Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes hatte Stefan Zweig 1934 Salzburg verlassen und in London eine Wohnung gemietet. Von dort versuchte er seine Arbeit weiterzuführen und stellte die aus Deutschland geflüchtete Lotte Altmann als Sekretärin ein. Fünf Jahre später, wenige Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, sollte sie seine zweite Frau werden. Dazwischen liegt eine Zeit der vorsichtigen Annäherung an die um 27 Jahre jüngere Lotte und erheblicher Spannungen mit Zweigs Ehefrau Friderike, von der er 1938 geschieden wurde. Der mit zahlreichen unbekannten Bildern ergänzte Band enthält die bisher unveröffentlichten Briefe Stefan Zweigs an Lotte Altmann und die Korrespondenz der beiden mit Lottes Familie bis zum Abschied von Europa im Sommer 1940. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Stefan Zweigs Sekretärin und zweite Ehefrau Lotte hat nach Einschätzung von Oliver Pfohlmann in der Zweig-Forschung bis heute "kein eigenes Profil" gewonnen. Auch die nun vorliegende von Oliver Matuschek besorgte Edition von Zweigs Briefen an Lotte ändert für ihn daran "nur wenig", vor allem da sämtliche Briefe Lottes an ihren Mann bis auf eine Ausnahme verloren gegangen sind. Er attestiert dem Herausgeber, die "vertrackte Dokumentenlage" durch Einbettung in einen fortlaufenden Kommentar zu kompensieren und die biografischen und werkgeschichtlichen Zusammenhänge überzeugend zu erschließen. So gewinnt der Band für ihn den Charakter eines "kleinen Briefromans", den er gespannt und mit Interesse gelesen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2013Der schwere Kampf für eine schöne Sache
Wie sich der Meister der psychologischen Novelle in seinen letzten Jahren im eigenen Seelenleben verlief: Die Briefe Stefan Zweigs an seine Frau Lotte.
Ja, es war wirklich ein unglücklicher Moment, in dem Friderike Zweig im Januar 1935 noch einmal kurz ins Arbeitszimmer ihres Mannes im Hotel in Nizza kam, um eine kleine Konsulatsfrage mit ihm zu besprechen: "Nie habe ich ein Mädchen so bestürzt gesehen, wie dieses aus einer tiefen Benommenheit aufgescheuchte junge Mädchen." So hat sie die Szene später beschrieben. Das benommene Mädchen war Lotte Altmann, seit einem Dreivierteljahr die Sekretärin Stefan Zweigs. Viel mehr hat Friderike nicht geschrieben, nur dass ihr Mann "sehr erschrocken" gewesen sei und sie selbst sich bemüht habe, "ruhig zu bleiben." Eine peinliche Szene für alle Beteiligten. Der Anfang einer Liebesgeschichte, der letzten Liebesgeschichte des Schriftstellers Stefan Zweig.
Lotte Altmann war in seiner Lebensgeschichte, so wie sie uns überliefert wurde, immer ein weißes Blatt. Die letzte Frau an seiner Seite, die Frau, mit der er gemeinsam 1942 in Petropolis aus dem Leben schied - ein Phantom, wie zufällig an seine Seite geweht, eine unauffällige Sekretärin, der, vielleicht aus zweigschem Pflichtgefühl, vielleicht aus bürokratischen, lebensvereinfachenden Gründen, im September 1939 auch noch ein Trauschein ausgestellt worden war.
Dass wir dieses Bild von ihr haben, liegt einerseits daran, dass Friderike nach Stefan Zweigs Tod viele Jahre lang quasi allein die Deutungshoheit über dessen Lebens- und Werkgeschichte für sich beanspruchte und dabei auch vor groben Fälschungen, Lügen und Manipulationen nicht zurückschreckte. Auf der anderen Seite liegt es aber offenbar auch an Lotte Altmanns scheuem, zurückhaltendem, außerordentlich an Privatheit interessierten, Wesen, wie man jetzt, in den Briefen ihres Arbeitgebers und späteren Ehemannes, nachlesen kann. Ja, es sind tatsächlich nur die Briefe Zweigs erhalten geblieben, und auch diese galten lange als verschollen, bis sie jetzt, siebzig Jahre nach dem Tod der beiden, auf dem Dachboden des Londoner Hauses von Eva Alberman, der Nichte Lottes, gefunden wurden.
