Marion Poschmann, die Autorin des hochgelobten, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorabgedruckten Schwarzweißromans, legt mit ihrem neuen Buch Hundenovelle die Geschichte einer ungewöhnlichen Begegnung vor. An einem heißen Sommertag läuft der jungen Erzählerin bei einem Spaziergang am Rande der Stadt ein großer schwarzer Hund von unbekannter Rasse und Herkunft zu, verwildert und hungrig, aber von eigenartiger Schönheit. Er lässt sich nicht abschütteln, drängt sich durch den Türspalt in ihre Wohnung und damit in ihr Leben. Die Erzählerin, die seit dem Tod der Mutter allein lebt, nimmt - mehr durch die Umstände gezwungen als freiwillig - den Hund bei sich auf. Sie kauft Tiernahrung, Leine und Halsband, bringt ihn in einen Hundesalon. Mit dem imposanten Tier tritt ein Gegenüber in ihr Leben, das auf verstörende Weise immer mehr Platz in ihrer Einsamkeit einnimmt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008Die Melancholikerin am anderen Ende der Leine
Dürers grübelnder Engel zwischen Bahndamm und Müllkippe: Marion Poschmanns „Hundenovelle” ist formvollendeter Welthass und eine Hommage an die Farbe Schwarz
Achtung Hundeliebhaber: Dies ist kein im handelsüblichen Sinne tierfreundliches Buch. Es gibt hier nichts Flauschiges. Kein Kreaturgedusel. Kein gemeinsames Tollen durch Wiesen und Wälder. Meistens stinkt der Hund, er hat Flöhe und ist seinem Menschen unheimlich. Und trotzdem erzählt Marion Poschmanns „Hundenovelle” von einer außergewöhnlichen Seelenverwandtschaft, von den zwei Leinen-Enden der Melancholie – die schwarze Galle der Erzählerin auf der einen Seite, ein abgemagerter Streuner auf der anderen. Beide gehören zusammen in ihrer Schwärze, fast so, als habe die Frau ein Zugtier für ihre Melancholie gefunden, oder als führe sie ihre Fell gewordene Weltsicht aus.
Eigentlich wollte die namenlose Ich–Erzählerin diesen Hund nicht haben, er ist ihr zugelaufen und lässt sich wie in einem Albtraum nicht mehr abschütteln. Das verwahrloste, aber auch seltsam elegante Tier quetscht sich durch den Türspalt in die Wohnung und weicht fortan seiner selbstgewählten Besitzerin nicht mehr von der Seite. Die hatte sich in ihrer Weltabgeschiedenheit schon bestens eingerichtet, eine mitteljunge Frau in einem Wohnblock am Stadtrand, gerade arbeitslos geworden und froh, sich kein Siegerlächeln antrainieren zu müssen: „Mir waren diese Verhaltensweisen immer wie Verrat erschienen. Auch jetzt erhielt sich mir ein eigenartiges Schuldgefühl. Es bezog sich auf falschen Aktivismus. Auf erzwungene Aktivitäten. Auf jene Art von Handlungsmanie, starrköpfig, brutal, die die Welt regierte und kaputtmachte.”
In dieser aggressiv-grüblerischen Stimmung verbringt die Frau ihre Zeit mit Detailstudien: dornige Berberitzen am Straßenrand, schwarzsamtene Bananenschalen, Ammoniten im Marmor der Fensterbank. Alles wirkt urtümlich versteinert oder wuchert pflanzenhaft vor sich hin. Draußen ist es furchtbar heiß, die Hundenovelle trägt sich in einem Hochsommer zu, der selbst die Sonne schwarz erscheinen lässt. Auf ihren Spaziergängen mit dem Tier wabert der Frau eine seltsam surreale Dingwelt entgegen und scheint sie verschlingen zu wollen, aber sie schießt mit bösartiger Traurigkeit zurück: „Es war eine sonderbare Wut, die mich vorantrieb. Ein heißer Zorn hatte sich aus mir herausgewälzt und in der gesamten Umgebung ausgebreitet.” Solche Melancholie-Zeichen plaziert Marion Poschmann so subtil und sprachgewaltig, dass man die Novelle auch als philosophisches Bildrätsel lesen kann. Von der Temperamentenlehre über Albrecht Dürer bis zu Walter Benjamin ist alles untergebracht, was die Jahrhunderte über den Melancholiker gespeichert haben: ein sowohl träger als auch zorniger Charakter, künstlerisch hochsensibel bei gleichzeitiger Hingabe an den Verfall der Welt.
