„Ich bin eine freie Frau. Eine glückliche Frau war ich auch – was gibt es Selteneres auf der Welt?“ Sie war eine der bekanntesten Journalistinnen in Frankreich, eine Intellektuelle – und eine leidenschaftlich Liebende. Anfang vierzig ist Françoise Giroud, als ihre große Liebe Jean-Jacques Servan-Schreiber sich 1960 von ihr trennt. Mit ihm hat sie das Nachrichtenmagazin „L’Express“ gegründet und geleitet. Alles, wofür sie gelebt, gekämpft und gearbeitet hat, ist mit einem Schlag verloren. Sie überlebt einen Selbstmordversuch und schreibt in den Monaten danach dieses beeindruckende, lange verloren geglaubte Bekenntnis einer starken Frau, das Einblick gibt in Medien, Politik und Gesellschaft jener Jahre.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016Ihre Freiheit war eine seltsame
Was für ein Dokument des Lebens einer starken Frau: der neu entdeckte Rechenschaftsbericht der französischen Publizistin Françoise Giroud.
Von Lena Bopp
Diese Geschichte ist schaurig und schön. Schaurig, weil sich Françoise Giroud in einem "verheerenden Zustand" befand, nachdem sie von ihrem Gefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber verlassen worden war. Gemeinsam mit ihm hatte sie 1953 die französische Zeitschrift "Express" gegründet und geleitet, und außerdem hatten sich die beiden geliebt, auf eine Weise, die sich den gesellschaftlichen Konventionen ebenso diskret wie glamourös entzog. Aber nach etwa sieben Jahren kündigte Servan-Schreiber den Pakt zugunsten einer jüngeren Frau, von der er sich Kinder erhoffte (und bekam), woraufhin Giroud also den Partner und den Job verlor. Dem Freitod entkam sie nur, weil ein wachsamer Freund gerade noch rechtzeitig die verriegelte Tür ihres Schlafzimmers aufbrach, in dem sie das Telefon sorgsam ausgestöpselt und das Licht gelöscht hatte.
Was ist schön an dieser Sache? Schön ist, dass sie sich als Märchen erzählen lässt und als Heldengeschichte. Beides tut Françoise Giroud in ihrem Buch "Ich bin eine freie Frau". Alix de Saint-André hat das lange Zeit verlorengeglaubte Manuskript, das Giroud in der Zeit ihrer Rekonvaleszenz verfasste, in einem Kloster nahe Caen aufgetrieben. Vor einigen Jahren erst, so schreibt Saint-André im Vorwort, sei sie dort auf eine Kiste mit autobiographischem Material gestoßen, das andere Biographen der 2003 verstorbenen Giroud wundersamerweise übersehen hatten. Das Dokument mit dem Originaltitel "Histoire d'une femme libre" hat SaintAndré dann mit Notizen von Giroud vervollständigt, redigiert und zur "allerersten Autobiografie von Françoise Giroud" deklariert, was angesichts der doch nicht unbeträchtlichen Eingriffe ein wenig übertrieben scheint. Doch gelungen ist das Unterfangen allemal.
Weil man sich die Situation so wunderbar vorstellen kann: die verlassene Frau, die sich, schwer verwundet, in das Haus von Freunden nach Südfrankreich zurückzog, um dort, mit ihrer Schreibmaschine bewaffnet, die Herrschaft über ihr Leben zurückzugewinnen. Aber auch, weil der Text mehr als einem Klagelied oder einer Abrechnung - für beides hätte man Verständnis gehabt - einer Bestandsaufnahme gleicht, in der Giroud alles beim Namen nennt, Fehlschläge als Fehlschläge erkennt, aber Erfolge eben auch als Erfolge. Der Lebensmut, so wirkt es, mag ihr zwischenzeitlich verlorengegangen sein. Aber der Scharfsinn, überhaupt der Sinn für den Wert vor allem ihrer Arbeit, ist ihr erhalten geblieben.
