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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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Sind so braun im grünen Freiburg: Oliver Bottini schickt seine Ermittlerin Louise Bonì in die Neonazi-Szene
Es ist ja in diesen Tagen viel vom Sommermärchen des Jahres 2006 die Rede und ob es damit wohl mit rechten Dingen zugegangen sei, bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Immer nur so viel zugeben, wie ohnehin schon bekannt ist, dieser Devise folgen nicht nur ökonomisch motivierte Sportfunktionäre, Entwicklungsvorstände oder Politiker, sondern auch ideologisch verbohrte Gesetzesbrecher. So jedenfalls die Erkenntnis aus einem Stück Genreliteratur, das sich wie ein Begleitband zu diesen nun schwankenden deutschen Gewissheiten liest - dem neuen Roman des in Berlin lebenden Schriftstellers Oliver Bottini. Er schickt seine Kommissarin Louise Bonì nach längerer Pause in ihren sechsten Fall. Und es kann keinen Zweifel geben, dass "Im weißen Kreis" zum Besten gehört, was man derzeit von deutschsprachigen Krimiautoren lesen kann.
Freiburg im Breisgau, die schöne Stadt der Bächle, der Lebensart und des gelebten Grünen-Klischees. Trotz vieler Sonnenstunden ist die Ausgangslage im äußersten Südwesten nebulös. Die Polizei bekommt Wind von einem illegalen Waffengeschäft, an dem möglicherweise die Russenmafia aus Baden-Baden beteiligt ist. Zwei Pistolen werden von einem Paketboten ausgeliefert, ein rechtsextremer Hintergrund wird wahrscheinlich, als man das Leben dieses Handlangers durchleuchtet. Und wie von Zauberhand findet sich eine ideale Zielperson für ein Attentat in Freiburg ein.
Es handelt sich um einen ruandischen Bürger namens Ludwig Kabangu, welcher der örtlichen Universität schon lange auf den Wecker geht, weil er die Gebeine des Lieblingsgroßvaters seiner Frau im dortigen Archiv vermutet - und sie zurückfordert, um sie in heimatlicher Erde bestatten zu lassen. Tatsächlich haben deutsche Rasseforscher Tausende Gebeine nach Deutschland mitgenommen; und nun wird die Gegenwart von den Taten der Kolonialzeit eingeholt. Und Kabangu von seiner Vergangenheit als Massenmörder im Bürgerkrieg der Tutsi gegen die Hutu.
Die Ermordung eines Afrikaners, möglicherweise nur um zu zeigen, dass die Neonazis in der Lage sind, ein Exempel zu statuieren, das will im Vorfeld des internationalen Fußball-Turniers naturgemäß niemand. Aber die Behörden haben noch viel weitreichendere Ziele. Weder das Landeskriminalamt noch die Landesregierung in Stuttgart sind an Aufklärung, sondern vielmehr an Vertuschung interessiert; der neue Dezernatsleiter Leif Enders wird kaltgestellt, die Ermittlungen werden den Freiburgern entzogen. Das ist Politik, übergeordnete Interessen, basta.
Die haben nicht mit Louise Boní gerechnet, der geschiedenen, trockenen Alkoholikerin, die von Geistern getrieben und nachts manchmal von einem als V-Mann arbeitenden Gespenst heimgesucht wird. Die große Eigensinnige findet Zugang zu dem Fall, spürt Fährten in das braune Netzwerk hinein auf, ist so erbittert über die Direktiven "von oben", dass sie einfach weiterermittelt. Kritisch wird es für sie, als sie ein nächtliches Treffen einer Sektion des Ku-Klux-Klans beobachtet und entdeckt wird. Es sind diese Männer hinter den Masken, die im bürgerlichen Leben die Tüchtigen und Ehrbaren abgeben, jene, die den weltanschaulichen Überbau liefern; und sie sind gleichzeitig die am wenigsten Angreifbaren, ihre Schergen zahlen den Preis, nicht selten mit dem Tod. Wer kann sich lästige Mitwisser erlauben?
Oliver Bottini zieht die Fäden dieser Geschichte auf schlanken dreihundert Seiten mit großer Ökonomie aus: ein rhythmischer Wechsel aus lebensechten Dialogen, knappen Drehbuchanweisungen, Traumsequenzen, nie bemüht, nicht forciert, immer fein austariert und dadurch Tempo erzeugend, ohne nach Cliffhangern zu schielen. Der Autor hat eine politische Botschaft, und auch das hebt ihn aus der Masse der stereotyp die Handlungsmuster des Genres wiederholenden Nachahmerprodukte angelsächsischer Bauteile hervor: Es gibt in diesem Land ein Neonazi-Problem, auch wenn die Behörden glauben, es in Sachen Öffentlichkeitsarbeit im Griff zu haben.
Spätestens seit dem NSU-Prozess und nun bald wöchentlich in Flüchtlingsheimen zu beobachten, ist diese Diagnose so klar wie unerwünscht. Wie seine Heldin Louise Bonì hält Bottini von dieser Haltung nicht das Geringste. Wenn seine Botschaft, dass die Gesellschaft dem Thema verschärfte Aufmerksamkeit widmen sollte, nun in ein breites Krimipublikum hineintransportiert wird, hat er sein Ziel erreicht. Den sehr guten Krimi gibt es für seine Leser als Beigabe.
HANNES HINTERMEIER
Oliver Bottini: "Im weißen Kreis". Ein Fall für Louise Bonì.
DuMont Buchverlag, Köln 2015. 301 S., br., 14,90 [Euro].
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