Auf den ersten Seiten legt der Text eine wunderbare Fährte zu Dürers Kupferstich „Melencolia I”. Dort starrt ein Engel in Denkerpose finster in die Ferne, zu seinen Füßen liegt ein schlafender Hund, am Boden ist Werkzeug verstreut und am Firmament trägt eine Fledermaus den Titel des Bildes. Die Hundenovelle übersetzt das so: „Ich hielt meinen Kopf auf die geballte Faust gestützt und starrte über die verwilderte Wiese”, und gleich kommt auch der Hund dazu, „ein schwarzes Tier strich aus dem Gebüsch und rollte sich zu meinen Füßen ein”. Sogar die Fledermaus hat einen Blitzauftritt, und im Gras verrotten 10-Zoll-Nägel, Hammer und Hobel.
Herrin und Hund bewegen sich durch eine moderne Ruinenlandschaft, durch Gewerbegebiete und Vorstadtsiedlungen, an Bahndämmen und Müllkippen vorbei. Hier liegen Betonplatten herum, knacken alte Fliesen unterm Fuß, und es gibt mächtige Pflanzen, die den Zivilisationsschrott ein zweites Mal durchbrechen. Das erinnert ein wenig an Tarkowskijs „Stalker”-Zone und an Wolfgang Hilbigs Gift-Landschaften, die eine politische Endzeitstimmung in bedrohlich deformierter Natur aufgehen lassen. Marion Poschmanns Zonenrandgebiete wirken nicht ganz so melodramatisch: Ihre Seelenlandschaft ist ein wild wuchernder Abraum, in dem sanftes Weinen deplaciert wäre. Wer glaubt, Melancholie habe etwas mit wohldosiertem Weltschmerz zu tun, muss sich nur den lodernden Blick des Dürer-Engels anschauen.
Diese unsentimentale Aggressivität hat den Vorteil, dass sie gleichzeitig eine hohe Dosis Komik verträgt. Die Einzelgängerin durchläuft eine irrwitzige Hunde-Metamorphose, an deren Ende sie bußfertig durch Brennnesselfelder robbt und andere Hunde hinterm Supermarkt mit einer Futtertüte anlockt: „Ich lauerte im Gebüsch wie ein Triebverbrecher”. Immer dann, wenn man willig in Schwermut versinkt, springt eine skurrile Szene dazwischen, zieht eine abseitige Anspielung auf neue Seitenpfade. Marion Poschmann beweist dabei ein feines Gespür für seelische Randlagen: Ihre „Hundenovelle” zählt zum Schönsten, was über die Farbe Schwarz je geschrieben wurde.JUTTA PERSON
Marion Poschmann
Hundenovelle
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. 126 Seiten, 17,20 Euro.
„Es war eine sonderbare Wut, die mich vorantrieb”
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Dürers grübelnder Engel zwischen Bahndamm und Müllkippe: Marion Poschmanns „Hundenovelle” ist formvollendeter Welthass und eine Hommage an die Farbe Schwarz
Achtung Hundeliebhaber: Dies ist kein im handelsüblichen Sinne tierfreundliches Buch. Es gibt hier nichts Flauschiges. Kein Kreaturgedusel. Kein gemeinsames Tollen durch Wiesen und Wälder. Meistens stinkt der Hund, er hat Flöhe und ist seinem Menschen unheimlich. Und trotzdem erzählt Marion Poschmanns „Hundenovelle” von einer außergewöhnlichen Seelenverwandtschaft, von den zwei Leinen-Enden der Melancholie – die schwarze Galle der Erzählerin auf der einen Seite, ein abgemagerter Streuner auf der anderen. Beide gehören zusammen in ihrer Schwärze, fast so, als habe die Frau ein Zugtier für ihre Melancholie gefunden, oder als führe sie ihre Fell gewordene Weltsicht aus.