Giroud schaut auf ihre Kindertage, die sie teils im Internat verbrachte, wo sie einmal beschuldigt wurde, unerlaubt das Gelände verlassen und einen Jungen getroffen zu haben. Sie war unschuldig, aber ihre Mutter - der Vater verstarb früh - war mittellos, und so musste Françoise wegen des Vergehens einer anderen, aus reichem Haus stammenden Schülerin büßen: Zwei Wochen wurde sie in ein Gewächshaus verbannt, wie eine Aussätzige, die seither das Gefühl nie mehr loswurde, schuldig zu sein. Schuldig an der eigenen Existenz. Ihr ganzes folgendes Leben betrachtet Giroud durch dieses Prisma. Über die Monate in der Haftanstalt Fresnes, wohin sie im Frühjahr 1944 von der Gestapo wegen ihres Engagements in der Résistance verschleppt wurde, schreibt sie den unglaublichen Satz: "Subjektiv gesehen bin ich für die Erfahrung dankbar, von Männern geschlagen, beleidigt und zwangsweise entkleidet worden zu sein, dankbar zu wissen, wie schwer ein paar Handschellen wiegt, wenn es einem die Hände im Rücken fesselt, und wie schwer die Stunden lasten, wenn sie in einer Zelle verstreichen."
Später erinnert sie sich an ihre Zeit als leitende Redakteurin der "Elle", eine Stelle, die sie nur bekommen habe, weil es die Zeit unmittelbar nach Kriegsende war, und obwohl sie "keine, wirklich nicht die geringste Ahnung" von Journalismus hatte. Immerhin gelang es ihr in diesen Jahren, von 1946 bis 1953, ihre politische Feder derart zu schärfen, dass sie Servan-Schreiber auffiel. Ihr gemeinsames Projekt des "Express" (den es noch heute gibt) ermöglichte es Giroud damals, "gleichzeitig die Karriere eines Mannes und das Leben einer Frau zu meistern".
Was dieses Leben ausmachte, war neben ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit (ungewöhnlich genug für eine Frau in den Fünfzigern) und der publizistischen Möglichkeit, bestimmte politische (meist linke) Positionen zu verteidigen, eine diesen Freiheiten im Grunde widersprechende emotionale Abhängigkeit von Servan-Schreiber. Bloß, dass Giroud diesen Widerspruch nicht als solchen empfand. "Als er mich zur Königin ernannte", schreibt sie einmal ohne Ironie, "hatte mir dieser kleine König einen Platz freigeschaufelt, an dem sich alle Aspekte meines Lebens zusammenfügten. Ich war nützlich, weil meine Arbeit hehren Zwecken diente. Ich war schön, weil er mich dafür hielt. Ich war frei, weil uns nur der gemeinsame Wille verband, den wir unaufhörlich überprüften." Noch den eigenen Suizidversuch deutet sie als konsequent im Sinne des Bündnisses, das sie mit ihm eingegangen war.
Und so ist ihr Buch nicht nur erstaunlich, weil es mit dieser schmerzhaften Aufrichtigkeit geschrieben ist, zu der sich manchmal fähig sieht, wer mit dem Rücken zur Wand steht. Sondern auch, weil es Einblicke in ein Frauenleben gewährt, in dem die Freiheit zwar schon viel galt, aber etwas ganz anderes bedeutete, als man sich heute noch vorzustellen vermag.
Françoise Giroud: "Ich bin eine freie Frau".
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was für ein Dokument des Lebens einer starken Frau: der neu entdeckte Rechenschaftsbericht der französischen Publizistin Françoise Giroud.
Von Lena Bopp
Diese Geschichte ist schaurig und schön. Schaurig, weil sich Françoise Giroud in einem "verheerenden Zustand" befand, nachdem sie von ihrem Gefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber verlassen worden war. Gemeinsam mit ihm hatte sie 1953 die französische Zeitschrift "Express" gegründet und geleitet, und außerdem hatten sich die beiden geliebt, auf eine Weise, die sich den gesellschaftlichen Konventionen ebenso diskret wie glamourös entzog. Aber nach etwa sieben Jahren kündigte Servan-Schreiber den Pakt zugunsten einer jüngeren Frau, von der er sich Kinder erhoffte (und bekam), woraufhin Giroud also den Partner und den Job verlor. Dem Freitod entkam sie nur, weil ein wachsamer Freund gerade noch rechtzeitig die verriegelte Tür ihres Schlafzimmers aufbrach, in dem sie das Telefon sorgsam ausgestöpselt und das Licht gelöscht hatte.
