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Joseph Fischer blickt zurück auf den Irak-Krieg und die große Spaltung des Westens
Das war großes Kino damals, vor acht Jahren, im Saal des Bayerischen Hofs in München, als der deutsche Außenminister, theatralisch leicht vor Erregung bebend, dem amerikanischen Verteidigungsminister auf Englisch zurief: "Excuse me, I am not convinced." Es war natürlich kein Kino, die Szene mit Fischer und Rumsfeld war nicht gestellt, sie war real: Ein Publikum, dem der Atem stockte, erlebte auf dramatische Weise das Schisma des Westens, gewissermaßen personalisiert. Die Regierung Bush suchte den Krieg gegen den Irak, die rot-grüne Bundesregierung hielt ein solches Vorgehen für einen großen strategischen Fehler. Es war das erste Mal, dass sich das wiedervereinigte Deutschland gegen eine Schlüsselentscheidung Amerikas stellte und die Gefolgschaft verweigerte; es war, wie Joseph Fischer jetzt schreibt, eine "kleine Revolution" - eine Revolution, welche die zum Regimewechsel in Bagdad entschlossene Regierung Bush bekanntermaßen nicht von ihrem Vorhaben abbrachte, der aber die Mehrheit der Deutschen kräftig applaudierte. Nicht nur, aber auch wegen der Haltung in der Irak-Frage war Rot-Grün schließlich 2002 der Abwahl entkommen.
Es ist kein Zufall also, dass Fischer den Irak-Konflikt ins Zentrum des zweiten Teils seiner Erinnerungen als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland in einer rot-grünen Koalition stellt. Diese Erinnerungen setzen ein mit dem "11. September" und mit der Ahnung, dass, als Konsequenz des "globalen Krieges gegen Terror", ein weltpolitischer Orkan losbrechen werde. Umgehend bot Kanzler Schröder den Vereinigten Staaten die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands an; dieses Angebot war auch militärisch ernst gemeint, sein Kern war die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan. Für die deutsche Psyche und die deutsche Politik bedeutete freilich auch das eine - unvollendete - Revolution.
Fischer sah seine Aufgabe 2002 und zu Beginn des Jahres 2003 darin, bei der Gratwanderung nicht abzustürzen: auf der einen Seite die Ablehnung des Irak-Kriegs durch die Bundesregierung, auf der anderen die Fortdauer der Bündnisverpflichtungen und die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten (was die Ablehnung ihrer Politik nicht ausschloss). Vor allem als Kanzler Schröder sich Ende Januar 2003 auf ein Nein im UN-Sicherheitsrat, dem Deutschland damals angehörte, festlegte, drohten die Isolierung Berlins und der Absturz der Koalition, Letzteres allerdings auch wegen der innen- und wirtschaftspolitischen Misshelligkeiten. Beides, Absturz und Isolierung, wurde vermieden, wobei außenpolitisch Putin und Chirac der Regierung zu Hilfe eilten. Interessant dabei ist, wie viel Misstrauen Fischer der französischen Führung entgegenbrachte. Fast bis zuletzt hielt er es für möglich, dass Paris der amerikanischen Politik letztlich zustimmen könnte.
Der atlantischen Arena, im geographischen wie im politischen Sinne und erweitert um das nahöstliche Konfliktfeld, widmete Fischer in jenen dramatischen Jahren die meiste physische und intellektuelle Energie. Andere Themen und Akteure mied er, ob aus Desinteresse oder aufgrund der Konzentration auf die diplomatischen Hauptkampflinien. Den innenpolitischen Kämpfen entzog er sich nicht, aber das Klein-Klein und der Provinzialismus der deutschen Innenpolitik waren ihm lästig. Das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wollte er nicht durch den kaum verhüllten Antiamerikanismus eines "deutschen Weges", den sein Koalitionspartner gehen wollte, zusätzlich belastet sehen. Einsehen musste er jedoch, dass zumindest das Amerika des George W. Bush sich nicht von ihm, nicht von Deutschland, nicht von Europa, schon gar nicht von einem gespaltenen Europa beeinflussen ließ. Amerika sah sich nach dem Angriff auf New York und Washington im Krieg; da ließ es sich weder Fesseln anlegen noch von guten Argumenten überzeugen. Fischer, ein Mann mit ausgeprägtem Ego, erlebte auch, wie seine Vorgänger und Nachfolger im Amt, dass Kanzler Gefallen an den großen Themen der Außenpolitik finden und dass das Kanzleramt immer mehr Raum beansprucht auf einem Terrain, dass andere traditionell als das ihre betrachten.
Fischer war nicht überzeugt von den Argumenten der amerikanischen Regierung, er ist heute nicht überzeugt von der Europa-Politik der Kanzlerin Merkel. In einem Nachwort eigener Art gibt er der Neigung vieler nach, die ins gut gepolsterte Lager weiser Elder Statesmen gewechselt sind, Zensuren zu verteilen. Frau Merkel hält er mehr oder weniger explizit Versagen bei der Wahrnehmung von Führung in der EU vor; sie sei quasi schuld daran, dass die Euro-Krise zu einer politischen Existenzkrise der EU geworden sei. Fischer, ganz traditioneller Föderalist, will die Vereinigten Staaten von Europa, und er will die Mitgliedschaft der Türkei. Ob das eine sich mit dem anderen so einfach verträgt, steht dahin. Würde man überdies einwenden, dass eine Mehrheit der Deutschen weder das eine noch das andere wolle, so hielte er entgegen: Deutschlands Schicksal wird im 21. Jahrhundert in Europa entschieden.
KLAUS-DIETER FRANKENBERGER
Joschka Fischer: "I am not convinced". Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre, Kiepenheuer&Witsch, Köln 2011, 372 Seiten, 22,95 Euro.
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