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"Hüsch ist der einzige Lyriker unter den deutschen Kabarettisten. Andere Kabarettisten machen Verse fürs Kabarett - Hüsch macht Kabarett für seine Verse. Wäre er schärfer und modernistischer, er wäre Enzensberger - wäre er altmodischer und idyllischer, wäre er Ringelnatz. Vor der Schärfe bewahrt ihn die Melancholie, vor dem Idyll der Intellekt: So ist er eine besondere Art von Lyriker, ein Anti-Kabarettist." [Quelle: Karl Günter Simon, Theater heute]

Produktbeschreibung
"Hüsch ist der einzige Lyriker unter den deutschen Kabarettisten. Andere Kabarettisten machen Verse fürs Kabarett - Hüsch macht Kabarett für seine Verse. Wäre er schärfer und modernistischer, er wäre Enzensberger - wäre er altmodischer und idyllischer, wäre er Ringelnatz. Vor der Schärfe bewahrt ihn die Melancholie, vor dem Idyll der Intellekt: So ist er eine besondere Art von Lyriker, ein Anti-Kabarettist." [Quelle: Karl Günter Simon, Theater heute]
Autorenporträt
Hanns Dieter Hüsch (1925-2005) war Schriftsteller, Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Synchronsprecher und Rundfunkmoderator. Mit über 53 Jahren auf deutschsprachigen Kabarettbühnen und 70 eigenen Programmen gilt er als einer der produktivsten und erfolgreichsten Vertreter des literarischen Kabaretts im Deutschland des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2017

Rosenkohlschnauze
Die Gesamtausgabe von Hanns Dieter Hüschs Texten

"Der Niederrheiner weiß nix kann aber alles erklären / Und umgekehrt / Wenn man ihm etwas erklärt versteht er nix." Auch der Wortführer der Niederrheiner, Hanns Dieter Hüsch, erklärte gern, und zwar besonders gern die Verstocktheit mit Gebrabbel vereinende niederrheinische Mentalität. Gerade solche Aperçus aus kontrolliert regionalem Anbau aber brachten dem im Jahre 2005 gestorbenen Autor und Bühnenkünstler schließlich den Ruf eines betulichen Witzeonkels ein. Es waren junge wilde Humorcowboys wie Eckhard Henscheid und Georg Schramm, die Hüsch als "Allerunausstehlichsten", als "Kitschgemüt" oder "Vorleseopa" anpöbelten: ein handelsüblicher Vatermord. Hüsch war getroffen, aber als guter Christ vergab er seinen Kritikern.

Wer Comedy sucht, ist allerdings falsch bei dem Mann aus Moers, der zwar den Kalauer ehrte, aber auf krachende Witze keinen Wert legte. Selbst das Etikett "Kabarettist" haftet ihm nur unzureichend an. Die jetzt sukzessive in der "Edition diá" erscheinende, auf acht Bände angelegte Gesamtausgabe des literarischen Werks von Hanns Dieter Hüsch beweist in ihrer wohltuenden Konzentration auf die reinen Texte, dass dieser feinsinnige Humorist in erster Linie eine poetische, musikalische Natur war. Ein Zusammenführen der bislang auf rund sechzig Bücher (mit meist unsäglichen Covern) verteilten Veröffentlichungen ist verdienstvoll, auch wenn auf eine Kommentierung verzichtet wurde.

Wie selbstverständlich macht die von Helmut Lotz edierte Ausgabe mit der dezidierten Lyrik des Autors auf. Dazu zählen die von charmanter Mann-Frau-Rollenkomik lebenden "Frieda-Geschichten" aus den fünfziger und sechziger Jahren. In deren idyllische Sphäre des Häuslichen dringt das Historische und Politische allenfalls am Rande ein, wenn etwa Essener und Kölner um den Titel der "zerstörtesten Stadt" konkurrieren. In den übrigen Gedichten sieht es häufig düsterer aus, blickt uns die verwüstete Erde an, wird auf dem Vulkan getanzt, schlägt die Historie zu: "Oft steh ich in der Ferne still / und spür / wie mich Vergangenes / erdrücken will." Aber mit derselben existentialistischen Wucht wird auch umarmt und geliebt bis zu den Sternen. Humor ist dabei oft ein eleganter Ausweg aus Melancholie oder Pathos. Ein leiser Humor ist es freilich, eine unerwartete "Schnauze voll mit Rosenkohl" oder jene Mitteilung der Seele an den Dichter: "verschwinde ich habe zu tun".