Was ist schön an dieser Sache? Schön ist, dass sie sich als Märchen erzählen lässt und als Heldengeschichte. Beides tut Françoise Giroud in ihrem Buch "Ich bin eine freie Frau". Alix de Saint-André hat das lange Zeit verlorengeglaubte Manuskript, das Giroud in der Zeit ihrer Rekonvaleszenz verfasste, in einem Kloster nahe Caen aufgetrieben. Vor einigen Jahren erst, so schreibt Saint-André im Vorwort, sei sie dort auf eine Kiste mit autobiographischem Material gestoßen, das andere Biographen der 2003 verstorbenen Giroud wundersamerweise übersehen hatten. Das Dokument mit dem Originaltitel "Histoire d'une femme libre" hat SaintAndré dann mit Notizen von Giroud vervollständigt, redigiert und zur "allerersten Autobiografie von Françoise Giroud" deklariert, was angesichts der doch nicht unbeträchtlichen Eingriffe ein wenig übertrieben scheint. Doch gelungen ist das Unterfangen allemal.
Weil man sich die Situation so wunderbar vorstellen kann: die verlassene Frau, die sich, schwer verwundet, in das Haus von Freunden nach Südfrankreich zurückzog, um dort, mit ihrer Schreibmaschine bewaffnet, die Herrschaft über ihr Leben zurückzugewinnen. Aber auch, weil der Text mehr als einem Klagelied oder einer Abrechnung - für beides hätte man Verständnis gehabt - einer Bestandsaufnahme gleicht, in der Giroud alles beim Namen nennt, Fehlschläge als Fehlschläge erkennt, aber Erfolge eben auch als Erfolge. Der Lebensmut, so wirkt es, mag ihr zwischenzeitlich verlorengegangen sein. Aber der Scharfsinn, überhaupt der Sinn für den Wert vor allem ihrer Arbeit, ist ihr erhalten geblieben.
Giroud schaut auf ihre Kindertage, die sie teils im Internat verbrachte, wo sie einmal beschuldigt wurde, unerlaubt das Gelände verlassen und einen Jungen getroffen zu haben. Sie war unschuldig, aber ihre Mutter - der Vater verstarb früh - war mittellos, und so musste Françoise wegen des Vergehens einer anderen, aus reichem Haus stammenden Schülerin büßen: Zwei Wochen wurde sie in ein Gewächshaus verbannt, wie eine Aussätzige, die seither das Gefühl nie mehr loswurde, schuldig zu sein. Schuldig an der eigenen Existenz. Ihr ganzes folgendes Leben betrachtet Giroud durch dieses Prisma. Über die Monate in der Haftanstalt Fresnes, wohin sie im Frühjahr 1944 von der Gestapo wegen ihres Engagements in der Résistance verschleppt wurde, schreibt sie den unglaublichen Satz: "Subjektiv gesehen bin ich für die Erfahrung dankbar, von Männern geschlagen, beleidigt und zwangsweise entkleidet worden zu sein, dankbar zu wissen, wie schwer ein paar Handschellen wiegt, wenn es einem die Hände im Rücken fesselt, und wie schwer die Stunden lasten, wenn sie in einer Zelle verstreichen."
Später erinnert sie sich an ihre Zeit als leitende Redakteurin der "Elle", eine Stelle, die sie nur bekommen habe, weil es die Zeit unmittelbar nach Kriegsende war, und obwohl sie "keine, wirklich nicht die geringste Ahnung" von Journalismus hatte. Immerhin gelang es ihr in diesen Jahren, von 1946 bis 1953, ihre politische Feder derart zu schärfen, dass sie Servan-Schreiber auffiel. Ihr gemeinsames Projekt des "Express" (den es noch heute gibt) ermöglichte es Giroud damals, "gleichzeitig die Karriere eines Mannes und das Leben einer Frau zu meistern".
