»Es war ein schlampiger Tag. Dies ist eine einfache Geschichte.« Ein Skandal und ein überraschender Todesfall in den besten Kreisen der Zürcher Gesellschaft. Ein junger Diener, der Jahre später zurückblickt und die Bruchstücke der Geschichte neu zusammensetzt. Der dritte Roman von Verena Roßbacher ist ein literarisches Ereignis - voller psychologischer Brillanz, umwerfender Poesie und doppelbödigem Humor. Es war Christian, der Diener der Zürcher Anwaltsfamilie Hobbs, der den Toten im Gartenpavillon neben der blutbespritzten Chaiselongue fand. Jahre später blickt er zurück und versucht zu verstehen, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Erinnerungen an seine Jugend im österreichischen Feldkirch drängen sich scheinbar zufällig in die Rekonstruktion: Vier genialisch provinzielle Jungs rezitieren am sommerlichen See in sagenhaften Anzügen Zweig und Hesse, haben ihre ganz eigene Theorie zu Frauen mit Locken und das gute Gefühl, dies alles wäre erst der Anfang. Christian erzählt vom Auseinanderdriften der Freunde, von seinen ersten Jahren im Hobbs'schen Haushalt, von verwirrenden nächtlichen Zimmer-besuchen, liebevoll inszenierten Familienporträts und dem fatalen Moment, als die einnehmende Hausherrin seinen alten Freunden begegnet. Und während er die Untiefen der eigenen Schuld auslotet, kommt er einem großen Geheimnis auf die Spur. Ein betörend leichtfüßiger und vertrackt unheimlicher Roman, in dem nichts ist, wie es zunächst scheint.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2018Kaugummi, vermischt mit Raider
Popsurrogat auf der Zunge, im Herzen Ironie: Verena Roßbachers virtuos komponierter Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs"
Seit wie langer Zeit hat man sich als Beobachter der deutschsprachigen Literaturszene nicht mehr in einem Gegenwartsroman festgelesen mit der lüsternen Hast des Giftlers? Lösen wir diese Frage nicht auf. Lassen wir sie zusammen mit dem Wort "Giftler" im Raum stehen und kommen zu einem Roman, den nicht nur Beobachter der deutschsprachigen Literaturszene als guten, puren Stoff bezeichnen dürften.
Verena Roßbacher - um das, was alle immer über sie sagen, auch noch einmal zu sagen - ist Absolventin des Leipziger Literaturinstituts. Die Kritiker ihrer ersten beiden Romane waren voller Bewunderung für das gänzlich Rostfreie ihrer Prosa. Mit der kleinen Einschränkung, dass man der an surrealen Einfällen, sprachreflexiven Schleifen und phantastischen Wandlungen nicht armen Handlung hier und da vorwarf, sich noch ganz im Bann des Schreibinstituts zu befinden. Sie habe sich noch nicht freigeschwommen, um ihren Ideenschatz zu strukturieren, hieß es. Dieser drehte sich 2009 um eine männerverschleißende junge Kellnerin namens Clara. Es folgte 2014 ein Kolportagekrimi mit dem programmatischen Titel "Schwätzen und Schlachten". Und nun hat Roßbacher ihr drittes Buch veröffentlicht: einen Roman voller surrealer Einfälle und sprachreflexiver Schleifen, aber weniger anarchistisch, also konzentrierter als bisher. Trotzdem lässt sich beim besten Willen nicht sagen, um welches Genre es sich dabei handelt.
"Ich war Diener im Hause Hobbs" deutet eine antiquierte Handlung an, die sofort in eine angenehme Schwingung mit ihrer Erzählzeit gerät, da die Geschichte eines "modernen" Dieners erzählt wird. Christian Kauffmann, genannt Krischi, stammt aus Feldkirch am Vorarlberg und teilt damit die österreichische Herkunft der Autorin. Er war dort Teil einer Clique, die sich ehedem von den ortsansässigen Normalos abzugrenzen pflegte. Siddharta, Demian, Steppenwolf, Verachtung jeder Art von Pragmatismus, also von Jeanshosen und Rucksäcken. ",Ein Rucksack', sagte Gösch einmal sehr richtig, ,verhöhnt jede Silhouette. Einen Dickern aber gibt er der Lächerlichkeit preis.'" Um sich abzusetzen, kleidet und frisiert man sich wie Stefan Zweig. "Na, Opis!", rufen die Mädels. Isi, Olli, Gösch und Krischi nehmen das als Kompliment zu Kenntnis.
