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Ethnologin, Kriegsgegnerin
Therese von Bayern war eine ungewöhnliche, mutige
Frau – endlich gibt es eine Biographie über sie zu lesen
Als der greise Professor Max von Pettenkofer (1818-1901) am Ende des 19. Jahrhunderts empfahl, Prinzessin Therese von Bayern zum Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zu wählen, war dies etwas ganz Unerhörtes. Gelehrte Frauen wurden im Männerkosmos jener Tage weitgehend ignoriert. Der Zugang zu akademischen Weihen blieb ihnen verwehrt. Welche Berührungsängste damals herrschten, verraten alte Protokolle der Münchner Gelehrtenwelt, in denen geschrieben steht: „Es gibt, namentlich auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, Gegenstände wissenschaftlicher Forschung, bei deren eingehender Darstellung und Besprechung die Gegenwart von Frauen störend und beengend wirken müsste.“
Pettenkofer, der große Chemiker und Frauenversteher, ließ sich nicht beirren: Mit einem geschickt formulierten Antrag zog er die Mehrheit der Akademiemitglieder auf seine Seite und setzte ganz unerwartet die Aufnahme der Prinzessin in den wissenschaftlichen Ruhmestempel durch. Fünf Jahre später, im Dezember 1897, erlebte Therese die nächste Überraschung, die sie freilich aufgrund der ihr zugedachten Sonderrolle peinlich berührte. Wegen „glänzender, in vortrefflichen Büchern erwiesener Kenntnis auf dem Gebiet der Naturwissenschaft“ wurde sie als erste Frau zum Ehrendoktor der Universität München ernannt. Sechs Jahre später, 1903, erwirkte dann Thereses Vater, der im Königreich Bayern regierende Prinzregent Luitpold, dass Frauen endlich studieren durften.
So ungewöhnlich Thereses Auszeichnungen auch waren, so zwingend sind sie erfolgt. Es war schon damals unübersehbar, dass Therese Prinzessin von Bayern (1850-1925) zu den bemerkenswertesten Frauengestalten zählte, die das 19. Jahrhundert hervorbrachte. Umso rätselhafter erscheint es heute, warum sich lange Zeit niemand für ihre Lebensgeschichte interessiert hat. Diese kluge Frau, die ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht weit voraus war, hat in der Geschichtsschreibung kaum Spuren hinterlassen, mit einer Ausnahme: Seit April 2009 schmückt ihre Büste die Münchner Ruhmeshalle.
An Hinterlassenschaften mangelt es nicht, denn Therese deponierte all ihre Briefe und Tagebücher höchstselbst im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher in München. Vor sieben Jahren hat die Münchner Literaturwissenschaftlerin Hadumod Bußmann begonnen, diesen Nachlass zu sichten. Das war eine glückliche Fügung, denn das Ergebnis dieser Beschäftigung mit der Korrespondenz und den Tagebüchern der Prinzessin ist eine wissenschaftliche Biographie, die noch dazu ausgezeichnet lesbar ist. Das Buch profitiert sehr davon, dass Bußmann die aus Thereses Feder stammenden Quellen ausgiebig im Originalton reden lässt.
Therese von Bayern entsprach in keiner Weise den Erwartungen, die an eine Prinzessin im 19. Jahrhundert gestellt wurden. Sie war das, was man in ihrer Münchner Heimat einen Wildfang nennt: abenteuerlustig, unangepasst, voller Fernweh und Neugierde, später auch voller wissenschaftlichem Ehrgeiz. Sie bereiste Gegenden, in die bis dahin noch keine westliche Frau gelangt war. Sie drang in den tropischen Urwald vor, und in Russland landete sie einmal bei Schneeluft, nachdem sie ausgerutscht war, unfreiwillig im fast zugefrorenen Eismeer. Weder extreme Hitze noch Kälte, weder Lungenentzündung und Höhenkrankheit noch ein Rippenbruch konnten die unerschrockene Prinzessin auf ihren Reisen bremsen. Im Yosemite-Park fing sie einmal eine Klapperschlange. Therese war nicht davon abzuhalten, das noch lebende Tier „mit angespanntem Arm den Berg hinunter zu schleppen. Das Gewicht ließ nichts zu wünschen übrig“. Aber die Biographin hält Therese keineswegs nur wegen körperlicher und mutiger Höchstleistungen für eine der bemerkenswertesten Frauen der Moderne.
