Carla Del Ponte fordert Gerechtigkeit. Wo wird das Völkerrecht aktuell gebrochen? Und welche Möglichkeiten hätte die UN einzugreifen? Wie und von wem wird Einfluss genommen auf Entscheidungen des Sicherheitsrates? Und macht sich die UN zu einem willfährigen Instrument mächtiger Länder? Carla Del Ponte, viele Jahre Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, berichtet von ihrer jahrelangen Arbeit als hochrangige UNO-Diplomatin und fordert in ihrem flammenden Plädoyer die Durchsetzung des Völkerrechts, notwendige Reformen der UN sowie eine aktive Rolle der EU.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Julia Anton kann über Carla Del Pontes Selbstgerechtigkeit hinwegsehen, wenn die ehemalige Chefanklägerin des Den Haager Internationalen Gerichtshofes aufgrund jahrelanger Erfahrungen ihrer Wut Luft macht über eine von der Politik abhängige Justiz, über ihre Arbeit und die Grenzen, die ihr immer wieder von zu geringen Budgets oder Geldgebern, den USA oder Russland gesetzt wurden. Del Pontes Forderung nach Reformen der Völkerrechtsjustiz kann Anton gut verstehen. Das Buch findet sie eingängig und pointiert geschrieben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2021Die Gummiwand
der Gerechtigkeit
Jagd auf Kriegsverbrecher: Carla Del Pontes Bilanz
„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, klagt der Volksmund. Carla Del Ponte hat sich diese Resignation nie zu eigen gemacht. Jetzt legt die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag Zeugnis ab: „Ich bin keine Heldin – mein langer Kampf für Gerechtigkeit“. Hier erzählt sie, wie in der Neuzeit regierende Mörder zur Rechenschaft gezogen werden und warum große Staaten, wie Amerika und Russland, im Abseits stehen.
Das Völkerrecht ist, wie sie darlegt, ein höchst fragiles Instrument. Aus einem Grund: Weil nicht alle Nationen das römische Statut vom 17. Juli 1998, mit dem der Gerichtshof gegründet wurde, ratifiziert haben. 123 sind ohne Vorbehalte dabei. Sie verpflichten sich, das Völkerrecht und die Menschenrechte zu respektieren. Del Ponte: „Das ließ hoffen.“
Sie hält die Einberufung des Jugoslawien-Tribunals 1993 für „die Geburtsstunde der internationalen Justiz“. Seitdem waren Verfolgung und Verurteilung „auch auf den höchsten Ebenen möglich“. Genau besehen, haben zwei beherzte Frauen die Entwicklung vorangetrieben: Carla Del Ponte an der juristischen Front und Madeleine Albright auf der diplomatischen Bühne. Die US-Außenministerin forderte das Eingreifen der internationalen Justiz. Sie gilt seitdem als „Mutter“ des ersten Tribunals.
Del Ponte verweist in diesem Kontext auf schier unüberwindliche Hürden, etwa auf die mangelnde Durchsetzungskraft der UN, die oft von einem sachfremden oder egoistischen Veto abhängt. So hat sich Amerika, namentlich unter Trump, vom anfänglichen Fürsprecher des hohen Gerichts zum Gegner gewandelt. Ausschlaggebend war ein Interessenkonflikt, zu groß „die Angst, dass amerikanische Staatsbürger vor einer internationalen Institution zur Verantwortung gezogen werden könnten“. Die Autorin erinnert an Foltervorwürfe, die gegen, in Afghanistan stationierte US-Soldaten erhoben worden waren: „Mögliche Verantwortlichkeit der Dienstvorgesetzten sowie der CIA“.
