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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Dennis Coopers Roman "Ich wünschte" will auf ein Höchstmaß an Verunsicherung hinaus
Es ist ein untrügliches Zeichen fürs Älterwerden, wenn die Sounds, die Ästhetiken, die Schreibweisen, mit denen man groß geworden ist, nicht mehr nur Erinnerungen oder Nostalgie hervorrufen, sondern eine Art existenzielles Nagen. Halbzeit: Diese Einsicht trifft einen um die vierzig mit aller Wucht und mit unberechenbaren Folgen. Derzeit sind es die sogenannten Millennials, die sich auf "des Lebensweges Mitte / in eines Waldes Dunkel" verschlagen sehen, wovon schon Dantes Commedia zu erzählen wusste.
Fällt der Roman von Dennis Cooper in die Hände eines Vertreters dieser Generation (und, ja, zu ihnen zählt sich auch der Schreiber dieser Zeilen), rufen Form und Erzählweise, obwohl es sich fraglos um ein Stück Gegenwartsliteratur handelt, eben solche ambivalenten Gefühle wach. Die fragmentarisch gebrochene, selbstreflexive, zwischen Wahnsinn und Vernunft, Realität und Fiktion schwebende Prosa will auf ein Höchstmaß an Verunsicherung hinaus. Gerade darin wirkt das Buch aber eigentümlich vertraut, zumindest für diejenigen, die mit den Romanen von Thomas Pynchon, Don DeLillo, Paul Auster und David Foster Wallace zur Literatur gefunden haben. "Ich wünschte" erfüllt geradezu mustergültig das Schreibprogramm der Postmoderne, die zumindest für den hier vorgestellten Leser mittleren Alters zu einer Art "Zeitheimat" (so ein Ausdruck von W. G. Sebald) geworden ist.
Dass sich Coopers Buch heute wie ein postmoderner Retro-Roman liest, hat nicht zuletzt entstehungsgeschichtliche Gründe. Es handelt sich um den Abschluss eines Romanzyklus, der bereits in den späten Achtzigerjahren begonnen wurde, des sogenannten "George Miles Cycle", oder genauer gesagt um ein Postskriptum, denn der bislang letzte Roman der Reihe, "Period", ist bereits im Jahr 2000 erschienen. Zentriert sind die Bücher um die Figur, die dem Zyklus ihren Titel gibt, und deren nur drei Jahrzehnte umspannendes Leben, das komplex und chaotisch, vor allem aber tragisch verläuft, denn es endet im Suizid. Als Beweggrund für seine Bücher benennt der Autor auf seiner Website "die uneingeschränkte Liebe und Unterstützung für George Miles und die grenzenlose Faszination für die sexuelle Phantasie, junge Männer wie ihn zu besitzen, zu erforschen und zu zerstören". Der entscheidende Wesenszug dieser Prosa ist damit benannt, nämlich die Grenzüberschreitung, und zwar sowohl die erzählerische (die Figur als Liebesobjekt des Autors) als auch die thematische (die sexuelle Perversion zwischen analytischem und aggressivem Impetus).
"Ich wünschte" setzt die Poetik des Zyklus fort und bringt sie zugleich denkbar radikal zum Abschluss. Der Roman setzt in der Kindheit des Protagonisten an, der uns gleich auf den ersten Seiten als bipolar vorgestellt wird. Was tatsächlich geschieht und was nur vorgestellt ist, das ist von diesem Punkt an und über die Dauer der gesamten Erzählung hinweg ununterscheidbar. Das Buch hat dadurch etwas von dunkler Romantik, wozu es gut passt, dass manche in Tiecks Märchen oder Novalis' "Hymnen an die Nacht" Vorläufer der postmodernen Ästhetik zu erkennen meinen. Recht früh wechselt die Erzählung auch zu Dennis, dem kindlichen Alter Ego des Autors, von dessen Jugend berichtet wird, vor allem von seiner Begegnung mit George, als dieser zwölf, er selbst fünfzehn Jahre alt gewesen ist. "George war der seltsamste, süßeste und schönste Junge, den Dennis je auf der Welt gesehen hatte, und zu seinem völligen Erstaunen liebte George ihn unverzüglich und heftig." Was allerdings von dessen Ärzten, wie man gleich im Nachsatz erfährt, als Ausdruck einer "Manie" bewertet wurde. Es ist diese zutiefst ambivalente Erfahrung, die das Initialmoment für Dennis' Schreibvorhaben bildet und aus dessen Ungeordnetheit er keinen Hehl macht: "Ich bin zu sehr in ihn verliebt, um kohärent darüber zu sprechen." Entsprechend lässt sich in seiner Hommage auf George, den Geliebten, auch ein kleiner funkelnder Essay über den Weihnachtsmann unterbringen, oder ein grotesker Monolog des vermenschlichten "Roden Crater" in Arizona, aus dem der Künstler James Turrell eine riesiges Land-Art-Installation gestaltet hat.
Um allzu belastbare Wirklichkeitsbezüge handelt es sich dabei allerdings nicht. Tatsächlich lässt der Roman an keiner Stelle einen Zweifel darüber aufkommen, dass George, ja die gesamte Erzählwelt etwas anderes wäre als ein "textlicher Effekt", wie Clemens Setz in seinem ausführlichen Nachwort betont (das vermutlich auch ein verdeckter Kommentar auf sein eigenes Schreiben ist). Nein, wer in diesem Buch irgendetwas über die sogenannte Realität erfahren will, der hat eigentlich schon verloren, bevor er die erste Seite aufschlägt.
Selbst dort, wo Körperflüssigkeiten ins Spiel kommen, bleibt die Wirklichkeit außen vor. Bemerkenswert ist dies insofern, als Tränen, Blut, Sperma und so weiter in der Kunst doch üblicherweise ein Höchstmaß an Wahrhaftigkeit verbürgen sollen. Zu den traurigen Klängen von Nick Drake jagt sich George am Ende der Erzählung eine Kugel in den Kopf, woraufhin der Erzähler kommentiert: "Blut fließt aus seinem Mund und seiner Nase . . . Da ist ein Krater in seinem Kopf." Woraufhin auch dieser "Krater", genau wie der von James Turrell, zu sprechen beginnt - aber und erklärtermaßen als ein literarisches Gebilde, das allein durch das beseelt ist, was Thomas Mann in seinem Spätwerk "Der Erwählte", das verblüffenderweise einige Tendenzen des postmodernen Schreibens vorwegnimmt, den "Geist der Erzählung" nannte.
Vielleicht liegt auch darin ein Grund, warum Coopers Buch, so krass, wirr und grell es zunächst daherkommen mag, auf heutige Leser, ob nun Millennial oder nicht, letztlich eher beruhigend wirkt. Es ist ein Erzählen, das sich fernab der immer schneller wandelnden Relevanz- und Realitätspoetiken unserer Tage bewegt, die stets auf die eine oder andere Weise politisch und damit außerliterarisch motiviert sind, und es ist der Gegensatz zu den Ansätzen der Autofiktion, die über das Verfahren der (vermeintlichen) schriftstellerischen Selbstentblößung Spektakel machen wollen. "Ich wünschte" will nichts anderes, als das Möglichkeitsdenken der Literatur über die realitätsgesetzten Grenzen hinwegführen. Das liest sich zum Teil schmerzhaft. Aber es ist ein wohltuender Schmerz. KAI SINA
Dennis Cooper: "Ich wünschte". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Raimund Vaga.
Luftschacht Verlag, Wien 2023. 144 S., geb., 20,- Euro.
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