein Leben lang als Journalist. Die Stücke, die der Band versammelt, sind überwiegend in Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Es sind Feuilletons im allerbesten Sinne, wie sie heute kaum mehr geschrieben werden, Geschichten, Szenen, Beobachtungen, leicht, ironisch und doch kritisch-hintersinnig, dabei alles andere als unpolitisch.
Caragiale war Zeitgenosse einer nationalistischen Epoche, die, zumal in Rumänien, auch von völkischen Ressentiments geprägt war. Solchen Auswüchsen hält der Autor den Spiegel vor und genau das macht ihn so aktuell. Sarkastisch erzählt er etwa in einem nur wenige Seiten langen Stück mit dem lakonischen, aber bezeichnenden Titel „Manko“ von einem nationalistischen Ungarn, den der Ich-Erzähler während eines Kuraufenthaltes kennengelernt hat.
Diese Figur zielt mit ihrem Manko, dem Nationalismus, durchaus auch auf Caragiales eigene Landsleute. Das ist ebenso von gegenwärtiger Relevanz wie etwa die Novelle „Osternacht“. Hier wird satirisch in der Gestalt des jüdischen Gastwirts Leiba Zibal der rumänische Antisemitismus makaber aufs Korn genommen.
Unvermutete Aktualität also auch hier, zumal die Vorliebe dieses Autors oft einem literarischen Personal sympathischer Außenseiter gehört. So zum Beispiel der Protagonist mit dem Vornamen Ion in der Kurzgeschichte gleichen Namens, das natürlich ein verstecktes Selbstporträt des Verfassers ist. Hier geht es um einen armen, aber klugen Wanderburschen, einen Taugenichts, der von der Menge seiner Zuhörer in dem Moment, in dem er ihnen die Augen über ihre (ideologische) Verführbarkeit öffnet, fast gelyncht wird.
Die Unheimlichkeit solch eines Stückes verdankt sich gerade seinem fast märchenhaft leichten Erzählton, der mit feinem Gespür gefährliche Stimmungen diagnostiziert, meisterhaft darstellt und ahnungsvoll vor Pogromen warnt. Caragiale gelingt es, in einem einzigen kurzen Prosastück, die komplizierte und konfliktreiche ethnische Gemengelage abzubilden, die uns etwa durch die Prosa eines Joseph Roth bekannt ist, aber eben auch zum literarischen Echoraum dieses rumänischen Schriftstellers gehört. Das ist große Kunst in Form literarischer Miniaturen, sie entdeckt zu haben ein tatsächliches Verdienst.
Schade allerdings, dass es das Nachwort versäumt, dem Leser ein paar historische Informationen über die schwierigen nationalstaatlichen Verhältnisse Rumäniens im 19. Jahrhundert mit auf den Weg zu geben. Wahrscheinlich befürchtete man die Historisierung der literarischen Entdeckung, die das Unternehmen hätte antiquiert erscheinen lassen können. Eine ganz überflüssige Befürchtung, zumal es der Übersetzerin tatsächlich gelungen ist, den Leser mitzureißen, bei der Stange zu halten, zu amüsieren und nachdenklich zu machen. Ein Minimum historischer Information hätte jedoch die Absurditäten des gewöhnlichen Lebens, die so herrlich grotesk dargestellt werden, noch besser veranschaulichen können. Caragiale selbst hat dafür das schöne Wort „Humbug“ benutzt und damit auch die Auswirkungen der mühseligen, widersprüchlichen und konfliktreichen rumänischen Nationalstaatsbildung auf jeden Einzelnen seiner Zeit gemeint.
Deshalb erscheint in den Prosastücken nicht allein der Außenseiter, sondern auch der Parvenü oder der Anpasser, der Zeitungsmacher etwa, den „eine unendliche Sehnsucht … nach dem Wohl des rrrumänischen Vaterrrlandes, des rrrumänischen Volllkes“ gepackt hat. „Oh Humbug“, lautet insofern die Schlussfolgerung, „du bist das Siegel und die Devise unserer Zeit.“
Die „Rumänische Akademie“ (für Wissenschaft und Kultur) verweigerte Caragiale 1891 die Mitgliedschaft. Eher erfolglos betrieb er daraufhin in Bukarest drei Biergärten. Eine unverhoffte Erbschaft ermöglichte es ihm, Bukarest zu verlassen, es hielt den Kosmopoliten dort nicht mehr.
Mit seiner Familie bereiste er Europa, 1904 ließ er sich in Berlin nieder. Liest man Caragiale heute, hört man nicht nur die Zeichen seiner, sondern auch die unserer Zeit. Selbst wenn man sich als Leser zunächst auf unbekanntem literarischen Terrain zurechtfinden muss, es lohnt sich, diesen großartigen rumänischen Querkopf kennenzulernen. Und das ist kein Humbug!