Das Völkerrecht existiere zwar schon „seit den beiden Weltkriegen“, so Del Ponte. Aber es werde nicht angewandt, weil es an der nötigen Motivation fehle. Haupthindernis: „Partikularinteressen“. Die Großmächte blockierten seit Jahr und Tag jeden Fortschritt. Schon der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan (1997-2006) sei vor allem am Widerstand von Russland und den USA gescheitert. Beide hätten, so der spätere Friedensnobelpreisträger, ihren Einfluss nicht aus der Hand geben wollen. Del Ponte: „Dieses Ungleichgewicht liegt bis heute dem katastrophalen Zustand des Völkerrechts zugrunde.“
Das bewegt sich im Hüpf-Gang. Schlimmstenfalls: einen Schritt vorwärts und zwei zurück. „Mit Slobodan Milosevic musste sich erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht für seine Kriegsverbrechen verantworten.“ Im Jugoslawien-Tribunal wurden 90 Angeklagte schuldig gesprochen. Del Ponte: „Wir hatten es geschafft, der Straflosigkeit, mit der politische Führer bis dahin weltweit ihrer Verantwortung entgangen waren, Einhalt zu gebieten.“ Wie es schien, ein Fortschritt.
Del Ponte untertreibt, wenn sie sagt, sie sei keine Heldin. Schurken haben bei ihr nichts zu lachen. Um sie vor Gericht zu bringen, kämpft die ehemalige Schweizer Bundesanwältin verbissen und heldenhaft. In einem barbarischen Fall baute sie auf „die symbolische Bedeutung eines Sieges der Gerechtigkeit“. Ihr Engagement entzündete sich am Schicksal einer bosnischen Mutter, die in ihrem Heimatort „mehrmals vergewaltigt“ worden war. „Danach befahlen ihr die Täter, ein Messer aus der Küche zu holen, mit dem sie daraufhin ihre drei Kinder ermordeten.“ Der Haupttäter wurde zu 27 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Er wird, wie alle internationalen Gefangenen, vergleichsweise nobel untergebracht werden – in einem dänischen, schwedischen oder norwegischem Gefängnis.
Die Welt ist, wie Del Ponte bedauernd registriert, „kein besserer Ort geworden“. Allein in Syrien hätten die Kriegsparteien seit Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahr 2011 „mehr als 100 000 Zivilisten ermordet“. Del Ponte überschreibt das ganze Kapitel „Triumph der Straflosigkeit“. Resultat: Milosevic (gestoben 2006) hinter Gittern, Baschar al-Assad auf freiem Fuß. Doch der Giftgasmörder sollte sich nicht zu früh freuen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Ratko Mladic, „der Schlächter vom Balkan“ wurde jetzt gerade, Jahrzehnte nach seinen Untaten, zu lebenslanger Haft verurteilt; das Massaker von Srebrenica blieb nicht ungesühnt.
Die Autorin zieht Bilanz. Sie verortet das internationale Recht „in einer Grauzone“. Es liege „zwischen Recht und Politik“, „zwischen nationaler Souveränität und internationaler Verantwortung“. Es gelte, den Machthabern „rote Linien nicht lediglich aufzuzeigen“, sondern auf eine rechtliche Basis zu stellen.
Was vonnöten ist. Denn die Demontage des Gerichts findet, von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt, statt: Regierungen verhindern unbequeme Ermittlungen, sie verweigern notwendige Mitarbeit, streichen Geldmittel, straffen Zeitpläne, kürzen die Angeklagten-Listen, kurzum: sie lassen die internationalen Strafverfolger gegen eine „Gummiwand“ anrennen.
Ein wichtiges, ein lehrreiches Buch. Der Leser lernt, dass im Völkerrecht, wo die Gegensätze mitunter krass aufeinanderprallen, ohne Geduld und Versöhnungswillen nichts geht. Del Ponte macht vor, wie man dicke Bretter bohrt. „Mein Kampf für Gerechtigkeit ist also nicht vorbei, sondern beginnt jeden Tag von Neuem.“
ROLF LAMPRECHT
Rolf Lamprecht berichtet seit 1968 von den Obersten Gerichtshöfen in Karlsruhe.