"Wir vier waren Pseudogebildete", heißt es Jahre später. Gösch mit der "lyrischen Depression", der später nach Berlin flieht. Isidor, der Buddhist in Feldkirch wird. Olli, der nach dem Aids-Tod seines Vaters dessen "Giftler"-Beratung Drogen-Nein-Danke, kurz DroNeiDa, übernimmt. Krischi eine "Schlaftablette, die nicht richtig wirkte".
Aus mangelndem Selbstverwirklichungsehrgeiz bewirbt sich Krischi auf einer niederländischen Dienerschule. Seine erste Wirkstätte ist der Zürichberg, wo er in den Dienst der Familie Hobbs tritt. Die Hobbs pflegen ihr Familienglück in traditionellen season's greetings fotografisch auszustellen. Darauf zu sehen sind die zwei Hobbs-Kinder, die einnehmende Hausherrin Bernadette sowie ihr Ehemann Jean-Pierre, ein erfolgreicher Anwalt, und dessen ihm aufs Haar gleichender Bruder Gerome. Der bewohnt den Pavillon im Garten und fertigt, seiner Berufung als Maler folgend, "Skizzen" sämtlicher Hausbewohner und Dienstboten an. Gelegentlich pflegt Gerome Hobbs im Morgengrauen das Schlafzimmer seiner Schwägerin zu verlassen. Angeblich, weil er wieder eine nächtliche Skizze angefertigt hat.
Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist aber gar nicht der Zürichberg, sondern das beschauliche Feldkirch. Sowohl James Joyce als auch Arthur Ignatius Conan Doyle sollen dort Station gemacht haben. Ebenso ein österreichisch-amerikanischer Jungautor namens John Wray, den es wirklich gibt und mit dem der Erzähler bald eine unterbetont ins Spiel gebrachte Liebesbeziehung eingeht.
Nach Feldkirch zur Schubertiade zieht es eines Tages Frau Hobbs. An den Ort also, an dem Krischi seine prägenden Jahre verbracht hat. "Wir brausten über die Straßen, Frau Hobbs chauffierte ihren Jeep Cherokee mit der Souveränität einer englischen Landadeligen, die schnell in die Gummistiefel steigt, sich ins Auto schwingt und effizient auf die Tube drückt, um auf ihren ausgedehnten Ländereien irgendetwas zu richten." Und da hat Krischi nicht aufgepasst. Denn ein Diener sollte nie das fragile Gleichgewicht aus Nähe und Distanz ins Wanken bringen. "Man lebt mit einer Familie zusammen und weiß alles, es ist nicht zu vermeiden. Man hat dieses Wissen, das erhebt einen über sie, aber man verrichtet niedere Dienste, das gleicht die Sache wieder aus."
Zu spät! Frau Hobbs erobert die Herzen des Feldkirchner Freundeskreises im Sturm. Sie nimmt sich nach Feldherrenart, was ihr gebührt. Und weil dem aufmerksamen Diener nichts entgeht, muss ihn bald eine nachlässig herumliegende Temperaturtabelle in Alarmbereitschaft versetzen. Ein Kind ist unterwegs. Von wem es ist, wird sich bald schon als nachgeordnete Frage erweisen. Denn in der Zwischenzeit gibt es einen Kunstfälscherskandal, einen Bruderkrieg, virtuos mit Olive und Zahnstochern ausgefochten, und schließlich zwei Tote zu beklagen, darunter Krischis bester Freund Olli. Hinzu kommt ein Ausflug in die ehemalige Giftler-Szene von Feldkirch mit Hilfe der paranoiden Fotochronik ("Weltordnung!") einer "ortsansässigen Kunstschaffenden" namens Rosl Fraxner sowie der Kunstfälscher-Roman eines amerikanischen Jungautors, den es, wie gesagt, wirklich gibt.
