Ich gebe es ganz offen zu: ich habe Marcel Reich-Ranicki immer sehr zwiespältig gesehen und seine Kritiken waren mir immer viel zu absolut. Für mich lasen sich seine Texte meistens arrogant, überheblich und mit einem hohen Anspruch auf Richtigkeit. Wenn er schrieb, ein Buch sei schlecht, schien er
nie eine andere Meinung daneben zu dulden. Aber das ist nur meine Meinung.
Dennoch habe ich mich auf…mehrIch gebe es ganz offen zu: ich habe Marcel Reich-Ranicki immer sehr zwiespältig gesehen und seine Kritiken waren mir immer viel zu absolut. Für mich lasen sich seine Texte meistens arrogant, überheblich und mit einem hohen Anspruch auf Richtigkeit. Wenn er schrieb, ein Buch sei schlecht, schien er nie eine andere Meinung daneben zu dulden. Aber das ist nur meine Meinung.
Dennoch habe ich mich auf das Buch „Ich schreibe unentwegt ein Leben lang: Marcel Reich-Ranicki im Gespräch“ von Paul Assall gefreut. Denn ganz abgesehen von seinen Kritiken hat mich der Mensch Reich-Ranicki interessiert. Und ich wurde nicht enttäuscht. Das Gespräch zwischen den beiden fand 1985 statt. 35 Jahre lang lag der Tonbandmitschnitt in der Schublade des Autors, jetzt hat er ihn veröffentlicht.
Entstanden ist aus dem Gespräch eine Art Biografie, aber auch eine Betrachtung der Gesellschaft (obwohl Reich-Ranicki diesen Begriff ablehnte) und deren Wandel im Laufe seines Lebens. Und natürlich spielen Literatur und Literaturkritik eine große Rolle – in seinem Leben, daher natürlich auch im vorliegenden Buch. Aber auch Geschichte, Politik und ganz am Rand auch Gefühle finden ihren Platz.
Für Kenner von Marcel Reich-Ranicki bietet das Buch vermutlich nichts Neues. Seine Autobiografie „Mein Leben“ erschien schon 2000 und Uwe Wittstocks „Marcel Reich-Ranicki: Die Biografie“ 2015, darin ist vermutlich alles schon einmal gesagt worden. Da ich aber beide nicht kenne, war das Transpkript des Interviews von Paul Assall für mich interessant zu lesen, aufschlussreich und informativ. Und ich konnte bei jedem Satz Reich-Ranickis Stimme und Tonfall hören. Dazu seine wortgewaltigen und wohlformulierten Sätze – für mich war die Lektüre des Buchs trotz des zum Teil schwierigen und bedrückenden Inhalts ein Genuss. So erzählt er über seine Schulzeit, seine Deportation aus Berlin 1938, seine Zeit im Warschauer Ghetto und dann im Untergrund, streift aber auch kurz seine Zeit in London und dann seine Arbeit bei verschiedenen deutschen Zeitungen.
Alles in allem ist das Buch ein lesenswerter Kurz-Einblick in Reich-Ranickis Leben in seinen eigenen Worten. Denn seine Autobiografie war da noch in weiter Ferne, eigentlich wollte er ja nichts außer seinen Kritiken schreibe. „Ich muss Ihnen eins offen sagen: Ich habe nie im Leben ein Gedicht geschrieben, nie ein Drama, nie einen Roman. Ich wollte von Jugend an Kritiker werden. Ich habe dann einige Jahre anderes getan im Krieg und der ersten Nachkriegszeit, aber ich habe nie die Fähigkeit gespürt oder die Berufung, Romancier oder Lyriker zu sein. Warum nicht? Weil ich nicht die Begabung dazu habe. Kritiker haben oft genug die Menschheit mit ihren Romanen, Theaterstücken und Gedichten belästigt.“ Dennoch erschien später dann seine Autobiografie, die sicher sehr viel mehr Substanz beinhaltet, als der kurze Abriss, den das Interview bietet. Daher sehe ich es als eine Art gelungenen „Appetizer“, eine Vorspeise, die Lust auf mehr macht und vergebe 5 Sterne.