Die ehemalige Chefanklägerin
des Strafgerichtshofs in Den Haag
kämpft weiter – jeden Tag
Carla Del Ponte:
Ich bin keine Heldin.
Mein langer Kampf für Gerechtigkeit. Westend-
Verlag, Frankfurt 2021.
176 Seiten, 18 Euro.
E-Book: 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Gerechtigkeit
Jagd auf Kriegsverbrecher: Carla Del Pontes Bilanz
„Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“, klagt der Volksmund. Carla Del Ponte hat sich diese Resignation nie zu eigen gemacht. Jetzt legt die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag Zeugnis ab: „Ich bin keine Heldin – mein langer Kampf für Gerechtigkeit“. Hier erzählt sie, wie in der Neuzeit regierende Mörder zur Rechenschaft gezogen werden und warum große Staaten, wie Amerika und Russland, im Abseits stehen.
Das Völkerrecht ist, wie sie darlegt, ein höchst fragiles Instrument. Aus einem Grund: Weil nicht alle Nationen das römische Statut vom 17. Juli 1998, mit dem der Gerichtshof gegründet wurde, ratifiziert haben. 123 sind ohne Vorbehalte dabei. Sie verpflichten sich, das Völkerrecht und die Menschenrechte zu respektieren. Del Ponte: „Das ließ hoffen.“
Sie hält die Einberufung des Jugoslawien-Tribunals 1993 für „die Geburtsstunde der internationalen Justiz“. Seitdem waren Verfolgung und Verurteilung „auch auf den höchsten Ebenen möglich“. Genau besehen, haben zwei beherzte Frauen die Entwicklung vorangetrieben: Carla Del Ponte an der juristischen Front und Madeleine Albright auf der diplomatischen Bühne. Die US-Außenministerin forderte das Eingreifen der internationalen Justiz. Sie gilt seitdem als „Mutter“ des ersten Tribunals.
Del Ponte verweist in diesem Kontext auf schier unüberwindliche Hürden, etwa auf die mangelnde Durchsetzungskraft der UN, die oft von einem sachfremden oder egoistischen Veto abhängt. So hat sich Amerika, namentlich unter Trump, vom anfänglichen Fürsprecher des hohen Gerichts zum Gegner gewandelt. Ausschlaggebend war ein Interessenkonflikt, zu groß „die Angst, dass amerikanische Staatsbürger vor einer internationalen Institution zur Verantwortung gezogen werden könnten“. Die Autorin erinnert an Foltervorwürfe, die gegen, in Afghanistan stationierte US-Soldaten erhoben worden waren: „Mögliche Verantwortlichkeit der Dienstvorgesetzten sowie der CIA“.
Das Völkerrecht existiere zwar schon „seit den beiden Weltkriegen“, so Del Ponte. Aber es werde nicht angewandt, weil es an der nötigen Motivation fehle. Haupthindernis: „Partikularinteressen“. Die Großmächte blockierten seit Jahr und Tag jeden Fortschritt. Schon der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan (1997-2006) sei vor allem am Widerstand von Russland und den USA gescheitert. Beide hätten, so der spätere Friedensnobelpreisträger, ihren Einfluss nicht aus der Hand geben wollen. Del Ponte: „Dieses Ungleichgewicht liegt bis heute dem katastrophalen Zustand des Völkerrechts zugrunde.“
Das bewegt sich im Hüpf-Gang. Schlimmstenfalls: einen Schritt vorwärts und zwei zurück. „Mit Slobodan Milosevic musste sich erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht für seine Kriegsverbrechen verantworten.“ Im Jugoslawien-Tribunal wurden 90 Angeklagte schuldig gesprochen. Del Ponte: „Wir hatten es geschafft, der Straflosigkeit, mit der politische Führer bis dahin weltweit ihrer Verantwortung entgangen waren, Einhalt zu gebieten.“ Wie es schien, ein Fortschritt.