Was Verena Roßbacher hier macht, ist großes Sprachvaudeville. Sie hat den hohen Ton der Butler drauf ("gewiss") und lässt ihn auf orientierungsarme Siddharta-Giftler prallen. Sie verschmilzt im Mund ihrer jugendlichen Helden ein wildes Popsurrogat ("Kaugummi vermischt mit Raider"), spielt auf je handlungstreibende Weise mit dem Mitteilungssystem der Epistel, dann wieder mit dem naiven Ich-Erzähler des Coming-of-age-Romans. Roßbacher verschraubt Kunstbetriebssatire, Jugendroman und Whodunit. Nebenbei dekonstruiert sie die neofeudalen Sprachgesten des Züricher Geldadels mit der aufgeklärten Abgeklärtheit der großen Ironiker.
Aber es gibt schon auch so etwas wie eine Basis, auf der das Ganze steht. Die Hauptfigur Krischi wird durchweg als Mann ohne Eigenschaften beschrieben. Als einer, der "die Technik des Unterbietens" nutzt, der Diener wird, um die Erwartungen niedrig zu halten. Dass ausgerechnet er am Ende im (schallisolierten) Entgiftungszimmer der DroNeiDa-Zentrale den ersten Schreianfall seines Lebens erleidet, gewährt Einblicke in eine Seele, die vielleicht doch so flach nicht ist. Denn während Isi im Kloster verschwindet, Gösch in Berlin verwittert und Olli an einer Variante des Ödipus-Komplexes zugrunde geht, widmet sich Krischi endlich den Tabuzonen des Lebens - nach Ollis Tod als neuer Leiter des DroNeiDa. Es ist ein Aufbruch ins Reich der Empfindsamkeit, dorthin, wo auch die paranoide Weltzusammenhangsfotokunst der Rosl Fraxner gedeiht: "Wieso bloß wirkt die Dunkelheit eines Herbstabends so gierig lauernd, wieso ist mir plötzlich, als griffe sie mich an?"
KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher:
"Ich war Diener im Hause Hobbs". Roman.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2018. 381 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Popsurrogat auf der Zunge, im Herzen Ironie: Verena Roßbachers virtuos komponierter Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs"
Seit wie langer Zeit hat man sich als Beobachter der deutschsprachigen Literaturszene nicht mehr in einem Gegenwartsroman festgelesen mit der lüsternen Hast des Giftlers? Lösen wir diese Frage nicht auf. Lassen wir sie zusammen mit dem Wort "Giftler" im Raum stehen und kommen zu einem Roman, den nicht nur Beobachter der deutschsprachigen Literaturszene als guten, puren Stoff bezeichnen dürften.
Verena Roßbacher - um das, was alle immer über sie sagen, auch noch einmal zu sagen - ist Absolventin des Leipziger Literaturinstituts. Die Kritiker ihrer ersten beiden Romane waren voller Bewunderung für das gänzlich Rostfreie ihrer Prosa. Mit der kleinen Einschränkung, dass man der an surrealen Einfällen, sprachreflexiven Schleifen und phantastischen Wandlungen nicht armen Handlung hier und da vorwarf, sich noch ganz im Bann des Schreibinstituts zu befinden. Sie habe sich noch nicht freigeschwommen, um ihren Ideenschatz zu strukturieren, hieß es. Dieser drehte sich 2009 um eine männerverschleißende junge Kellnerin namens Clara. Es folgte 2014 ein Kolportagekrimi mit dem programmatischen Titel "Schwätzen und Schlachten". Und nun hat Roßbacher ihr drittes Buch veröffentlicht: einen Roman voller surrealer Einfälle und sprachreflexiver Schleifen, aber weniger anarchistisch, also konzentrierter als bisher. Trotzdem lässt sich beim besten Willen nicht sagen, um welches Genre es sich dabei handelt.