Eigentlich wollte die namenlose Ich–Erzählerin diesen Hund nicht haben, er ist ihr zugelaufen und lässt sich wie in einem Albtraum nicht mehr abschütteln. Das verwahrloste, aber auch seltsam elegante Tier quetscht sich durch den Türspalt in die Wohnung und weicht fortan seiner selbstgewählten Besitzerin nicht mehr von der Seite. Die hatte sich in ihrer Weltabgeschiedenheit schon bestens eingerichtet, eine mitteljunge Frau in einem Wohnblock am Stadtrand, gerade arbeitslos geworden und froh, sich kein Siegerlächeln antrainieren zu müssen: „Mir waren diese Verhaltensweisen immer wie Verrat erschienen. Auch jetzt erhielt sich mir ein eigenartiges Schuldgefühl. Es bezog sich auf falschen Aktivismus. Auf erzwungene Aktivitäten. Auf jene Art von Handlungsmanie, starrköpfig, brutal, die die Welt regierte und kaputtmachte.”
In dieser aggressiv-grüblerischen Stimmung verbringt die Frau ihre Zeit mit Detailstudien: dornige Berberitzen am Straßenrand, schwarzsamtene Bananenschalen, Ammoniten im Marmor der Fensterbank. Alles wirkt urtümlich versteinert oder wuchert pflanzenhaft vor sich hin. Draußen ist es furchtbar heiß, die Hundenovelle trägt sich in einem Hochsommer zu, der selbst die Sonne schwarz erscheinen lässt. Auf ihren Spaziergängen mit dem Tier wabert der Frau eine seltsam surreale Dingwelt entgegen und scheint sie verschlingen zu wollen, aber sie schießt mit bösartiger Traurigkeit zurück: „Es war eine sonderbare Wut, die mich vorantrieb. Ein heißer Zorn hatte sich aus mir herausgewälzt und in der gesamten Umgebung ausgebreitet.” Solche Melancholie-Zeichen plaziert Marion Poschmann so subtil und sprachgewaltig, dass man die Novelle auch als philosophisches Bildrätsel lesen kann. Von der Temperamentenlehre über Albrecht Dürer bis zu Walter Benjamin ist alles untergebracht, was die Jahrhunderte über den Melancholiker gespeichert haben: ein sowohl träger als auch zorniger Charakter, künstlerisch hochsensibel bei gleichzeitiger Hingabe an den Verfall der Welt.
Auf den ersten Seiten legt der Text eine wunderbare Fährte zu Dürers Kupferstich „Melencolia I”. Dort starrt ein Engel in Denkerpose finster in die Ferne, zu seinen Füßen liegt ein schlafender Hund, am Boden ist Werkzeug verstreut und am Firmament trägt eine Fledermaus den Titel des Bildes. Die Hundenovelle übersetzt das so: „Ich hielt meinen Kopf auf die geballte Faust gestützt und starrte über die verwilderte Wiese”, und gleich kommt auch der Hund dazu, „ein schwarzes Tier strich aus dem Gebüsch und rollte sich zu meinen Füßen ein”. Sogar die Fledermaus hat einen Blitzauftritt, und im Gras verrotten 10-Zoll-Nägel, Hammer und Hobel.
Herrin und Hund bewegen sich durch eine moderne Ruinenlandschaft, durch Gewerbegebiete und Vorstadtsiedlungen, an Bahndämmen und Müllkippen vorbei. Hier liegen Betonplatten herum, knacken alte Fliesen unterm Fuß, und es gibt mächtige Pflanzen, die den Zivilisationsschrott ein zweites Mal durchbrechen. Das erinnert ein wenig an Tarkowskijs „Stalker”-Zone und an Wolfgang Hilbigs Gift-Landschaften, die eine politische Endzeitstimmung in bedrohlich deformierter Natur aufgehen lassen. Marion Poschmanns Zonenrandgebiete wirken nicht ganz so melodramatisch: Ihre Seelenlandschaft ist ein wild wuchernder Abraum, in dem sanftes Weinen deplaciert wäre. Wer glaubt, Melancholie habe etwas mit wohldosiertem Weltschmerz zu tun, muss sich nur den lodernden Blick des Dürer-Engels anschauen.