Als sich zeigte, dass Therese ihre Liebe zu Otto von Bayern, dem Bruder König Ludwigs II., infolge seiner Geisteskrankheit niemals würde leben können, schloss sie dieses für sie schmerzliche Kapitel ab und ging keine Männerbeziehung mehr ein. Mit 21 Jahren begann sie Europa und Nordafrika zu bereisen, wobei ihr zugutekam, dass sie zwölf Sprachen beherrschte. Im Jahr 1893 begab sich Therese von Bayern auf eine Studienreise durch Nordamerika. Trotz grandioser Natureindrücke und Begegnungen mit Indianerstämmen kann sich Therese weder mit den Vereinigten Staaten noch mit deren Sprache anfreunden. „In keinem anderen Land, das ich bereist“, so schreibt sie, „sind die Sitten so verschieden von den unseren wie hier.“
Auch erlebt sie allerhand Enttäuschungen: In der Stadt Mexico entreißt ihr ein Indianer im Gedränge Geld und Notizbuch. Sie schildert das recht unprätentiös: „Ich rang mit ihm, und als er sah, daß ich ihn nicht loslasse – meine gestählten Muskeln halfen mir –, streifte er die Jacke, an der ich ihn gepackt, über den Kopf und entfloh ohne derselben.“
Von ihren Reisen brachte Therese viele zoologische, botanische und ethnologische Objekte mit. Ihre ethnologischen Sammlungen befinden sich heute im Münchner Völkerkundemuseum. Der zoologische Nachlass wurde 1926 an die Zoologische Staatssammlung München übereignet, vieles wurde allerdings im Zweiten Weltkrieg zerstört. Sechs von ihr gesammelte Pflanzen sind mit ihrem Namen in die internationale botanische Nomenklatur eingegangen, indem sie zu ihrer lateinischen Gattungsbezeichnung den Zusatz „Theresiae“ erhielten. Dass Therese zu einer Idealisierung der Tropen neigte, hat nicht zuletzt mit der rasanten industriellen und technologischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts zu tun, die in vielen Kreisen zu einer verbreiteten Europa- und Zivilisationsmüdigkeit geführt hatte. Auch Therese hegte Vorbehalte gegen den ungestümen Fortschrittsglauben ihrer Zeit.
Eine für 1914 geplante Weltumrundung fiel dann dem Krieg zum Opfer. Mit ihrer politischen Überzeugung stand Therese von Bayern im krassen Widerspruch zur öffentlichen Meinung. Nationalismus und Kriegsbegeisterung widerten sie an: „Im übrigen schwieg ich und schluckte, schluckte bis zum Ersticken.“ Thereses verzweifelte Antikriegshaltung machte sie immer einsamer, ihre Tagebücher legen Zeugnis davon ab.
Diese Aufzeichnungen sind eine zeitgeschichtliche Fundgrube, das Themenspektrum reicht vom Deutsch-Französischen Krieg über Absetzung, Entmündigung und Tod Ludwigs II. und die Regierungszeit ihres Vaters Luitpold bis hin zum Weltkrieg und zum Ende der Monarchie. Sie zeigen aber auch das innere Ringen einer unkonventionellen adligen Intellektuellen, die in der falschen Zeit lebte, ihre Sehnsüchte und ihre psychischen Abstürze, gegen die selbst ein so reiches Leben nicht schützte. „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“, sagte Therese einigermaßen versöhnt auf dem Sterbebett. HANS KRATZER
HADUMOD BUSSMANN: Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese von Bayern. Verlag C. H. Beck, München 2011. 346 Seiten, 24,95 Euro.
Sie rang mit einem Taschendieb
in Mexiko: „Meine gestählten
Muskeln halfen mir.“
Forschungsreisende: Therese von Bayern (1850-1925) Foto: bpk
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