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Für die Forschung zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen scheint der Befund eindeutig: Auf einen mit äußerster Brutalität geführten Krieg folgte der von der SS vorangetriebene Versuch, zumindest den annektierten Westen des Landes in einen "Exerzierplatz" rassischer Lebensraumpolitik zu verwandeln, in eine - so Himmler - "blonde Provinz". Gerhard Wolfs Analyse fördert indes Erstaunliches zutage. Himmlers Pläne stießen bei verschiedenen Institutionen auf erbitterten Widerstand, als durch sie ein großer Teil der polnischen Bevölkerung als "rassisch ungeeignet" deportiert werden…mehr

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Produktbeschreibung
Für die Forschung zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen scheint der Befund eindeutig: Auf einen mit äußerster Brutalität geführten Krieg folgte der von der SS vorangetriebene Versuch, zumindest den annektierten Westen des Landes in einen "Exerzierplatz" rassischer Lebensraumpolitik zu verwandeln, in eine - so Himmler - "blonde Provinz". Gerhard Wolfs Analyse fördert indes Erstaunliches zutage. Himmlers Pläne stießen bei verschiedenen Institutionen auf erbitterten Widerstand, als durch sie ein großer Teil der polnischen Bevölkerung als "rassisch ungeeignet" deportiert werden sollte, und sie scheiterten schließlich an den lokalen Gauleitern. Deren Selektionsverfahren stellten nicht "Rasse", sondern "Volk" in den Mittelpunkt. Sie zielten mit Verweis auf die - freilich oftmals erzwungene - Bereitschaft der Einheimischen, die deutsche Herrschaft anzuerkennen, auf die Einbindung in die deutsche Volksgemeinschaft. Die Vermutung, in einem nach rassistischen Kriterien organisierten Staat werde sich die Konfliktpartei durchsetzen, die für eine rassistische Politik steht, ist naheliegend - in diesem Fall führt sie jedoch in die Irre.

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Autorenporträt
Gerhard Wolf, Dr. phil., geboren 1972, ist DAAD Lecturer for Modern German History an der University of Sussex in Brighton/UK.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Gesamtbild nationalsozialistischer Germanisierungspolitik im Osten erschüttert diese Studie von Gerhard Wolf zwar nicht, doch sie beeindruckt den Rezensenten Christoph Klessmann durch Gründlichkeit und Gelehrsamkeit. Vor allem die kriegswirtschaftlichen Prioritäten der Kommando führenden Gauleiter in der Auseinandersetzung mit der SS jedoch vermag der Autor ihm detailliert herauszuarbeiten und damit auch die Uneinheitlichkeiten des Germanisierungsprojekts. Wenn Wolf dafür weit in die Geschichte zurückführt, so dient das laut Rezensent als Beweis für eine eher konventionelle (wenn auch nicht weniger grausame) Besatzungspolitik anstelle des angeordneten Rassewahns.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2012

Hitlers Deutschmacher
Die Gauleiter und der nationalsozialistische Besatzungsterror in Polen

Der deutsche Terror im besetzten Polen ist vielfach dokumentiert worden - anders dagegen die Aspekte der langfristigen nationalsozialistischen Herrschaftssicherung. Das utopische Konzept vom deutschen "Lebensraum im Osten" - Gerhard Wolf bezeichnet es mit der begrifflichen Neuschöpfung etwas gekünstelt als "Dystopie" - richtete sich ursprünglich auf die Sowjetunion. Mit dem Überfall auf Polen rückten jedoch zunächst insbesondere die ins Reich "eingegliederten Gebiete" in den Fokus. Hier wurde nun geplant, erprobt und auch wieder modifiziert, wie "Germanisierung" von neuem Lebensraum aussehen sollte.

Ermordung oder Vertreibung der aus rassischen und politischen Gründen Unerwünschten, insbesondere der polnischen Eliten, und komplementär dazu die genaue Erfassung der "Volksdeutschen" und Ansiedlung von ethnischen Deutschen aus verschiedenen Teilen Osteuropas markierten ganz allgemein dieses Ziel. Zum ersten Mal wurde hier die gesamte ansässige Bevölkerung einer umfassenden Selektion unterworfen, aus der sich Zugehörigkeit zur oder Ausschluss aus der künftigen deutschen Volksgemeinschaft ergeben sollte. Aber welche Kriterien dafür galten, war offen und selbst unter den "Ethnokraten" in Berlin und vor Ort strittig. Von einer einheitlichen Germanisierungspolitik, das macht Wolf deutlich, konnte zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. Das Scheitern des geplanten Blitzkrieges gegen die Sowjetunion Ende 1941 erzwang zudem eine Neuausrichtung der "Volkstumspolitik": der gebieterische Zwang der Kriegswirtschaft zur erweiterten Arbeitskräfterekrutierung forcierte Änderungen auch in den besetzten Gebieten.

