Die erste und einzige Autobiografie des »Rocket-Man«
Elton John gehört zu den erfolgreichsten Künstlern aller Zeiten. »Your Song«, »Tiny Dancer« und »Candle in the Wind« sind nur einige von unzähligen Hits seiner beispiellosen Karriere. Erstmals erzählt er jetzt die Geschichte seines außergewöhnlichen Lebens und blickt zurück auf sieben Jahrzehnte voller Höhen und Tiefen.
Er enthüllt die Wahrheit über seine Kindheit im Londoner Vorort Pinner und über die schwierige Beziehung zu seinen Eltern. Reginald Dwight, der später als Elton John weltberühmt werden sollte, war ein schüchterner Junge, der heimlich davon träumte, Popstar zu werden. Im Alter von 23 spielte er seinen ersten Auftritt in den USA und begeisterte in quietschgelber Latzhose, einem sternenbesetzten T-Shirt und geflügelten Stiefeln sein Publikum. Elton John war angekommen – und die Musikwelt sollte nie wieder dieselbe sein.
Seine Autobiografie »Ich« ist voller Dramatik: Angefangen bei der Ablehnung der ersten Songs von Elton und seinem Songwriting-Partner Bernie Taupin bis hin zu seinem überwältigenden Erfolg als Weltstar; von den Freundschaften mit John Lennon, Freddie Mercury und George Michael bis hin zum Disco-Tanz mit der Queen; von Selbstmord versuchen bis hin zu seiner Drogensucht, die ihn über ein Jahrzehnt lang fest im Griff hatte.
Elton schreibt auch ausführlich über seinen Entzug und den Aufbau seiner AIDS-Stiftung. Er erzählt, wie er in David Furnish die wahre Liebe fand, mit Gianni Versace im Urlaub war und auf der Beerdigung seiner Freundin Prinzessin Diana sang. Und er beschreibt, wie er plötzlich spürte, dass er Vater werden will, und sein Leben sich noch einmal völlig verändert hat.
Humorvoll, unterhaltsam und tief bewegend – Elton Johns Autobiografie »Ich« nimmt uns mit auf eine intime Reise mit einer lebenden Legende.
Elton John gehört zu den erfolgreichsten Künstlern aller Zeiten. »Your Song«, »Tiny Dancer« und »Candle in the Wind« sind nur einige von unzähligen Hits seiner beispiellosen Karriere. Erstmals erzählt er jetzt die Geschichte seines außergewöhnlichen Lebens und blickt zurück auf sieben Jahrzehnte voller Höhen und Tiefen.
Er enthüllt die Wahrheit über seine Kindheit im Londoner Vorort Pinner und über die schwierige Beziehung zu seinen Eltern. Reginald Dwight, der später als Elton John weltberühmt werden sollte, war ein schüchterner Junge, der heimlich davon träumte, Popstar zu werden. Im Alter von 23 spielte er seinen ersten Auftritt in den USA und begeisterte in quietschgelber Latzhose, einem sternenbesetzten T-Shirt und geflügelten Stiefeln sein Publikum. Elton John war angekommen – und die Musikwelt sollte nie wieder dieselbe sein.
Seine Autobiografie »Ich« ist voller Dramatik: Angefangen bei der Ablehnung der ersten Songs von Elton und seinem Songwriting-Partner Bernie Taupin bis hin zu seinem überwältigenden Erfolg als Weltstar; von den Freundschaften mit John Lennon, Freddie Mercury und George Michael bis hin zum Disco-Tanz mit der Queen; von Selbstmord versuchen bis hin zu seiner Drogensucht, die ihn über ein Jahrzehnt lang fest im Griff hatte.
Elton schreibt auch ausführlich über seinen Entzug und den Aufbau seiner AIDS-Stiftung. Er erzählt, wie er in David Furnish die wahre Liebe fand, mit Gianni Versace im Urlaub war und auf der Beerdigung seiner Freundin Prinzessin Diana sang. Und er beschreibt, wie er plötzlich spürte, dass er Vater werden will, und sein Leben sich noch einmal völlig verändert hat.
Humorvoll, unterhaltsam und tief bewegend – Elton Johns Autobiografie »Ich« nimmt uns mit auf eine intime Reise mit einer lebenden Legende.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2019Das Evangelium, vom Herrn selbst erzählt
Eigentlich fand er sein Leben nicht der Fortführung wert: Elton John beschreibt seine Karriere als Bildungsroman und sich selbst als Fachmann für spielerische Grenzübertretungen.
Für seinen ersten Selbstmordversuch legt er sich im Backofen ein Kissen unter den Kopf, reißt die Küchenfenster auf und achtet darauf, dass Mitbewohner in der Nähe sind. Der Hang zum Spektakel, die große Geste, Komfort, Genuss, Unsicherheit und Verzweiflung - die kleine Szene enthält vieles von dem, was Elton Johns Leben in den folgenden Jahrzehnten ausmachen wird. Der Musiker steht 1968 kurz davor, seine Bekannte Linda zu heiraten. Der Tatsache, dass er, wenn überhaupt, lieber einen Mann heiraten sollte, ist er zu diesem Zeitpunkt schon fast auf der Spur, allerdings noch nicht ganz. Bis er und die Welt, in der er lebt, so weit sind, dauert es noch. Zeit für mehrere hundert Millionen verkaufter Platten, Chartrekorde, plattbunte Rock-Hits und Meisterwerke des Songschreibens, für Tourneen und Musicals, einen selbstgedrehten Dokumentarfilm, ein Kino-Biopic und einen Ritterschlag.
