Alles beginnt mit der Geburt, aber »niemand kommt auf die welt / und weiß wie es geht«. Nur der Arzt sagt gleich, sie sei zu Großem imstande, und meint damit den Hunger. Und so ist ihr eigener Körper von Beginn an Krisen- und Kriegsgebiet. Umso mehr, als er später auf einer Toilette in Versailles das erste Mal plötzlich blutet. Ein Ort der Liebe und des Schmerzes, der Sehnsucht und der Heilung – der (Ur-)Sehnsucht nach einer Mutter vielleicht, »neben der einen die ich habe«.
Sirka Elspaß trifft in ihrem Debüt einen einzigartigen Ton zwischen Pop und Poesie, existenzieller Wucht und müheloser Leichtigkeit. Emotionale Verletzungen, Momente der Einsamkeit und psychische Krisen werden in glasklare, pointierte Bilder gefasst. So schön und so traurig, so herzergreifend und klug, auch weil die Autorin weiß: »niemand steht über den dingen / wir stehen alle mittendrin«.
Sirka Elspaß trifft in ihrem Debüt einen einzigartigen Ton zwischen Pop und Poesie, existenzieller Wucht und müheloser Leichtigkeit. Emotionale Verletzungen, Momente der Einsamkeit und psychische Krisen werden in glasklare, pointierte Bilder gefasst. So schön und so traurig, so herzergreifend und klug, auch weil die Autorin weiß: »niemand steht über den dingen / wir stehen alle mittendrin«.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die "Geburt der Poesie aus Verzweiflung" erlebt der beeindruckte Rezensent Christian Metz in Sirka Elspaß' Lyrikdebüt. Fasziniert verfolgt er, wie die Lyrikerin ihre Sprache rhythmisiert und zum Klingen bringt, wenn sie sich den Schwierigkeiten des Lebens, der Einsamkeit und des In-der-Welt-Seins widmet. Auch auf die Suche nach dem Ursprungsschmerz begebe sich Elspaß in den Gedichtzyklen "Mutter I und II", bei denen der Rezensent Ähnlichkeiten etwa zu Uljana Wolf feststellt. Manchmal stolpert Metz über ungewohnte Formulierung, ist aber im ganzen froh über die intensiven Sprachbilder, die die Autorin entfaltet, und die, da ist er sich sicher, ihr zu einer autonomen Position im lyrischen Feld verhelfen werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2022Woher weiß die Schmerztablette, wo es wehtut?
Nach der Geburt dieser Poesie aus der Verzweiflung gibt es kein Halten mehr: Das Lyrikdebüt "ich föhne mir meine wimpern" von Sirka Elspaß
Es hat einen besonderen Zauber, ein literarisches Debüt aufzuschlagen und die tastenden Schritte in eine unbekannte poetische Welt zu wagen. Der Titel von Sirka Elspaß' erstem Gedichtband hat schon mal was: "ich föhne mir meine wimpern" - was für eigenwillige Haarpflegetechnik. Kategorie: Brigitte Kronauers "Die Tricks der Diva". Die geföhnte Wimpernwelle soll aber nicht den Blick dafür verstellen, dass es in diesem Debüt gleichsam ab ovo um alles geht. Der Band beginnt mit einer signifikanten Geburtsszene: "als ich geboren werde / erschrecke ich mich vor meiner eigenen Stimme". Das mögliche Eine hat sich, als es passiv auf die Welt kommt, ausgelöst durch den Schockmoment vor sich selbst (nicht vor der Welt), verzweigt, entzweit, verzweifelt, um nie mehr zusammenzukommen. Wie das Neugeborene, so der Text. Das zweigeteilte Eröffnungsgedicht mutet an wie ein Ginkgo-Blatt, dessen Adern ihren gemeinsamen Ausgangs- und Knotenpunkt verloren haben. Ein verdrehter Beginn? Um solch ein Quer-in-der-Welt-Stehen geht es in diesem Debüt. Daher leuchten schon aus dem Geburtstext Sätze hervor wie: "ich habe mein krafttier gefunden / es ist ein grinsender hotdog". Oder der Schwur verletzlicher Lieber: "ich will eine narbe die aussieht wie du".