Die Nationalsozialisten agierten in Polen aber nicht voraussetzungslos. Seit der Annexion der aus den Teilungen Polens stammenden Territorien hatte es unterschiedlich intensive Phasen der Germanisierung gegeben, so dass die Frage nach Kontinuitäten der preußisch-deutschen und der nationalsozialistischen Polen-Politik sich aufdrängt. Wolf greift daher weit ins 19. Jahrhundert und in die Planungen der Annexion eines "polnischen Grenzstreifens" im Ersten Weltkrieg zurück, um ebendieser Frage nachzugehen. Er untermauert damit auch seine Hauptthese, dass in der Praxis der Besatzungspolitik die Eindeutschung nach konventionellem Muster eine viel größere Rolle spielte als die primär von der SS gewünschte und detailliert geplante rassische Überprüfung und Selektion.

Exemplifiziert wird das an dem für die "eingegliederten Gebiete" Westpolens geschaffenen Apparat der "Deutschen Volksliste" (DVL). Sie diente als Instrument für eine Politik der Integration, "Rückdeutschung" oder auch Selektion und Abschiebung ehemals polnischer Staatsbürger. Wer in die Abteilungen 1 und 2 der DVL aufgenommen wurde, konnte auf sukzessive Gleichstellung mit deutschen Reichsbürgern, allerdings auch mit Einziehung zur Wehrmacht rechnen. Wer dagegen in der letzten Gruppe registriert wurde, galt als "aktiv verpolter Deutschstämmiger" (so die bemerkenswerte Definition in der entsprechenden Verordnung), hatte nur geringe Chancen auf "Bewährung" und musste unter Umständen als "völkisch minderwertig" mit Deportation rechnen.

In der Praxis der drei annektierten Gebiete war alles ein heilloses Durcheinander - diesen Eindruck verstärkt die minutiöse Rekonstruktion der konkurrierenden politischen Entscheidungsprozesse und Interventionen auf verschiedenen Ebenen. Das eigentlich Neue in Wolfs Argumentation ist die Herausarbeitung der starken Position der Gauleiter und ihrer Verwaltungen, die sich bei der Handhabung der Germanisierung mehrfach erfolgreich gegen den SS-Apparat durchsetzen konnten. Heinrich Himmler scheiterte immer wieder an den Zivilverwaltungen bei seinem absurden Versuch, rassische Qualität, wie auch immer man die feststellen wollte, als entscheidendes Kriterium der Selektion durchzusetzen. Selbst der Himmler nahestehende und besonders radikale Gauleiter des Warthelandes, SS-Obergruppenführer Arthur Greiser, rückte partiell von ursprünglichen Positionen ab und wehrte sich gegen die Kommissionen und Prüfer des Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes der SS, weil deren Prozeduren für die eigene regionale Herrschaftssicherung dysfunktional waren.

Albert Forster, der Gauleiter von Danzig-Westpreußen, verfolgte besonders eigensinnig eine eigenständige Linie. Er startete im Dezember 1940 für seinen Gau eine "Wiedereindeutschungsaktion" und bemühte dazu auch den bekannten Jenaer Professor Hans Friedrich Günther ("Rasse-Günther") für ein Gutachten. Dieser bescheinigte Forster, etwa vier Fünftel der dortigen Bevölkerung stünden "rassisch dem Deutschtum Ostmitteldeutschlands nicht fern". Forster hatte damit die "wissenschaftliche" Legitimierung seiner Strategie, ohne penible Prüfungen "verschüttetes deutsches Volkstum" wieder freizulegen und zurückzugewinnen. Ein treibendes Moment war neben der Distanz zu Himmler die Einsicht, dass ohne qualifizierte Arbeitskräfte die Provinz wirtschaftlich kollabieren würde.

Dass die Studie "mit den gängigen Annahmen über die nationalsozialistische Besatzungspolitik" bricht, wie der Klappentext kühn behauptet, erscheint etwas übertrieben. Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass der Autor, der ohne Frage eine außerordentlich gründliche und gelehrte Studie vorgelegt hat, zu sehr der Suggestion seiner Grundthese erlegen ist. Himmlers "Niederlagen" im Hinblick auf rassische Überprüfung und Deportation waren vor allem kriegswirtschaftlichen Prioritäten geschuldet. Die "Dystopie" war damit ja keineswegs außer Kraft gesetzt und im benachbarten Generalgouvernement praktizierte die SS in Zamosc noch bis 1943 erste Ansätze zu ihrer künftigen Realisierung. Schließlich blieb die große Mehrheit der Bevölkerung auch in den Westgebieten polnisch und wurde offiziell als "Schutzangehörige" geführt.

Dass sich allerdings die Gauleiter (neben Forster und Greiser auch Fritz Bracht in Oberschlesien) erfolgreich gegen das Rasseüberprüfungskonzept stellten und ähnlich wie Forster aus pragmatischen und herrschaftstechnischen Gründen eher an Traditionen hergebrachter preußisch-deutscher Assimilationspolitik orientierten, wird eindrucksvoll und detailliert herausgearbeitet. Dem Bild der nationalsozialistischen "Anarchie der Vollmachten" wird damit eine weitere instruktive Komponente hinzugefügt, ohne dass sich damit das Gesamtbild selbst aber grundlegend verändert.

CHRISTOPH KLESSMANN.

Gerhard Wolf: Ideologie und Herrschaftsrationalität. Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen. Hamburger Edition, Hamburg 2012. 528 S., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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