Zeit aber auch für viel Kokain, unglückliche Beziehungen, eine gescheiterte Ehe mit einer Frau und so manche Buchseite, auf der die Freude am Bühnenauftritt und am Komponieren direkt neben der Verzweiflung im Hotelzimmer und dem Wutanfall in der Garderobe steht. Der Versuch, sich das Leben zu nehmen, ist kurz vor dem Durchbruch mit dem Album "Elton John" und dem ersten Hit "Your Song" weniger der Hilfeschrei, als den Elton John ihn im Nachhinein interpretiert, sondern eher einer von vielen lebensbedrohlichen Versuchen, mit denen Elton John immer wieder austestet, ob er sein Leben fortführenswert findet.
Eigentlich nicht, lautet lange sein Fazit. Bis auf die Musik. Sowie die Sucht. Und das Sammeln von Kunst, Platten und falschen Entscheidungen. Alles in allem also vielleicht doch, obwohl es manchmal unerträglich ist. Es dauert, bis der Künstler und Privatmann sich seine Existenz so eingerichtet hat, dass er die Frage nach dem Sinn des Lebens vollauf bejahen kann. Er, Elton John, 1947 als Reginald Dwight in London zur Welt gekommen, Kind miteinander unglücklicher Eltern, die niemals hätten heiraten sollen, wie ihr Sohn meint - eine letzte, die Möglichkeit der eigenen Existenz negierende Spur seines mangelnden Selbstvertrauens.
Die schwache Eigenidentität wirft er der Mutter und dem anderswo stationierten und daher meist abwesenden Soldatenvater vor, die für das Kind außer seelischer Kälte, Dauerkritik, Nörgelei und Bestrafungen nur wenig übrighaben. "Ich" hat Elton John seine Autobiographie genannt, "Me" im Original. Gemeint ist das, jenseits des Marketinggedankens von der Stärke, die in der Einfachheit liegt, auch als Bildungsroman: Wie aus Reginald Dwight John Elton wurde, dem es schließlich sogar gelang, sich mit Reginald Dwight auszusöhnen.
Dass der Titel siegreich auftrumpft, ist wohl auch dem Verfasser klar, der Humor besitzt und seinen Schwächen zwischen Entziehungskur und Lebenskrisen gründlich ins Auge gesehen hat. Der Ich-Triumph eines veritablen Meisters des Es, in Kunst und Leben, geht also völlig in Ordnung. Schwule Leser denken trotzdem an "Little Me", die erfundene Autobiographie des ruhmsüchtigen Starlets Belle Poitrine, die der amerikanische Schriftsteller Patrick Dennis 1961 zusammen mit seiner Frau, seinem Geliebten und zahlreichen Freunden zusammenstellte, um über die falsche Bescheidenheit egozentrischer Stars herzuziehen.
Elton Johns outriertes und von der Queen geadeltes Kunst-Ich ist ihm auf der langen Flucht vor Reggie Dwight allerdings sehr viel besser gelungen als der geborenen Maybelle Schlumpfert ihre nie ganz durch Erfolg beglaubigte Existenz als Belle. Auch seine Autobiographie ist gehaltvoller als die Lebenserinnerungen anderer zu Ruhm und Geld gekommener Menschen, gelegentlich nachdenklich, oft wirklich witzig.
Trotzdem merkt man auch ihr die Manufaktur für Popstar-Memoiren an: Lustiges, Bußfertiges, sattsam Bekanntes und verschwörerisch Enthülltes, dazwischen genreübliche Füllsel wie die langjährigen musikalischen Wegbegleiter, die in exakt einer Passage längere Würdigung erfahren, und die Fans seit langem bekannten Sternstunden, die unbedingt noch einmal vom Künstler selbst beschrieben werden müssen. Am echtesten ist das Buch in seiner ungewöhnlichen, dem Leben und dem Werk Elton Johns gleichermaßen eigenen Kombination von Massenappeal und Seltsamkeit, Geradlinigkeit und Schnörkeln, straight und queer.
Da ist einer, dessen Hits auf den britischen Inseln bei Familienfeiern von allen Gästen mitgegrölt werden können, so wie einst die Pub-Songs und Fußballgesänge, mit denen das Kind aus der Arbeiterklasse aufwuchs. Da ist andererseits der Fachmann für die spielerische Grenzübertretung in Männlichkeitsangelegenheiten, der früher, offener und eindeutiger nicht ganz von dieser heterosexuellen Welt war als Freddie Mercury, David Bowie oder etwas später George Michael.
Federn, Brillen, Strass, Kostüme: Was für ein unterhaltsamer, aber mutiger Pionier er war, macht ein Blick auf die Begeisterung klar, die Leon Dame vor wenigen Wochen in den sozialen Medien auslöste, als er für John Galliano die Maison-Margiela-Schau in Paris damit beschloss, als Mann in High Heels über den Catwalk zu marschieren. Es war für viele offenbar noch immer ein Anlass, etwas willkommen Neuartiges zu bejubeln.