"Ich wollte das eigentlich gar nicht anschauen", sagt sie, als sie vor wenigen Wochen in Leipzig zur Vorstellung des Buches gekommen war. "Privat ist privat, ich fand es nicht richtig, dass ich da rumgucke." Aber ihr Sohn war neugierig und energisch genug, um da eben doch einmal genauer hinzusehen und danach auch noch den Zweig-Biographen Oliver Matuschek über seinen Fund zu informieren. Und der las, staunte und konnte es kaum glauben, dass so viele Jahre nach Zweigs Tod noch eine so großartige Entdeckung zu machen war. Er hat die Briefe jetzt im S. Fischer Verlag herausgegeben, und die Lücken, die durch das Fehlen der Briefe Lottes entstehen, hat er mit seinem biographischen Wissen erzählerisch gefüllt, so dass das Buch zu einer unglaublich anrührenden, schönen, beinahe romanhaften Geschichte der letzten Lebensjahre Stefan und Lotte Zweigs geworden ist.
Am Anfang also war Peinlichkeit und Heimlichkeit. Stefan Zweig wollte, nach jener Entdeckung in Nizza, seiner Frau immer wieder das Geschehene erklären, so hat Friderike es geschildert. Aber sie wollte nichts hören. Sie fand es auch unglaublich peinlich, wusste aber, dass sie diese Konkurrentin nicht ernst nehmen musste, sie selbst hatte sie für ihren Mann als Sekretärin ausgesucht. Harmlos, unauffällig, pflichtbewusst, das war ihr Eindruck von der früh aus Deutschland nach London emigrierten Jüdin Lotte Altmann gewesen. Jetzt wollte sie die Sache durch Schweigen aus der Welt bringen. Das misslang, und bald schon hatte Friderike Zweig für die Konkurrentin einen Spitznamen gefunden, den sie gegenüber Freunden gerne einsetzte: "die Viper".
Dass der einzige Brief, den wir von dieser "Viper" haben, ausgerechnet von Friederike Zweig abgeschrieben und gekürzt worden ist, gehört zur sonderbaren Verbogenheit der ganzen Geschichte irgendwie dazu. Kurz nach der Entdeckung durch Friderike fuhr Stefan Zweig allein mit dem Schiff nach Amerika, seine Frau begleitete ihn noch in seine Kabine, wo schon ein Brief von Lotte an ihn lag. Wohl als Beweis der totalen Unwichtigkeit dieser Liaison übergab Zweig seiner Frau den Brief, ohne ihn geöffnet zu haben. Sie las und schrieb ein wenig davon ab. Lotte, in der von Friderike überlieferten Version, schrieb also: "Wenn ich auch nach aussen kalt erscheine, so habe ich doch, glaube ich, ein ganz grosses Bedürfnis nach Liebe und Freundschaft und die hast Du mir gegeben und ich bin Dir so dankbar dafür, mehr als Du es ahnst, Du weisst ja nicht, wie einsam ich mich innerlich gefühlt habe, bevor Du kamst." Stefan Zweig hat diesen Brief nie erhalten. Er schrieb an Lotte von unterwegs: "Ich bin gewisser Versteckspiele müde, sie passen nicht mehr zu mir und manches was einem wichtig ist, muss man eben durchkämpfen. Sie dürfen mir glauben, liebes Fräulein, dass mich die innere Verantwortung sehr drückt, ich weiss wie schwer es sein wird, dieses Unternehmen weiter durchzuhalten, welche Kämpfe es auch kosten wird, aber es wäre unmännlich, nicht eine schöne Sache auch mit Schwierigkeiten durchzustehen."
