Wir leben in einer pluralisierten Gesellschaft. Jede Kultur steht neben anderen, es gibt keine selbstverständliche Zugehörigkeit mehr. Doch was ist das überhaupt – eine pluralisierte Gesellschaft? Und was heißt es für den Einzelnen, in einer solchen zu leben? Die Außenperspektive – dass es nämlich immer anders sein könnte, dass man etwas anderes glauben, anders leben könnte – ist heute Teil jeder Kultur. Und diese Veränderung betrifft jeden. Sie verändert den Bezug zur Gemeinschaft, zur eigenen Identität. Die Philosophin Isolde Charim wendet ihre These auf verschiedene Themen an, von der Politik zur Integration über die Definition des Heimatbegriffs bis hin zu den Debatten um religiöse Zeichen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Viel Lärm um nichts bekommt Hannah Bethke mit Isolde Charims Buch. Wenn die Autorin darin die Pluralisierung und ihre Auswirkungen auf die Identität des Menschen zu fassen versucht, weht Bethke vor allem jede Menge heiße Luft an. Substanzielles kann sie im Buch nicht entdecken. Die Analyse von Religion als Ausgangspunkt für die Forderung der Autorin nach einem laizistischen Staat findet sie so oberflächlich wie andere Aussagen im Buch auch. Auch sprachlich überzeugt sie der Text nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2018Wir vom emotionalen Prekariat
So viele Schauplätze: Isolde Charim schwadroniert über die Folgen der Pluralisierung
Dieses Buch ist eine Verkündigung. Es verkündet eine Veränderung, die eigentlich politischer Natur ist, aber unmittelbare Auswirkungen auf ein als gegeben vorausgesetztes "Ich" und dessen Beziehung zu den "Anderen" hat. Und es verkündet, dass es sich dabei um eine neue Entwicklung handelt. Die Spannung weicht sogleich einer ungläubigen Irritation, wenn man erfährt, auf welches Phänomen sich die versprochene Veränderung konzentriert: die Pluralisierung. Wie diese "uns alle" verändert, will die österreichische Publizistin Isolde Charim in sieben Kapiteln erörtern.
Die homogene Gesellschaft, ist von ihr zu erfahren, sei eine Illusion (und war es eigentlich schon immer), insofern sie keine Vereinheitlichung bedeute, sondern eine "Sekundarisierung der Unterschiede". Aber selbst eine so verstandene Homogenität ist nach Charims Einschätzung heute nicht mehr zu kriegen, weil Pluralisierung an ihre Stelle getreten sei und wir deshalb alle keine "vollen Identitäten" mehr hätten. Die Pluralisierung wiederum sei keine Addition. Und, wie schon auf der Rückseite des Buches nichtssagend versprochen wird: Es gebe keinen Weg zurück in eine homogene Gesellschaft. Weil sich Verschiedenes - verschiedene Kulturen, verschiedene Menschen, verschiedene Religionen - in der pluralisierten Gesellschaft also nicht bloß addiert, passiert etwas Gewaltiges: Die Pluralisierung macht etwas mit uns! Die Autorin will damit sagen, dass Integration (die Ursache für mehr Pluralität) immer ein wechselseitiger Prozess ist, in dem auch die gefordert sind und sich verändern müssen, die schon da sind, und nicht nur die, die neu dazukommen.
Das alles hat in ihren Augen unmittelbare Auswirkungen auf unsere Identität und Psyche: "Wir sind nicht mehr ganz." Aus diesem Grund gibt es nun ein "Weniger-Ich": "Wir können nicht mehr unhinterfragt, ungebrochen, selbstverständlich wir selbst sein. Denn wir erleben täglich: Wir könnten auch ganz anders leben, wir könnten auch ganz anders sein." Spätestens hier fragt man sich, was eigentlich die inhaltliche Substanz dieses Buches ist. Wann konnten Menschen denn ungebrochen sie selbst sein? Weniger als die Folge von Pluralisierung, ist das doch eher eine Frage elementarer Selbsterkenntnis.