"Ich war Diener im Hause Hobbs" deutet eine antiquierte Handlung an, die sofort in eine angenehme Schwingung mit ihrer Erzählzeit gerät, da die Geschichte eines "modernen" Dieners erzählt wird. Christian Kauffmann, genannt Krischi, stammt aus Feldkirch am Vorarlberg und teilt damit die österreichische Herkunft der Autorin. Er war dort Teil einer Clique, die sich ehedem von den ortsansässigen Normalos abzugrenzen pflegte. Siddharta, Demian, Steppenwolf, Verachtung jeder Art von Pragmatismus, also von Jeanshosen und Rucksäcken. ",Ein Rucksack', sagte Gösch einmal sehr richtig, ,verhöhnt jede Silhouette. Einen Dickern aber gibt er der Lächerlichkeit preis.'" Um sich abzusetzen, kleidet und frisiert man sich wie Stefan Zweig. "Na, Opis!", rufen die Mädels. Isi, Olli, Gösch und Krischi nehmen das als Kompliment zu Kenntnis.
"Wir vier waren Pseudogebildete", heißt es Jahre später. Gösch mit der "lyrischen Depression", der später nach Berlin flieht. Isidor, der Buddhist in Feldkirch wird. Olli, der nach dem Aids-Tod seines Vaters dessen "Giftler"-Beratung Drogen-Nein-Danke, kurz DroNeiDa, übernimmt. Krischi eine "Schlaftablette, die nicht richtig wirkte".
Aus mangelndem Selbstverwirklichungsehrgeiz bewirbt sich Krischi auf einer niederländischen Dienerschule. Seine erste Wirkstätte ist der Zürichberg, wo er in den Dienst der Familie Hobbs tritt. Die Hobbs pflegen ihr Familienglück in traditionellen season's greetings fotografisch auszustellen. Darauf zu sehen sind die zwei Hobbs-Kinder, die einnehmende Hausherrin Bernadette sowie ihr Ehemann Jean-Pierre, ein erfolgreicher Anwalt, und dessen ihm aufs Haar gleichender Bruder Gerome. Der bewohnt den Pavillon im Garten und fertigt, seiner Berufung als Maler folgend, "Skizzen" sämtlicher Hausbewohner und Dienstboten an. Gelegentlich pflegt Gerome Hobbs im Morgengrauen das Schlafzimmer seiner Schwägerin zu verlassen. Angeblich, weil er wieder eine nächtliche Skizze angefertigt hat.
Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist aber gar nicht der Zürichberg, sondern das beschauliche Feldkirch. Sowohl James Joyce als auch Arthur Ignatius Conan Doyle sollen dort Station gemacht haben. Ebenso ein österreichisch-amerikanischer Jungautor namens John Wray, den es wirklich gibt und mit dem der Erzähler bald eine unterbetont ins Spiel gebrachte Liebesbeziehung eingeht.
Nach Feldkirch zur Schubertiade zieht es eines Tages Frau Hobbs. An den Ort also, an dem Krischi seine prägenden Jahre verbracht hat. "Wir brausten über die Straßen, Frau Hobbs chauffierte ihren Jeep Cherokee mit der Souveränität einer englischen Landadeligen, die schnell in die Gummistiefel steigt, sich ins Auto schwingt und effizient auf die Tube drückt, um auf ihren ausgedehnten Ländereien irgendetwas zu richten." Und da hat Krischi nicht aufgepasst. Denn ein Diener sollte nie das fragile Gleichgewicht aus Nähe und Distanz ins Wanken bringen. "Man lebt mit einer Familie zusammen und weiß alles, es ist nicht zu vermeiden. Man hat dieses Wissen, das erhebt einen über sie, aber man verrichtet niedere Dienste, das gleicht die Sache wieder aus."