Diese unsentimentale Aggressivität hat den Vorteil, dass sie gleichzeitig eine hohe Dosis Komik verträgt. Die Einzelgängerin durchläuft eine irrwitzige Hunde-Metamorphose, an deren Ende sie bußfertig durch Brennnesselfelder robbt und andere Hunde hinterm Supermarkt mit einer Futtertüte anlockt: „Ich lauerte im Gebüsch wie ein Triebverbrecher”. Immer dann, wenn man willig in Schwermut versinkt, springt eine skurrile Szene dazwischen, zieht eine abseitige Anspielung auf neue Seitenpfade. Marion Poschmann beweist dabei ein feines Gespür für seelische Randlagen: Ihre „Hundenovelle” zählt zum Schönsten, was über die Farbe Schwarz je geschrieben wurde.JUTTA PERSON
Marion Poschmann
Hundenovelle
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. 126 Seiten, 17,20 Euro.
„Es war eine sonderbare Wut, die mich vorantrieb”
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2008Lass uns Gassi gehen in der Queckensteppe
Marion Poschmanns Hundefabel / Von Heinrich Detering
Irgendwie ist der Hund eines Tages da, wie aus dem Nichts materialisiert, und übernimmt schweigend das Kommando. Er breitet sich aus, scheint die Wohnung zu füllen, geht durch die Tage und Träume und verschwindet wieder, wann und wie er will. Beharrlich macht er sich die einsame Spaziergängerin gefügig, die ihn nicht gerufen hat, ihn nicht behalten will und nun vergebens versucht, sich zu seiner Herrin aufzuschwingen. Fremd ist er dieser Erzählerin, und sonderbar fremd bleibt er auch der Landschaft, die er sich zu eigen macht und beherrscht - ein Schattenwesen, das nur vorübergehend Fleisch und Fell anzunehmen scheint, vielleicht der Wiedergänger jenes Hundes aus einer Heiligenlegende, an die sich die Erzählerin bei seinem Anblick erinnert, oder ein Todesbote, ein mythischer Jäger.
Doch so verärgert die Erzählerin den Eindringling abwehrt, so willkommen ist er ihr. Arbeitslos und isoliert, hat sie längst auch alle menschlichen Kontakte verloren. Der einzige Mensch, mit dem sie gelegentlich redet, ist die tote Mutter im Traum. Und die Landschaften, die sie täglich durchwandert, erstrecken sich zwischen Rieselfeld und Müllplatz; ihre Welt ist das Brachland der Stadtrandzonen, die "Queckensteppe", weiter nichts. "Nichts geschah", notiert sie einmal. In der Lautlosigkeit dieser halluzinatorischen Landschaftsbilder aber vollzieht sich eine zeitlupenhaft gedehnte Katastrophe.
Hat die Erzählerin in den ersten Passagen noch etwas von den Flaneuren Genazinos, die sich verwundert und etwas fröstelnd durch die Menschenwelt bewegen, so gleitet die leise Komik der Tierarztbesuche und Zähmungsversuche allmählich hinüber in eine beunruhigende Entstellung des Alltäglichen. Um die Spaziergängerin herum verlangsamt und beschleunigt sich die Zeit, so dass sie beispielsweise zusehen kann, wie "sich Pflanzen aus dem verhärteten Boden hervorschrauben". Manchmal meint sie zu fühlen, wie diese Pflanzen sich von der Energie ihres wandernden Körpers ernähren. Und einmal sieht sie das fremde Tier wie einen Vorstehhund innehalten, und er "wies erstarrt und aufmerksam auf einen Punkt hin: mich". Da dauert es nicht mehr lange, bis sie selbstvergessen durch Gras und Müll kriecht und vor Regressionsglück beinahe wieder aufzustehen vergisst.
