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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Gefühlte Forschung: Jan Süselbeck analysiert die emotionalen Effekte literarischer und medialer Kriegsdarstellung
Wie Medien kriegerische Gewalt darstellen, sie ästhetisieren, sie moralisch und politisch bewerten, das ist vermintes Gelände. Denn Gewalt macht Lust, auch erotische. Deswegen sind sogar Bücher und Filme gegen den Krieg mitunter mehrdeutig, und verschiedene Zeiten beurteilen sie verschieden. Auf knapp fünfhundert Seiten über Arnolt Bronnen, Francis F. Coppola, Heinrich von Kleist, Stanley Kubrick, Erich M. Remarque, Leo Tolstoj und viele andere belegt Süselbeck diese nicht gänzlich neuen Einsichten mit nervtötend umständlichen Anleihen aus der "Emotionsforschung", ohne auf seiner ahistorischen Springprozession eine Methodenfalle auszulassen. Erwägenswerte Thesen wie die "affirmativen" Tendenzen in Oliver Hirschbiegels Film "Der Untergang" verlieren dadurch an Schlagkraft.
Anders als der Untertitel verspricht, geht es nicht um Emotionen, sondern um deren politische und moralische Bewertung. Leider stören unausgesprochene Vorannahmen und ungeklärte Begriffe dabei besonders. Zwar zitiert Süselbeck Herfried Münklers These von den asymmetrischen, sogenannten "neuen Kriegen", behandelt den Krieg aber im Übrigen als ein monolithisches Phänomen ohne historische oder soziale Binnendifferenzen, ein einziges großes moralisches Pfui. Er ist immer ganz enttäuscht, wenn Autoren wie Bronnen, Ernst Jünger oder auch Kleist nicht vorbehaltlos in dieses Pfui einstimmen.
Süselbeck möchte Emotionen "kulturell" deuten und weist naturwissenschaftliche Erklärungsansätze aus "pragmatischen" Gründen rasch ab. Trotzdem ebnet er die Unterscheidung zwischen Fiktion und Dokument kurzerhand ein: Pasolinis Film "Die 120 Tage von Sodom" und die Folterfotos von Abu Ghraib sind ihm gleichwertige Gegenstände. Während ein Historiker nach vergangenen Ursachen fragen würde, die zu einer bestimmten Bewertung von Gewaltdarstellungen geführt haben könnten, arbeitet Süselbeck fast ausschließlich mit Rückprojektionen: Späteres soll Früheres erklären. Meist führt das bloß zu grotesken Anachronismen, wird aber spätestens bei Kleists "Herrmannsschlacht" zum Ärgernis. Kleist wird hier allen Ernstes wieder zum "preußischen Militaristen", der schon 1809 einen "totalen" Volkskrieg gefordert haben soll. Genau deswegen mochten ihn, wie Süselbeck weiß, die Nationalsozialisten so, die ja auch bloß ihre politische Gegenwart auf ihn zurückprojizierten. Wer wie Süselbeck argumentiert, wird ihnen darin kaum widersprechen können.
Die nächste Falle lauert in der sogenannten Ambivalenz. In Bronnens Oberschlesienroman "O.S." von 1929 kämpfen alle diese todessüchtigen Männerbünde, diese Phantasiemänner mit ihren Männerphantasien gegen die Zweideutigkeit der Frau, ihr "Angstbild erster Güte": "Der deutsche Ideal-Krieger hat dies" - dass feindliche Frauen "schwarze Hexen" seien - "fest in seinen männlichen Gefühlshaushalt integriert, um der gefährlichen Auswirkung möglicher Ambivalenzen . . . zu entgehen." Was ambivalent sein darf, bestimmt aber allein Süselbeck. Der Forscher verfährt hier wie der Krieger, obwohl er sieht, "wie utopisch es erscheinen muss", in Hollywood-Kriegsfilmen "eine durchgängige Subversivität von Anti-Kriegserzählungen (!) aufrechtzuerhalten". Eindeutigkeit verlangt er nur von Remarques "Im Westen nichts Neues", dessen "Enttarnung" als angeblich nicht rein pazifistischer Roman viele Seiten füllt. Sie beruht auf tendenziösem Zitieren oder mangelnder Textkenntnis. Denn dass Remarque neben vielen Kriegsgreueln auch einige zeitgenössische Strategien zu deren Bewältigung mitteilt, macht sein Buch ja erst zu einem mehrsinnigen Dokument, das aus seiner Zeit heraus verständlich ist.
Süselbeck aber glaubt, "dass es zu allen Zeiten hinterfragbare Ideologien" waren, "die bewusst dazu ersonnen wurden, die im Menschen angelegte Fähigkeit zum Mitleid zu unterdrücken". Wäre das so, dürfte die Weltgeschichte wesentlich anders verlaufen sein. "Ideologien" waren und sind aber eben nicht "zu allen Zeiten hinterfragbar", sondern die Rückprojektion instrumentalistischen Denkens erweist sich auch hier als selbstaufhebende Position. Entkleidet man den Text seines an Eigenwerbung grenzenden wissenschaftlichen Ankündigungsjournalismus, bleiben einerseits Stammtischweisheiten - "Die Frage ist immer, wann Gewalt als solche verboten oder erlaubt wird" - und andererseits Leserschelte übrig: "Offenbar wirkt es sich auf die Emotionen der Normal-Leser positiv aus, damit beruhigt zu werden, gedankliche Anstrengungen seien obsolet."
Im Angesicht von Süselbecks Leser reihen sich derweil die Grausamkeiten: logische, methodische, stilistische. Betrachtet er schließlich die "Bibliografie", ahnt er den Grund. Der Verfasser listet dort über zwei Seiten eigene Schriften auf, aus denen seine "vorliegende Studie" teilweise zusammengeleimt ist. "Gefühlsforschung" aber ist hier nicht einmal gefühlte Forschung.
MARTIN MAURACH
Jan Süselbeck: "Im Angesicht der Grausamkeit".
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 520 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].
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