Doch Charim fährt unbeirrt fort: "Wir leben in einem identitären Prekariat." Die Pluralisierung "deterritorialisiere" uns und bedeute einen Individualismus eigener Art, indem sie nicht bloß die Lebensformen, sondern die Bevölkerung pluralisiere. Ob Religion, Kultur oder Politik: Gemeinsam sind allen von Charim gewählten Schauplätzen, dass sie viel heiße Luft produzieren. Wenn sie zum Beispiel einen laizistischen Staat fordert, so geschieht das nur als Ergebnis einer sehr oberflächlichen Analyse von Religion und Religiosität, die zum Beispiel ausklammert, dass noch nie (und nicht erst durch die von ihr bemühte Pluralisierung) "selbstverständlich" geglaubt werden konnte. Wer annimmt, es sei anders, versteht nichts vom Glauben.
Ähnlich verhält es sich, wenn Charim im "Schauplatz Politik" eine "Sehnsucht nach Vollpartizipation" zu entdecken glaubt, "das zentrale Moment des Politischen" im "emotionalen Prekariat" sieht oder der Gesellschaft den "Zustand einer völligen Immanentisierung" zuschreibt. Interessanter und gehaltvoller wird es dort, wo Charim den Populismus als "Transzendenzersatz" analysiert, sich dezidiert gegen einen linken Populismus ausspricht, der in einigen Kreisen für die Lösung des rechtspopulistischen Problems gehalten wird, und das Kippen der "political correctness" in eine "höchst gesteigerte Empfindsamkeit" beschreibt. Anders als von der Autorin intendiert, ist womöglich die wichtigste Erkenntnis des Buches, dass der Einspruch gegen den Populismus nicht "in der Rückbesinnung auf die soziale Frage" liegen könne, weil er ein ganz anderes Thema besetzt habe: "die verdrängte linke Identität".
Wenn Charim diese Verschiebung von der sozialen Frage zur Identitätspolitik zum Ausgangspunkt ihres Buches gemacht hätte, wäre dabei vielleicht mehr herausgekommen als die Aneinanderreihung oberflächlicher Aussagen, die durch stilistische Eigenheiten aufgeplustert werden, ohne dabei die Substanzlosigkeit kaschieren zu können. Gern etwa setzt die Autorin mit demselben Wort zwei oder drei Mal an, um eine Bedeutungssteigerung zu suggerieren, welche die Sache eigentlich gar nicht hergibt. "Sie hat ihm eine Gestalt angeboten. Eine Gestalt mit positiven Identitätsmerkmalen für das Individuum als öffentliche Person." Oder: "Ein Milieu ist eine Umgebung. Eine Umgebung, die ein Ganzes bildet, eine Einheit." Auch die ständige Verdopplung des Nominativs liest sich so gestelzt, dass es geradezu nervt: Es ist dies eine Formulierung, es ist dies der Versuch, es ist dies eine Tradition - wozu nur das "dies"? Allein, der Stil steht für den Inhalt: viel Lärm um nichts.
HANNAH BETHKE
Isolde Charim: "Ich und die Anderen". Wie die Pluralisierung uns alle verändert.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018. 224 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So viele Schauplätze: Isolde Charim schwadroniert über die Folgen der Pluralisierung
Dieses Buch ist eine Verkündigung. Es verkündet eine Veränderung, die eigentlich politischer Natur ist, aber unmittelbare Auswirkungen auf ein als gegeben vorausgesetztes "Ich" und dessen Beziehung zu den "Anderen" hat. Und es verkündet, dass es sich dabei um eine neue Entwicklung handelt. Die Spannung weicht sogleich einer ungläubigen Irritation, wenn man erfährt, auf welches Phänomen sich die versprochene Veränderung konzentriert: die Pluralisierung. Wie diese "uns alle" verändert, will die österreichische Publizistin Isolde Charim in sieben Kapiteln erörtern.