Zu spät! Frau Hobbs erobert die Herzen des Feldkirchner Freundeskreises im Sturm. Sie nimmt sich nach Feldherrenart, was ihr gebührt. Und weil dem aufmerksamen Diener nichts entgeht, muss ihn bald eine nachlässig herumliegende Temperaturtabelle in Alarmbereitschaft versetzen. Ein Kind ist unterwegs. Von wem es ist, wird sich bald schon als nachgeordnete Frage erweisen. Denn in der Zwischenzeit gibt es einen Kunstfälscherskandal, einen Bruderkrieg, virtuos mit Olive und Zahnstochern ausgefochten, und schließlich zwei Tote zu beklagen, darunter Krischis bester Freund Olli. Hinzu kommt ein Ausflug in die ehemalige Giftler-Szene von Feldkirch mit Hilfe der paranoiden Fotochronik ("Weltordnung!") einer "ortsansässigen Kunstschaffenden" namens Rosl Fraxner sowie der Kunstfälscher-Roman eines amerikanischen Jungautors, den es, wie gesagt, wirklich gibt.
Was Verena Roßbacher hier macht, ist großes Sprachvaudeville. Sie hat den hohen Ton der Butler drauf ("gewiss") und lässt ihn auf orientierungsarme Siddharta-Giftler prallen. Sie verschmilzt im Mund ihrer jugendlichen Helden ein wildes Popsurrogat ("Kaugummi vermischt mit Raider"), spielt auf je handlungstreibende Weise mit dem Mitteilungssystem der Epistel, dann wieder mit dem naiven Ich-Erzähler des Coming-of-age-Romans. Roßbacher verschraubt Kunstbetriebssatire, Jugendroman und Whodunit. Nebenbei dekonstruiert sie die neofeudalen Sprachgesten des Züricher Geldadels mit der aufgeklärten Abgeklärtheit der großen Ironiker.
Aber es gibt schon auch so etwas wie eine Basis, auf der das Ganze steht. Die Hauptfigur Krischi wird durchweg als Mann ohne Eigenschaften beschrieben. Als einer, der "die Technik des Unterbietens" nutzt, der Diener wird, um die Erwartungen niedrig zu halten. Dass ausgerechnet er am Ende im (schallisolierten) Entgiftungszimmer der DroNeiDa-Zentrale den ersten Schreianfall seines Lebens erleidet, gewährt Einblicke in eine Seele, die vielleicht doch so flach nicht ist. Denn während Isi im Kloster verschwindet, Gösch in Berlin verwittert und Olli an einer Variante des Ödipus-Komplexes zugrunde geht, widmet sich Krischi endlich den Tabuzonen des Lebens - nach Ollis Tod als neuer Leiter des DroNeiDa. Es ist ein Aufbruch ins Reich der Empfindsamkeit, dorthin, wo auch die paranoide Weltzusammenhangsfotokunst der Rosl Fraxner gedeiht: "Wieso bloß wirkt die Dunkelheit eines Herbstabends so gierig lauernd, wieso ist mir plötzlich, als griffe sie mich an?"
KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher:
"Ich war Diener im Hause Hobbs". Roman.
Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2018. 381 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Guten, puren Stoff" hält Rezensentin Katharina Teutsch mit Verena Roßbachers drittem Roman in den Händen - auch wenn sie beim besten Willen nicht sagen kann, um welches Genre es sich hier handelt. Aber wie die österreichische Autorin, die am Leipziger Literaturinstitut studierte, in ihrer Geschichte um den "modernen" Diener Krischi, der in einer Schweizer Anwaltsfamilie seine erste Stellung annimmt, mit Stilen und Handlungssträngen jongliert, verschlägt der Kritikerin schier den Atem. Sie liest hier von Kunstfälscherskandalen, Culture Clash und Bruderkrieg, staunt, wie geschmeidig Roßbacher zwischen Kunstbetriebssatire, Coming-of-age-Roman und Whodunit switcht. Zwar stellt Teutsch nach der Lektüre dieses hinreißenden "Sprachvaudevilles" fest, dass Roßbacher weniger "anarchistisch" schreibt als früher. Aber wenn sie die "neofeudalen Sprachgesten des Züricher Geldadels" mit der Abgeklärtheit der großen Ironiker verbindet, ist das Leseglück der Rezensentin wiederhergestellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2019Die Leiche
im Pavillon
Verena Roßbachers Roman
„Ich war Diener im Hause Hobbs“
Butler haben immer etwas Geheimnisvolles. Sie sehen und hören alles, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, dürfen aber nicht darüber sprechen. Ehrensache, der Berufskodex verlangt Diskretion. Butler haben aber auch immer etwas Überkommenes, scheinen ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert.