Elton John hat das Geschlechterrollenspiel schon gespielt, als es trotz Liberace, Lou Reed, Mick Jagger, Glam Rock und einer allgemeinen Neigung zum Übertreten von Grenzen auch in der unterhaltenden Musik noch keineswegs gewöhnlich war. Das exzellente Cover des ansonsten misslungenen Albums "A Single Man" zeigt ihn in schwarzem Mantelzweireiher mit Zylinder und Gehstock bereits 1978 auf hohen Damenabsätzen. Oben ganz britischer Gentleman, unten dazu Stöckelschuhe. Traditionelle Männlichkeit auf tönernen Füßen, gekonnt ausbalanciert auf starker Weiblichkeit. Und das alles auf dem Long Walk vor den Türmen von Windsor Castle, nahe dem Herzen der Establishment-Macht, mit der er später rund um Diana, Prinzessin von Wales, so viel zu tun hatte.
Leider ist "Ich" weniger komplex als das genau durchdachte Albumcover. Dahingeplaudert, oft amüsant und anrührend, die Übersetzung von Satzbau und Wortschatz des englischen Originals zu wenig gelöst. Was vorkommen muss, kommt vor - der Klavierspieler, Komponist und Entertainer, sein Texter Bernie Taupin, sein Liebhaber und Manager John Reid. Vieles wird abgehakt, anderes über Gebühr ausgewalzt. Vor allem dem Porträt der Mutter, das viel andernorts Vorgebrachtes wiederholt, ist anzumerken, dass "Ich" nach Dexter Fletchers in diesem Frühjahr uraufgeführtem Film "Rocketman" schon der zweite Teil eines Versuchs ist, nun endgültig eine vom Künstler selbst kontrollierte kanonische Version seines Lebens zu lancieren. Das Evangelium, vom Herrn selbst erzählt. Mit Wundergeschichten wie dem frühen Erfolg in den Vereinigten Staaten und Passionsberichten rund um Drogen und Selbstmordversuche, die er viel zu wenig mit den Anstrengungen in Verbindung bringt, die es ihn gekostet haben muss, ein Leben aus Ausrasten und Durchhalten, Innovation und Normalität gleichermaßen zu formen. Gelegentlich steht er selbst verwundert und staunend davor, Ehemann eines Mannes, Vater zweier Kinder. Zwei Dinge, die er sich noch vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können.
Warum er an Diana und Gianni Versace, einem besonders engen Freund, auch ihre Neigung zu Klatsch und Tratsch liebte, machen die Anekdoten klar, die er selbst mit großer Freude einstreut. Katharine Hepburn kommt vorbei, um in seinem Pool zu schwimmen, findet einen toten Frosch im Wasser und wirft ihn mit beiden Händen hinaus. Wie sie das geschafft habe, fragt Elton John sie angeekelt: "Charakter, junger Mann."
Ein weiteres Erlebnis findet hoffentlich noch Eingang in die Drehbücher der vierten Staffel von "The Crown", die derzeit gedreht wird. Die Königin bittet ihren Neffen Viscount Linley auf einer Party, nach seiner Schwester Lady Sarah zu sehen, die sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hat. Als er nicht will, tätschelt sie ihm zwischen ihren Worten immer wieder nachdrücklich die Wange: "Leg dich nicht mit mir an, ich bin die Königin." Elton John hält fest: "Als sie sich von ihm abwandte, sah sie, wie ich sie anstarrte, zwinkerte mir zu und ging davon." Majestäten unter sich.
FLORIAN BALKE
Elton John: "Ich". Die Autobiografie. Aus dem Englischen von Harriet Fricke, Stephan Glietsch und Torsten Groß. Heyne Verlag, München 2019.
496 S., Abb., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eigentlich fand er sein Leben nicht der Fortführung wert: Elton John beschreibt seine Karriere als Bildungsroman und sich selbst als Fachmann für spielerische Grenzübertretungen.
Für seinen ersten Selbstmordversuch legt er sich im Backofen ein Kissen unter den Kopf, reißt die Küchenfenster auf und achtet darauf, dass Mitbewohner in der Nähe sind. Der Hang zum Spektakel, die große Geste, Komfort, Genuss, Unsicherheit und Verzweiflung - die kleine Szene enthält vieles von dem, was Elton Johns Leben in den folgenden Jahrzehnten ausmachen wird. Der Musiker steht 1968 kurz davor, seine Bekannte Linda zu heiraten. Der Tatsache, dass er, wenn überhaupt, lieber einen Mann heiraten sollte, ist er zu diesem Zeitpunkt schon fast auf der Spur, allerdings noch nicht ganz. Bis er und die Welt, in der er lebt, so weit sind, dauert es noch. Zeit für mehrere hundert Millionen verkaufter Platten, Chartrekorde, plattbunte Rock-Hits und Meisterwerke des Songschreibens, für Tourneen und Musicals, einen selbstgedrehten Dokumentarfilm, ein Kino-Biopic und einen Ritterschlag.
Zeit aber auch für viel Kokain, unglückliche Beziehungen, eine gescheiterte Ehe mit einer Frau und so manche Buchseite, auf der die Freude am Bühnenauftritt und am Komponieren direkt neben der Verzweiflung im Hotelzimmer und dem Wutanfall in der Garderobe steht. Der Versuch, sich das Leben zu nehmen, ist kurz vor dem Durchbruch mit dem Album "Elton John" und dem ersten Hit "Your Song" weniger der Hilfeschrei, als den Elton John ihn im Nachhinein interpretiert, sondern eher einer von vielen lebensbedrohlichen Versuchen, mit denen Elton John immer wieder austestet, ob er sein Leben fortführenswert findet.