Wie schwer das Durchstehen dieser "schönen Sache" tatsächlich noch werden sollte, ahnte aber selbst Stefan Zweig hier noch nicht. Und es ist nur eine der erstaunlichen Entdeckungen in dem vorliegenden Band, wie der Meister der psychologischen Novelle sich in seinem eigenen Liebesleben überhaupt nicht auszukennen scheint. Wie er immer neue Unklarheiten schafft, jedes klare Wort scheut und damit vor allem seine Ehefrau in tiefe, lang anhaltende Verzweiflung stürzt. Die Epoche, die diese Briefe schildern, umfassen die Zeit, in der Stefan Zweigs tiefer Fall beginnt, als er sein großes Haus in Salzburg in Folge einer Hausdurchsuchung aufgibt, Fessel um Fessel löst und immer wieder hofft, dass auf die Welt von gestern doch noch ein großes Morgen folgen könnte. Lotte war ein wichtiger Teil davon.
Und es ist die zweite Überraschung dieses Buches zu sehen, wie viele Momente scheinbarer Sorglosigkeit und Lebensfreude sich in den Briefen jenes Mannes finden, dessen letzte Lebensjahre stets als ein Sturz in immer tiefere Dunkelheiten geschildert worden ist. Vor allem auf der letzten Station seines Lebens in Europa, auf dem Lande in Bath, scheint er sehr glücklich gewesen zu sein. Wie die kleine Kommune, mit Richard Friedenthal, der Nichte Eva und anderen, hier zum Beispiel die Ankunft des ersten Hühnereis gemeinsam brieflich schildert, liest sich wundervoll.
Und jene Eva von damals erinnert sich auch heute noch an eine beinahe idyllische Zeit, dort im englischen Grün. Erinnert sich auch an einen Stefan Zweig, der hier plötzlich auch eine Art Familienleben zu genießen schien, jener Stefan Zweig, für den in den Jahren zuvor die beiden Töchter seiner Frau immer der Inbegriff des Lästigen und Störenden gewesen waren. Hier, in Bath, war er glücklich, und auf den Bildern dieses Bandes scheint es Lotte auch zu sein. Für Eva Alberman, die 1929 geboren wurde und den großen Teil ihres Lebens in London verbrachte, war er so etwas wie ein Großvater auf Zeit, milde, freundlich, lebensunpraktisch, der darauf bestand, dass bei Tisch nur französisch gesprochen wurde. "Ich glaube, damit wir nicht so viel reden beim Essen", meint Eva Alberman heute. Im letzten Brief dieses Bandes schreibt Stefan Zweig nach dem letzten Abschied von Europa im Sommer 1940 an Lottes Familie in London, dass sie beide sehr müde seien, vom Leben, von der Flucht, den ewigen Reisen. Aber nun wünsche er allen, dass das Schlimmste nun vorüber sei. Der Wunsch blieb unerfüllt.
VOLKER WEIDERMANN
Stefan Zweig: "Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte". Briefe an Lotte Zweig 1934 - 1940.
Hrsg. Oliver Matuschek. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 368 S., br., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie sich der Meister der psychologischen Novelle in seinen letzten Jahren im eigenen Seelenleben verlief: Die Briefe Stefan Zweigs an seine Frau Lotte.
Ja, es war wirklich ein unglücklicher Moment, in dem Friderike Zweig im Januar 1935 noch einmal kurz ins Arbeitszimmer ihres Mannes im Hotel in Nizza kam, um eine kleine Konsulatsfrage mit ihm zu besprechen: "Nie habe ich ein Mädchen so bestürzt gesehen, wie dieses aus einer tiefen Benommenheit aufgescheuchte junge Mädchen." So hat sie die Szene später beschrieben. Das benommene Mädchen war Lotte Altmann, seit einem Dreivierteljahr die Sekretärin Stefan Zweigs. Viel mehr hat Friderike nicht geschrieben, nur dass ihr Mann "sehr erschrocken" gewesen sei und sie selbst sich bemüht habe, "ruhig zu bleiben." Eine peinliche Szene für alle Beteiligten. Der Anfang einer Liebesgeschichte, der letzten Liebesgeschichte des Schriftstellers Stefan Zweig.