Von dieser Geburt der Poesie aus Verzweiflung an gibt es kein Zurück und kein Halten mehr. Elspaß' Sprache fließt ohne Titel, ohne Punkt und Komma, ohne Groß- und Kleinschreibung. Ausnahme: Die Leser werden aufs Höflichste mit einem großgeschriebenen "Sie" angeredet. Lektüre indes heißt hier: Arbeit an der Unterbrechung, an der Entzweiung, um nicht vom Rhythmus und Klang des Sprachflusses davongetragen zu werden. Die Gefahr, davonzudriften, einerseits, der Sog der Schwerkraft nach unten andererseits bilden die Grundvektoren dieser poetischen Welt.
Mit der Inszenierung von Einsamkeit und Depression schließen die Gedichte direkt an jene Instagram-Posts über ihren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik an, mit denen Elspaß erstmals einer größeren literarischen Öffentlichkeit bekannt wurde. Als wäre der Einzelne ein Geburtsopfer, muss er in einem täglichen Kampf wider die Zumutungen des Lebens bestehen: "es ist sommer und die einsamkeit / drückt so sehr dass ich beides versuche / verschwinden und groß werden". Physiologisch gewendet: "einen körper zu haben bedeutet enorme verantwortung". Kommt man ihr nicht nach, droht die Selbstaufgabe: "jede von uns kann eine geschichte davon erzählen / was es heißt so wenig raum wie möglich / einzunehmen". Oder eine ungeheure Wut baut sich auf: "wenn ich diese leine nicht hätte / würde mein herz jetzt / auf Sie losgehen". Keine spielerische Leichtigkeit, sondern eine spielerische Schwere durchzieht diese Verse.
Das Leiden an der Welt findet ihren Ausdruck in Formeln von: "es ist", "es ist auf einmal so hell", "es geht", "gibt es eine", "wenn es regnet", "es hat etwas", "es ist unmöglich". Zu diesem Es setzt sich das Ich in Beziehung: "es ist unmöglich / ich ziehe eine menge pullover übereinander an". "es gibt jetzt einen neuen trend bei instagram" und "ich mache alle diese dinge". Elspaß treibt das Spiel mit dem gestörten "Es" bis zu Versen an wie: "in der gruppe für menschen mit essstörung / spricht jemand einen toast aus / auf das leben". Es-Störungspoesie kennt keine Angst vor Kalauern. Das mag schmerzen, aber "Schmerzfragen" geht Elspaß mit größter Freude nach. Sie sucht nach extremer Einfachheit, die ihrerseits die Sachen kompliziert macht: "und woher weiß die schmerztablette wo es schmerzt". Vielleicht entfaltet sich aus dieser Lust an der Simplizität eine neue poetische Tendenz, die auf ihre Weise an so voraussetzungsreiche, theorieversierte poetische Denken einer Monika Rinck oder eines Daniel Falb anschließt.
In diesem Sog der Verse könnte es nun immer weitergehen. Doch Elspaß setzt dieser Strömung eine zweite Zirkulation entgegen: Der zweite und vierte Zyklus, "Mutter I" und Mutter II", führen zurück zu den Ursprungsfragen des ersten Gedichts. Elspaß' Muttertexte korrespondieren auf höchst interessante Weise mit den aktuellen Mutter-Inszenierungen anderer Dichterinnen: Uljana Wolf etwa schreibt in ihrem "Muttertask" (familienähnlich zu Elspaß' Verzweiflungs-Schrei) wider die Stereotype an, die mit dem Konzept der vermeintlich einen Muttersprache verbunden seien. Und Sibylla Vricic Hausmann eröffnet in ihrem gerade erscheinenden Band "meine Faust" ihre poetische Welt mit den Sätzen "ich (aber) sage: meine Mütter sind streng, das riecht man". Um sofort folgen zu lassen: "ich wurde einmal geboren. doch ich war meinen Müttern nicht schön genug für die Liebe."
Alle drei poetischen Entwürfe weiblicher Genealogie schlagen einen skeptischen Ton an, wenn jetzt ihrerseits Sirka Elspaß ihre Gedichte vom "Mutter crash" aus entfaltet, bei dem die Muttersprache ins Stottern gerät: "NO NO NO NO NA / türlich crashen wir". Trotz des Versuchs "mich / an einer bruchstelle / anzulehnen", geht die Beziehung vor die Hunde: "zwischenmenschliche beziehungen sind / mein endgegner / who's next / to dog me around / sind Sie es / is it me // dabei ist alles was ich suche eine mutter / neben der einen die ich habe". Bei Müttern aber gilt dasselbe eiserne Gesetz, das sonst nur beim christlichen Gott durchschlägt: Du kannst nur eine haben. Da bleibt nur Seufzen: "ach mutter / ich entschuldige mich".
