Ich stelle mich schlafend erzählt von den dunklen Seiten einer Liebe - und die Geschichte einer Befreiung. Ein eindringlicher Roman über den Versuch der Auslöschung einer Frau, und über die Frage, ob es eine Berührung gibt, die den Kern eines Menschen unwiederbringlich verändert.
Das Haus, in dem Yasemin bis vor kurzem gelebt hat, steht nicht mehr. Es musste bis auf die Grundmauern abgerissen werden. Von der Wohnung, die sie zuletzt mit ihrem Freund Vito geteilt hat, sind nur Erinnerungen übrig. Die Geschichte der beiden reicht bis in ihre Jugend zurück: Beide wachsen im selben Hochhauskomplex auf, und Yasemin verliebt sich mit dreizehn in den drei Jahre älteren Nachbarn. Von klein auf fasziniert von Glaubensfragen und Spiritualität, versucht sie durch einen Liebeszauber, Vito für sich zu gewinnen. Doch nach einem Sanatoriumsaufenthalt, wo ihre Skoliose behandelt wird, geht sie auf Distanz. Zu fremd ist ihr der eigene Körper, zu groß die Scham wegen ihres Korsetts. Erst zwanzig Jahre später, als die mühsam aufgerichtete Wirbelsäule droht sich wieder zu stauchen, begegnen sie sich erneut. Yasemin hält dieses späte Aufflammen der Jugendliebe für Schicksal. Aber dann zeigt Vito sein Inneres, das bedrohlich ist und leer.
Das Haus, in dem Yasemin bis vor kurzem gelebt hat, steht nicht mehr. Es musste bis auf die Grundmauern abgerissen werden. Von der Wohnung, die sie zuletzt mit ihrem Freund Vito geteilt hat, sind nur Erinnerungen übrig. Die Geschichte der beiden reicht bis in ihre Jugend zurück: Beide wachsen im selben Hochhauskomplex auf, und Yasemin verliebt sich mit dreizehn in den drei Jahre älteren Nachbarn. Von klein auf fasziniert von Glaubensfragen und Spiritualität, versucht sie durch einen Liebeszauber, Vito für sich zu gewinnen. Doch nach einem Sanatoriumsaufenthalt, wo ihre Skoliose behandelt wird, geht sie auf Distanz. Zu fremd ist ihr der eigene Körper, zu groß die Scham wegen ihres Korsetts. Erst zwanzig Jahre später, als die mühsam aufgerichtete Wirbelsäule droht sich wieder zu stauchen, begegnen sie sich erneut. Yasemin hält dieses späte Aufflammen der Jugendliebe für Schicksal. Aber dann zeigt Vito sein Inneres, das bedrohlich ist und leer.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Judith von Sternburg zeigt sich auch von Deniz Ohdes zweitem Roman überzeugt: Es geht um Yasemin, der erste Teil der Handlung widmet sich ihr als Jugendliche. Sie muss eine Skoliosebehandlung über sich ergehen lassen, das Korsett, das sie dabei trägt, wird zur sinnstiftenden Metapher ihres Lebens. Im zweiten Teil flammt eine toxische Beziehung aus der Jugend wieder auf, was laut Sternburg von Ohde auf intrikate Weise verwirrend erzählt wird. Manche Sprachbilder gehen für sie zwar nicht ganz auf, aber dennoch hat der Roman die Kritikerin gepackt, wie sie versichert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2024Verstrickung statt Verliebtheit
Auf der Suche nach einer Ursache: Deniz Ohdes neuer Roman "Ich stelle mich schlafend"
Es endet im Nichts, nein, in der Zerstörung, sodass Yasemin nur noch vor einer Brache steht, die einmal ihre Wohnung war. Sie blickt im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinne auf die Trümmer ihres Lebens. Dieses Ende markiert den Anfang von Deniz Ohdes Roman "Ich stelle mich schlafend" und bildet zugleich auch den Anlass für die Protagonistin Yasemin, erzählend zu rekapitulieren, wie es dazu kommen konnte.