Eigentlich nicht, lautet lange sein Fazit. Bis auf die Musik. Sowie die Sucht. Und das Sammeln von Kunst, Platten und falschen Entscheidungen. Alles in allem also vielleicht doch, obwohl es manchmal unerträglich ist. Es dauert, bis der Künstler und Privatmann sich seine Existenz so eingerichtet hat, dass er die Frage nach dem Sinn des Lebens vollauf bejahen kann. Er, Elton John, 1947 als Reginald Dwight in London zur Welt gekommen, Kind miteinander unglücklicher Eltern, die niemals hätten heiraten sollen, wie ihr Sohn meint - eine letzte, die Möglichkeit der eigenen Existenz negierende Spur seines mangelnden Selbstvertrauens.
Die schwache Eigenidentität wirft er der Mutter und dem anderswo stationierten und daher meist abwesenden Soldatenvater vor, die für das Kind außer seelischer Kälte, Dauerkritik, Nörgelei und Bestrafungen nur wenig übrighaben. "Ich" hat Elton John seine Autobiographie genannt, "Me" im Original. Gemeint ist das, jenseits des Marketinggedankens von der Stärke, die in der Einfachheit liegt, auch als Bildungsroman: Wie aus Reginald Dwight John Elton wurde, dem es schließlich sogar gelang, sich mit Reginald Dwight auszusöhnen.
Dass der Titel siegreich auftrumpft, ist wohl auch dem Verfasser klar, der Humor besitzt und seinen Schwächen zwischen Entziehungskur und Lebenskrisen gründlich ins Auge gesehen hat. Der Ich-Triumph eines veritablen Meisters des Es, in Kunst und Leben, geht also völlig in Ordnung. Schwule Leser denken trotzdem an "Little Me", die erfundene Autobiographie des ruhmsüchtigen Starlets Belle Poitrine, die der amerikanische Schriftsteller Patrick Dennis 1961 zusammen mit seiner Frau, seinem Geliebten und zahlreichen Freunden zusammenstellte, um über die falsche Bescheidenheit egozentrischer Stars herzuziehen.
Elton Johns outriertes und von der Queen geadeltes Kunst-Ich ist ihm auf der langen Flucht vor Reggie Dwight allerdings sehr viel besser gelungen als der geborenen Maybelle Schlumpfert ihre nie ganz durch Erfolg beglaubigte Existenz als Belle. Auch seine Autobiographie ist gehaltvoller als die Lebenserinnerungen anderer zu Ruhm und Geld gekommener Menschen, gelegentlich nachdenklich, oft wirklich witzig.
Trotzdem merkt man auch ihr die Manufaktur für Popstar-Memoiren an: Lustiges, Bußfertiges, sattsam Bekanntes und verschwörerisch Enthülltes, dazwischen genreübliche Füllsel wie die langjährigen musikalischen Wegbegleiter, die in exakt einer Passage längere Würdigung erfahren, und die Fans seit langem bekannten Sternstunden, die unbedingt noch einmal vom Künstler selbst beschrieben werden müssen. Am echtesten ist das Buch in seiner ungewöhnlichen, dem Leben und dem Werk Elton Johns gleichermaßen eigenen Kombination von Massenappeal und Seltsamkeit, Geradlinigkeit und Schnörkeln, straight und queer.
Da ist einer, dessen Hits auf den britischen Inseln bei Familienfeiern von allen Gästen mitgegrölt werden können, so wie einst die Pub-Songs und Fußballgesänge, mit denen das Kind aus der Arbeiterklasse aufwuchs. Da ist andererseits der Fachmann für die spielerische Grenzübertretung in Männlichkeitsangelegenheiten, der früher, offener und eindeutiger nicht ganz von dieser heterosexuellen Welt war als Freddie Mercury, David Bowie oder etwas später George Michael.
Federn, Brillen, Strass, Kostüme: Was für ein unterhaltsamer, aber mutiger Pionier er war, macht ein Blick auf die Begeisterung klar, die Leon Dame vor wenigen Wochen in den sozialen Medien auslöste, als er für John Galliano die Maison-Margiela-Schau in Paris damit beschloss, als Mann in High Heels über den Catwalk zu marschieren. Es war für viele offenbar noch immer ein Anlass, etwas willkommen Neuartiges zu bejubeln.
Elton John hat das Geschlechterrollenspiel schon gespielt, als es trotz Liberace, Lou Reed, Mick Jagger, Glam Rock und einer allgemeinen Neigung zum Übertreten von Grenzen auch in der unterhaltenden Musik noch keineswegs gewöhnlich war. Das exzellente Cover des ansonsten misslungenen Albums "A Single Man" zeigt ihn in schwarzem Mantelzweireiher mit Zylinder und Gehstock bereits 1978 auf hohen Damenabsätzen. Oben ganz britischer Gentleman, unten dazu Stöckelschuhe. Traditionelle Männlichkeit auf tönernen Füßen, gekonnt ausbalanciert auf starker Weiblichkeit. Und das alles auf dem Long Walk vor den Türmen von Windsor Castle, nahe dem Herzen der Establishment-Macht, mit der er später rund um Diana, Prinzessin von Wales, so viel zu tun hatte.