Lotte Altmann war in seiner Lebensgeschichte, so wie sie uns überliefert wurde, immer ein weißes Blatt. Die letzte Frau an seiner Seite, die Frau, mit der er gemeinsam 1942 in Petropolis aus dem Leben schied - ein Phantom, wie zufällig an seine Seite geweht, eine unauffällige Sekretärin, der, vielleicht aus zweigschem Pflichtgefühl, vielleicht aus bürokratischen, lebensvereinfachenden Gründen, im September 1939 auch noch ein Trauschein ausgestellt worden war.
Dass wir dieses Bild von ihr haben, liegt einerseits daran, dass Friderike nach Stefan Zweigs Tod viele Jahre lang quasi allein die Deutungshoheit über dessen Lebens- und Werkgeschichte für sich beanspruchte und dabei auch vor groben Fälschungen, Lügen und Manipulationen nicht zurückschreckte. Auf der anderen Seite liegt es aber offenbar auch an Lotte Altmanns scheuem, zurückhaltendem, außerordentlich an Privatheit interessierten, Wesen, wie man jetzt, in den Briefen ihres Arbeitgebers und späteren Ehemannes, nachlesen kann. Ja, es sind tatsächlich nur die Briefe Zweigs erhalten geblieben, und auch diese galten lange als verschollen, bis sie jetzt, siebzig Jahre nach dem Tod der beiden, auf dem Dachboden des Londoner Hauses von Eva Alberman, der Nichte Lottes, gefunden wurden.
"Ich wollte das eigentlich gar nicht anschauen", sagt sie, als sie vor wenigen Wochen in Leipzig zur Vorstellung des Buches gekommen war. "Privat ist privat, ich fand es nicht richtig, dass ich da rumgucke." Aber ihr Sohn war neugierig und energisch genug, um da eben doch einmal genauer hinzusehen und danach auch noch den Zweig-Biographen Oliver Matuschek über seinen Fund zu informieren. Und der las, staunte und konnte es kaum glauben, dass so viele Jahre nach Zweigs Tod noch eine so großartige Entdeckung zu machen war. Er hat die Briefe jetzt im S. Fischer Verlag herausgegeben, und die Lücken, die durch das Fehlen der Briefe Lottes entstehen, hat er mit seinem biographischen Wissen erzählerisch gefüllt, so dass das Buch zu einer unglaublich anrührenden, schönen, beinahe romanhaften Geschichte der letzten Lebensjahre Stefan und Lotte Zweigs geworden ist.
Am Anfang also war Peinlichkeit und Heimlichkeit. Stefan Zweig wollte, nach jener Entdeckung in Nizza, seiner Frau immer wieder das Geschehene erklären, so hat Friderike es geschildert. Aber sie wollte nichts hören. Sie fand es auch unglaublich peinlich, wusste aber, dass sie diese Konkurrentin nicht ernst nehmen musste, sie selbst hatte sie für ihren Mann als Sekretärin ausgesucht. Harmlos, unauffällig, pflichtbewusst, das war ihr Eindruck von der früh aus Deutschland nach London emigrierten Jüdin Lotte Altmann gewesen. Jetzt wollte sie die Sache durch Schweigen aus der Welt bringen. Das misslang, und bald schon hatte Friderike Zweig für die Konkurrentin einen Spitznamen gefunden, den sie gegenüber Freunden gerne einsetzte: "die Viper".
Dass der einzige Brief, den wir von dieser "Viper" haben, ausgerechnet von Friederike Zweig abgeschrieben und gekürzt worden ist, gehört zur sonderbaren Verbogenheit der ganzen Geschichte irgendwie dazu. Kurz nach der Entdeckung durch Friderike fuhr Stefan Zweig allein mit dem Schiff nach Amerika, seine Frau begleitete ihn noch in seine Kabine, wo schon ein Brief von Lotte an ihn lag. Wohl als Beweis der totalen Unwichtigkeit dieser Liaison übergab Zweig seiner Frau den Brief, ohne ihn geöffnet zu haben. Sie las und schrieb ein wenig davon ab. Lotte, in der von Friderike überlieferten Version, schrieb also: "Wenn ich auch nach aussen kalt erscheine, so habe ich doch, glaube ich, ein ganz grosses Bedürfnis nach Liebe und Freundschaft und die hast Du mir gegeben und ich bin Dir so dankbar dafür, mehr als Du es ahnst, Du weisst ja nicht, wie einsam ich mich innerlich gefühlt habe, bevor Du kamst." Stefan Zweig hat diesen Brief nie erhalten. Er schrieb an Lotte von unterwegs: "Ich bin gewisser Versteckspiele müde, sie passen nicht mehr zu mir und manches was einem wichtig ist, muss man eben durchkämpfen. Sie dürfen mir glauben, liebes Fräulein, dass mich die innere Verantwortung sehr drückt, ich weiss wie schwer es sein wird, dieses Unternehmen weiter durchzuhalten, welche Kämpfe es auch kosten wird, aber es wäre unmännlich, nicht eine schöne Sache auch mit Schwierigkeiten durchzustehen."