Um zu verstehen, befragt Yasemin insbesondere ihre vergangenen Liebesbeziehungen, die allesamt auch Abbild ihres Selbstwertgefühls sind. Angefangen mit ihrer ersten Jugendliebe zu Vito, der gegenüber wohnt und drei Jahre älter ist als die damals vierzehnjährige Yasemin. Zu ihm entwickelt sie die Liebe eines Teenagers. Ihr Zusammentreffen wähnt sie als schicksalhaft, sie ist überzeugt, dass er sie nur bemerkt aufgrund eines von ihr ausgeführten Liebesschwurs, und in der Beziehung zu ihm wähnt Yasemin ihre Rettung: "In Yasemin wuchs die Gewissheit, dass sie und Vito zusammengehörten. Einzig darauf richtete sie ihre Gedanken. Eine Berührung von ihm, und sie wäre geheilt. In Vito würde sie sich auflösen. Das Ende wäre ein zärtliches." Dass Vito sich nur auf sie einlässt, weil ihm gefällt, dass sie ihn fürchtet, und er ihr die Welt erklären kann, bemerkt Yasemin erst viele Jahre später im Rückblick: "Es war eine Verstrickung, keine Verliebtheit." Nach einer längeren räumlichen Trennung entzaubert sich allerdings die Faszination um Vito, und Yasemin beendet die Beziehung.
Anschließend führt sie in ihrer späteren Jugend und beim Erwachsenwerden losere Beziehungen, ist eher auf der Suche nach sexuellen Kontakten. Sie folgt dem Mantra "Es hätte nie eine Unschuld gegeben, die Yasemin hätte verlieren können", sammelt Berührungen von verschiedenen Männern und führt darüber ein gedankliches Register, einen body count. "Sie versuchte nicht länger, einem jungmädchenhaften Ideal zu folgen und eine Unschuld vorzuspielen, sondern unternahm eine Flucht nach vorn, indem sie Berührungen geradezu suchte, sie sammelte, als gelte es, dem Register möglichst viele Namen hinzuzufügen."
In diesem Wirbel, in dem sie sich selbst verlieren will, trifft Yasemin schließlich auf Hermann. Er markiert das Ende des body count, in der Beziehung zu ihm erfährt sie, dass Partnerschaften keine Pflichterfüllung sind, sondern durch Vertrauen, Kommunikation und Ehrlichkeit entstehen. "Yasemin lernte, was eine große Liebe bedeutete, nämlich, dass man sich nicht darüber den Kopf zerbrach." Mit Hermann kehrt Ruhe in ihr Leben ein.
"Wie lange war Yasemin ruhig gewesen?", fragt sie sich jedoch im Rückblick, und abermals wird daraus ein Credo, das zu Beginn eines Kapitels steht und es durch Wiederholung strukturiert. Diese mantraartigen Leitsätze können beispielhaft Ohdes sprachbildliches Raffinement veranschaulichen. Denn diese Sätze, welche die Protagonistin retrospektiv wiederholen muss, sind analog zur wiederholenden Struktur von traumatischen oder belastenden Erinnerungen: Yasemins Gedanken bewegen sich in Kreisläufen durch ihre Vergangenheit - auf der Suche nach einem Grund, nach einer Erklärung für das, was ihr zugestoßen ist. Dass die Metaphorik im Roman insgesamt teilweise überdeutlich durchscheint und nicht zurückhaltend auf Interpretation wartet, passt zu Yasemins spiritueller, sinnsuchender Figur und fügt sich daher gut in ihre erzählende Perspektive ein.