Leider ist "Ich" weniger komplex als das genau durchdachte Albumcover. Dahingeplaudert, oft amüsant und anrührend, die Übersetzung von Satzbau und Wortschatz des englischen Originals zu wenig gelöst. Was vorkommen muss, kommt vor - der Klavierspieler, Komponist und Entertainer, sein Texter Bernie Taupin, sein Liebhaber und Manager John Reid. Vieles wird abgehakt, anderes über Gebühr ausgewalzt. Vor allem dem Porträt der Mutter, das viel andernorts Vorgebrachtes wiederholt, ist anzumerken, dass "Ich" nach Dexter Fletchers in diesem Frühjahr uraufgeführtem Film "Rocketman" schon der zweite Teil eines Versuchs ist, nun endgültig eine vom Künstler selbst kontrollierte kanonische Version seines Lebens zu lancieren. Das Evangelium, vom Herrn selbst erzählt. Mit Wundergeschichten wie dem frühen Erfolg in den Vereinigten Staaten und Passionsberichten rund um Drogen und Selbstmordversuche, die er viel zu wenig mit den Anstrengungen in Verbindung bringt, die es ihn gekostet haben muss, ein Leben aus Ausrasten und Durchhalten, Innovation und Normalität gleichermaßen zu formen. Gelegentlich steht er selbst verwundert und staunend davor, Ehemann eines Mannes, Vater zweier Kinder. Zwei Dinge, die er sich noch vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können.
Warum er an Diana und Gianni Versace, einem besonders engen Freund, auch ihre Neigung zu Klatsch und Tratsch liebte, machen die Anekdoten klar, die er selbst mit großer Freude einstreut. Katharine Hepburn kommt vorbei, um in seinem Pool zu schwimmen, findet einen toten Frosch im Wasser und wirft ihn mit beiden Händen hinaus. Wie sie das geschafft habe, fragt Elton John sie angeekelt: "Charakter, junger Mann."
Ein weiteres Erlebnis findet hoffentlich noch Eingang in die Drehbücher der vierten Staffel von "The Crown", die derzeit gedreht wird. Die Königin bittet ihren Neffen Viscount Linley auf einer Party, nach seiner Schwester Lady Sarah zu sehen, die sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hat. Als er nicht will, tätschelt sie ihm zwischen ihren Worten immer wieder nachdrücklich die Wange: "Leg dich nicht mit mir an, ich bin die Königin." Elton John hält fest: "Als sie sich von ihm abwandte, sah sie, wie ich sie anstarrte, zwinkerte mir zu und ging davon." Majestäten unter sich.
FLORIAN BALKE
Elton John: "Ich". Die Autobiografie. Aus dem Englischen von Harriet Fricke, Stephan Glietsch und Torsten Groß. Heyne Verlag, München 2019.
496 S., Abb., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2020Leben ist nicht alles
Popstar Elton John hat seine Autobiografie geschrieben beziehungsweise schreiben lassen:
„Ich“ ist eine Achterbahnfahrt in Buchform zwischen Schelmenroman und Eigenurintherapie
JOACHIM HENTSCHEL
Einmal bat Elton John seine Plattenfirma, für ihn das Wetter zu ändern. Das war im Herbst 1988, da wohnte der Sänger und Superpopstar vorübergehend im Royal-Inn-Hotel am Victoria Park in London. Sein Landsitz in Berkshire wurde gerade von Sotheby’s-Mitarbeitern entrümpelt, für eine Show-Versteigerung des Hausrats (die am Ende 8,2 Millionen Dollar bringen sollte).
Elton John schnupfte zu der Zeit sehr viel Kokain, trank viel, litt unter Bulimie. Nachts lag er wach, weil der Wind vor seinem Fenster so laut heulte. Wie hilft man sich da? Anstatt an der Hotelrezeption zu fragen, ob es nicht ein anderes Zimmer für ihn gäbe, wählte er den direkteren Weg: Er rief bei seinem Plattenlabel Rocket Records an. Ob irgendwer bitte umgehend den Wind stoppen könne? Das Personal war nicht allzu überrascht, erklärte den Boss trotzdem vorläufig für verrückt. Niemand versuchte, den Befehl auszuführen.
Die Geschichte ist in Elton Johns neuem Memoirenbuch „Ich“ zu lesen (Heyne Verlag, 496 Seiten, 26 Euro), im zweiten Drittel, der dramaturgischen Komplikation, und wer jemals selbst auch nur ein bisschen jung, unbesorgt und zügellos war – für den wird sie vertraut klingen, dem werden vergleichbare Anekdoten aus dem eigenen Leben einfallen.
Die Mythenschreibung tut zwar gern so, aber man muss ganz sicher kein Millionär, Exzentriker oder notariell beglaubigter Knallkopf sein, um solche bedröhnten Klingelstreiche zu spielen. Viele Menschen haben schon mal im Rausch nette Menschen beleidigt, irgendwas kaputtgemacht oder Geld ausgegeben, das sie besser hätten behalten sollen.
Der Unterschied: Wer als Zivilist soziale Anerkennung will, wird solche Episoden nie in den offiziellen Lebenslauf aufnehmen. Nicht nur, weil sie ihm vor anderen peinlich sein könnten. Sondern weil man in der Regel davon ausgeht, dass der nächtliche Exzess gerade nicht das repräsentiert, was einen als Person gesellschaftlich wirklich ausmacht. Bürgertum und Arbeiterklasse definieren sich im Zweifel über ihren Status, ihre Arbeit, ihr Netzwerk. Verschwendung und Müßiggang, Kokain, teurer Kitsch und blödsinnige Wetteranrufe am frühen Morgen, das alles gilt eher als adlige Selbstrechtfertigung. Oder eben als künstlerische.