"Mit einer Art von Zufriedenheit" beginnt sie zu beobachten, "wie das, was ich bisher für mich gehalten hatte, immer mehr verschwand". Tatsächlich lesen sich ihre Aufzeichnungen wie die Innenansicht einer Verelendung - oder einer Befreiung aus den Zwängen der Vernunft und endlich den Grenzen des Ich. Was Gottfried Benns Rönne-Novellen als die "Entschweifungen der Schläfe" feiern, das ereignet sich hier als lautlose Zersprengung einer "Ich-Kabine, die mir jetzt nichts mehr nützte". Hier wie dort erscheint das als Folge eines sozialen Kollapses. Aber hier wie dort sieht der schleichende Zusammenbruch aus wie eine langsame Heimkehr.
Diese Geschichte ist nicht ganz neu. Dass sie hier dennoch auf weite Strecken glaubhaft und lebendig wird, verdankt sie vor allem der eigenwilligen Naturpoesie, für die Marion Poschmann zu Recht gerühmt worden ist - in einer geschmeidigen, nuancierten und beobachtungsscharfen Prosa von beträchtlicher Suggestionskraft. Die Umgebung eines Supermarktes registriert sie so präzise wie den Duft der Balsampappel oder die Tönung der "schattenfarbenen Herzblätter", auf die sie wandernd tritt. Und wenn sie über ein Waldstück in der Sommerhitze bemerkt: "Eine metallische Schicht hielt die gewichtslosen Bilder der Dinge fest, blieb durchlässig für die phlegmatische Bewegung in der Tiefe" - dann liest sich das auch wie ein poetologisches Programm. Nur manchmal stockt im Übergang vom einen zum anderen die Bewegung; dann ergeben sich unnötig angestrengte Abstraktionen. Wo die "Relativierung von Zeit, Raum, Logik" so sicher gelingt wie hier, muss sie nicht mehr mit diesen erklärenden Worten ausgesprochen werden.
Im bewusstlosen Dasein, so hat die Erzählerin einmal gedacht, ließe sich womöglich eine traumhafte Gottesnähe erlangen. Am Ende scheint dieses Ziel ganz nah, im Verschwinden der Grenze zwischen Körper und Welt. Da ist der fremde Hund gestorben, und über die Türschwelle, auf der er liegt, wandert die Erzählerin hinaus in die Nacht, als ginge sie hinein in den bestirnten Himmel, inmitten der Hunde Orions.
Marion Poschmann: "Hundenovelle". Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. 126 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marion Poschmanns Hundefabel / Von Heinrich Detering
Irgendwie ist der Hund eines Tages da, wie aus dem Nichts materialisiert, und übernimmt schweigend das Kommando. Er breitet sich aus, scheint die Wohnung zu füllen, geht durch die Tage und Träume und verschwindet wieder, wann und wie er will. Beharrlich macht er sich die einsame Spaziergängerin gefügig, die ihn nicht gerufen hat, ihn nicht behalten will und nun vergebens versucht, sich zu seiner Herrin aufzuschwingen. Fremd ist er dieser Erzählerin, und sonderbar fremd bleibt er auch der Landschaft, die er sich zu eigen macht und beherrscht - ein Schattenwesen, das nur vorübergehend Fleisch und Fell anzunehmen scheint, vielleicht der Wiedergänger jenes Hundes aus einer Heiligenlegende, an die sich die Erzählerin bei seinem Anblick erinnert, oder ein Todesbote, ein mythischer Jäger.
Doch so verärgert die Erzählerin den Eindringling abwehrt, so willkommen ist er ihr. Arbeitslos und isoliert, hat sie längst auch alle menschlichen Kontakte verloren. Der einzige Mensch, mit dem sie gelegentlich redet, ist die tote Mutter im Traum. Und die Landschaften, die sie täglich durchwandert, erstrecken sich zwischen Rieselfeld und Müllplatz; ihre Welt ist das Brachland der Stadtrandzonen, die "Queckensteppe", weiter nichts. "Nichts geschah", notiert sie einmal. In der Lautlosigkeit dieser halluzinatorischen Landschaftsbilder aber vollzieht sich eine zeitlupenhaft gedehnte Katastrophe.