Was dieses Leben ausmachte, war neben ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit (ungewöhnlich genug für eine Frau in den Fünfzigern) und der publizistischen Möglichkeit, bestimmte politische (meist linke) Positionen zu verteidigen, eine diesen Freiheiten im Grunde widersprechende emotionale Abhängigkeit von Servan-Schreiber. Bloß, dass Giroud diesen Widerspruch nicht als solchen empfand. "Als er mich zur Königin ernannte", schreibt sie einmal ohne Ironie, "hatte mir dieser kleine König einen Platz freigeschaufelt, an dem sich alle Aspekte meines Lebens zusammenfügten. Ich war nützlich, weil meine Arbeit hehren Zwecken diente. Ich war schön, weil er mich dafür hielt. Ich war frei, weil uns nur der gemeinsame Wille verband, den wir unaufhörlich überprüften." Noch den eigenen Suizidversuch deutet sie als konsequent im Sinne des Bündnisses, das sie mit ihm eingegangen war.
Und so ist ihr Buch nicht nur erstaunlich, weil es mit dieser schmerzhaften Aufrichtigkeit geschrieben ist, zu der sich manchmal fähig sieht, wer mit dem Rücken zur Wand steht. Sondern auch, weil es Einblicke in ein Frauenleben gewährt, in dem die Freiheit zwar schon viel galt, aber etwas ganz anderes bedeutete, als man sich heute noch vorzustellen vermag.
Françoise Giroud: "Ich bin eine freie Frau".
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Zsolnay Verlag, Wien 2016. 237 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016Auf Drachenjagd
Eine Frau in der Revolte – Françoise Giroud kämpft sich von den Dreißigern in die Fünfziger
„Ich bin eine freie Frau. Eine glückliche Frau war ich auch, vermag es also zu sein – was gibt es Selteneres auf der Welt?“ So beginnt Françoise Giroud ihre Geschichte zu erzählen im Sommer 1960. Es ist ein Pamphlet, für die Unbedingtheit der Freiheit und für ihre Vermessenheit. Sie weiß, wovon sie spricht. In der Nacht des 11. Mai hat sie mit einer tödlichen Dosis Gift versucht, sich das Leben zu nehmen.
In der Sonne des Sommers, auf Capri, hat sie dann versucht, in dieses Leben zurückzufinden, und zur Rekonvaleszenz gehörte auch das Schreiben. Undruckbar, befand dann aber die Freundin Florence Malraux, die den Text prüfte, zu dicht, zu nah dran, und er wurde gehorsam weggelegt. Später, nach Girouds Tod 2003, meinte man, sie hätte ihn vernichtet, aber er hat überlebt, ganz offen. „Möglicherweise liegt das am ewig gültigen Prinzip des entwendeten Briefs“, schreibt im Vorwort die Herausgeberin Alix de Saint-André. „Alle Krimiliebhaber wissen: Was man verstecken will, lässt man am besten offen liegen.“
Ein offenes Buch, eine wirklich freie Frau. Der Selbstmordversuch fiel in einen Moment der Leere für Giroud, die Arbeit an der Zeitschrift L’Express war beendet, die sie gemeinsam mit dem Lebensgefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber, dem Starintellektuellen der Nachkriegszeit, lange geformt hatte, und auch die Liebe zu JJSS war passé. Die Kämpferin Giroud hatte nichts mehr, wofür sie kämpfen sollte. Von ihren Kämpfen, ihren Drachenjagden ist das Buch voll, schon früh, als Tochter einer unabhängigen, allein erziehenden Mutter aus der unteren Klasse. Vaterfiguren werfen Schatten in diese Jugend, ihr Vater ist türkischer Herkunft, in seiner Heimat zum Tode verurteilt. Er ging am Tag ihrer Geburt, dem 21. September 1916, in die türkische Botschaft in Genf und hat „mit lauter Stimme verkündet, ein Kind sei auf die Welt gekommen, leider weiblichen Geschlechts, und werde, ob es den Herrschaften gefalle oder nicht, einen schönen Namen tragen: France.“ Wie ein weiterer Vater, ähnlich anmutig und kühn, ist Camus – der starb wenige Monate vor dem Selbstmordversuch bei einem Autounfall.