Del Ponte untertreibt, wenn sie sagt, sie sei keine Heldin. Schurken haben bei ihr nichts zu lachen. Um sie vor Gericht zu bringen, kämpft die ehemalige Schweizer Bundesanwältin verbissen und heldenhaft. In einem barbarischen Fall baute sie auf „die symbolische Bedeutung eines Sieges der Gerechtigkeit“. Ihr Engagement entzündete sich am Schicksal einer bosnischen Mutter, die in ihrem Heimatort „mehrmals vergewaltigt“ worden war. „Danach befahlen ihr die Täter, ein Messer aus der Küche zu holen, mit dem sie daraufhin ihre drei Kinder ermordeten.“ Der Haupttäter wurde zu 27 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Er wird, wie alle internationalen Gefangenen, vergleichsweise nobel untergebracht werden – in einem dänischen, schwedischen oder norwegischem Gefängnis.
Die Welt ist, wie Del Ponte bedauernd registriert, „kein besserer Ort geworden“. Allein in Syrien hätten die Kriegsparteien seit Beginn der gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahr 2011 „mehr als 100 000 Zivilisten ermordet“. Del Ponte überschreibt das ganze Kapitel „Triumph der Straflosigkeit“. Resultat: Milosevic (gestoben 2006) hinter Gittern, Baschar al-Assad auf freiem Fuß. Doch der Giftgasmörder sollte sich nicht zu früh freuen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Ratko Mladic, „der Schlächter vom Balkan“ wurde jetzt gerade, Jahrzehnte nach seinen Untaten, zu lebenslanger Haft verurteilt; das Massaker von Srebrenica blieb nicht ungesühnt.
Die Autorin zieht Bilanz. Sie verortet das internationale Recht „in einer Grauzone“. Es liege „zwischen Recht und Politik“, „zwischen nationaler Souveränität und internationaler Verantwortung“. Es gelte, den Machthabern „rote Linien nicht lediglich aufzuzeigen“, sondern auf eine rechtliche Basis zu stellen.
Was vonnöten ist. Denn die Demontage des Gerichts findet, von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt, statt: Regierungen verhindern unbequeme Ermittlungen, sie verweigern notwendige Mitarbeit, streichen Geldmittel, straffen Zeitpläne, kürzen die Angeklagten-Listen, kurzum: sie lassen die internationalen Strafverfolger gegen eine „Gummiwand“ anrennen.
Ein wichtiges, ein lehrreiches Buch. Der Leser lernt, dass im Völkerrecht, wo die Gegensätze mitunter krass aufeinanderprallen, ohne Geduld und Versöhnungswillen nichts geht. Del Ponte macht vor, wie man dicke Bretter bohrt. „Mein Kampf für Gerechtigkeit ist also nicht vorbei, sondern beginnt jeden Tag von Neuem.“
ROLF LAMPRECHT
Rolf Lamprecht berichtet seit 1968 von den Obersten Gerichtshöfen in Karlsruhe.
Die ehemalige Chefanklägerin
des Strafgerichtshofs in Den Haag
kämpft weiter – jeden Tag
Carla Del Ponte:
Ich bin keine Heldin.
Mein langer Kampf für Gerechtigkeit. Westend-
Verlag, Frankfurt 2021.
176 Seiten, 18 Euro.
E-Book: 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2021Gegen den "Triumph der Straflosigkeit"
Die frühere Jugoslawien-Chefanklägerin Carla Del Ponte klagt wieder an
Was macht einen Menschen zum Helden? Muss er großen Mut zeigen? Das Wohl von anderen über das eigene stellen? Das Böse bekämpfen?Carla Del Ponte, frühere Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, will den Heldenstatus für sich jedenfalls nicht in Anspruch nehmen - auch wenn sie auf bemerkenswerte Erfolge wie die Verhaftung des früheren serbischen Staatsoberhaupts Slobodan Milosevic und zahlreicher anderer Kriegsverbrecher zurückblicken kann und ihrer Arbeit zeitweise nur unter Polizeischutz nachgehen konnte.