Man kennt die Mechanik seit Jahren: Bücher aus der autobiografischen Schwemme, ob von kapitalen Gestalten wie Patti Smith, Keith Richards oder Bruce Springsteen, latent Interessanten wie Otto Waalkes oder Boulevard-Schockgeistern wie Dieter Bohlen, werden im ersten Zug nach Exzess-Neuigkeiten abgeklopft und an ihnen entlang beworben. Von „Beichten“ ist dann oft die Rede, als ob es Prominente und Ghostwriter geradezu heilsgeschichtlich drängen würde, Sex- und Drogenerinnerungen via Niederschrift loszuwerden. Über die Werke und schöpferischen Tätigkeiten erfährt man meist wenig. In der nicht-bürgerlichen Autobiografie werden sie quasi als bekannt vorausgesetzt.
Wie ist das bei Elton John? Seit den späten Sechzigerjahren ist er (abwechselnd und oft auch gleichzeitig) als Suppenkasper und musikalischer Großmeister bekannt, im Alter von 72 steht er heute mit rund 250 Millionen Platten- und Downloadverkäufen in der Liste der erfolgreichsten Popmusiker auf Platz fünf.
Und 2019 war das bislang intensivste Jahr seiner Selbstarchivierung, der Art von historisch-unkritischer Eigenurintherapie, mit der die meisten überlebenden Vertreter der klassischen Pop-Gründungsära heute ihren Ruhm pflegen.
Im Mai startete „Rocketman“, ein von John und seinem Ehemann David Furnish selbst entwickelter und koproduzierter Biografiespielfilm, der bisher fast 200 Millionen Dollar einspielte. Für die weltumspannende Konzerttour „Farewell Yellow Brick Road“, die Ende 2018 als Bühnenabschied und Lebensbilanz begann, standen 2019 mehr als 100 Konzerte auf dem Plan (2020 werden es noch einmal so viele, im Herbst in Deutschland).
Das Buch „Ich“ hat in dieser autobiografischen Rundum-Konstellation nun den Kreis geschlossen, mit feurig guten Kritiken, dazu exzellenten Verkaufszahlen. Tatsächlich geschrieben hat es Alexis Petridis, der Musikkritiker des Guardian, denn Elton John ist bekanntlich kein Mann des Wortes. Wobei sein einziger selbstverfasster Songtext gar nicht mal übel ist, er ist zu hören in „Song For Guy“, 1978, und besteht aus drei Worten: „Life isn’t everything“.
Und obwohl die fast 500 Seiten selbstverständlich genug Bilder und Blitzgeschichten zum post-adligen Exzentrikdiskurs bieten, von bizarren Treffen mit Queen Elizabeth II. oder Sylvester Stallone über rätselhafte Auftritte im Ronald-McDonald-Kostüm bis zu einer noch rätselhafteren Fahrt, auf der Stevie Wonder einen Schneepflug steuert: Der mit Abstand reizendste Teil von Elton Johns Buch ist der Anfang, die Zeit vor dem Erfolg, die Schilderung der Lehr- und Wanderjahre im London der frühen Sechziger.
Der Soldatensohn startet mit elf ins akademische Klavierstudium, tritt schon mit 15 in wüsten Pubs auf. Beginnt zunächst eine Karriere als bestens ausgebildeter, aber ohne jedes Privileg schuftender Musikarbeiter: als Kaffeekocher und Notenkopierer in Musikverlagen, nach Stundenzettel bezahlter Leihpianist für Studioaufnahmen, Bühnenmusiker für alternde US-Soulstars, die ohne eigene Band auf Englandtour geschickt werden. „Singen und Klavier spielen konnte ich zwar, aber ich hatte nicht das Zeug zum Popstar“, schreiben John und Petridis dazu. Trotzdem haben sie die frühe Phase nicht etwa als wehleidiges Wartezimmer-zum-Glück-Märchen inszeniert (wie im „Rocketman“-Film), sondern als rasanten, detailliert erzählten, situationskomischen Schelmenroman, voller Tätigkeit und tapfer erkämpfter Selbstverortung. Die ersten 100 Seiten von „Ich“ sind locker das Beste, was der Autobiografie-Boom der letzten Zeit hergegeben hat.
Ganz zum Schluss, das dürfte ohnehin bekannt sein, kämpft der Protagonist sich aus dem Abgrund von Sucht und Realitätsverlust zur Vorbildfigur hoch; wird zum identitätspolitischen Aktivisten, zum Mentor, der prominenten Leidgenossen wie dem Rapper Eminem weise beisteht.
Was zwar für alle Beteiligten schön ist, aber ein ernstes literaturwissenschaftliches Problem auslöst. Ist Elton Johns Autobiografie nun ein Entwicklungsroman, eine Fin-de-Siècle-Dekadenznovelle mit angehängtem Happy End oder eine passagenweise überraschend todesnahe Eulenspiegelei? Sicher sagen kann man nur eines: Auf jeden Fall stellt dieses große Buch ein letztes Fanal des alten, prä-digitalen Rock’n’Roll-Narrativs dar. Der eine oder andere Nachzügler könnte in den nächsten Jahren noch folgen, aber irgendwann beginnt eine neue Geschichtsschreibung. Schon Madonna oder Pharrell Williams, erst recht Billie Eilish oder Taylor Swift werden die Handlungsstränge ihrer Autobiografien völlig anders erzählen. Falls man das im Jahr 2049 überhaupt noch macht.