"Wie lange war Yasemin ruhig gewesen?" Mit Anfang dreißig, zwanzig Jahre nach dem letzten Kontakt, trifft sie Vito nach dem Einkaufen auf der Straße. Er sitzt auf einer Bank unter einem Baum, sie sucht Schutz vor einem plötzlich hereinbrechenden Schauer. Eine zufällige Begegnung mit einer alten Jugendliebe, in der Gegend, wo beide früher aufgewachsen sind; nichts Außergewöhnliches möchte man meinen. Doch Yasemin fällt zurück in ihre Denk- und Fühlmuster als Vierzehnjährige. "Die ganze Situation schrie ihr eine Schicksalhaftigkeit entgegen, die von einem vorbeifahrenden Taxi noch verstärkt wurde: Es war Vitos Geburtsdatum, das da auf dem Nummernschild an ihr vorbeiglitt." Sie ruft ihn an, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen das haben wird.
Es sind die Schilderungen von Beziehungen und ihren Dynamiken, aber auch von einzelnen Figuren und ihrer Motivation, welche die Schlagkraft von Ohdes neuem Roman ausmachen. Die Erlebnisse und Reflexionen der Protagonistin sind nicht nur teilweise erschreckend nachvollziehbar, sondern geben zugleich ein treffliches und daher erschütterndes Bild davon ab, nach welchen Mustern (patriarchale) Gewalt in Partnerschaften abläuft. Deniz Ohde, deren Debüt "Streulicht" 2020 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, hat mit "Ich stelle mich schlafend" einen weiteren bemerkenswerten Roman geschrieben, der in bedrückend starker Metaphorik von den Verstrickungen einer jungen Frau erzählt. EMILIA KRÖGER
Deniz Ohde: "Ich stelle mich schlafend".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
248 S.,geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Suche nach einer Ursache: Deniz Ohdes neuer Roman "Ich stelle mich schlafend"
Es endet im Nichts, nein, in der Zerstörung, sodass Yasemin nur noch vor einer Brache steht, die einmal ihre Wohnung war. Sie blickt im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinne auf die Trümmer ihres Lebens. Dieses Ende markiert den Anfang von Deniz Ohdes Roman "Ich stelle mich schlafend" und bildet zugleich auch den Anlass für die Protagonistin Yasemin, erzählend zu rekapitulieren, wie es dazu kommen konnte.
Um zu verstehen, befragt Yasemin insbesondere ihre vergangenen Liebesbeziehungen, die allesamt auch Abbild ihres Selbstwertgefühls sind. Angefangen mit ihrer ersten Jugendliebe zu Vito, der gegenüber wohnt und drei Jahre älter ist als die damals vierzehnjährige Yasemin. Zu ihm entwickelt sie die Liebe eines Teenagers. Ihr Zusammentreffen wähnt sie als schicksalhaft, sie ist überzeugt, dass er sie nur bemerkt aufgrund eines von ihr ausgeführten Liebesschwurs, und in der Beziehung zu ihm wähnt Yasemin ihre Rettung: "In Yasemin wuchs die Gewissheit, dass sie und Vito zusammengehörten. Einzig darauf richtete sie ihre Gedanken. Eine Berührung von ihm, und sie wäre geheilt. In Vito würde sie sich auflösen. Das Ende wäre ein zärtliches." Dass Vito sich nur auf sie einlässt, weil ihm gefällt, dass sie ihn fürchtet, und er ihr die Welt erklären kann, bemerkt Yasemin erst viele Jahre später im Rückblick: "Es war eine Verstrickung, keine Verliebtheit." Nach einer längeren räumlichen Trennung entzaubert sich allerdings die Faszination um Vito, und Yasemin beendet die Beziehung.
Anschließend führt sie in ihrer späteren Jugend und beim Erwachsenwerden losere Beziehungen, ist eher auf der Suche nach sexuellen Kontakten. Sie folgt dem Mantra "Es hätte nie eine Unschuld gegeben, die Yasemin hätte verlieren können", sammelt Berührungen von verschiedenen Männern und führt darüber ein gedankliches Register, einen body count. "Sie versuchte nicht länger, einem jungmädchenhaften Ideal zu folgen und eine Unschuld vorzuspielen, sondern unternahm eine Flucht nach vorn, indem sie Berührungen geradezu suchte, sie sammelte, als gelte es, dem Register möglichst viele Namen hinzuzufügen."