Giroud schätzte den Glamour, aber die Kämpferin war natürlich Kommunistin, sie trat im gewerkschaftlichen Kampf erstmals auf, als sie in der Kinoindustrie arbeitete, als Scriptgirl, dann als Drehbuchautorin. Der junge Marc Allegret hatte sie – sie war fünfzehn – dorthin geholt, der damals, 1932, für Marcel Pagnol und seine kleine Compagnie arbeitete. Eine Lichtgestalt, am Steuer seines Voisin-Cabrios. „Außerdem hatte er einen hochangesehenen Onkel: André Gide.“ Die Filmleute gestalteten damals eine Utopie der gesellschaftlichen Formate, das Hohe und das Niedere, das Strenge und das Orgiastische kamen hier offen zusammen: „Keinerlei Doppelmoral. Sie mochten dicke Zigarren, also rauchten sie welche. Sie liebten Gold, also behängten sie sich damit.“
Es ist eine eigene französische Erinnerungskultur, die in diesem Buch wirkt, mit einer Tradition von Stendhal zum Strukturalismus. Sie handelt von der Freiheit und vom Glück, ist emotional und kühl analytisch. Beim L’Express wurden die Artikel zunächst nicht namentlich gezeichnet. „Die wahre Freude ist das letzte, niedergeschriebene Wort, das endlich Befreiung und Erlösung schenkt. Danach haben sogar die Schweigsamen Lust zu reden, sich mitzuteilen.“
FRITZ GÖTTLER
Françoise Giroud: Ich bin eine freie Frau. Hrsg. Alix de Saint-André. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 239 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Die wahre Freude
ist das letzte,
niedergeschriebene Wort . . .“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Frau in der Revolte – Françoise Giroud kämpft sich von den Dreißigern in die Fünfziger
„Ich bin eine freie Frau. Eine glückliche Frau war ich auch, vermag es also zu sein – was gibt es Selteneres auf der Welt?“ So beginnt Françoise Giroud ihre Geschichte zu erzählen im Sommer 1960. Es ist ein Pamphlet, für die Unbedingtheit der Freiheit und für ihre Vermessenheit. Sie weiß, wovon sie spricht. In der Nacht des 11. Mai hat sie mit einer tödlichen Dosis Gift versucht, sich das Leben zu nehmen.
In der Sonne des Sommers, auf Capri, hat sie dann versucht, in dieses Leben zurückzufinden, und zur Rekonvaleszenz gehörte auch das Schreiben. Undruckbar, befand dann aber die Freundin Florence Malraux, die den Text prüfte, zu dicht, zu nah dran, und er wurde gehorsam weggelegt. Später, nach Girouds Tod 2003, meinte man, sie hätte ihn vernichtet, aber er hat überlebt, ganz offen. „Möglicherweise liegt das am ewig gültigen Prinzip des entwendeten Briefs“, schreibt im Vorwort die Herausgeberin Alix de Saint-André. „Alle Krimiliebhaber wissen: Was man verstecken will, lässt man am besten offen liegen.“
Ein offenes Buch, eine wirklich freie Frau. Der Selbstmordversuch fiel in einen Moment der Leere für Giroud, die Arbeit an der Zeitschrift L’Express war beendet, die sie gemeinsam mit dem Lebensgefährten Jean-Jacques Servan-Schreiber, dem Starintellektuellen der Nachkriegszeit, lange geformt hatte, und auch die Liebe zu JJSS war passé. Die Kämpferin Giroud hatte nichts mehr, wofür sie kämpfen sollte. Von ihren Kämpfen, ihren Drachenjagden ist das Buch voll, schon früh, als Tochter einer unabhängigen, allein erziehenden Mutter aus der unteren Klasse. Vaterfiguren werfen Schatten in diese Jugend, ihr Vater ist türkischer Herkunft, in seiner Heimat zum Tode verurteilt. Er ging am Tag ihrer Geburt, dem 21. September 1916, in die türkische Botschaft in Genf und hat „mit lauter Stimme verkündet, ein Kind sei auf die Welt gekommen, leider weiblichen Geschlechts, und werde, ob es den Herrschaften gefalle oder nicht, einen schönen Namen tragen: France.“ Wie ein weiterer Vater, ähnlich anmutig und kühn, ist Camus – der starb wenige Monate vor dem Selbstmordversuch bei einem Autounfall.