THOMAS MEDICUS
Komödienautor und Biergartengründer: Ion Luca Caragiale (1852-1912)
Foto: oh
Ion Luca Caragiale: Humbug und Variationen. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Mit Nachworten von Eva Ruth Wemme und Dana Grigorcea. Guggolz Verlag, Berlin 2018.
431 Seiten. 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der rumänische Autor Ion Luca Caragiale porträtierte in glänzenden Feuilletons die Gesellschaft um 1900
Den Namen Ion Luca Caragiale dürfte hierzulande kaum jemand jemals gehört haben. In Rumänien hingegen hat man den Geburtsort des dort berühmten Schriftstellers, der 1912 in Berlin starb, nach dessen Tod auf seinen Namen getauft; am Tag seiner Beerdigung, sein Leichnam war nach Bukarest überführt worden, waren alle Ämter geschlossen und die Bahnkarten kosteten nur die Hälfte. Ein Volksheld also, der bis heute als einer der bedeutendsten rumänischen Dramatiker gilt und dessen Konterfei eine Banknote ziert. Der in Berlin ansässige Guggolz Verlag, spezialisiert auf Wieder- wie auch Neuentdeckungen vergessener oder bei uns unbekannter Schriftsteller, hat sich nun mit einem fast vierhundertfünfzig Seiten starken Wälzer an die Entdeckung Caragiales gemacht.
Und das, obwohl die Übersetzerin Eva Ruth Wemme in ihrer kurzen Nachbemerkung von der „absoluten Unübersetzbarkeit“ dieses Autors der „Musikalität“ seiner Sprache wegen schreibt. Eine riesige Herausforderung also, auch wegen des Anklangs „des absurden Theaters“, der sich bei Caragiale findet und der nichts weniger ist als ein literarischer Vorfahr des berühmten Eugène Ionesco, wie man aus dem Nachwort von Dana Grigorcea erfährt. Der Verlag ist das Risiko einer Übersetzung aber auch deshalb eingegangen, weil man in Rumänien davon überzeugt ist, man könne das Land am besten durch die Lektüre von Caragiale verstehen. Seinen Humor versteht man dort als „typisch rumänisch“. Ist das auch für den deutschen Leser so, kann auch er entsprechende Erkenntnisse gewinnen?
Das kann er tatsächlich. Wider Erwarten ist nämlich die große Mehrzahl von Caragiales Texten frisch geblieben. Der legendäre Schriftsteller wurde 1852 im Geburtsjahr des rumänischen Theaters geboren, damals wurde das Nationaltheater in Bukarest eröffnet, dessen Direktor Caragiale später tatsächlich für ein Jahr auch war. Nach dieser Episode arbeitete er sein Leben lang als Journalist. Die Stücke, die der Band versammelt, sind überwiegend in Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Es sind Feuilletons im allerbesten Sinne, wie sie heute kaum mehr geschrieben werden, Geschichten, Szenen, Beobachtungen, leicht, ironisch und doch kritisch-hintersinnig, dabei alles andere als unpolitisch.
Caragiale war Zeitgenosse einer nationalistischen Epoche, die, zumal in Rumänien, auch von völkischen Ressentiments geprägt war. Solchen Auswüchsen hält der Autor den Spiegel vor und genau das macht ihn so aktuell. Sarkastisch erzählt er etwa in einem nur wenige Seiten langen Stück mit dem lakonischen, aber bezeichnenden Titel „Manko“ von einem nationalistischen Ungarn, den der Ich-Erzähler während eines Kuraufenthaltes kennengelernt hat.
Diese Figur zielt mit ihrem Manko, dem Nationalismus, durchaus auch auf Caragiales eigene Landsleute. Das ist ebenso von gegenwärtiger Relevanz wie etwa die Novelle „Osternacht“. Hier wird satirisch in der Gestalt des jüdischen Gastwirts Leiba Zibal der rumänische Antisemitismus makaber aufs Korn genommen.
Unvermutete Aktualität also auch hier, zumal die Vorliebe dieses Autors oft einem literarischen Personal sympathischer Außenseiter gehört. So zum Beispiel der Protagonist mit dem Vornamen Ion in der Kurzgeschichte gleichen Namens, das natürlich ein verstecktes Selbstporträt des Verfassers ist. Hier geht es um einen armen, aber klugen Wanderburschen, einen Taugenichts, der von der Menge seiner Zuhörer in dem Moment, in dem er ihnen die Augen über ihre (ideologische) Verführbarkeit öffnet, fast gelyncht wird.