Der Titel ihres Buches lautet dennoch: "Ich bin keine Heldin - Mein langer Kampf für Gerechtigkeit". Die mittlerweile 74 Jahre alte Del Ponte klagt darin die internationale Strafjustiz und die Vereinten Nationen an und wirft ihnen vor, Menschen- und Völkerrechte nicht adäquat zu schützen und durchzusetzen. "Die UNO hat versagt - und ihr Mandat, für Frieden und Stabilität zu sorgen, nicht erfüllt", schreibt sie. Die Justiz sei zu abhängig von der Politik, und dieser fehle aufgrund von Einzelinteressen zu oft der Wille.
Die 1947 in der Schweiz geborene Del Ponte beruft sich dabei auf ihre jahrelangen Erfahrungen in der internationalen Strafjustiz. Nach einem Studium des internationalen Rechts war sie zunächst als Staatsanwältin des Kantons Tessin und später als Bundesanwältin der Schweiz tätig, bis sie 1999 als Chefanklägerin an die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien sowie für Ruanda berufen wurde. Nach acht Jahren in diesem Amt gab sie Ende 2007 den Posten in Den Haag ab und wurde in Argentinien Botschafterin für ihr Heimatland. 2011 wurde sie pensioniert, wurde jedoch noch im selben Jahr Mitglied einer UN-Kommission, die Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg in Syrien untersuchte. Nach sechs Jahren warf sie hin: Obwohl die Berichte der Kommission ihrer Ansicht nach mehr als genug Material boten, beauftragte der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof nie mit Ermittlungen. "Ein Triumph der Straflosigkeit", schreibt Del Ponte.
In ihrem Buch gibt sie Einblick in ihre Arbeit - und vor allem in die Schwierigkeiten, die ihr als Chefanklägerin und Kommissionsmitglied begegneten. Immer wieder sei ihre Behörde bei den Ermittlungen gegen "Gummiwände" gelaufen: Staaten, die trotz öffentlicher Zusagen nicht kooperierten - eigene Befugnisse hat der Gerichtshof in Den Haag kaum -, ein zu geringes Budget, um umfassend gegen alle Verdächtigen ermitteln zu können, und Druck der geldgebenden Staaten, wenn die Ermittlungen in eine unerwünschte Richtung gingen. So erzählt Del Ponte, wie die USA sie zur Persona non grata erklärten, als sie Vorwürfen gegen die NATO im Jugoslawien-Krieg nachgehen wollte. In Ruanda sei sie ebenfalls von den Amerikanern ausgebremst worden, als sie 13 mutmaßlich von Tutsi verübte Massaker untersuchen wollte.
Überhaupt sind es die größeren Mitgliedstaaten, die Del Ponte in die Pflicht nimmt. Es sind die Staaten, die durch ihren ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat großen Einfluss haben - wie Russland, das wiederholt Resolutionen zu Syrien blockiert hat. Aber auch den USA, die bis heute das Abkommen zum Internationalen Gerichtshof nicht ratifiziert haben, wirft Del Ponte zu wenig Engagement vor. Ein Einsatz der Vereinigten Staaten hätte zumindest Ermittlungen gegen den IS in Syrien ermöglichen können, mutmaßt die frühere Chefanklägerin. Auch die dringend nötige Reform der UN könne nur auf Initiative der USA gelingen.
Mit ihrer Kritik an dem Staatenbund und dem Ruf nach Reformen ist Del Ponte freilich nicht allein. So hatte etwa Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des 75. UN-Jubiläums im vergangenen Jahr mangelnden Gemeinschaftssinn beklagt. Doch kaum jemand findet so klare Worte wie Del Ponte, die schon immer als unbequem galt und sich noch nie groß Sorgen gemacht hat, wem sie auf die Füße treten könnte. Die Untersuchungskommission in Syrien bezeichnet sie etwa als "Alibi-Kommission", den Mitarbeitern der UN-Zentrale in New York wirft sie vor, Zeit und Geld mit Schwätzchen und ergebnislosen Meetings zu verplempern.
