"Es war, als hätte ich einen Avatar, nur noch viel besser." (S. 140)
Vom Moment an, in dem ich "Ich bin Tess" aufgeschlagen hatte, war ich neugierig auf das Buch. Denn ich fand die Idee wirklich interessant und war sehr gespannt auf die Umsetzung. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es
so vergleichsweise einfach und komplikationslos sein sollte, das Leben einer anderen Person zu…mehr"Es war, als hätte ich einen Avatar, nur noch viel besser." (S. 140)
Vom Moment an, in dem ich "Ich bin Tess" aufgeschlagen hatte, war ich neugierig auf das Buch. Denn ich fand die Idee wirklich interessant und war sehr gespannt auf die Umsetzung. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es so vergleichsweise einfach und komplikationslos sein sollte, das Leben einer anderen Person zu übernehmen. Daher war ich wirklich gespannt, was die Autorin sich hier ausgedacht hatte.
Was mir nach einigen Kapiteln klar wurde: Tess und Leila, die beiden Frauen, um die es hier geht, sind in meinen Augen als Figuren nicht glücklich ausgewählt worden. Denn sie sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht, und daher schon mal von Beginn an - rein vernunftsmäßig - nicht wirklich geeignet, um sich austauschen zu lassen. Während Tess wie ein flippiger Paradiesvogel erscheint, der das Leben in vollen Zügen gelebt hat, kommt Leila wie die komplette graue Maus daher, die keine Ahnung vom Leben "da draußen" hat. Leila ist in ihrer Art so ungeeignet, jemanden wie Tess ersetzen zu wollen - das ging in meinen Augen nicht Hand in Hand. Denn Frau Moggach hat einfach total mit interessanten Eigenschaften gegeizt, wenn es um ihre Hauptfigur ging: Leila ist eine Spießerin, ist weltfremd und naiv, versteht keine Ironie und keinen Sarkasmus, und hinterfragt völlig "normale" Dinge, weil sie in ihrer begrenzten Welt nicht vorkommen. Sie hat kaum Kontakt zu anderen Menschen und kennt sich bei Facebook & Co. nur pro forma aus. Sie kam mir im Laufe der Handlung so unsympathisch vor; ich konnte ihren ausschweifenden und grüblerischen Gedankengängen und merkwürdigen Überlegungen irgendwann einfach nicht mehr richtig folgen - aus Unverständnis und Desinteresse. Es mag sein, dass Leila extra so sein sollte, dass die Autorin sie bewusst so konträr zu Tess haben wollte - schön. Aber warum?
Zudem aber erschien mir das Szenario des "Identität-Übernehmens" deutlich übertrieben. Leila stellt das "neue übernommene" Leben von Tess als Vollzeitjob dar, als wäre sie ununterbrochen online, am Posten und am Email-Schreiben, als müsste sie ihre Statusmeldungen alle 10 Minuten erneuern, weil sich ja irgendwo auf der Welt jemand fragen könnte "Was macht Tess gerade?". Als würde sich alle Welt um Tess reißen. Leila ist ständig damit beschäftigt, irgendwelche Nachrichten und Kurzmeldungen in Tess' Namen vorzubereiten und zu veröffentlichen und schlägt sich dafür 16 Stunden am Tag am Computer um die Ohren. Das ist einfach unglaubwürdig, und den "Stress", den diese neue Beschäftigung vorm PC Leila angeblich einbringen soll, habe ich ihr nicht 1 Minute lang abgekauft.
Das erschien mir also in der Tat sehr unverständlich und übertrieben. Ansonsten fand ich die Lektüre von "Ich bin Tess" gar nicht so übel, weil es mal etwas völlig anderes war, kein typischer Roman im herkömmlichen Sinne. Und natürlich fragt man sich die ganze Zeit, wie das wohl enden wird; diese Frage hat zumindest mich trotz der langweiligen Hauptfigur und einigen gefühlten Längen im Text durchgehend am Lesen gehalten.