Diese Verquickung von altehrwürdig-verstaubtem Image und stillem Beobachter macht sich die Autorin Verena Roßbacher in ihrem Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ erzählerisch zunutze. Sie lässt den jungen Butler Christian Kauffmann rückblickend von seiner mehr als zehn Jahre währenden Anstellung bei der neureichen Zürcher Familie Hobbs erzählen. Führen die Hobbs keinen Landrover und schrieben keine E-Mails, man hätte fast den Eindruck, Anfang des 19. Jahrhunderts gelandet zu sein und auch Christians Erzählgestus ist eher der eines Arthur Conan Doyle, nicht eines jungen Mannes, der sich selbst als Hipster beschreibt.
Er beginnt seinen Bericht wie einen Krimi und erzählt von der Leiche, die er im Pavillon fand und deren Blut die Chaiselongue mitsamt dem guten Ruf der Familie besudelt hat. In dieses klassische Whodunit-Setting bettet Roßbacher gleichzeitig eine Coming-of-Age-Erzählung, eine Gesellschaftssatire und eine Farce über den Literatur- und Kunstbetrieb. Das könnte vollgestopft und gezwungen wirken, aber diese Handlungsstränge laufen elegant im beiläufigen Parlando der sich distanziert andienenden Dienstboten-Höflichkeit nebeneinander her.
Christians Lebensbetrachtungen klingen nachdenklich, die Kunstreflexionen bisweilen ironisch distanziert. Die Geschichte hält sehr lange offen, wen Christian eigentlich tot aufgefunden hat, stattdessen lässt sie ihn in immer abenteuerlicheren Schleifen und Volten aus seiner Jugend mit den Freunden Olli, Isi und Gösch im Vorarlberger Örtchen Feldkirch erzählen, um ihn nahezu im selben Atemzug seine Herkunft und Identität verleugnen zu lassen. Im Zürcher Dienst hört er auf den Namen Robert, weil schon ein Familienmitglied Christian heißt, die Kumpels rufen ihn Krischi. Er scheint die Identitätsfindung der Adoleszenz nie abgeschlossen zu haben und deshalb ganz froh darüber zu sein, als Diener eine Ersatz-Persönlichkeit übergestülpt zu bekommen.
Doch wo hört die spielerische Selbstverwirklichung auf und wo fangen Lüge, Betrug und Täuschung an, wo das Doppelleben? Wo ist der schmale Grat zwischen Kunst und Künstlichkeit? Diese Fragen ziehen sich wie eine Schlinge langsam um alle Erzählfäden zu. Denn Christian ist nicht der Einzige in diesem Roman, der mit seiner Identität und seinen Idealen spielt oder gar bricht. In einem Exkurs diskutiert er die künstlich aufgeplusterte Inszenierung des Grenzbahnhofs Feldkirch, den sowohl Arthur Conan Doyle als auch Stefan Zweig und James Joyce passierten, als vermeintliches Zentrum der Literaturgeschichte. Mit der Zeit entspinnt sich ein ganzer Reigen aus verborgenen oder vermeintlichen Familienbeziehungen und Doppelleben zwischen Zürich und Feldkirch. Christian kommt dabei vordergründig immer weiter von der ursprünglichen Erzählung ab. Er scheint trotz seiner Liebe zum Detail genau jene Einzelheiten übersehen oder vergessen zu haben, die wichtig dafür wären, den geheimnisvollen Tod und seine eigene Rolle, seine Mitschuld an dem Familienskandal zu verstehen.