Gegen ideologiekontaminierte Intellektuelle verwahrt sich der Dichter auf unnachahmliche Weise. Als ihm ein solcher Dunkeldenker einmal mitteilt, dass man an den Osterhasen, der schließlich ein "Alibi für diese Pseudodemokratie" sei, wohl kaum mehr glauben könne, entgegnet der Angesprochene kokett: "Doch, sage ich, ich glaube noch dran." Zu dieser engagierten Naivität passt die Selbststilisierung als fahrender Händler für "Hampelmänner" und "Geduldspiele": "Ich trete keinen Heimweg an, eh nicht ein Witz in allen Köpfen raucht." Als obsessiver Infragesteller akzeptierte Hüsch, der Wanderprediger, den Mainstream so wenig wie das Verordnete, stellte seine Fragen aber verschmitzt und hinterrücks. Gegen die Einlullung mobilisierte er gar den sonst eher vermiedenen Volksrhythmus des hoppelnden Vierhebers: "Wer gibt mir Trost wer gibt mir Halt / Der Wahnsinn in den Schädel greift / Weil überall die Staatsgewalt / Die Fantasie zu Tode schleift."

Der ebenfalls bereits vorliegende fünfte Band der Ausgabe versammelt die Niederrhein-Texte im perfekt abgelauschten, oft plattdeutschen Tonfall. Darunter ist manches ethnographische Goldstück (etwa über die "Ortskrankenkassenzusammengehörigkeit"), aber auch viel lakonische "Erpelschlaat"-Hymnik. Diese "Sach ma nix"-Liebeserklärungen wiederholen sich irgendwann, zum Teil sogar wörtlich. Interessanter ist der nächste Band, der die geradezu musikalisch komponiert wirkenden "Hagenbuch-Texte" enthält. Im Thomas Bernhard abgeschauten Duktus der verschachtelten indirekten Rede beginnen sie stets mit der Wendung "Hagenbuch / Hat jetzt zugegeben", womit das Genre der Confessio aufgerufen ist, aber auch ein bestimmter Raum eröffnet wird: der der Fama und des Geredes, denn wenn man etwas zugibt, kursierten zuvor Vermutungen.

Hagenbuch ist ein beobachteter Beobachter, der fröhlich mitrauscht im Rauschen der Diskurse. Er treibt den Small Talk auf die Spitze mit seltsamen bis wahnwitzigen Geständnissen, die eigentlich - so behauptet der Text - niemand hören will: "Dass das ständige Verwechseln von Sitten und Sehenswürdigkeiten / Auf ihn zurückzuführen sei", "Dass ihn / Der König von Portugal / Mit seinem weltberühmten zweiten Hund / Einer Hündin namens Julchen / Zu einer Höflichkeitssuppe gebeten". Hagenbuch ist zwar Irrenhaus-Insasse, über den man sich das Maul zerreißt, aber eben auch einer der großen Narren und Hellseher der Literatur. Zeile für Zeile verdichten sich die Litaneien, wird aus dem Gestrüpp scheinbar absurder Meinungshülsen ein Entlarvungstheater über unsere Zeit.

Im Innern dieser hochironischen Texte, fast verborgen unter all den Bezugnahmen, leuchtet einen rein und zart die Komik des an der Sinnfreiheit der Welt verzweifelnden Sinnwesens Mensch an: "Und Hagenbuch / Habe gerufen / Er wolle weder an einen Barren gekettet / Noch an ein Reck / Im Trainingsanzug/ Sein Leben beenden / Er wolle dann lieber jahrelang/ Auf einen Punkt sehen / Aber wenn es sein müsse / Schreie er auch das ganze Abendland zusammen / Damit man ihm zu Hilfe komme." Kann es ein treffenderes Bild für den modernen Menschen geben? So willensstark wie hilflos starrt er jahrelang auf einen Punkt. Hanns Dieter Hüsch hat ihn - ecce homo, nackt und blutend - wieder und wieder umrundet. Er hat seine Ängste durchschaut, seine Lächerlichkeit gefeiert und seine Selbstüberschätzung ins Bockshorn gejagt. Der Erzähler selbst tritt uns als derart Verlorener entgegen, aber auch - der Mehrstimmigkeit der Texte sei Dank - als dessen Gegenteil und dann wieder als Gegenteil des Gegenteils: "Sokratisch nennt man dat / Ich mein in den besseren Kreisen." So spricht ein wahrer Volksphilosoph, den es wiederzuentdecken gilt.

OLIVER JUNGEN.

Hanns Dieter Hüsch: "Das literarische Werk".

Band 1: "Ich sing für die Verrückten". Die poetischen Texte. 240 S., br., 22,- [Euro].

Band 5: "Das Gemüt ist ausschlaggebend. Alles andere is dumme Quatsch". Die Niederrhein-Texte. 420 S., br., 28,- [Euro].

Band 6: "dass die Erziehung seiner Kinder eine völlig verfahrene war". Die Hagenbuch-Texte. 200 S., br., 20,- [Euro]. Jeweils hrsg. von Helmut Lotz. Edition diá, Berlin 2016.

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