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Katharina Adlers Roman "Iglhaut" ist ein pointiertes Wohlfühlbuch über eine profane Heilige unserer Zeit
Mit dem Begriff "authentisch" hat die Heldin "abgeschlossen", ein "Furnierwort" nennt sie es in ihrem Schreinerlatein: "Von außen betrachtet vielsagend, billig aber im Kern." Da ist was dran. Will man es etwa besonders authentisch nennen, wenn jemand den herrlich bayerischen Namen Iglhaut trägt und dann tatsächlich dem nachtaktiven Stachelviech ähnelt? Eine Einzelgängerin jedenfalls ist die Iglhaut, raschelt durchs Unterholz des Vorstadtalltags. Wollen hingegen ihre getrennt lebenden, liebenswert übergriffigen Eltern oder der momentan wieder aktuelle Ex-Geliebte, der irgendwann eine andere Frau geheiratet und zwei Kinder bekommen hat, etwas von ihr, rollt sie sich schnaubend zur Kugel zusammen. Das Leben, weiß die auch bereits mittelalte Iglhaut, ist zu widersprüchlich, um sich über Authentizität Gedanken zu machen; dann doch lieber Abendbrot. Integrität aber, das gibt es durchaus für die kernige Heldin von Katharina Adlers zweitem Roman, diese patente, schlagfertige Schreinerin, die sich immer mehr als Zentralgestirn im Nachbarschaftskosmos erweist. Zu ihr kommen sie alle mit ihren Nöten, Wünschen und Klatschgeschichten, mit ihrer Wut und Liebe.
Drei Jahre nach Adlers Debütroman "Ida" - mit einigermaßen spektakulär autobiographischem Sujet: Adlers Urgroßmutter war Sigmund Freuds "Fall Dora" - ist da also wieder eine starke, empfindsame, aber diesmal besser gepanzerte Frau, die freilich weit weniger spektakulär in einem Münchner Wohnkarree der Gegenwart lebt. Weibliche Selbstbestimmung ist das verbindende Thema. Die Protagonistin muss sich zwar nicht mehr einer Domestikation unter dem Kampfbegriff "Hysterie" erwehren, aber auch sie führt ein Leben abseits immer noch virulenter Rollenerwartungen. Ganz im Moment existierend, stillt sie ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe recht pragmatisch und lässt sich, kurz vor knapp, auch keine Kinderwunschpanik einreden. Dass die Iglhaut keinen Vornamen hat, passt zu ihr. Als Ersatzvornamen fungieren Artikel, aber davon gibt es praktischerweise zwei, den bestimmten für konkrete Reaktionen ("Die Iglhaut nickte") und den unbestimmten, wenn es um ihren Selbstentwurf geht, der freilich selten zutrifft, woraus ein guter Teil der Komik resultiert: "Eine Iglhaut, blieb die nicht ruhig und zahlte höchstens später mit feinen Gemeinheiten heim?"
Auch solche Gemeinheiten sind hier jedoch Liebesbeweise, Maßnahmen gegen die Anonymität im postfamiliären Zeitalter. Nicht nur für ihre Freundin Valeria und die durchs Leben treibenden Eltern ist die struppige Handwerkerin erste Anlaufstelle, sondern auch für den verklemmten Uli, den Kleindealer Ronnie, die "woke" Jasmina, die jammernde Frau Ivanovic und so fort. Obwohl sie diesen Sozialstress mit Grantigkeit und morgendlichen Cocktails abfedert, obwohl sie lautstark darum bittet, einfach in Ruhe gelassen zu werden - vergeblich, vielmehr verfolgt die gesamte Nachbarschaft voller Neugier jede Wendung ihres Lebens -, blüht die Heldin als guter Geist des Viertels auf. Unter den vom Wohnungsmarkt zusammengewürfelten einsamen Individuen und Lebensabschnittspaaren (eines in der Kriegsphase) braucht es solche Vermittler. All ihr Zynismus kann nicht verhehlen, dass die Iglhaut sich selbst in so etwas wie eine knallbunt restaurierte zünftige Heiligenfigur verwandelt hat: Sie stiftet Gemeinschaft, eine Gemeinde. Das ist die lebensfrohe Dimension dieses radikal diesseitigen Romans, der im banalen Plausch, im Schaum der Tage - der dazu gar nicht surreal überhöht und dramatisch aufgeladen werden muss wie noch bei Boris Vian - das kleine Glück findet.