Als ehemalige Staatsanwältin weiß Del Ponte, wie sie überzeugen kann. Sie setzt kaum Wissen voraus, sondern führt zunächst in die Grundlagen des Völkerrechts, die internationale Strafjustiz und historische Begebenheiten ein. Dabei verzichtet sie auf Fachbegriffe, fasst sich stets kurz und verliert sich nie auf Nebenschauplätzen, sondern führt anhand ihrer Erlebnisse konsequent vor, wie abhängig die internationale Strafjustiz von Einzelinteressen ist - und plädiert dabei immer wieder für eine konsequente Durchsetzung des Völkerrechts, um Opfern Gerechtigkeit zu geben und weitere Täter abzuschrecken. So schildert Del Ponte ein Gespräch mit einer Frau aus Bosnien, die im Jugoslawien-Krieg mehrfach vergewaltigt und deren drei Kinder ermordet wurden. Der Täter wurde zwar gefasst, doch sie hatte kein Vertrauen in die nationale Justiz. "(Sie) hat mich weinend darum gebeten, dass (der Täter) vor den Internationalen Gerichtshof kommt." In Den Haag wurde er zu 27 Jahren Haft verurteilt.
Natürlich ist Carla Del Ponte eine Heldin, ist man nach der Lektüre geneigt zu sagen. Ihre immer wieder durchschimmernde Selbstgerechtigkeit ist die größte Schwäche des Buches, macht aber ihren Kampf für die Gerechtigkeit anderer nicht weniger lesenswert.
JULIA ANTON.
Carla Del Ponte: "Ich bin keine Heldin". Mein langer Kampf für Gerechtigkeit.
Westend Verlag, Frankfurt 2021. 176 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die frühere Jugoslawien-Chefanklägerin Carla Del Ponte klagt wieder an
Was macht einen Menschen zum Helden? Muss er großen Mut zeigen? Das Wohl von anderen über das eigene stellen? Das Böse bekämpfen?Carla Del Ponte, frühere Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, will den Heldenstatus für sich jedenfalls nicht in Anspruch nehmen - auch wenn sie auf bemerkenswerte Erfolge wie die Verhaftung des früheren serbischen Staatsoberhaupts Slobodan Milosevic und zahlreicher anderer Kriegsverbrecher zurückblicken kann und ihrer Arbeit zeitweise nur unter Polizeischutz nachgehen konnte.
Der Titel ihres Buches lautet dennoch: "Ich bin keine Heldin - Mein langer Kampf für Gerechtigkeit". Die mittlerweile 74 Jahre alte Del Ponte klagt darin die internationale Strafjustiz und die Vereinten Nationen an und wirft ihnen vor, Menschen- und Völkerrechte nicht adäquat zu schützen und durchzusetzen. "Die UNO hat versagt - und ihr Mandat, für Frieden und Stabilität zu sorgen, nicht erfüllt", schreibt sie. Die Justiz sei zu abhängig von der Politik, und dieser fehle aufgrund von Einzelinteressen zu oft der Wille.
Die 1947 in der Schweiz geborene Del Ponte beruft sich dabei auf ihre jahrelangen Erfahrungen in der internationalen Strafjustiz. Nach einem Studium des internationalen Rechts war sie zunächst als Staatsanwältin des Kantons Tessin und später als Bundesanwältin der Schweiz tätig, bis sie 1999 als Chefanklägerin an die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien sowie für Ruanda berufen wurde. Nach acht Jahren in diesem Amt gab sie Ende 2007 den Posten in Den Haag ab und wurde in Argentinien Botschafterin für ihr Heimatland. 2011 wurde sie pensioniert, wurde jedoch noch im selben Jahr Mitglied einer UN-Kommission, die Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg in Syrien untersuchte. Nach sechs Jahren warf sie hin: Obwohl die Berichte der Kommission ihrer Ansicht nach mehr als genug Material boten, beauftragte der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof nie mit Ermittlungen. "Ein Triumph der Straflosigkeit", schreibt Del Ponte.
