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Surreales Grauen: Durch Carmen Maria Machados Debüt "Ihr Körper und andere Teilhaber" rollt eine Welle von Schmerz, Gewalt und Lust.
Selten haben Geschichten einen so gewaltsamen Sog wie diese. Für ein lautes Vorlesen, fordert die Erzählerin gleich zu Beginn, seien Rollen zu verteilen: Vater, Ehemann und Sohn erzwingen einen kräftigem Ton, dazu eine Reihe von austauschbaren Frauenstimmen. "Wenn Sie diese Geschichte vorlesen", lautet die Anweisung ein paar Seiten später, "zwingen Sie einen Zuhörer, Ihnen sein schlimmstes Geheimnis zu verraten, öffnen Sie dann das nächstbeste Fenster zur Straße und schreien es hinaus." Wer ist diese Furie?
Zu den Vorschriften gesellt sich Zutraulichkeit. Vermeintlich altbekannte Anekdoten aus ihrer Kindheit flicht die Erzählerin wie beiläufig in das Protokoll des Scheiterns einer Beziehung. Es sind beklemmend-düstere Geschichten von Mädchen, deren Eltern von Wölfen getötet werden und die dann selbst zu Wolfsmüttern werden, von solchen, die entgegen allen Warnungen nachts auf den Friedhof laufen und auf Gräbern erfrieren - Geschichten aus dem Archiv der weiblichen Angst. Sie bereiten vor auf das, was folgt, denn auf die Welle von Schmerz, Gewalt und Lust dieses Debüts, das nicht klingt wie eines, empfiehlt es sich, vorbereitet zu sein.
Carmen Maria Machado ist 32 Jahre alt und schreibt für den "New Yorker". Auf Englisch erschienen ihre Erzählungen Ende 2017, zu einem guten Zeitpunkt, denn gerade kam Fahrt in die MeToo-Bewegung und die Debatte um Rollenbilder und Machtgefüge, und weil die acht Geschichten klangen, als hätten Roald Dahl und Emily Brontë gemeinsam aufgeschrieben, was ihnen zur Selbsterfahrung von Frauen einfiel, von Abhängigkeitsstrukturen über Sex bis zur Frage, was es wirklich heißt, ein Kind zu haben, voller Alltagsrealität und surrealem Grauen, wurde "Ihr Körper und andere Teilhaber" schnell sehr erfolgreich und für den National Book Award nominiert.
Wie auch bei anderen, die mit Büchern ähnlicher Thematik nach ihr kamen, aber früher übersetzt wurden, beginnt das Übel bei Machado mit der Kontrolle des Mannes über den Körper der Frau. Sie sorgt dafür, dass Frauen ihren Kopf verlieren, und zwar im wahrsten Sinne, wegen ihrer Unersättlichkeit kippt er ihnen vom Hals. Im Restaurant wird Models von den Körpern gegessen (es ist kosteneffizienter), und die Geister ermordeter Mädchen spuken durch New York. ",Sie müssen einfach lernen, damit zu leben', sagt der gelangweilte Polizeibeamte zu der Frau, die ihm zitternd gegenübersitzt": So endet eine von 272 Szenen aus der Synopsis einer auf Gewaltverbrechen an Frauen spezialisierten Krimireihe, die Machado bis ins letzte bizarre Detail ausarbeitet.
Aber es sind nicht einzelne Männer, die das Schicksal lenken, da gibt es Größeres: Ein Virus, das von Körper zu Körper übertragen wird und die Menschen bis auf entlegene Inseln verfolgt, eine Krankheit, die junge Frauen verschwinden lässt - schuld ist, vielleicht, die Modeindustrie oder doch das Patriarchat? Der Fehler der Frauen liegt in ihrer Hingabe, ihrer Bereitschaft zur Selbstauflösung, darin, dass sie noch ihre letzten Geheimnisse der Hoffnung auf geteiltes Empfinden opfern. In ihrem Leid sind Machados Frauen dennoch stark und vielschichtig, selbstbewusst vor allem in ihrem Verlangen, das sich immer einen Weg bahnt, darauf ist Verlass.
Der Kampf ums Wahrgenommenwerden reicht vom Fieberwahn einer Frau in einer unheimlichen Künstlerkolonie bis zur Magenverkleinerung einer anderen, die den Moment der vermeintlichen Befreiung so erlebt: "Unten auf der Erde steckt Dr. U in mir. Ihre Hände befinden sich in meinem Bauch, ihre Finger suchen etwas. Sie löst Fleisch aus seiner Ummantelung." Die eine Lösung gibt es wie im Leben nicht und Trost nur selten, unter Frauen, wenn sie einander wortlos verstehen. Machado ist selbst mit einer Frau verheiratet. Ihre Figuren mit deren düsterem Blick auf die beschriebene Welt werden zu Komplizinnen.
Wie Carmen Maria Machado sich die Sprache unterwirft, wie sie mit Symbolik, Geschlechterrollen und Zeitebenen spielt, ähnelt der Dressur eines wilden Tieres in einer Manege, ist faszinierend, irritierend und anstrengend, auch weil man sich des Ausgangs nie sicher sein kann. Sie ist ein Wagnis, diese Sprache, die sich manchmal selbst überschlägt, die Frauen mit Robbenhaar hervorbringt und Füße wie Falltüren, die aufspringen, damit Eingeweide herausfallen können.
Das Unheimliche schwingt immer mit, er brodelt aus der Sprache und den Bildern: Der abgetrennte Körper eines Kaninchens auf einer Veranda, die Begegnung mit einem inneren Monster, das im Keller lebt. Die Feindseligkeit der Natur. Von den Brontës hat diese rücksichtslose Erzählerin das Gefühl des Nicht-in-diese-Welt-Gehörens, die äußere Zerbrechlichkeit und innere Willensstärke ihrer Frauencharaktere, die Fremdheit noch in der Begegnung mit den Nächsten. "Anele verschwand im Nebel, aber noch lange, nachdem sie gegangen war, konnte ich hören, wie ihre Füße Kiesel verschleppten." Nur mit einem Nachthemd im Wald stehend, erkennt die empfindsame Autorin in einer von Machados Geschichten bereits als Kind ein alles in den Schatten stellendes, zerstörerisches Etwas, das ihr viel Leid bereiten wird: das Wissen um ihre Machtlosigkeit.
Je mehr Frauen wissen, will Carmen Maria Machado durch die Linse des Surrealen beweisen, auf desto mehr Abgründe, die sie zum Verschwinden bringen, stoßen sie in dieser Welt. Bei aller Drastik gelingt der Beweis nicht immer. Aber da, wo sich der Bogen schließt und Gewissheit einstellt, ist sie realer, wahrer und untrügerischer als jedes Sachbuch zur Debatte.
ELENA WITZECK
Carmen Maria Machado: "Ihr Körper und andere
Teilhaber". Erzählungen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Anna-Nina Kroll. Tropen Verlag,
Stuttgart 2019. 300 S.,
geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
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