Die homogene Gesellschaft, ist von ihr zu erfahren, sei eine Illusion (und war es eigentlich schon immer), insofern sie keine Vereinheitlichung bedeute, sondern eine "Sekundarisierung der Unterschiede". Aber selbst eine so verstandene Homogenität ist nach Charims Einschätzung heute nicht mehr zu kriegen, weil Pluralisierung an ihre Stelle getreten sei und wir deshalb alle keine "vollen Identitäten" mehr hätten. Die Pluralisierung wiederum sei keine Addition. Und, wie schon auf der Rückseite des Buches nichtssagend versprochen wird: Es gebe keinen Weg zurück in eine homogene Gesellschaft. Weil sich Verschiedenes - verschiedene Kulturen, verschiedene Menschen, verschiedene Religionen - in der pluralisierten Gesellschaft also nicht bloß addiert, passiert etwas Gewaltiges: Die Pluralisierung macht etwas mit uns! Die Autorin will damit sagen, dass Integration (die Ursache für mehr Pluralität) immer ein wechselseitiger Prozess ist, in dem auch die gefordert sind und sich verändern müssen, die schon da sind, und nicht nur die, die neu dazukommen.
Das alles hat in ihren Augen unmittelbare Auswirkungen auf unsere Identität und Psyche: "Wir sind nicht mehr ganz." Aus diesem Grund gibt es nun ein "Weniger-Ich": "Wir können nicht mehr unhinterfragt, ungebrochen, selbstverständlich wir selbst sein. Denn wir erleben täglich: Wir könnten auch ganz anders leben, wir könnten auch ganz anders sein." Spätestens hier fragt man sich, was eigentlich die inhaltliche Substanz dieses Buches ist. Wann konnten Menschen denn ungebrochen sie selbst sein? Weniger als die Folge von Pluralisierung, ist das doch eher eine Frage elementarer Selbsterkenntnis.
Doch Charim fährt unbeirrt fort: "Wir leben in einem identitären Prekariat." Die Pluralisierung "deterritorialisiere" uns und bedeute einen Individualismus eigener Art, indem sie nicht bloß die Lebensformen, sondern die Bevölkerung pluralisiere. Ob Religion, Kultur oder Politik: Gemeinsam sind allen von Charim gewählten Schauplätzen, dass sie viel heiße Luft produzieren. Wenn sie zum Beispiel einen laizistischen Staat fordert, so geschieht das nur als Ergebnis einer sehr oberflächlichen Analyse von Religion und Religiosität, die zum Beispiel ausklammert, dass noch nie (und nicht erst durch die von ihr bemühte Pluralisierung) "selbstverständlich" geglaubt werden konnte. Wer annimmt, es sei anders, versteht nichts vom Glauben.
Ähnlich verhält es sich, wenn Charim im "Schauplatz Politik" eine "Sehnsucht nach Vollpartizipation" zu entdecken glaubt, "das zentrale Moment des Politischen" im "emotionalen Prekariat" sieht oder der Gesellschaft den "Zustand einer völligen Immanentisierung" zuschreibt. Interessanter und gehaltvoller wird es dort, wo Charim den Populismus als "Transzendenzersatz" analysiert, sich dezidiert gegen einen linken Populismus ausspricht, der in einigen Kreisen für die Lösung des rechtspopulistischen Problems gehalten wird, und das Kippen der "political correctness" in eine "höchst gesteigerte Empfindsamkeit" beschreibt. Anders als von der Autorin intendiert, ist womöglich die wichtigste Erkenntnis des Buches, dass der Einspruch gegen den Populismus nicht "in der Rückbesinnung auf die soziale Frage" liegen könne, weil er ein ganz anderes Thema besetzt habe: "die verdrängte linke Identität".
Wenn Charim diese Verschiebung von der sozialen Frage zur Identitätspolitik zum Ausgangspunkt ihres Buches gemacht hätte, wäre dabei vielleicht mehr herausgekommen als die Aneinanderreihung oberflächlicher Aussagen, die durch stilistische Eigenheiten aufgeplustert werden, ohne dabei die Substanzlosigkeit kaschieren zu können. Gern etwa setzt die Autorin mit demselben Wort zwei oder drei Mal an, um eine Bedeutungssteigerung zu suggerieren, welche die Sache eigentlich gar nicht hergibt. "Sie hat ihm eine Gestalt angeboten. Eine Gestalt mit positiven Identitätsmerkmalen für das Individuum als öffentliche Person." Oder: "Ein Milieu ist eine Umgebung. Eine Umgebung, die ein Ganzes bildet, eine Einheit." Auch die ständige Verdopplung des Nominativs liest sich so gestelzt, dass es geradezu nervt: Es ist dies eine Formulierung, es ist dies der Versuch, es ist dies eine Tradition - wozu nur das "dies"? Allein, der Stil steht für den Inhalt: viel Lärm um nichts.