Zur Aufklärung historischer Missverständnisse sind solche Bücher allemal gut. So erzählt Elton John über die Beerdigung von Gianni Versace im Juli 1997. Danach ging ein Foto durch die Agenturen, auf dem sich Lady Diana tröstend zum weinenden John herunterbeugt. Nun stellt er klar: Die Ex-Prinzessin hatte sich lediglich nach einem Pfefferminzbonbon gebückt. Geschichte ist immer ein Konstrukt, da haben wir’s wieder.
Seit den Sechzigerjahren ist er
abwechselnd als Suppenkasper
und Großmeister unterwegs
John ist kein Mann der Worte,
das Buch hat der Musikkritiker
des „Guardian“ für ihn verfasst
Nein, die Prinzessin habe ihn
nicht trösten wollen, sondern
lediglich ein Bonbon gesucht
Mit 250 Millionen Platten- und Downloadverkäufen
steht Elton John in der Liste der
erfolgreichsten Popmusiker auf Platz fünf. Foto: Getty
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Popstar Elton John hat seine Autobiografie geschrieben beziehungsweise schreiben lassen:
„Ich“ ist eine Achterbahnfahrt in Buchform zwischen Schelmenroman und Eigenurintherapie
JOACHIM HENTSCHEL
Einmal bat Elton John seine Plattenfirma, für ihn das Wetter zu ändern. Das war im Herbst 1988, da wohnte der Sänger und Superpopstar vorübergehend im Royal-Inn-Hotel am Victoria Park in London. Sein Landsitz in Berkshire wurde gerade von Sotheby’s-Mitarbeitern entrümpelt, für eine Show-Versteigerung des Hausrats (die am Ende 8,2 Millionen Dollar bringen sollte).
Elton John schnupfte zu der Zeit sehr viel Kokain, trank viel, litt unter Bulimie. Nachts lag er wach, weil der Wind vor seinem Fenster so laut heulte. Wie hilft man sich da? Anstatt an der Hotelrezeption zu fragen, ob es nicht ein anderes Zimmer für ihn gäbe, wählte er den direkteren Weg: Er rief bei seinem Plattenlabel Rocket Records an. Ob irgendwer bitte umgehend den Wind stoppen könne? Das Personal war nicht allzu überrascht, erklärte den Boss trotzdem vorläufig für verrückt. Niemand versuchte, den Befehl auszuführen.
Die Geschichte ist in Elton Johns neuem Memoirenbuch „Ich“ zu lesen (Heyne Verlag, 496 Seiten, 26 Euro), im zweiten Drittel, der dramaturgischen Komplikation, und wer jemals selbst auch nur ein bisschen jung, unbesorgt und zügellos war – für den wird sie vertraut klingen, dem werden vergleichbare Anekdoten aus dem eigenen Leben einfallen.
Die Mythenschreibung tut zwar gern so, aber man muss ganz sicher kein Millionär, Exzentriker oder notariell beglaubigter Knallkopf sein, um solche bedröhnten Klingelstreiche zu spielen. Viele Menschen haben schon mal im Rausch nette Menschen beleidigt, irgendwas kaputtgemacht oder Geld ausgegeben, das sie besser hätten behalten sollen.
Der Unterschied: Wer als Zivilist soziale Anerkennung will, wird solche Episoden nie in den offiziellen Lebenslauf aufnehmen. Nicht nur, weil sie ihm vor anderen peinlich sein könnten. Sondern weil man in der Regel davon ausgeht, dass der nächtliche Exzess gerade nicht das repräsentiert, was einen als Person gesellschaftlich wirklich ausmacht. Bürgertum und Arbeiterklasse definieren sich im Zweifel über ihren Status, ihre Arbeit, ihr Netzwerk. Verschwendung und Müßiggang, Kokain, teurer Kitsch und blödsinnige Wetteranrufe am frühen Morgen, das alles gilt eher als adlige Selbstrechtfertigung. Oder eben als künstlerische.
Man kennt die Mechanik seit Jahren: Bücher aus der autobiografischen Schwemme, ob von kapitalen Gestalten wie Patti Smith, Keith Richards oder Bruce Springsteen, latent Interessanten wie Otto Waalkes oder Boulevard-Schockgeistern wie Dieter Bohlen, werden im ersten Zug nach Exzess-Neuigkeiten abgeklopft und an ihnen entlang beworben. Von „Beichten“ ist dann oft die Rede, als ob es Prominente und Ghostwriter geradezu heilsgeschichtlich drängen würde, Sex- und Drogenerinnerungen via Niederschrift loszuwerden. Über die Werke und schöpferischen Tätigkeiten erfährt man meist wenig. In der nicht-bürgerlichen Autobiografie werden sie quasi als bekannt vorausgesetzt.
Wie ist das bei Elton John? Seit den späten Sechzigerjahren ist er (abwechselnd und oft auch gleichzeitig) als Suppenkasper und musikalischer Großmeister bekannt, im Alter von 72 steht er heute mit rund 250 Millionen Platten- und Downloadverkäufen in der Liste der erfolgreichsten Popmusiker auf Platz fünf.
