Buchbesprechung:
„Im Gehirn gibt es keine Gedanken“ von Matthias Wenke, Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2008.
Die moderne Hirnforschung liefert das Paradigma, an dem der Materialismus heute zu scheitern scheint. Wohl an keiner Stelle lässt sich deutlicher zeigen als gerade in den
Neurowissenschaften, dass die oft behaupteten materiellen Ursachen für geistiges und seelisches Erleben…mehrBuchbesprechung:
„Im Gehirn gibt es keine Gedanken“ von Matthias Wenke, Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2008.
Die moderne Hirnforschung liefert das Paradigma, an dem der Materialismus heute zu scheitern scheint. Wohl an keiner Stelle lässt sich deutlicher zeigen als gerade in den Neurowissenschaften, dass die oft behaupteten materiellen Ursachen für geistiges und seelisches Erleben im Gehirn gar nicht existieren, obwohl immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Gedanken entstehen und „sind da“. Indem wir sie erleben, wissen wir es. „Ich denke, also bin ich“ (Descartes). Dazu sind die heute exakt lokalisierbaren Hirnprozesse notwendig, tragen aber nicht mehr bei als andere lebensnotwendige Organe und Prozesse, die im Organismus stattfinden. Im Gehirn gibt es keine Gedanken.
Folgt man diesem spannenden Buch, wird dem Leser eins immer klarer: Phänomenologie ist der Ursprung allen Wissens und das Ziel aller echten Wissenschaft. Was nutzt uns alles Wissen, wenn es nicht zum tieferen Verständnis des Lebens taugt? Das Erleben einer unmittelbar erfahrbaren Welt, wie sie uns in jedem Augenblick erscheint, ist primär und unhintergehbar. Jeder Versuch, die Welt durch Theorien oder dahinter liegende unbekannte „Dinge an sich“ zu erklären, setzt sie zwangsläufig immer schon voraus. Wir leben in einer Welt, die jedenfalls viel mehr ist als der Anteil, der sich theoretisch auf Atome und Moleküle reduzieren lässt. Das wirft die Frage auf, was es denn überhaupt heißt, unsere Welt wissenschaftlich erklären zu wollen.
Ist Wissenschaft gar nicht die Lehre vom Erkennen und Verstehen, sondern die von der Herstellung und Erfindung neuer Objekte, an denen Menschen seit jeher ihre Kunstfertigkeit bewiesen haben? Ist Wissenschaft somit eher vergleichbar mit dem Schaffen von Handwerkern und Künstlern, deren Werke und Objekte zu Recht oft unser Erstaunen und unsere Bewunderung hervorrufen? Wissenschaft, wie sie heute verstanden wird, scheint weniger die Entdeckung als vielmehr die Erfindung von Regeln und sog. Naturgesetzen zu sein. Während man jedoch in Werkzeugen und Maschinen, Kunstwerken und Bauten von vornherein schöpferische Produktionen des Menschen erkennt, treten wissenschaftliche Produktionen (bzw. Theorien und Methoden) dagegen mit einer Art pseudotheologischem Anspruch auf: Sie behaupten Wahrheiten zu enthüllen, die immer schon dagewesen seien, nun aber von der modernen Wissenschaft erst gültig entdeckt worden sind: Es soll eine Welt geben, die an sich hinter den wahrnehmbaren Erscheinungen besteht, die absolut existent und objektiv sein soll, auf die man sich in jeder Hinsicht verlassen und der man sich, zumindest in Teilen, durch den menschlichen Verstand, die Ratio bzw. die exakten Wissenschaften annähern können soll. – Rationalismus ist allerdings kein absoluter Wert, sondern braucht stets einen Bezugspunkt, von dem aus gesehen etwas rational ist. Dieser Bezugspunkt ist die phänomenale Welt, in der man lebt und handelt, in der man etwas wollen oder ablehnen kann.
Gibt es aber eine abstrakte mathematische, gleichsam göttliche Welt hinter den Phänomenen? Wenke kommt zum Schluss, es gibt sie nicht, eine solche ist eine kulturelle Konstruktion, ein intellektuelles Konzept. Primäre Wirklichkeit beansprucht allein die phänomenale Welt, die uns erscheint und in der wir leben. Die reinen Phänomene sind zugleich ein möglicher Zugang zum Absoluten, sofern man für dessen Erleben offen ist und es zulässt (Wenke, Kap. V.) Faszinierenderweise skizziert der Autor hier z. B. den Buddhismus als Beispiel für praktisch gelebte Phänomenologie. – Die phänomenale Welt kann von den Naturwissenschaften allerdings nicht als solche erforscht werden. Diese beschränken sich vielmehr auf effektive, nützliche und praxisbezogene Forschung, welche nicht auf Erkenntnis und Verstehen, sondern vor allem auf technologisches Wissen und absichtsvolle Manipulation von Natur und Mensch ausgerichtet ist.
Das erlaubt nun eine wesentliche Klärung...