Bisher habe ich mit großer Begeisterung zwei Bücher von Ian Mortimer gelesen: über das englische Mittelalter und über das elisabethanische Zeitalter. „Im Rausch des Vergnügens“ ist der neueste Band, der das Regency behandelt, das 1790 mit der ersten Episode des Wahnsinns von König Georges III.
beginnt (und man erstmals seinen Sohn als Regenten in Betracht zog) und mit dem Tod von George IV. im…mehrBisher habe ich mit großer Begeisterung zwei Bücher von Ian Mortimer gelesen: über das englische Mittelalter und über das elisabethanische Zeitalter. „Im Rausch des Vergnügens“ ist der neueste Band, der das Regency behandelt, das 1790 mit der ersten Episode des Wahnsinns von König Georges III. beginnt (und man erstmals seinen Sohn als Regenten in Betracht zog) und mit dem Tod von George IV. im Jahr 1832 endet. Es ist eine Epoche, die in vielem der unseren ähnelt: Es war eine Zeit der politischen Unsicherheit, des technologischen Umbruchs, bitterer Armut und maßloser Verschwendungssucht.
Ian Mortimer kann noch mehr als in den Vorgängerbänden aus dem Vollen schöpfen, denn die Datenlage ist ungleich besser. In Großbritannien (plus Irland) gab es zahlreiche staatliche Zensusprojekte, die auch regelmäßig wiederholt wurden, das Bürgertum entdeckte seine Identität und dokumentierte das eigene Privatleben in nie gesehener Detailliertheit und die Verwaltung des Empire wurde in jeder Hinsicht perfektioniert. Eine Unmenge an Daten lässt sich daraus extrahieren und Ian Mortimer ist Meister darin, solche Informationen aus der Fachliteratur zu heben und anschaulich und elegant aufzubereiten. Seine Herangehensweise nutzt vor allem persönliche Schicksale und Biografien als Ankerpunkte, um daraus dann allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Das geht einem viel näher, als wenn man nur Tabellen und Listen vorgesetzt bekäme, die zwar dasselbe aussagen, aber keine emotionale Bindung beim Leser erzeugen. Mortimers Stil mischt unter diese Fakten immer auch romanhafte Passagen, in denen er z. B. die Zustände in den Straßen, die Geräusche, Düfte und Farben beschreibt und er dokumentiert anhand charakteristischer Beispiele die Veränderungen über den betrachteten Zeitraum. Das kann die städtische (oder ländliche) Architektur betreffen, gesellschaftliche Veränderungen, Moden oder auch neue Technologien. Alle Bereiche des täglichen Lebens (und Sterbens) werden irgendwann beleuchtet und wie ich anfangs schon sagte, die Datenfülle ist noch einmal gegenüber Mittelalter und elisabethanischem Zeitalter deutlich vermehrt, so dass das Bild noch schärfer wird und Mortimer noch differenzierter in die einzelnen Gesellschaftsschichten blicken kann.
„Im Rausch des Vergnügens“ ist aus meiner Sicht das beste der drei Bücher geworden. So anschaulich und lebendig wie ich noch selten allgemeinverständliche Geschichtsvermittlung gelesen habe und dabei auch unerwartet aktuell. Geschichte wiederholt sich natürlich nicht, aber ein bisschen reimt sie sich eben doch.