Und 2019 war das bislang intensivste Jahr seiner Selbstarchivierung, der Art von historisch-unkritischer Eigenurintherapie, mit der die meisten überlebenden Vertreter der klassischen Pop-Gründungsära heute ihren Ruhm pflegen.
Im Mai startete „Rocketman“, ein von John und seinem Ehemann David Furnish selbst entwickelter und koproduzierter Biografiespielfilm, der bisher fast 200 Millionen Dollar einspielte. Für die weltumspannende Konzerttour „Farewell Yellow Brick Road“, die Ende 2018 als Bühnenabschied und Lebensbilanz begann, standen 2019 mehr als 100 Konzerte auf dem Plan (2020 werden es noch einmal so viele, im Herbst in Deutschland).
Das Buch „Ich“ hat in dieser autobiografischen Rundum-Konstellation nun den Kreis geschlossen, mit feurig guten Kritiken, dazu exzellenten Verkaufszahlen. Tatsächlich geschrieben hat es Alexis Petridis, der Musikkritiker des Guardian, denn Elton John ist bekanntlich kein Mann des Wortes. Wobei sein einziger selbstverfasster Songtext gar nicht mal übel ist, er ist zu hören in „Song For Guy“, 1978, und besteht aus drei Worten: „Life isn’t everything“.
Und obwohl die fast 500 Seiten selbstverständlich genug Bilder und Blitzgeschichten zum post-adligen Exzentrikdiskurs bieten, von bizarren Treffen mit Queen Elizabeth II. oder Sylvester Stallone über rätselhafte Auftritte im Ronald-McDonald-Kostüm bis zu einer noch rätselhafteren Fahrt, auf der Stevie Wonder einen Schneepflug steuert: Der mit Abstand reizendste Teil von Elton Johns Buch ist der Anfang, die Zeit vor dem Erfolg, die Schilderung der Lehr- und Wanderjahre im London der frühen Sechziger.
Der Soldatensohn startet mit elf ins akademische Klavierstudium, tritt schon mit 15 in wüsten Pubs auf. Beginnt zunächst eine Karriere als bestens ausgebildeter, aber ohne jedes Privileg schuftender Musikarbeiter: als Kaffeekocher und Notenkopierer in Musikverlagen, nach Stundenzettel bezahlter Leihpianist für Studioaufnahmen, Bühnenmusiker für alternde US-Soulstars, die ohne eigene Band auf Englandtour geschickt werden. „Singen und Klavier spielen konnte ich zwar, aber ich hatte nicht das Zeug zum Popstar“, schreiben John und Petridis dazu. Trotzdem haben sie die frühe Phase nicht etwa als wehleidiges Wartezimmer-zum-Glück-Märchen inszeniert (wie im „Rocketman“-Film), sondern als rasanten, detailliert erzählten, situationskomischen Schelmenroman, voller Tätigkeit und tapfer erkämpfter Selbstverortung. Die ersten 100 Seiten von „Ich“ sind locker das Beste, was der Autobiografie-Boom der letzten Zeit hergegeben hat.
Ganz zum Schluss, das dürfte ohnehin bekannt sein, kämpft der Protagonist sich aus dem Abgrund von Sucht und Realitätsverlust zur Vorbildfigur hoch; wird zum identitätspolitischen Aktivisten, zum Mentor, der prominenten Leidgenossen wie dem Rapper Eminem weise beisteht.
Was zwar für alle Beteiligten schön ist, aber ein ernstes literaturwissenschaftliches Problem auslöst. Ist Elton Johns Autobiografie nun ein Entwicklungsroman, eine Fin-de-Siècle-Dekadenznovelle mit angehängtem Happy End oder eine passagenweise überraschend todesnahe Eulenspiegelei? Sicher sagen kann man nur eines: Auf jeden Fall stellt dieses große Buch ein letztes Fanal des alten, prä-digitalen Rock’n’Roll-Narrativs dar. Der eine oder andere Nachzügler könnte in den nächsten Jahren noch folgen, aber irgendwann beginnt eine neue Geschichtsschreibung. Schon Madonna oder Pharrell Williams, erst recht Billie Eilish oder Taylor Swift werden die Handlungsstränge ihrer Autobiografien völlig anders erzählen. Falls man das im Jahr 2049 überhaupt noch macht.
Zur Aufklärung historischer Missverständnisse sind solche Bücher allemal gut. So erzählt Elton John über die Beerdigung von Gianni Versace im Juli 1997. Danach ging ein Foto durch die Agenturen, auf dem sich Lady Diana tröstend zum weinenden John herunterbeugt. Nun stellt er klar: Die Ex-Prinzessin hatte sich lediglich nach einem Pfefferminzbonbon gebückt. Geschichte ist immer ein Konstrukt, da haben wir’s wieder.
Seit den Sechzigerjahren ist er
abwechselnd als Suppenkasper
und Großmeister unterwegs
John ist kein Mann der Worte,
das Buch hat der Musikkritiker
des „Guardian“ für ihn verfasst
Nein, die Prinzessin habe ihn
nicht trösten wollen, sondern
lediglich ein Bonbon gesucht
Mit 250 Millionen Platten- und Downloadverkäufen
steht Elton John in der Liste der
erfolgreichsten Popmusiker auf Platz fünf. Foto: Getty
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»Die ersten 100 Seiten von "Ich" sind locker das Beste, was der Autobiografie-Boom der letzten Zeit hergegeben hat« Süddeutsche Zeitung