In diesem Wirbel, in dem sie sich selbst verlieren will, trifft Yasemin schließlich auf Hermann. Er markiert das Ende des body count, in der Beziehung zu ihm erfährt sie, dass Partnerschaften keine Pflichterfüllung sind, sondern durch Vertrauen, Kommunikation und Ehrlichkeit entstehen. "Yasemin lernte, was eine große Liebe bedeutete, nämlich, dass man sich nicht darüber den Kopf zerbrach." Mit Hermann kehrt Ruhe in ihr Leben ein.
"Wie lange war Yasemin ruhig gewesen?", fragt sie sich jedoch im Rückblick, und abermals wird daraus ein Credo, das zu Beginn eines Kapitels steht und es durch Wiederholung strukturiert. Diese mantraartigen Leitsätze können beispielhaft Ohdes sprachbildliches Raffinement veranschaulichen. Denn diese Sätze, welche die Protagonistin retrospektiv wiederholen muss, sind analog zur wiederholenden Struktur von traumatischen oder belastenden Erinnerungen: Yasemins Gedanken bewegen sich in Kreisläufen durch ihre Vergangenheit - auf der Suche nach einem Grund, nach einer Erklärung für das, was ihr zugestoßen ist. Dass die Metaphorik im Roman insgesamt teilweise überdeutlich durchscheint und nicht zurückhaltend auf Interpretation wartet, passt zu Yasemins spiritueller, sinnsuchender Figur und fügt sich daher gut in ihre erzählende Perspektive ein.
"Wie lange war Yasemin ruhig gewesen?" Mit Anfang dreißig, zwanzig Jahre nach dem letzten Kontakt, trifft sie Vito nach dem Einkaufen auf der Straße. Er sitzt auf einer Bank unter einem Baum, sie sucht Schutz vor einem plötzlich hereinbrechenden Schauer. Eine zufällige Begegnung mit einer alten Jugendliebe, in der Gegend, wo beide früher aufgewachsen sind; nichts Außergewöhnliches möchte man meinen. Doch Yasemin fällt zurück in ihre Denk- und Fühlmuster als Vierzehnjährige. "Die ganze Situation schrie ihr eine Schicksalhaftigkeit entgegen, die von einem vorbeifahrenden Taxi noch verstärkt wurde: Es war Vitos Geburtsdatum, das da auf dem Nummernschild an ihr vorbeiglitt." Sie ruft ihn an, ohne zu ahnen, welche Konsequenzen das haben wird.
Es sind die Schilderungen von Beziehungen und ihren Dynamiken, aber auch von einzelnen Figuren und ihrer Motivation, welche die Schlagkraft von Ohdes neuem Roman ausmachen. Die Erlebnisse und Reflexionen der Protagonistin sind nicht nur teilweise erschreckend nachvollziehbar, sondern geben zugleich ein treffliches und daher erschütterndes Bild davon ab, nach welchen Mustern (patriarchale) Gewalt in Partnerschaften abläuft. Deniz Ohde, deren Debüt "Streulicht" 2020 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, hat mit "Ich stelle mich schlafend" einen weiteren bemerkenswerten Roman geschrieben, der in bedrückend starker Metaphorik von den Verstrickungen einer jungen Frau erzählt. EMILIA KRÖGER
Deniz Ohde: "Ich stelle mich schlafend".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
248 S.,geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»... Ohde [gelingt es] erneut, eine Geschichte so plastisch zu schildern, dass man hier und da autofiktionale Einzelheiten wird erkennen wollen. So fälschlicherweise wie in Streulicht.« Judith von Sternburg Frankfurter Rundschau 20240725