In ihrem Buch gibt sie Einblick in ihre Arbeit - und vor allem in die Schwierigkeiten, die ihr als Chefanklägerin und Kommissionsmitglied begegneten. Immer wieder sei ihre Behörde bei den Ermittlungen gegen "Gummiwände" gelaufen: Staaten, die trotz öffentlicher Zusagen nicht kooperierten - eigene Befugnisse hat der Gerichtshof in Den Haag kaum -, ein zu geringes Budget, um umfassend gegen alle Verdächtigen ermitteln zu können, und Druck der geldgebenden Staaten, wenn die Ermittlungen in eine unerwünschte Richtung gingen. So erzählt Del Ponte, wie die USA sie zur Persona non grata erklärten, als sie Vorwürfen gegen die NATO im Jugoslawien-Krieg nachgehen wollte. In Ruanda sei sie ebenfalls von den Amerikanern ausgebremst worden, als sie 13 mutmaßlich von Tutsi verübte Massaker untersuchen wollte.
Überhaupt sind es die größeren Mitgliedstaaten, die Del Ponte in die Pflicht nimmt. Es sind die Staaten, die durch ihren ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat großen Einfluss haben - wie Russland, das wiederholt Resolutionen zu Syrien blockiert hat. Aber auch den USA, die bis heute das Abkommen zum Internationalen Gerichtshof nicht ratifiziert haben, wirft Del Ponte zu wenig Engagement vor. Ein Einsatz der Vereinigten Staaten hätte zumindest Ermittlungen gegen den IS in Syrien ermöglichen können, mutmaßt die frühere Chefanklägerin. Auch die dringend nötige Reform der UN könne nur auf Initiative der USA gelingen.
Mit ihrer Kritik an dem Staatenbund und dem Ruf nach Reformen ist Del Ponte freilich nicht allein. So hatte etwa Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des 75. UN-Jubiläums im vergangenen Jahr mangelnden Gemeinschaftssinn beklagt. Doch kaum jemand findet so klare Worte wie Del Ponte, die schon immer als unbequem galt und sich noch nie groß Sorgen gemacht hat, wem sie auf die Füße treten könnte. Die Untersuchungskommission in Syrien bezeichnet sie etwa als "Alibi-Kommission", den Mitarbeitern der UN-Zentrale in New York wirft sie vor, Zeit und Geld mit Schwätzchen und ergebnislosen Meetings zu verplempern.
Als ehemalige Staatsanwältin weiß Del Ponte, wie sie überzeugen kann. Sie setzt kaum Wissen voraus, sondern führt zunächst in die Grundlagen des Völkerrechts, die internationale Strafjustiz und historische Begebenheiten ein. Dabei verzichtet sie auf Fachbegriffe, fasst sich stets kurz und verliert sich nie auf Nebenschauplätzen, sondern führt anhand ihrer Erlebnisse konsequent vor, wie abhängig die internationale Strafjustiz von Einzelinteressen ist - und plädiert dabei immer wieder für eine konsequente Durchsetzung des Völkerrechts, um Opfern Gerechtigkeit zu geben und weitere Täter abzuschrecken. So schildert Del Ponte ein Gespräch mit einer Frau aus Bosnien, die im Jugoslawien-Krieg mehrfach vergewaltigt und deren drei Kinder ermordet wurden. Der Täter wurde zwar gefasst, doch sie hatte kein Vertrauen in die nationale Justiz. "(Sie) hat mich weinend darum gebeten, dass (der Täter) vor den Internationalen Gerichtshof kommt." In Den Haag wurde er zu 27 Jahren Haft verurteilt.
Natürlich ist Carla Del Ponte eine Heldin, ist man nach der Lektüre geneigt zu sagen. Ihre immer wieder durchschimmernde Selbstgerechtigkeit ist die größte Schwäche des Buches, macht aber ihren Kampf für die Gerechtigkeit anderer nicht weniger lesenswert.