Giroud schätzte den Glamour, aber die Kämpferin war natürlich Kommunistin, sie trat im gewerkschaftlichen Kampf erstmals auf, als sie in der Kinoindustrie arbeitete, als Scriptgirl, dann als Drehbuchautorin. Der junge Marc Allegret hatte sie – sie war fünfzehn – dorthin geholt, der damals, 1932, für Marcel Pagnol und seine kleine Compagnie arbeitete. Eine Lichtgestalt, am Steuer seines Voisin-Cabrios. „Außerdem hatte er einen hochangesehenen Onkel: André Gide.“ Die Filmleute gestalteten damals eine Utopie der gesellschaftlichen Formate, das Hohe und das Niedere, das Strenge und das Orgiastische kamen hier offen zusammen: „Keinerlei Doppelmoral. Sie mochten dicke Zigarren, also rauchten sie welche. Sie liebten Gold, also behängten sie sich damit.“
Es ist eine eigene französische Erinnerungskultur, die in diesem Buch wirkt, mit einer Tradition von Stendhal zum Strukturalismus. Sie handelt von der Freiheit und vom Glück, ist emotional und kühl analytisch. Beim L’Express wurden die Artikel zunächst nicht namentlich gezeichnet. „Die wahre Freude ist das letzte, niedergeschriebene Wort, das endlich Befreiung und Erlösung schenkt. Danach haben sogar die Schweigsamen Lust zu reden, sich mitzuteilen.“
FRITZ GÖTTLER
Françoise Giroud: Ich bin eine freie Frau. Hrsg. Alix de Saint-André. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 239 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Die wahre Freude
ist das letzte,
niedergeschriebene Wort . . .“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Der französische Publizist Jean Daniel beschrieb Françoise Giroud einmal als "ein mit einem Lächeln bewaffneter Wille", zitiert Pascale Hugues. Dieser Wille war allerdings an einem Punkt so weit gebrochen, dass sie versuchte, sich das Leben zu nehmen, erfährt die Rezensentin in Girouds Autobiografie "Ich bin eine freie Frau", die seit den Sechzigern in einer Schreibtischschublade verschwunden war und erst jetzt, mehr als zehn Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht wurde, erklärt Hugues. Giroud beschreibt ihre Kindheit, die Gründung der linken Zeitschrift L'Express mit ihrem damaligen Partner Jean-Jacques Servan-Schreiber, den harschen Bruch mit JJSS und die anschließende Krise mit viel Humor und wenig Bitterkeit, fasst die Rezensentin zusammen, die froh ist, auch diese verletzlichere Seite der späteren Elle-Chefredakteurin und Staatssekretärin kennen zu lernen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Françoise Giourd veröffentlichte Dutzende von Büchern, in denen sie ihre Zeit analysierte, doch nie zeigte sie sich so nackt und verletzlich wie in diesem. ... Girouds Stil ist nüchtern und direkt und dabei mit einem beißenden Humor bewehrt, wenn sie Schmerz und Eifersucht heraufbeschwört." Pascale Hugues, Die Zeit, 18.08.16
"Schon auf den ersten Seiten entwickelt diese Sprache einen Sog, dem man sich bis zum Schluss kaum einmal entziehen kann: knapp, präzise, pointiert, klug, stilistisch souverän und stellenweise von gnadenloser Ironie." Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten, 09.07.16
"Das Unerhörte dieser Autobiografie ist nicht nur ihre Ehrlichkeit und Radikalität. Es ist auch, dass Françoise Giroud 100 Prozent Frau sein will - und 100 Prozent Mann zugleich. Und das in einer Zeit, in der manchmal tausendmal mehr möglich war als die stromlinienförmigen 'Karrieren' von heute." Emma, Juli 2016
"Die literarische Autobiografie einer Frau, die man sich merken muss." Hajo Steinert, Deutschlandfunk Büchermarkt, 27.06.16