Hat die Erzählerin in den ersten Passagen noch etwas von den Flaneuren Genazinos, die sich verwundert und etwas fröstelnd durch die Menschenwelt bewegen, so gleitet die leise Komik der Tierarztbesuche und Zähmungsversuche allmählich hinüber in eine beunruhigende Entstellung des Alltäglichen. Um die Spaziergängerin herum verlangsamt und beschleunigt sich die Zeit, so dass sie beispielsweise zusehen kann, wie "sich Pflanzen aus dem verhärteten Boden hervorschrauben". Manchmal meint sie zu fühlen, wie diese Pflanzen sich von der Energie ihres wandernden Körpers ernähren. Und einmal sieht sie das fremde Tier wie einen Vorstehhund innehalten, und er "wies erstarrt und aufmerksam auf einen Punkt hin: mich". Da dauert es nicht mehr lange, bis sie selbstvergessen durch Gras und Müll kriecht und vor Regressionsglück beinahe wieder aufzustehen vergisst.
"Mit einer Art von Zufriedenheit" beginnt sie zu beobachten, "wie das, was ich bisher für mich gehalten hatte, immer mehr verschwand". Tatsächlich lesen sich ihre Aufzeichnungen wie die Innenansicht einer Verelendung - oder einer Befreiung aus den Zwängen der Vernunft und endlich den Grenzen des Ich. Was Gottfried Benns Rönne-Novellen als die "Entschweifungen der Schläfe" feiern, das ereignet sich hier als lautlose Zersprengung einer "Ich-Kabine, die mir jetzt nichts mehr nützte". Hier wie dort erscheint das als Folge eines sozialen Kollapses. Aber hier wie dort sieht der schleichende Zusammenbruch aus wie eine langsame Heimkehr.
Diese Geschichte ist nicht ganz neu. Dass sie hier dennoch auf weite Strecken glaubhaft und lebendig wird, verdankt sie vor allem der eigenwilligen Naturpoesie, für die Marion Poschmann zu Recht gerühmt worden ist - in einer geschmeidigen, nuancierten und beobachtungsscharfen Prosa von beträchtlicher Suggestionskraft. Die Umgebung eines Supermarktes registriert sie so präzise wie den Duft der Balsampappel oder die Tönung der "schattenfarbenen Herzblätter", auf die sie wandernd tritt. Und wenn sie über ein Waldstück in der Sommerhitze bemerkt: "Eine metallische Schicht hielt die gewichtslosen Bilder der Dinge fest, blieb durchlässig für die phlegmatische Bewegung in der Tiefe" - dann liest sich das auch wie ein poetologisches Programm. Nur manchmal stockt im Übergang vom einen zum anderen die Bewegung; dann ergeben sich unnötig angestrengte Abstraktionen. Wo die "Relativierung von Zeit, Raum, Logik" so sicher gelingt wie hier, muss sie nicht mehr mit diesen erklärenden Worten ausgesprochen werden.
Im bewusstlosen Dasein, so hat die Erzählerin einmal gedacht, ließe sich womöglich eine traumhafte Gottesnähe erlangen. Am Ende scheint dieses Ziel ganz nah, im Verschwinden der Grenze zwischen Körper und Welt. Da ist der fremde Hund gestorben, und über die Türschwelle, auf der er liegt, wandert die Erzählerin hinaus in die Nacht, als ginge sie hinein in den bestirnten Himmel, inmitten der Hunde Orions.
Marion Poschmann: "Hundenovelle". Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. 126 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensentin Barbara Villiger Heilig ist von dieser Novelle der Lyrikerin und Autorin Marion Poschmann richtiggehend in einem Bann gezogen. Sie findet das Buch "wunderbar" und vergleicht seine Wirkung mit "einem Schwindel, einem Abdriften und gleichzeitigen Auftauchen, einer Halluzination". Das Buch handelt von einer Begegnung einer Frau mit einem Hund. Das hat wenig Beschauliches oder Gemütliches. Auch zum Happy End kommt es nicht, aber dennoch hat die Geschichte nach Meinung der Rezensentin etwas "Tröstliches". Zudem vermittelt Poschmanns Schreibstil eine sehr sinnliche Erfahrung mit Mehrwert, in ihrer Erzählung kommen "Gelehrtheit (oder die Koketterie damit), Sprachvirtuosität und eine Anschauung der Dinge, die elegisch und elektrisch wirkt", zusammen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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