Elspaß schafft eindringliche Affektbilder, um deren Konzeption zugleich kritisch zu hinterfragen: "die tränen einfach laufen lassen / ist auch so ein abgefahrenes konzept / das ich lange nicht verstanden habe". Sprache, Tränen, Emotionen, Beziehungen befinden sich im Fluss: "ich muss an einen sturzbach denken / der auch nicht um erlaubnis fragt like / excuse me please can I be me". Es gibt ein paar Winzigkeiten in diesem Band, die einen stolpern lassen. Aber diese Haarspalter- statt Wimpernföhnerfragen ändern nichts daran, dass mit Sirka Elspaß' Debüt die aktuelle poetische Vielfalt um eine beeindruckend eigenständige Stimme reicher geworden ist. CHRISTIAN METZ
Sirka Elspaß: "ich föhne mir meine wimpern". Gedichte.
Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 80 S. geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach der Geburt dieser Poesie aus der Verzweiflung gibt es kein Halten mehr: Das Lyrikdebüt "ich föhne mir meine wimpern" von Sirka Elspaß
Es hat einen besonderen Zauber, ein literarisches Debüt aufzuschlagen und die tastenden Schritte in eine unbekannte poetische Welt zu wagen. Der Titel von Sirka Elspaß' erstem Gedichtband hat schon mal was: "ich föhne mir meine wimpern" - was für eigenwillige Haarpflegetechnik. Kategorie: Brigitte Kronauers "Die Tricks der Diva". Die geföhnte Wimpernwelle soll aber nicht den Blick dafür verstellen, dass es in diesem Debüt gleichsam ab ovo um alles geht. Der Band beginnt mit einer signifikanten Geburtsszene: "als ich geboren werde / erschrecke ich mich vor meiner eigenen Stimme". Das mögliche Eine hat sich, als es passiv auf die Welt kommt, ausgelöst durch den Schockmoment vor sich selbst (nicht vor der Welt), verzweigt, entzweit, verzweifelt, um nie mehr zusammenzukommen. Wie das Neugeborene, so der Text. Das zweigeteilte Eröffnungsgedicht mutet an wie ein Ginkgo-Blatt, dessen Adern ihren gemeinsamen Ausgangs- und Knotenpunkt verloren haben. Ein verdrehter Beginn? Um solch ein Quer-in-der-Welt-Stehen geht es in diesem Debüt. Daher leuchten schon aus dem Geburtstext Sätze hervor wie: "ich habe mein krafttier gefunden / es ist ein grinsender hotdog". Oder der Schwur verletzlicher Lieber: "ich will eine narbe die aussieht wie du".
Von dieser Geburt der Poesie aus Verzweiflung an gibt es kein Zurück und kein Halten mehr. Elspaß' Sprache fließt ohne Titel, ohne Punkt und Komma, ohne Groß- und Kleinschreibung. Ausnahme: Die Leser werden aufs Höflichste mit einem großgeschriebenen "Sie" angeredet. Lektüre indes heißt hier: Arbeit an der Unterbrechung, an der Entzweiung, um nicht vom Rhythmus und Klang des Sprachflusses davongetragen zu werden. Die Gefahr, davonzudriften, einerseits, der Sog der Schwerkraft nach unten andererseits bilden die Grundvektoren dieser poetischen Welt.
Mit der Inszenierung von Einsamkeit und Depression schließen die Gedichte direkt an jene Instagram-Posts über ihren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik an, mit denen Elspaß erstmals einer größeren literarischen Öffentlichkeit bekannt wurde. Als wäre der Einzelne ein Geburtsopfer, muss er in einem täglichen Kampf wider die Zumutungen des Lebens bestehen: "es ist sommer und die einsamkeit / drückt so sehr dass ich beides versuche / verschwinden und groß werden". Physiologisch gewendet: "einen körper zu haben bedeutet enorme verantwortung". Kommt man ihr nicht nach, droht die Selbstaufgabe: "jede von uns kann eine geschichte davon erzählen / was es heißt so wenig raum wie möglich / einzunehmen". Oder eine ungeheure Wut baut sich auf: "wenn ich diese leine nicht hätte / würde mein herz jetzt / auf Sie losgehen". Keine spielerische Leichtigkeit, sondern eine spielerische Schwere durchzieht diese Verse.
