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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Veritabler Polit-Thriller: Sie wurde von Sowjets verschleppt, um das besetzte Österreich zu warnen. Stefan Karner hat in KGB-Archiven das Verhängnis der Margarethe Ottillinger rekonstruiert.
Das "brutalste" Gotteshaus von Wien steht auf dem Georgenberg im Stadtteil Mauer. Die Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit wurde nach einem Entwurf des Bildhauers Fritz Wotruba aus hundertzweiundfünfzig Betonblöcken zusammengesetzt. Deren kleinster wiegt knapp zwei, deren größter mehr als hundertvierzig Tonnen. Wotruba wollte "mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit ein Bauwerk schaffen". Folgerichtig wird die zwischen 1974 und 1976 errichtete Wotruba-Kirche auch dem Architekturstil des Brutalismus zugeordnet (von "béton brut", roher Beton), zu dem in Deutschland etwa das Rotaprint-Gebäude in Berlin-Gesundbrunnen gehört.
Treibende Kraft, ohne die dieses jahrelang höchst umstrittene Objekt nie errichtet worden wäre, war eine Wirtschaftsmanagerin, Margarethe Ottillinger, die dem Bildhauer nur drei Vorgaben machte: Der Bau muss schockieren, damit die Leute innehalten, muss innen licht und hell sein und nach außen wirken wie eine Burg - ein Bollwerk gegen den Unglauben. Die Idee dazu kam ihr, als sie 1952 todkrank in einem sowjetischen Straflager dahinsiechte: Falls sie jemals wieder lebend nach Österreich käme, wollte sie eine Kirche bauen. Es war kein Gelübde, sagte sie, denn: "Mit Gott macht man keine Geschäfte."
Ottillinger war eine strebsame, machthungrige Karrierefrau: 1919 geboren, schloss sie schon 1940 ihr Studium der Handelswissenschaften ab und wurde 1946, im Alter von nur siebenundzwanzig Jahren, Sektionsleiterin im Wiener Wirtschaftsministerium, die höchste Stufe einer Beamtenkarriere. Dass die attraktive junge Frau diesen Job vielleicht über das Bett des Wirtschaftsministers Krauland bekommen habe, wie damals gemunkelt wurde, schmälert ihre Tüchtigkeit nicht: Ottillinger schrieb österreichische Wirtschaftsgeschichte.
Nach den von ihr vorgelegten Plänen erhielt Österreich gleich nach Norwegen die zweithöchste Pro-Kopf-Zuweisung aus der Marshallplanhilfe (ERP). Zudem arbeitete sie den Stahl-Plan aus, der die sowjetischen Usia-Betriebe - die Flaggschiffe des ehemaligen Deutschen Eigentums in der österreichischen Sowjetzone - nicht mehr bevorzugte. Kein Wunder, dass diese deutlich westlich ausgerichtete Wirtschaftspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht nicht gefiel.
Am 5. November 1948 fahren Krauland und Ottillinger im Dienstwagen von Linz nach Wien. Mit im Auto ist eine Aktentasche mit Plänen über die zukünftige räumliche Aufteilung der österreichischen Stahlproduktion. An der Grenze zwischen amerikanischem und sowjetischem Sektor, auf der Ennsbrücke, wird Ottillinger von den Sowjets festgenommen. Krauland genießt als Minister Immunität. Er rettet die Aktentasche, lässt seine Spitzenbeamtin aber zurück und fährt nach Wien. Auch Jahre später steht Krauland nicht gerade als feiner Herr da, sondern im Mittelpunkt des ersten großen Korruptionsskandals der österreichischen Nachkriegsgeschichte.
Ottillinger fällt tief: Sie wird zum Kommando der sowjetischen Streitkräfte nach Baden bei Wien überstellt. Entwürdigende Leibesvisitationen, nächtelange Verhöre, Schlafentzug, Suizidversuch. Im Januar 1949 das Urteil: Fünfundzwanzig Jahre Haft im GULag. Ab Juni ist sie einem Arbeitsbataillon im russischen Pot'ma zugeteilt: Myriaden von Stechfliegen, lange Arbeitszeiten, schlechtes Essen, Schikanen und Repressalien.
