"Ich bin böse" findet sich auf den Seiten von Onlineshops meist in der Sparte 'Krimi' oder 'Thriller', aber es hat schon seine Gründe, warum der Verlag sich stattdessen für die zurückhaltendere Bezeichnung 'Psychologischer Spannungsroman' auf dem Cover entschieden hat.
Ja, es gibt ein
Gerichtsverfahren – aber es geht nicht wirklich (oder zumindest nicht zentral) um die Aufklärung des Falls.…mehr"Ich bin böse" findet sich auf den Seiten von Onlineshops meist in der Sparte 'Krimi' oder 'Thriller', aber es hat schon seine Gründe, warum der Verlag sich stattdessen für die zurückhaltendere Bezeichnung 'Psychologischer Spannungsroman' auf dem Cover entschieden hat.
Ja, es gibt ein Gerichtsverfahren – aber es geht nicht wirklich (oder zumindest nicht zentral) um die Aufklärung des Falls. Ja, es gibt eine Serienmörderin – aber die Auswirkungen ihrer Taten auf die Psyche ihrer Tochter sind für die Geschichte wichtiger als der Keller voller Kinderleichen. (Damit verrate ich nicht zuviel, denn man erfährt schon ganz am Anfang, was der Mutter vorgeworfen wird.)
Das Buch beschönigt nichts. Das heißt jedoch keineswegs, dass der grausame Tod eines kindlichen Opfers im Detail beschrieben wird, womöglich noch seitenlang und voyeuristisch. Das ist gar nicht nötig: Millys kurze Gedankenblitze, Erinnerungsfetzen an den Gestank im Keller oder das Guckloch, durch das sie die Taten ihrer Mutter beobachten musste, reichen vollkommen aus, um einen Einblick zu gewähren in das Grauen, aus dem Millys Kindheit hinter der Fassade der Normalität bestand.
Würde man das Buch wirklich nur auf das reduzieren, was in der beschriebenen Zeitspanne faktisch passiert, dann wäre das erstaunlich wenig. Daher kann ich mir vorstellen, dass viele Leser es vielleicht sogar langweilig finden könnten. Für den Krimifan zu wenig geschickt konstruierte Wendungen, für den Thrillerfan zu wenig Blut und psychologische Daumenschrauben.
Ich fand das Buch unglaublich spannend und habe es während einer langen Zugfahrt am Stück gelesen. In meinen Augen ist es eine Spannung, die einzig und allein darauf beruht, Millys Entwicklung zu beobachten – und dabei nach und nach zu realisieren, wie fremdartig sie wirkt, wie weit entfernt von 'normalem' Denken und Handeln.
Der deutsche Titel und der Klappentext scheinen schon vorwegzunehmen, was das Trauma ihrer Erlebnisse aus Milly gemacht hat: ein böses Abbild ihrer Mutter. Aber stimmt das denn so? Der englische Titel stellt es weniger eindeutig dar: "Good Me, Bad Me", also "Gutes Ich, Böses Ich".
Und tatsächlich lässt sich Milly nicht so einfach einordnen in die eine oder andere Schublade. Sie ist aufgewachsen in einer albtraumhaften, pervertierten Normalität, mit einem Wertesystem, das alle üblicherweise an Kinder vermittelten Werte ad absurdum führt. Daher lässt sich ihr Verhalten meines Erachtens zwar oberflächlich betrachtet in verschiedenen Szenen als gut oder böse einschätzen, aber bedeutet das wirklich, dass sie das von Grund auf ist?
"Anders. Ich hatte keine Wahl.
Ich verspreche.
Ich verspreche, so gut wie möglich zu sein.
Ich verspreche, es zu versuchen."
(Zitat)
Milly ist ein zutiefst traumatisiertes Mädchen, und das spiegelt sich auch in ihrer Sprache wieder, in kurzen, abgehackten Sätzen. Mal hat sie dennoch etwas Verträumtes, beinahe Poetisches...
"Hast du je von einem weit entfernten Ort geträumt? Ich schon.
Von einem Feld voller Mohnblumen.
Winzige rote Tänzer, die sich fröhlich im Walzertakt wiegen.
Deren Blütenblätter auf einen Pfad zum Ufer weisen. Rein und unberührt."
(Zitat)
...dann wirkt sie wieder emotional abgestumpft.
"Durch meine Bluse hindurch ertaste ich die Erhebungen an meinen Rippen. Das vertraute Muster der verborgenen Narben. Eine Sprache, die nur ich verstehe. Ein Code, eine Landkarte. Brailleschrift auf meiner Haut. Wo ich war, was dort mit mir passiert ist."
(Zitat)
Auch die anderen Charaktere enthüllen nach und nach ihre persönlichen Abgründe – wenn auch keine so tiefen wie die von Milly. Es gibt in diesem Buch nur wenige Menschen, die wirklich als Sympathieträger taugen, und dennoch haben sie mich gefesselt, weil sie auf mich sehr glaubhaft wirkten.
Der Schreibstil ist erstmal ein wenig gewöhnungsbedürftig, gibt Millys innere Zerrissenheit jedoch perfekt wieder.