HANNAH BETHKE
Isolde Charim: "Ich und die Anderen". Wie die Pluralisierung uns alle verändert.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018. 224 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Dieses Buch geht an den wahren Knackpunkt hinter den Migrationsdiskursen." Dirk Knipphals, taz, 08.12.18
"Isolde Charim hat in ihrem Buch gezeigt, dass der Begriff der Leitkultur überhaupt nur in einer Gesellschaft denkbar ist, die sich längst als pluralistisch versteht." Felix Stephan, Süddeutsche Zeitung, 17.09.18
"Charim macht Dinge sichtbar, die wir alle mitkriegen, aber nicht so richtig zu fassen bekommen." Sieglinde Geisel, WDR3 Gutenbergs Welt, 19.05.18
"Man wird in dieser Saison kaum ein Buch finden, in dem die so breit diskutierten und getretenen Phänomene wie Fundamentalismus und Populismus auf so knappem Raum so klug und klar erfasst werden." Klaus Nüchtern, ZEIT Online, 24.04.18
"Kluge Reflexionen und pointierte Formulierungen." Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk, 20.04.18
"Was Isolde Charims Exkursionen so aufregend macht, ist die unbestechliche begriffliche Präzision, mit der sie ein zigfach durchpflügtes Terrain in neuem, kristallklarem Licht erscheinen lässt. Sie versagt sich einfache Rezepte, wie den Problemen der Pluralisierung zu begegnen wäre - der jederzeit instrumentalisierbaren Wut etwa, die aus der Frustration über die Unmöglichkeit, 'volle Identitäten' zu leben, resultiert." Christoph Winder, Der Standard, 24.03.18
"Ein ungeheuer kluges Buch. Es trifft ins Herz unserer Gesellschaft." Katharina Schmitz, der Freitag, 15.03.18
"Charim formuliert in diesen intellektuell prickelnden Essays eine Haltung, die auch im Alltag weiterhilft." Matthias Dusini, Falter, 14.03.18
"Isolde Charim hat in ihrem Buch gezeigt, dass der Begriff der Leitkultur überhaupt nur in einer Gesellschaft denkbar ist, die sich längst als pluralistisch versteht." Felix Stephan, Süddeutsche Zeitung, 17.09.18
"Charim macht Dinge sichtbar, die wir alle mitkriegen, aber nicht so richtig zu fassen bekommen." Sieglinde Geisel, WDR3 Gutenbergs Welt, 19.05.18
"Man wird in dieser Saison kaum ein Buch finden, in dem die so breit diskutierten und getretenen Phänomene wie Fundamentalismus und Populismus auf so knappem Raum so klug und klar erfasst werden." Klaus Nüchtern, ZEIT Online, 24.04.18
"Kluge Reflexionen und pointierte Formulierungen." Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk, 20.04.18
"Was Isolde Charims Exkursionen so aufregend macht, ist die unbestechliche begriffliche Präzision, mit der sie ein zigfach durchpflügtes Terrain in neuem, kristallklarem Licht erscheinen lässt. Sie versagt sich einfache Rezepte, wie den Problemen der Pluralisierung zu begegnen wäre - der jederzeit instrumentalisierbaren Wut etwa, die aus der Frustration über die Unmöglichkeit, 'volle Identitäten' zu leben, resultiert." Christoph Winder, Der Standard, 24.03.18
"Ein ungeheuer kluges Buch. Es trifft ins Herz unserer Gesellschaft." Katharina Schmitz, der Freitag, 15.03.18
"Charim formuliert in diesen intellektuell prickelnden Essays eine Haltung, die auch im Alltag weiterhilft." Matthias Dusini, Falter, 14.03.18