Zu dem guten Dutzend Figuren, das die Heldin umschwirrt, gehört auch eine Schriftstellerin, eine blockierte natürlich, die von einer Bestseller verfassenden Freundin von ihren Ambitionen geheilt und auf die Schiene eines eher trivialen Nachbarschaftsromans gesetzt wird, was bei Adler eine Spur zu aufgesetzt daherkommt, um selbstreflexiv genannt zu werden. Dass den leicht satirisch erzählten Belanglosigkeiten aus dem Leben der Iglhaut (eine gewonnene schreckliche All-inclusive-Reise, ein am Bio-Hack der väterlichen Lasagne zerbissener Backenzahn. ein die Atheistin auch metaphysisch fordernder Auftrag zur Restauration dreier wurmstichiger Heiliger, diverse Liebeshändel) tiefere Bedeutung zukäme, würde wohl auch die Autorin nicht behaupten. Literarisch noch heikler ist es, dass trotz eines fernsehfilmwürdigen Finales (großes Hoffest) kein wirklicher Erzählbogen und damit auch keine Begrenzung des Blicks existiert. Das poetische Prinzip besteht einfach aus Introspektion und Addition. Von lustiger Szene geht es zu lustiger Szene. Dabei scheut sich Adler auch nicht vor platten Einfällen (Iglhauts Hund heißt "die Kanzlerin", würde aber nie auf "Heimatministerin" hören), Slapstick (der Mutter geraten "Dickpics" in die Hände) und Klischees (der Privatarzt Dr. Teufel fährt ein "Jaguar-Cabriolet . . . mit Golftasche auf den Ledersitzen"). Das Erzählte ließe sich auf diese Weise beliebig verlängern. Und es bleibt reine Oberfläche, weist keine zweite Ebene auf.
Die große Stärke des Romans ist sein Tonfall, pointiert und dabei so gut gelaunt, dass man sich ihm schwer entziehen kann: "In der Luft: Laune." Kurze Sätze mit lakonisch knallenden Schlüssen, schlagfertige Dialoge, scharfe Beobachtungen: "Gesundheitsschuhe, Jutebeutel überm Bundeswehrparka: Uli war erkennbar ausgehfertig." Mit Anlauf stürmen einige originelle Metaphern ins Feld: "Wütend sein und dazu Hunger haben, das war aus einem Zelt in der Mittagshitze hinauszuwollen, aber der Reißverschluss klemmt." Im Haus der Mutter "war sie nicht mehr Tochter, sondern Botschafterin in einem autokratischen Land, zur Rechtfertigung einbestellt".
Dieser blitzende Stil erinnert an heitere Onlineforen oder gelungene Twitter-Nachrichten. Dass im realen Leben kaum jemand so spricht ("Ob das aber ein Schritt nach vorn ist?" - "Dachte immer, du siehst das Leben nonlinear." - "Ich höre die Süffisanz in deiner Stimme"), soll allenfalls ein leichter Einwand sein. Was hingegen wirklich stört, ist die Eintönigkeit: Alle Figuren, selbst die buddhistisch orientierte Mutter, der adrette Zahnarztsohn oder die Nonne, die die restaurierten Heiligen inspiziert, sprechen hier diesen flotten, ironisch hochgedrehten Instagram-Jargon. Da wäre mehr Abwechslung ein Gewinn gewesen, möglicherweise aber auch weniger amüsant. In Handlung, Form und Sprache ist das alles näher an den Wohlfühlromanen von Kerstin Gier als etwa an Iris Hanika, aber auch gewitzte Unterhaltungsliteratur - integer, wenn schon nicht authentisch - hat ihren unbestreitbaren Wert, zumal wenn sie in Zeiten des Hasses so charmant vom Zusammenhalt erzählt. OLIVER JUNGEN.
Katharina Adler: "Iglhaut". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 288 S., geb., 23,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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In ihrem Roman „Iglhaut“ begleitet Katharina Adler eine verschrobene Schreinerin durch die Katastrophen des Alltags
Die Protagonistin dieses Romans hat keinen Vornamen, sie heißt Iglhaut und wird im Text stets eskortiert von Artikeln, mal bestimmt, mal unbestimmt. „Die Iglhaut“ denkt dies, „eine Iglhaut“ macht jenes. Die Iglhaut denkt dies aber nicht in einem Kinderbuch und sie macht jenes auch nicht in einem Fantasy-Abenteuer. Die Iglhaut ist eine Anfang 40-jährige Schreinerin aus gar nicht so seltenem, eher spröden Holz und sie lebt in einer Stadt, die München zwar nicht genannt wird, jedoch etwas anderes als München kaum sein kann. Und wie man das nun spontan findet, dass hier eine erwachsene Frau im Deutschland der Gegenwart als „Iglhaut“ auf Heldinnenreise geht, könnte einen ersten Stachelzeig darauf geben, wie einem das Ganze, nach der oder einer Iglhaut benannte Buch gefallen wird.