"Das Buch führt uns vor die große Zäsur von 1968 und zeigt, dass emanzipierte Frauen, emanzipierte Intellektuelle, liberale, skeptische Intellektuelle in Frankreich und in Deutschland lange vor 1968 eine große Rolle spielen konnten - in der Öffentlichkeit und im Journalismus." Tilman Krause, Deutschlandfunk Büchermarkt, 27.06.16
"Schonungslos und stilistisch brillant. ... Ein großartiges Manuskript." Brigitte Biografie, 27.06.16
"'Ich bin eine freie Frau' gehört in eine Reihe mit autobiografisch grundierten Essays, wie sie Joan Didion oder Silvia Bovenschen vorgelegt haben. Ähnlich wie diese zeichnet sich auch Giroud durch Klarheit und erzählerisches Talent aus, gepaart mit analytischem Vermögen und einer Portion Selbstironie. ... Was damals viel zu intim anmutete, ist heute das Zeugnis einer konsequenten intellektuellen Existenz." Maike Albath, Neue Zürcher Zeitung, 10.06.16
"Ein stilistisch brillantes Werk von überwältigender emotionaler Tiefe." Claudia Kirsch, Brigitte 13/2016
"Die schonungslose Bestandsaufnahme eines Frauenlebens zwischen Aufbegehren und Selbstaufgabe. ... Ein literarischer Glücksfall: Die Autorin bekennt sich zu ihren Stärken und Schwächen, kommentiert mit feministischer Souveränität das Verhalten der Männer und ihre eigene Position in der französischen Gesellschaft. ... Françoise Girouds Buch 'Ich bin eine freie Frau' zeigt beeindruckend, wie es ihr infolge einer existenziellen Krise möglich war, ihr Dasein zu durchleuchten, es dann ohne Groll, Entschuldigungen oder Pathos anzunehmen, um sich durch das Schreiben als Person wiederherzustellen." Carsten Hueck, Deutschlandradio Kultur, 05.04.16
"Ihr Buch ist nicht nur erstaunlich, weil es mit dieser schmerzhaften Aufrichtigkeit geschrieben ist, sondern auch, weil es Einblicke in ein Frauenleben gewährt, in dem die Freiheit zwar schon viel galt, aber etwas ganz anderes bedeutete, als man sich heute noch vorzustellen vermag." Lena Bopp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.16
"Es ist eine eigene französische Erinnerungskultur, die in diesem Buch wirkt, mit einer Tradition von Stendhal zum Strukturalismus. Sie handelt von der Freiheit und vom Glück, ist emotional und kühl analytisch." Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 17.03.16
"Selten zuvor ist so radikal und klug über die Stellung der Frau geschrieben worden wie in diesem Buch. ... Etikettierungen hat dieses Buch, das Patricia Klobusiczky souverän übesetzt hat, nicht nötig. Es steht für sich. Ein Fundstück. Und zugleich ein Findling. Unbehauen, kühn, und ohne glatt polierte Oberflächen. Und darin ein erhellendes Stück Literatur." Susanne Schaber, Ö1 Ex libris, 06.03.16
"Stilistisch elegant, geistreich in der Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse, ironisch und scharfsinnig in der Sicht auf das Geschlechterverhältnis, zeichnet Françoise Giroud ihr Selbstportät. ... Ihr Humor, ihre Lebenskraft und ihre schonungslose Offenheit machen diese Autobiografie, die erst zehn Jahre nach ihrem Tod entdeckt wurde, zu einem einzigartigen Leseerlebnis." Carsten Hueck, WDR5 Lesefrüchte, 13.02.16
"Lesen Sie dieses Buch! Und ich lüge auch nicht mit der Behauptung: Dieses Buch wird Ihr Leben bereichern, denn eindrucksvollere Literatur werden Sie selten finden." Gérard Otremba, sounds & books, 01.02.16
"Schon auf den ersten Seiten entwickelt diese Sprache einen Sog, dem man sich bis zum Schluss kaum einmal entziehen kann: knapp, präzise, pointiert, klug, stilistisch souverän und stellenweise von gnadenloser Ironie." Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten, 09.07.16
