Der Aufsatzband beschäftigt sich mit Konzeptionen der Stadtplanung, aber auch mit Stadtbildern in Literatur, Film, Fotografie und bildender Kunst, in denen sich Reales und Visionäres, Physisches und Symbolisches verbinden. Wie wurde im östlichen Europa vor, im und nach dem Sozialismus Urbanität imaginiert und ästhetisch konstruiert? Was gab es für Vorstellungen von der Idealstadt, was wurde dabei unter Modernität verstanden, welche Erwartungen weckte die Stadt als Begegnungsort, inwieweit fungierten planerische Visionen als propagandistische Glücksverheißungen, wie wurde die realsozialistische Tristesse der urbanen Räume wahrgenommen? Diesen und ähnlichen Fragen widmen sich hier Historiker, Kunsthistoriker, Literatur- und Filmwissenschaftler, Kulturanthropologen und Philosophen. Aus ihren unterschiedlichen Fachperspektiven wird ein breites Spektrum von Stadtbildern im weitesten Sinne beleuchtet, das einen Bogen von Deutschland bis Russland, vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart schlägt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2009KURZKRITIK
Städte im Osten
Glücksverheißung der Propaganda und sozialistische Tristesse
Seit jeher ist das Stadtbild mehr als bloß Gegenstand einer ästhetischen Wahrnehmung; es brachte stets auch symbolisch die Teilhabe der Bewohner am städtischen Gemeinwesen und damit ihre Identität zum Ausdruck. Dass in jüngster Zeit die kommunale Selbstdarstellung über marktschreierische Bilder erfolgt, die nur Event und wirtschaftliche Standorteignung in den Vordergrund stellen und eine selektive Auswahl aus dem treffen, was an einer Stadt sichtbar sein soll, wird zu Recht kritisiert. Gerade deshalb sollte man über den Tellerrand blicken: Wie wurde beispielsweise im östlichen Europa vor, im und nach dem Sozialismus Urbanität imaginiert und ästhetisch konstruiert?
Es geht um den Umgang mit realen Orten, doch mehr noch geht es um Akte der Vorstellung. Suchte Walter Ruttmann mit seinem Montagefilm „Symphonie einer Großstadt” die Physiologie einer Stadt in Physiognomie zu verwandeln, indem er die ebenso abstrakten wie alltäglichen Rituale der in ihr lebenden oder tätigen Menschen zu strengen Kompositionen verdichtete, so setzt der vorliegende Sammelband auf eine vergleichbare Montagetechnik, um die vielschichtige Rezeption von urbanen Situationen wiederzugeben. Seine Referenzen finden sich in Literatur, Film, Fotografie und bildender Kunst; er überblendet bislang getrennte Diskurse und schlägt einen Bogen von Deutschland bis Russland, vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Andreas Guski etwa spürt der Agoraphilie in der Sowjetkultur nach, Timea Kovacs den Licht-Bildern Budapests. Inwieweit Stadtplanung als Glücksverheißung fungiert, das ergründet Arnold Bartetzky am Beispiel des Warschauer und Ostberliner Wiederaufbaus. Und unversehens wird der Leser zum Flaneur. ROBERT KALTENBRUNNER
ARNOLD BARTETZKY, MARINA DIMITRIEVA, ALFRUN KLIEMS (Hrsg.): Imaginationen des Urbanen. Konzeption, Reflexion und Fiktion von Stadt in Mittel- und Osteuropa. Lukas Verlag, Berlin 2009, 332 S. mit 120 Abb., 36 Euro.
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Städte im Osten
Glücksverheißung der Propaganda und sozialistische Tristesse
Seit jeher ist das Stadtbild mehr als bloß Gegenstand einer ästhetischen Wahrnehmung; es brachte stets auch symbolisch die Teilhabe der Bewohner am städtischen Gemeinwesen und damit ihre Identität zum Ausdruck. Dass in jüngster Zeit die kommunale Selbstdarstellung über marktschreierische Bilder erfolgt, die nur Event und wirtschaftliche Standorteignung in den Vordergrund stellen und eine selektive Auswahl aus dem treffen, was an einer Stadt sichtbar sein soll, wird zu Recht kritisiert. Gerade deshalb sollte man über den Tellerrand blicken: Wie wurde beispielsweise im östlichen Europa vor, im und nach dem Sozialismus Urbanität imaginiert und ästhetisch konstruiert?
Es geht um den Umgang mit realen Orten, doch mehr noch geht es um Akte der Vorstellung. Suchte Walter Ruttmann mit seinem Montagefilm „Symphonie einer Großstadt” die Physiologie einer Stadt in Physiognomie zu verwandeln, indem er die ebenso abstrakten wie alltäglichen Rituale der in ihr lebenden oder tätigen Menschen zu strengen Kompositionen verdichtete, so setzt der vorliegende Sammelband auf eine vergleichbare Montagetechnik, um die vielschichtige Rezeption von urbanen Situationen wiederzugeben. Seine Referenzen finden sich in Literatur, Film, Fotografie und bildender Kunst; er überblendet bislang getrennte Diskurse und schlägt einen Bogen von Deutschland bis Russland, vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Andreas Guski etwa spürt der Agoraphilie in der Sowjetkultur nach, Timea Kovacs den Licht-Bildern Budapests. Inwieweit Stadtplanung als Glücksverheißung fungiert, das ergründet Arnold Bartetzky am Beispiel des Warschauer und Ostberliner Wiederaufbaus. Und unversehens wird der Leser zum Flaneur. ROBERT KALTENBRUNNER
ARNOLD BARTETZKY, MARINA DIMITRIEVA, ALFRUN KLIEMS (Hrsg.): Imaginationen des Urbanen. Konzeption, Reflexion und Fiktion von Stadt in Mittel- und Osteuropa. Lukas Verlag, Berlin 2009, 332 S. mit 120 Abb., 36 Euro.
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