Das Leiden an der Welt findet ihren Ausdruck in Formeln von: "es ist", "es ist auf einmal so hell", "es geht", "gibt es eine", "wenn es regnet", "es hat etwas", "es ist unmöglich". Zu diesem Es setzt sich das Ich in Beziehung: "es ist unmöglich / ich ziehe eine menge pullover übereinander an". "es gibt jetzt einen neuen trend bei instagram" und "ich mache alle diese dinge". Elspaß treibt das Spiel mit dem gestörten "Es" bis zu Versen an wie: "in der gruppe für menschen mit essstörung / spricht jemand einen toast aus / auf das leben". Es-Störungspoesie kennt keine Angst vor Kalauern. Das mag schmerzen, aber "Schmerzfragen" geht Elspaß mit größter Freude nach. Sie sucht nach extremer Einfachheit, die ihrerseits die Sachen kompliziert macht: "und woher weiß die schmerztablette wo es schmerzt". Vielleicht entfaltet sich aus dieser Lust an der Simplizität eine neue poetische Tendenz, die auf ihre Weise an so voraussetzungsreiche, theorieversierte poetische Denken einer Monika Rinck oder eines Daniel Falb anschließt.
In diesem Sog der Verse könnte es nun immer weitergehen. Doch Elspaß setzt dieser Strömung eine zweite Zirkulation entgegen: Der zweite und vierte Zyklus, "Mutter I" und Mutter II", führen zurück zu den Ursprungsfragen des ersten Gedichts. Elspaß' Muttertexte korrespondieren auf höchst interessante Weise mit den aktuellen Mutter-Inszenierungen anderer Dichterinnen: Uljana Wolf etwa schreibt in ihrem "Muttertask" (familienähnlich zu Elspaß' Verzweiflungs-Schrei) wider die Stereotype an, die mit dem Konzept der vermeintlich einen Muttersprache verbunden seien. Und Sibylla Vricic Hausmann eröffnet in ihrem gerade erscheinenden Band "meine Faust" ihre poetische Welt mit den Sätzen "ich (aber) sage: meine Mütter sind streng, das riecht man". Um sofort folgen zu lassen: "ich wurde einmal geboren. doch ich war meinen Müttern nicht schön genug für die Liebe."
Alle drei poetischen Entwürfe weiblicher Genealogie schlagen einen skeptischen Ton an, wenn jetzt ihrerseits Sirka Elspaß ihre Gedichte vom "Mutter crash" aus entfaltet, bei dem die Muttersprache ins Stottern gerät: "NO NO NO NO NA / türlich crashen wir". Trotz des Versuchs "mich / an einer bruchstelle / anzulehnen", geht die Beziehung vor die Hunde: "zwischenmenschliche beziehungen sind / mein endgegner / who's next / to dog me around / sind Sie es / is it me // dabei ist alles was ich suche eine mutter / neben der einen die ich habe". Bei Müttern aber gilt dasselbe eiserne Gesetz, das sonst nur beim christlichen Gott durchschlägt: Du kannst nur eine haben. Da bleibt nur Seufzen: "ach mutter / ich entschuldige mich".
Elspaß schafft eindringliche Affektbilder, um deren Konzeption zugleich kritisch zu hinterfragen: "die tränen einfach laufen lassen / ist auch so ein abgefahrenes konzept / das ich lange nicht verstanden habe". Sprache, Tränen, Emotionen, Beziehungen befinden sich im Fluss: "ich muss an einen sturzbach denken / der auch nicht um erlaubnis fragt like / excuse me please can I be me". Es gibt ein paar Winzigkeiten in diesem Band, die einen stolpern lassen. Aber diese Haarspalter- statt Wimpernföhnerfragen ändern nichts daran, dass mit Sirka Elspaß' Debüt die aktuelle poetische Vielfalt um eine beeindruckend eigenständige Stimme reicher geworden ist. CHRISTIAN METZ
Sirka Elspaß: "ich föhne mir meine wimpern". Gedichte.
Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 80 S. geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Elspaß schafft eindringliche Affektbilder, um deren Konzeption zugleich kritisch zu hinterfragen. ... Sprache Tränen, Emotionen, Beziehungen befinden sich im Fluss. ... Mit Elspaß' Debüt [ist] die aktuelle poetische Vielfalt um eine beeindruckend eigenständige Stimme reicher geworden.« Christian Metz Frankfurter Allgemeine Zeitung 20221210