"Das Unerhörte dieser Autobiografie ist nicht nur ihre Ehrlichkeit und Radikalität. Es ist auch, dass Françoise Giroud 100 Prozent Frau sein will - und 100 Prozent Mann zugleich. Und das in einer Zeit, in der manchmal tausendmal mehr möglich war als die stromlinienförmigen 'Karrieren' von heute." Emma, Juli 2016
"Die literarische Autobiografie einer Frau, die man sich merken muss." Hajo Steinert, Deutschlandfunk Büchermarkt, 27.06.16
"Das Buch führt uns vor die große Zäsur von 1968 und zeigt, dass emanzipierte Frauen, emanzipierte Intellektuelle, liberale, skeptische Intellektuelle in Frankreich und in Deutschland lange vor 1968 eine große Rolle spielen konnten - in der Öffentlichkeit und im Journalismus." Tilman Krause, Deutschlandfunk Büchermarkt, 27.06.16
"Schonungslos und stilistisch brillant. ... Ein großartiges Manuskript." Brigitte Biografie, 27.06.16
"'Ich bin eine freie Frau' gehört in eine Reihe mit autobiografisch grundierten Essays, wie sie Joan Didion oder Silvia Bovenschen vorgelegt haben. Ähnlich wie diese zeichnet sich auch Giroud durch Klarheit und erzählerisches Talent aus, gepaart mit analytischem Vermögen und einer Portion Selbstironie. ... Was damals viel zu intim anmutete, ist heute das Zeugnis einer konsequenten intellektuellen Existenz." Maike Albath, Neue Zürcher Zeitung, 10.06.16
"Ein stilistisch brillantes Werk von überwältigender emotionaler Tiefe." Claudia Kirsch, Brigitte 13/2016
"Die schonungslose Bestandsaufnahme eines Frauenlebens zwischen Aufbegehren und Selbstaufgabe. ... Ein literarischer Glücksfall: Die Autorin bekennt sich zu ihren Stärken und Schwächen, kommentiert mit feministischer Souveränität das Verhalten der Männer und ihre eigene Position in der französischen Gesellschaft. ... Françoise Girouds Buch 'Ich bin eine freie Frau' zeigt beeindruckend, wie es ihr infolge einer existenziellen Krise möglich war, ihr Dasein zu durchleuchten, es dann ohne Groll, Entschuldigungen oder Pathos anzunehmen, um sich durch das Schreiben als Person wiederherzustellen." Carsten Hueck, Deutschlandradio Kultur, 05.04.16
"Ihr Buch ist nicht nur erstaunlich, weil es mit dieser schmerzhaften Aufrichtigkeit geschrieben ist, sondern auch, weil es Einblicke in ein Frauenleben gewährt, in dem die Freiheit zwar schon viel galt, aber etwas ganz anderes bedeutete, als man sich heute noch vorzustellen vermag." Lena Bopp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.03.16
"Es ist eine eigene französische Erinnerungskultur, die in diesem Buch wirkt, mit einer Tradition von Stendhal zum Strukturalismus. Sie handelt von der Freiheit und vom Glück, ist emotional und kühl analytisch." Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 17.03.16
"Selten zuvor ist so radikal und klug über die Stellung der Frau geschrieben worden wie in diesem Buch. ... Etikettierungen hat dieses Buch, das Patricia Klobusiczky souverän übesetzt hat, nicht nötig. Es steht für sich. Ein Fundstück. Und zugleich ein Findling. Unbehauen, kühn, und ohne glatt polierte Oberflächen. Und darin ein erhellendes Stück Literatur." Susanne Schaber, Ö1 Ex libris, 06.03.16
"Stilistisch elegant, geistreich in der Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse, ironisch und scharfsinnig in der Sicht auf das Geschlechterverhältnis, zeichnet Françoise Giroud ihr Selbstportät. ... Ihr Humor, ihre Lebenskraft und ihre schonungslose Offenheit machen diese Autobiografie, die erst zehn Jahre nach ihrem Tod entdeckt wurde, zu einem einzigartigen Leseerlebnis." Carsten Hueck, WDR5 Lesefrüchte, 13.02.16
"Lesen Sie dieses Buch! Und ich lüge auch nicht mit der Behauptung: Dieses Buch wird Ihr Leben bereichern, denn eindrucksvollere Literatur werden Sie selten finden." Gérard Otremba, sounds & books, 01.02.16