„Holt einen die Lüge immer ein, das Verborgene, das getürkte Spiel, gibt es wirklich kein richtiges Leben im falschen?“ zitiert er Adorno, auch wenn er nie zugeben würde, dass er Adorno gelesen hat. Im Gestus der Untertreibung – oder ist es einfach nur Faulheit? – bezeichnet er sich als einen, „der viel gelesen hatte, aber zu wenig, um belesen zu sein“. In diesem Understatement zweifelt er seine eigene Zuverlässigkeit als Erzähler an, hinterfragt seine Erinnerungen an die Zeit mit den drei Freunden und bei Familie Hobbs. Seine Erinnerungen überlagern sich, verschwimmen ineinander.
Überhaupt funktioniert seine Wahrnehmung oft als Blick durch verzerrende Linsen und Filter: Teleskope, Kaleidoskope, Plastiskope – das sind diese winzigen Souvenir-Kunststofffernseher, in denen drehbare Fotoscheiben wechselnde Urlaubsbilder anzeigen. Sein Gedächtnis wird zugleich zu einem dokumentarisch registrierenden Archiv und einem re-inszenierenden Erzähler und Verklärer, der Erinnerungsschnipsel neu an- und zuordnet und somit eine individuelle Wahrheit herstellt.
Christians weitschweifende Suaden scheinen diesen fortwährenden Prozess mitzugehen und so folgt man ihm in einer ungebremsten Achterbahnfahrt der sprachlichen und erkenntnistheoretischen Selbsterzählung. Dabei vergisst man beizeiten, was eigentlich die Frage war, aber egal, denn dieser absurd-herzliche Genremix mit all seinen farbenprächtigen Kaleidoskop-Spiegelungen erzählt mehr darüber, wie persönliche Realität entsteht, als viele noch so stringent gestrickte Entwicklungsromane.
SOFIA GLASL
Verena Roßbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 384 Seiten, 22 Euro.
Wahrnehmung funktioniert
hier oft als Blick durch
verzerrende Linsen und Filter
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
im Pavillon
Verena Roßbachers Roman
„Ich war Diener im Hause Hobbs“
Butler haben immer etwas Geheimnisvolles. Sie sehen und hören alles, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, dürfen aber nicht darüber sprechen. Ehrensache, der Berufskodex verlangt Diskretion. Butler haben aber auch immer etwas Überkommenes, scheinen ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert.
Diese Verquickung von altehrwürdig-verstaubtem Image und stillem Beobachter macht sich die Autorin Verena Roßbacher in ihrem Roman „Ich war Diener im Hause Hobbs“ erzählerisch zunutze. Sie lässt den jungen Butler Christian Kauffmann rückblickend von seiner mehr als zehn Jahre währenden Anstellung bei der neureichen Zürcher Familie Hobbs erzählen. Führen die Hobbs keinen Landrover und schrieben keine E-Mails, man hätte fast den Eindruck, Anfang des 19. Jahrhunderts gelandet zu sein und auch Christians Erzählgestus ist eher der eines Arthur Conan Doyle, nicht eines jungen Mannes, der sich selbst als Hipster beschreibt.
Er beginnt seinen Bericht wie einen Krimi und erzählt von der Leiche, die er im Pavillon fand und deren Blut die Chaiselongue mitsamt dem guten Ruf der Familie besudelt hat. In dieses klassische Whodunit-Setting bettet Roßbacher gleichzeitig eine Coming-of-Age-Erzählung, eine Gesellschaftssatire und eine Farce über den Literatur- und Kunstbetrieb. Das könnte vollgestopft und gezwungen wirken, aber diese Handlungsstränge laufen elegant im beiläufigen Parlando der sich distanziert andienenden Dienstboten-Höflichkeit nebeneinander her.