JULIA ANTON.
Carla Del Ponte: "Ich bin keine Heldin". Mein langer Kampf für Gerechtigkeit.
Westend Verlag, Frankfurt 2021. 176 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Carla Del Ponte, die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, erhebt ihre Vorwürfe diesmal gegenüber der Weltgemeinschaft. ... minutiös wie in einem Schlussplädoyer legt sie dar, dass wir in Sachen internationaler Justiz schon einmal weiter waren."
titel, thesen, temperamente
"Ein wichtiges, ein lehrreiches Buch."
Süddeutsche Zeitung"
"In ihrem Buch gibt sie Einblicke in ihre Arbeit - und vor allem in die Schwierigkeiten, die ihr als Chefanklägerin und Kommissionsmitglied begegneten ... lesenswert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Mutig, gradlinig und gefürchtet ... In ihrem aktuellen Buch rechnet die streitbare Anwältin mit der internationalen Politik ab."
Deutschlandfunk Kultur "Im Gespräch"
"Carla Del Ponte warnt davor, dass das internationale Recht zerfällt."
Der Spiegel
"Ihr neuestes Buch ist eine Anklage gegen UNO und Großmächte."
Der Tages-Anzeiger
"Sachlich, detailliert, glaubwürdig ... Carla Del Ponte will zeigen, dass internationales Recht unumgänglich ist und sich die kritisch beschriebene UNO, in der sehr oft ungeeignete Personen eingesetzt würden, reformieren muss."
Weltwoche
"Carla Del Ponte nimmt kein Blatt vor den Mund ... Sie vermittelt einmalige Einblicke."
Deutschlandfunk "Andruck"
"Del Ponte untertreibt, wenn sie sagt, sie sei keine Heldin. Schurken haben bei ihr nichts zu lachen. Um sie vor Gericht zu bringen, kämpft die ehemalige Schweizer Bundesanwältin verbissen und heldenhaft. ... Del Pontes Buch ist wichtig und lehrreich."
Sonntagszeitung
"Die ehemalige Chefanklägerin spricht über den syrischen Diktator Assad und die Untätigkeit der UNO."
Luzerner Zeitung
titel, thesen, temperamente
"Ein wichtiges, ein lehrreiches Buch."
Süddeutsche Zeitung"
"In ihrem Buch gibt sie Einblicke in ihre Arbeit - und vor allem in die Schwierigkeiten, die ihr als Chefanklägerin und Kommissionsmitglied begegneten ... lesenswert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung"
"Mutig, gradlinig und gefürchtet ... In ihrem aktuellen Buch rechnet die streitbare Anwältin mit der internationalen Politik ab."
Deutschlandfunk Kultur "Im Gespräch"
"Carla Del Ponte warnt davor, dass das internationale Recht zerfällt."
Der Spiegel
"Ihr neuestes Buch ist eine Anklage gegen UNO und Großmächte."
Der Tages-Anzeiger
"Sachlich, detailliert, glaubwürdig ... Carla Del Ponte will zeigen, dass internationales Recht unumgänglich ist und sich die kritisch beschriebene UNO, in der sehr oft ungeeignete Personen eingesetzt würden, reformieren muss."
Weltwoche
"Carla Del Ponte nimmt kein Blatt vor den Mund ... Sie vermittelt einmalige Einblicke."
Deutschlandfunk "Andruck"
"Del Ponte untertreibt, wenn sie sagt, sie sei keine Heldin. Schurken haben bei ihr nichts zu lachen. Um sie vor Gericht zu bringen, kämpft die ehemalige Schweizer Bundesanwältin verbissen und heldenhaft. ... Del Pontes Buch ist wichtig und lehrreich."
Sonntagszeitung
"Die ehemalige Chefanklägerin spricht über den syrischen Diktator Assad und die Untätigkeit der UNO."
Luzerner Zeitung