In der Geschichtswissenschaft gibt es immer wieder neue Perspektiven oder thematische Schwerpunkte, die in den Mittelpunkt gestellt werden. Nach vielen Jahren, in denen es nur um die so genannten großen Männer der Geschichte ging, schaute man vermehrt auf das einfache Volk und beschäftigte sich mit
Quellengattungen, die vorher etwas stiefmütterlich behandelt wurden. Doch Statistiken und Tagebücher…mehrIn der Geschichtswissenschaft gibt es immer wieder neue Perspektiven oder thematische Schwerpunkte, die in den Mittelpunkt gestellt werden. Nach vielen Jahren, in denen es nur um die so genannten großen Männer der Geschichte ging, schaute man vermehrt auf das einfache Volk und beschäftigte sich mit Quellengattungen, die vorher etwas stiefmütterlich behandelt wurden. Doch Statistiken und Tagebücher sowie Krankenakten und zunächst belanglos wirkende Notizen können wir nur verwenden, wenn wir eine große Anzahl davon zur Verfügung haben.
Bezogen auf die Neuzeit haben wir zum Glück eine Vielzahl der genannten Quellen, auch wenn es natürlich regionale Unterschiede gibt. Und eine sehr großeMenge ist bereits erschlossen, so dass eine Arbeit mit ihnen recht einfach möglich ist. Dies ist für die multiperspektivische Herangehensweise, die in den letzten Jahren (zum Glück) stärker in den Mittelpunkt gerückt ist, eine hervorragende Voraussetzung. Allein die Multiperspektivität reicht aber nicht aus, um ein Thema gut zu erfassen und sich ein Urteil zu bilden. Die Sozialgeschichte hilft uns wiederum die Perspektiven in eine Relation zu stellen und die Positionen der Akteure zu definieren. Dabei wird leider oftmals das Alltägliche, was den historisch interessierten Menschen für ein Thema begeistern kann, ausgeblendet. Manfred Vasold versucht mit seinem Buch eine Brücke zwischen allen genannten Berichte zu erbauen.
In elf Kapiteln behandelt der Autor so unterschiedliche Themen wie Opferzahlen im Dreißigjährigen Krieg, die Geschichte der Unterhose und einen historischen Abriss über das Rauchen. Da die Inhalte sehr unterschiedlich sind, variieren die Kapitellängen auch stark. Das kürzeste Kapitel (Säuglingssterblichkeit) weist eine Länge von 15 Seiten auf und das längste Kapitel (Kausalkette Wetter, Armut, Hunger und Gewalt) ist dreimal so lang. Was allen Kapiteln gleich ist, ist der recht umfangreiche Literaturanhang. Dies zeigt die wirklich gute Recherche des Autors und bietet viele Möglichkeiten der weiteren Themenbearbeitung. Mir ist aber aufgefallen, dass wahrscheinlich gerade deshalb das Lesen der einzelnen Kapitel etwas erschwert ist. Vasold legt die Erkenntnisse aus den einzelnen Werken gut dar und verbindet die Tatsachen und Schlussfolgerungen auch stets miteinander. Aber bei einigen Kapiteln fehlte mir der eigene Anteil in gewisser Weise. Man hat mehrfach den Eindruck, dass es sich um eine Zusammenstellung der gelesenen Arbeiten handelt, aber eigene Gedanken kaum vertreten sind. Das finde ich bei dem Thema Sozialgeschichte schade, weil man recht gut Bezüge herstellen kann, ohne auf einen anderen Autor verweisen zu müssen. Hat man sich aber an diese Vorgehensweise gewöhnt, taucht man tief in die Sozialgeschichte des Alltags ab und ist fasziniert von den Darstellungen.
Die unterschiedlichen Themenbereiche sorgen für einen umfangreichen Überblick über die wichtigen Entwicklungen und treffen gleichzeitig den Nerv einer großen interessierten Leserschaft. Denn schließlich sind wir alle nicht nur an den Dingen interessiert, die wir schon aus den Geschichtsbüchern kennen. Wir wollen auch Informationen über die Aspekte haben, die sonst kaum oder nie auftauchen. Schließlich ist die Geschichte der Unterhose eine historische Begebenheit, die uns noch heute beeinflusst. Durch diese Auswahl und einige eingebettete Anekdoten kommt auch der Spaß beim Lesen nicht zu kurz. Dafür sorgen auch die Sprache des Autors, die leicht verständlich ist und der Satzbau, der einen angenehmen Lesefluss erzeugt.
Insgesamt handelt es sich also um ein Buch, dass man interessierten Laien und jungen Studenten ebenso empfehlen kann. Auch wenn dem Autor der Spagat zwischen wissenschaftlicher Literatur und dem gemeinen Sachbuch nicht so gut gelingt. Doch damit kann man als Leser nach einer gewissen Eingewöhnungsphase doch recht gut leben.