Christians Lebensbetrachtungen klingen nachdenklich, die Kunstreflexionen bisweilen ironisch distanziert. Die Geschichte hält sehr lange offen, wen Christian eigentlich tot aufgefunden hat, stattdessen lässt sie ihn in immer abenteuerlicheren Schleifen und Volten aus seiner Jugend mit den Freunden Olli, Isi und Gösch im Vorarlberger Örtchen Feldkirch erzählen, um ihn nahezu im selben Atemzug seine Herkunft und Identität verleugnen zu lassen. Im Zürcher Dienst hört er auf den Namen Robert, weil schon ein Familienmitglied Christian heißt, die Kumpels rufen ihn Krischi. Er scheint die Identitätsfindung der Adoleszenz nie abgeschlossen zu haben und deshalb ganz froh darüber zu sein, als Diener eine Ersatz-Persönlichkeit übergestülpt zu bekommen.
Doch wo hört die spielerische Selbstverwirklichung auf und wo fangen Lüge, Betrug und Täuschung an, wo das Doppelleben? Wo ist der schmale Grat zwischen Kunst und Künstlichkeit? Diese Fragen ziehen sich wie eine Schlinge langsam um alle Erzählfäden zu. Denn Christian ist nicht der Einzige in diesem Roman, der mit seiner Identität und seinen Idealen spielt oder gar bricht. In einem Exkurs diskutiert er die künstlich aufgeplusterte Inszenierung des Grenzbahnhofs Feldkirch, den sowohl Arthur Conan Doyle als auch Stefan Zweig und James Joyce passierten, als vermeintliches Zentrum der Literaturgeschichte. Mit der Zeit entspinnt sich ein ganzer Reigen aus verborgenen oder vermeintlichen Familienbeziehungen und Doppelleben zwischen Zürich und Feldkirch. Christian kommt dabei vordergründig immer weiter von der ursprünglichen Erzählung ab. Er scheint trotz seiner Liebe zum Detail genau jene Einzelheiten übersehen oder vergessen zu haben, die wichtig dafür wären, den geheimnisvollen Tod und seine eigene Rolle, seine Mitschuld an dem Familienskandal zu verstehen.
„Holt einen die Lüge immer ein, das Verborgene, das getürkte Spiel, gibt es wirklich kein richtiges Leben im falschen?“ zitiert er Adorno, auch wenn er nie zugeben würde, dass er Adorno gelesen hat. Im Gestus der Untertreibung – oder ist es einfach nur Faulheit? – bezeichnet er sich als einen, „der viel gelesen hatte, aber zu wenig, um belesen zu sein“. In diesem Understatement zweifelt er seine eigene Zuverlässigkeit als Erzähler an, hinterfragt seine Erinnerungen an die Zeit mit den drei Freunden und bei Familie Hobbs. Seine Erinnerungen überlagern sich, verschwimmen ineinander.
Überhaupt funktioniert seine Wahrnehmung oft als Blick durch verzerrende Linsen und Filter: Teleskope, Kaleidoskope, Plastiskope – das sind diese winzigen Souvenir-Kunststofffernseher, in denen drehbare Fotoscheiben wechselnde Urlaubsbilder anzeigen. Sein Gedächtnis wird zugleich zu einem dokumentarisch registrierenden Archiv und einem re-inszenierenden Erzähler und Verklärer, der Erinnerungsschnipsel neu an- und zuordnet und somit eine individuelle Wahrheit herstellt.
Christians weitschweifende Suaden scheinen diesen fortwährenden Prozess mitzugehen und so folgt man ihm in einer ungebremsten Achterbahnfahrt der sprachlichen und erkenntnistheoretischen Selbsterzählung. Dabei vergisst man beizeiten, was eigentlich die Frage war, aber egal, denn dieser absurd-herzliche Genremix mit all seinen farbenprächtigen Kaleidoskop-Spiegelungen erzählt mehr darüber, wie persönliche Realität entsteht, als viele noch so stringent gestrickte Entwicklungsromane.
SOFIA GLASL
Verena Roßbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 384 Seiten, 22 Euro.
Wahrnehmung funktioniert
hier oft als Blick durch
verzerrende Linsen und Filter
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» Ich war Diener im Hause Hobbs [...] lässt einen nicht mehr los« Cornelia Wolter Westdeutsche Allgemeine Zeitung 20181206