Die Unheimlichkeit solch eines Stückes verdankt sich gerade seinem fast märchenhaft leichten Erzählton, der mit feinem Gespür gefährliche Stimmungen diagnostiziert, meisterhaft darstellt und ahnungsvoll vor Pogromen warnt. Caragiale gelingt es, in einem einzigen kurzen Prosastück, die komplizierte und konfliktreiche ethnische Gemengelage abzubilden, die uns etwa durch die Prosa eines Joseph Roth bekannt ist, aber eben auch zum literarischen Echoraum dieses rumänischen Schriftstellers gehört. Das ist große Kunst in Form literarischer Miniaturen, sie entdeckt zu haben ein tatsächliches Verdienst.
Schade allerdings, dass es das Nachwort versäumt, dem Leser ein paar historische Informationen über die schwierigen nationalstaatlichen Verhältnisse Rumäniens im 19. Jahrhundert mit auf den Weg zu geben. Wahrscheinlich befürchtete man die Historisierung der literarischen Entdeckung, die das Unternehmen hätte antiquiert erscheinen lassen können. Eine ganz überflüssige Befürchtung, zumal es der Übersetzerin tatsächlich gelungen ist, den Leser mitzureißen, bei der Stange zu halten, zu amüsieren und nachdenklich zu machen. Ein Minimum historischer Information hätte jedoch die Absurditäten des gewöhnlichen Lebens, die so herrlich grotesk dargestellt werden, noch besser veranschaulichen können. Caragiale selbst hat dafür das schöne Wort „Humbug“ benutzt und damit auch die Auswirkungen der mühseligen, widersprüchlichen und konfliktreichen rumänischen Nationalstaatsbildung auf jeden Einzelnen seiner Zeit gemeint.
Deshalb erscheint in den Prosastücken nicht allein der Außenseiter, sondern auch der Parvenü oder der Anpasser, der Zeitungsmacher etwa, den „eine unendliche Sehnsucht … nach dem Wohl des rrrumänischen Vaterrrlandes, des rrrumänischen Volllkes“ gepackt hat. „Oh Humbug“, lautet insofern die Schlussfolgerung, „du bist das Siegel und die Devise unserer Zeit.“
Die „Rumänische Akademie“ (für Wissenschaft und Kultur) verweigerte Caragiale 1891 die Mitgliedschaft. Eher erfolglos betrieb er daraufhin in Bukarest drei Biergärten. Eine unverhoffte Erbschaft ermöglichte es ihm, Bukarest zu verlassen, es hielt den Kosmopoliten dort nicht mehr.
Mit seiner Familie bereiste er Europa, 1904 ließ er sich in Berlin nieder. Liest man Caragiale heute, hört man nicht nur die Zeichen seiner, sondern auch die unserer Zeit. Selbst wenn man sich als Leser zunächst auf unbekanntem literarischen Terrain zurechtfinden muss, es lohnt sich, diesen großartigen rumänischen Querkopf kennenzulernen. Und das ist kein Humbug!
THOMAS MEDICUS
Komödienautor und Biergartengründer: Ion Luca Caragiale (1852-1912)
Foto: oh
Ion Luca Caragiale: Humbug und Variationen. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. Mit Nachworten von Eva Ruth Wemme und Dana Grigorcea. Guggolz Verlag, Berlin 2018.
431 Seiten. 24 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Medicus ist nicht im Mindesten überrascht, dass Ion Luca Caragiale, den er als "großen rumänischen Querkopf" würdigt, in seiner Heimat als einer der bedeutendsten Schriftsteller gilt. Denn der Autor spiegele in seinen kurzen hier versammelten Prosa-Stücken brillant jene "völkischen Ressentiments", die die rumänische Gesellschaft um 1900 durchsetzten. Wenn Caragiale in seinen ebenso kritischen wie leichtfüßigen Beobachtungen und mit seinem "Personal sympathischer Außenseiter" die Grotesken des Alltagslebens herausarbeitet, muss der Kritiker an das absurde Theater Ionescos denken. Obwohl Medicus sich von Dana Grigorecas Nachwort mehr historischen Hintergrund gewünscht hätte, präsentiert "Humbug und Variationen" ihm ein scharfes Bild der nationalistisch geprägten Epoche Rumäniens - seine Diagnosen müssten dringend auch für deutsche Gegenwart gestellt werden, fügt der Rezensent hinzu. Darüber hinaus lobt er, wie Übersetzerin Eva Ruth Wemme Caragiales luftig-ironischen Erzählton ins Deutsche übertragen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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