Und in was für einen Osten! Diese Balken, diese dicken blauen Balken. Jeden Tag wachsen sie drüben in Sachsen, länger als alle anderen blauen Balken der Republik.«
Inmitten dieser Spielwiese der Blauen gibt es ein kleines grünes Fleckchen Hoffnung, das es zu unterstützen gilt, denkt sich Nana und
fährt Hals über Kopf aus Berlin nach Grenzlitz, um die dortige Oberbürgermeisterkandidatin der…mehrUnd in was für einen Osten! Diese Balken, diese dicken blauen Balken. Jeden Tag wachsen sie drüben in Sachsen, länger als alle anderen blauen Balken der Republik.«
Inmitten dieser Spielwiese der Blauen gibt es ein kleines grünes Fleckchen Hoffnung, das es zu unterstützen gilt, denkt sich Nana und fährt Hals über Kopf aus Berlin nach Grenzlitz, um die dortige Oberbürgermeisterkandidatin der Zukunftsgrünen zu coachen. Denn Katjas Chancen, die Blauen um Paul Witte zu schlagen, stehen nicht schlecht, hier in der Kleinstadt an der polnischen Grenze. Doch man hält Nana auf Abstand und so macht sie sich auf, die Menschen dort kennenzulernen, die Dagebliebenen, die Zurückgekehrten, die Migranten und Falk Schloßer, eine aus Wittes Truppe. Ausgerechnet von ihm erfährt sie von den Sorgen der Menschen von Ort und fühlt sich auch noch zu ihm hingezogen.
In der B-Story erfahren wir von Nanas eigenen Problemen und warum sie Berlin verlassen hat. Nachdem ihr Bruder Noah ihr offeriert hat, kein Mann mehr sein zu wollen und von ihr Verständnis und Begeisterung erwartet hat, kam es zum Zerwürfnis. In vielen E-Mails zeichnet Noah die Kindheit der beiden nach, ein kaputtes Elternhaus, Nanas Weg zur Antifa. Auch hier lauern viele Missverständnisse, die Nana erst jetzt allmählich versteht.
Elsa Koester, die stellvertretende Chefredakteurin des Magazins ›Der Freitag‹, hat einen vielschichtigeren Roman geschrieben, als es der Klappentext verspricht. Es wäre blauäugig zu erwarten, dass er Lösungen für das politische Desaster im Osten liefern könnte. Aber er zeigt viele Alltagsszenen, die durchaus schlüssig die aktuelle Stimmung widerspiegeln, macht auf einige Probleme aufmerksam, die typisch für die neuen Bundesländer sind. Von der »Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht« Mentalität bis zu »Wir-lassen-uns-nicht-unterkriegen«. Und wer hört schon auf eine aus Berlin. Ausgerechnet Berlin, da wo man Politik für die anderen macht, aber nicht für Menschen wie in Grenzlitz. Menschen, die sich alleingelassen fühlen, die sich nicht nur wie am Rand von Sachsen fühlen, sondern wie am Rand der Welt. Wirtschaftlich abgehängt, verlassene Innenstädte, Verrat nicht erst zu Zeiten der Wende. Vergangenheit und Gegenwart werden hier aufgespürt und verbunden. Aber gibt dieser Roman nun eine Antwort auf die Frage, wie Faschismus im Osten Deutschlands entsteht? So zumindest die Behauptung im Klappentext. Meines Erachtens nein. Dazu ist das Problem viel zu vielschichtig. Was ich aber durchaus gespürt habe, sind die stetigen Bedrohungen, die Machtdemonstrationen, die Einschüchterungsversuche.
Gerade mit Schloßer ist Koester eine interessante, streitbare Figur gelungen, der treusorgende Familienvater, der sein eigens Päckchen zu tragen hat, und sich um die Gemeinschaft kümmert. Wenn es aber darum geht, Angst und Hass zu verbreiten, ist er in vorderster Reihe dabei. Nun gut, wir kennen die verdrehte Argumentation.
Auch Noahs Geschichte, die die Kindheit der Geschwister beleuchtet, hat mich durchaus gefesselt. Allerdings drängt sie sich in der zweiten Hälfte des Buches immer mehr in den Vordergrund, so dass die heiße Phase des Wahlkampfes in den Hintergrund rückte. Zwar verbindet sich alles, weil letztlich auch alles zusammenhängt, aber der Fokus geht von der laut Klappentext zu erwartenden Geschichte verloren.
Ein heißes, brandaktuelles Thema, dem sich die Autorin hier gewidmet hat. Ich habe in vielen Szenen die momentane Stimmung gespürt, die auch mir tagtäglich entgegenschlägt. Auch sprachlich hat mich Koester absolut begeistert.
Wie schon gesagt, Lösungen zu erwarten, wäre zu vermessen, aber es gibt Möglichkeiten und Wege, die Koester auch anspricht. Nicht zuletzt geht es darum, miteinander zu reden, zuzuhören, die Menschen mit ihren Sorgen und ihrer Vergangenheit zu verstehen, das Richtige für sie zu tun. Unsere persönlichen Probleme werden sich immer in den Vordergrund drängen, genau wie im Buch, allzu gern möchten wir davonlaufen, die Augen davor verschließen, »die anderen« die anderen sein lassen, doch genau das hat uns dahin geführt, wo wir jetzt in diesem Land stehen. Wenn auf die Politik kein Verlass mehr ist, sind wir Menschen gefragt.
Großer Lesetipp, vor allem für die »Wessis«, um die Gräber nicht noch größer werden zu lassen.