Die Regierung fordert ihre Freilassung. Die Wiener Zeitungen kommentierten den Fall, im Alliierten Rat protestieren Franzosen, Briten und Amerikaner. Doch die Sowjets erklären sich allein für den Fall zuständig. Es ist nicht das erste Mal, dass sie so etwas tun: Seit dem Einmarsch der Roten Armee haben die Sowjets Tausende Österreicher festgenommen, Hunderte verschleppt. Nach sowjetischen Angaben wurden allein bis April 1948 fünfhundert Personen von Militärtribunalen verurteilt, davon dreihundert aus politischen Gründen.
Über Ottillinger liegen derzeit zwei Bücher vor: "Im Fadenkreuz der Macht" der katholischen Publizistin Ingeborg Schödl (Neuauflage, erstmals 2004) und neu: "Im Kalten Krieg der Spionage" des Grazer Historikers Stefan Karner. Beide beruhen auf Gesprächen mit Ottillinger, aber erst Karner gelang es, in jahrelanger und zweifellos verdienstvoller Arbeit in KGB-Archiven aus Verhörprotokollen herauszulesen, was man der Frau eigentlich vorwarf: "Beihilfe zum Vaterlandsverrat" und "US-Spionage". Ottillinger hatte 1946 ein Liebesverhältnis mit dem sowjetischen Stahlingenieur Didenko gehabt und ihn bei der Flucht in die amerikanische Zone unterstützt. 1951 wurde Didenko von den Sowjets in Deutschland aufgespürt und in die DDR entführt. Er landete in der berüchtigten Psychiatrie der russischen Stadt Kazan, wo sich seine Spur verliert.
Wegen der Fluchthilfe für Didenko rechnete Ottillinger täglich damit, von den Sowjets verhaftet zu werden. 1947 warnten sie amerikanische Agenten vor einer solchen Festnahme. Diese boten ihr an, sie zu verstecken, wollten sie aber gleichzeitig als Mitarbeiterin. Dafür bekäme sie ein "gutes Leben" und einen "eigenen Wagen". Das schlug sie aus. Den Sowjets reichte dieser Kontakt als Beweis. Ottillingers Entführung wertet der Historiker Karner nicht als autonome Aktion der sowjetischen Behörden in Österreich, dahinter müsste zumindest Außenminister Molotow oder Stalin selbst gestanden haben. Eine Aktion als Schuss vor den Bug der österreichischen Regierung und deren westlich orientierte Politik.
Mit Abschluss des Staatsvertrages und der Unabhängigkeit Österreichs 1955 wird Ottillinger mit vielen anderen in Sowjetlagern einsitzenden Österreichern repatriiert. Nach einer Genesungsphase bekommt sie Arbeit in der staatlichen Österreichischen Mineralölverwaltung (OMV), wo sie schon 1957, da ist sie achtunddreißig, zur Vorstandsdirektorin aufsteigt, zuständig für Personalfragen, also: Personalabbau, vor allem Säuberung von Kommunisten. Bis 1982 bleibt sie bei dem Mineralölkonzern und man sagt von ihr: "Der einzige Mann in der OMV ist eine Frau." Nach ihrer Pensionierung tritt sie gegen Ende ihres Lebens einem Frauenorden bei, 1992 stirbt sie. 2012 wird eine Verkehrsfläche neben der Wotrubakirche Ottillingerplatz benannt. Der Platz ist eine zwanzig Meter lange Sackgasse.
MICHAEL SCHROTT
Stefan Karner: "Im Kalten Krieg der Spionage". Margarethe Ottillinger in sowjetischer Haft 1948-1955.
Studien Verlag, Innsbruck, Wien, Bozen 2016.
244 S., geb., 19,90 [Euro].
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