Wie schwer das Durchstehen dieser "schönen Sache" tatsächlich noch werden sollte, ahnte aber selbst Stefan Zweig hier noch nicht. Und es ist nur eine der erstaunlichen Entdeckungen in dem vorliegenden Band, wie der Meister der psychologischen Novelle sich in seinem eigenen Liebesleben überhaupt nicht auszukennen scheint. Wie er immer neue Unklarheiten schafft, jedes klare Wort scheut und damit vor allem seine Ehefrau in tiefe, lang anhaltende Verzweiflung stürzt. Die Epoche, die diese Briefe schildern, umfassen die Zeit, in der Stefan Zweigs tiefer Fall beginnt, als er sein großes Haus in Salzburg in Folge einer Hausdurchsuchung aufgibt, Fessel um Fessel löst und immer wieder hofft, dass auf die Welt von gestern doch noch ein großes Morgen folgen könnte. Lotte war ein wichtiger Teil davon.
Und es ist die zweite Überraschung dieses Buches zu sehen, wie viele Momente scheinbarer Sorglosigkeit und Lebensfreude sich in den Briefen jenes Mannes finden, dessen letzte Lebensjahre stets als ein Sturz in immer tiefere Dunkelheiten geschildert worden ist. Vor allem auf der letzten Station seines Lebens in Europa, auf dem Lande in Bath, scheint er sehr glücklich gewesen zu sein. Wie die kleine Kommune, mit Richard Friedenthal, der Nichte Eva und anderen, hier zum Beispiel die Ankunft des ersten Hühnereis gemeinsam brieflich schildert, liest sich wundervoll.
Und jene Eva von damals erinnert sich auch heute noch an eine beinahe idyllische Zeit, dort im englischen Grün. Erinnert sich auch an einen Stefan Zweig, der hier plötzlich auch eine Art Familienleben zu genießen schien, jener Stefan Zweig, für den in den Jahren zuvor die beiden Töchter seiner Frau immer der Inbegriff des Lästigen und Störenden gewesen waren. Hier, in Bath, war er glücklich, und auf den Bildern dieses Bandes scheint es Lotte auch zu sein. Für Eva Alberman, die 1929 geboren wurde und den großen Teil ihres Lebens in London verbrachte, war er so etwas wie ein Großvater auf Zeit, milde, freundlich, lebensunpraktisch, der darauf bestand, dass bei Tisch nur französisch gesprochen wurde. "Ich glaube, damit wir nicht so viel reden beim Essen", meint Eva Alberman heute. Im letzten Brief dieses Bandes schreibt Stefan Zweig nach dem letzten Abschied von Europa im Sommer 1940 an Lottes Familie in London, dass sie beide sehr müde seien, vom Leben, von der Flucht, den ewigen Reisen. Aber nun wünsche er allen, dass das Schlimmste nun vorüber sei. Der Wunsch blieb unerfüllt.
VOLKER WEIDERMANN
Stefan Zweig: "Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte". Briefe an Lotte Zweig 1934 - 1940.
Hrsg. Oliver Matuschek. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 368 S., br., 24,99 [Euro].
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Zum besseren Verständnis bettet [...] Matuschek Zweigs Briefe an Lotte in einen fortlaufenden Kommentar ein [...]. Das gelingt so vorzüglich, dass daraus ein kleiner Briefroman entsteht. Oliver Pfohlmann Neue Zürcher Zeitung 20130810