Es ist der zweite Roman der Münchner Autorin Katharina Adler, die für ihr familienbiografisches Debüt „Ida“ 2018 viel Anerkennung erfuhr. „Iglhaut“ ist nun, so wirkt es, wenigstens teilweise eigenen Lebenswirklichkeiten abgerungen worden. Darauf deutet etwa eine im Mehrfamilienhaus der Iglhaut lebende Schriftstellerin hin, über deren Ansprüche an das gerade unter größeren Schmerzen entstehende Zweitwerk folgendes zu erfahren ist: „Das zweite Buch sollte besser werden als das erste. Entwicklung zeigen, gewonnene Reife. Überraschen und doch einen Ton in sich tragen, der ihr ureigenster war.“ Das zweite Buch Katharina Adlers wiederum ist auch insofern ein München-Buch, als sich in ihm einiges an äußerlichem Frieden findet. Und es ist von einer gewissen Ereignislosigkeit, die sonst im Vorabendprogramm noch gute Quoten erzielt und für die Adler eine passgenaue Sprache sowie einen liebevoll-harmlosen Witz gefunden hat, das ist ja keine geringe Leistung.
Diese Sprache und dieser Witz tragen oft über die zähfließende Handlung und sie erleichtern auch die Vorstellungsrunden des etwas umfangreich geratene Personals an Figuren aus der Nachbarschaft. Deren Verbindungen zur Prota-
gonistin haben fast allesamt gemein, dass die Leute auf unterschiedlich hohem Niveau der Überzeugung sind, es schwer zu haben.
Auch die Iglhaut ist der Überzeugung, es schwer zu haben. Mal ist sie genervt von ihren Kunden und deren Wünschen, mal von ihrer wirklich anstrengenden Mutter. Ein schlimm pochender Zahn, die verschleppte Affäre mit einem längst verheirateten Mann, die Sache mit dem Uli – ständig ist irgendwas und zu selten etwas Schönes.
Die Sache mit dem Uli übrigens ist eine schöne Idee zu Beginn von „Iglhaut“, aus der dann leider gar nicht so viel erwächst. Der Uli nämlich nimmt an in einem Gewinnspiel teil, bei dem er gerne den dritten Preis gewonnen hätte, einen Allesmixer. Stattdessen gewinnt der ziemlich inhäusige Uli eine All-inclusive-Reise nach Ägypten, die er an die Iglhaut abtritt. Die Iglhaut fährt hin und kommt mit wenig Freude im Herzen und ein paar unverlangt eingesandten Bildern auf dem Handy zurück, von einem alten, geilen Bock – Dickpics, die im späteren Verlauf, es bleibt einer Iglhaut einfach wenig erspart, zufällig auch die Mutter noch zu Gesicht bekommen wird.
Solche kleineren und mittleren Katastrophen des Alltags prägen diesen Roman und hätten ihn auch auf 50 Seiten mehr oder weniger getragen. Wenig an diesem Buch ist zwingend oder existenziell dringlich, aber es ist wohlüberlegt und eine Art literarisches Ratschen im Hinterhof – geleitet von einer schlagfertigen, lakonischen Eigenbrötlerin, deren gelegentliches und teils vergebliches, teils unterdrücktes Bemühen um Zugehörigkeit in allen möglichen Dimensionen durchaus rührend ist.
Allerdings ließe sich auch sagen: Was in München noch reicht, um ein Original zu sein, damit steht man woanders schnell als Opfer da. Die Iglhaut erinnert an Menschen, die ihre Mails nach den lieben Grüßen manieriert mit „der Nils“ oder „die Tanja“ beenden. Die Iglhaut möchte man trotz ihrer latenten Geld- und Lebenssorgen gelegentlich fragen, ob sie eigentlich weiß, wie gut sie es trotz allem hat? Und die Iglhaut ist am Ende auch eine Person, die über das Leben etwas häufig lieber schimpft als es selbst in die Hand zu nehmen. So wenig ihr das zum Vorwurf zu machen ist, so sehr strapaziert es doch Geduld, ihr dabei auch noch beharrlich und verständnisvoll nickend zu folgen.
CORNELIUS POLLMER
Katharina Adler: Iglhaut. Roman. Rowohlt,
Hamburg 2022.
279 Seiten, 22 Euro.
Die Münchner Autorin Katharina Adler.
Foto: Friedrich Bungert
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