Neue Gedichte von Uwe Kolbe Gibt es ein leichtes Sprechen, das nicht leichtfertig ist? Ein Sprechen, das Eifer und Zorn hinter sich lässt, ohne deshalb bequem zu werden? Ein Sprechen, das zu dem Überall von Information und Meinung ruhigere Seitenstücke bildet, Worte findet, mit denen Lebensfragen zu formulieren sind? Ein Wanderer nimmt in Uwe Kolbes neuen Gedichten die Natur und den Himmel in sein Lied herein. Wie schon in seinen erfolgreichen »Psalmen« sind vor allem die gefiederten Begleiter allgegenwärtig: die Krähen und ihr Krakeel, die Amsel, ihr klagender Ton, der Bussard in seiner Höhe. Literarische Konvention verbindet sich dabei mit dem Wissen um das fragile Gleichgewicht des Planeten. Fragil aber ist auch der Alltag von Ich und Du. Immer dann, wenn Uwe Kolbes Gedichte sich diesem Alltag nähern, werden sie dramatisch, und seine Verse müssen sich kraftvoll beim eigenen Zopf nehmen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2020Vergil klopft an
Neue Gedichte von Uwe Kolbe: "Imago"
Uwe Kolbe ist einer unserer produktivsten Lyriker, aber nicht eben ein Avantgardist. Er schreibt gegen den lyrischen Mainstream an und wechselt die Formen und Traditionen: "Lietzenlieder" (2012), "Psalmen" (2017), "Die sichtbaren Dinge" (2019). In "Imago", seinem jüngsten Gedichtband, schickt er eine alte Figur auf die Reise, den Wanderer: "Der Wanderer geht ohne Furcht, / das Gehen hält ihn auf Erden." Kolbe hebt Eichendorffs wanderlustigen Müller ins Metaphysische, wenn er im Zeitalter der Supermärkte die Symbole der Romantik beschwört: "Dem Bauern Dank um das Brot, / dem Winzer um Wein."
Es ist nicht das erste Mal, dass Kolbe den Verdacht riskiert, epigonal zu sein. Er bedient sich ungeniert aus dem Arsenal alter Bilder und Begriffe. So ist sein "Traumland" ein Gebirge mit Fichten, Burgen und einem festen "Grund in den Himmel". Es ist der Sänger, der diese Welt schafft. Auch für Kolbe ist es immer Orpheus, wenn es singt. Er stimmt sogar, wenngleich ironisch, einen hohen Ton an. "Das Heilige" tönt nach Goethe oder Rilke: "Übers uralt Heilige / hört man wenig sagen, / denn es wirkt das Seinige / ohne Grund und Fragen." Gegen alle Skepsis setzt Kolbe: "Hör ich, so viel hohen Ton / solltest du verweigern, / sag ich, mancher Sängerlohn / fordert sich zu steigern." Doch in Wahrheit will Kolbe weder Rilke noch Goethe sein. Statt sich zu steigern, praktiziert er lieber die mittlere Tonlage: "Es gibt keinen schweren Gedanken, / der nicht leichtes Wort wird."
Oft bemüht sich der Autor um diese Praxis des Leichten, und so gelingen ihm Texte, die das bloß Traditionelle übersteigen. Sie bringen etwa Figuren der Weltliteratur ins Nahe und Intime. Vergil klopft mit einem Ulmenstab an die Tür und bittet um Wasser, "und wie er ging, bekam sein Blick / den Farbton von Vergissmeinnicht". Solch ein rencontre über die Zeiten gelingt, weil der Autor mit Diskretion bei der Arbeit ist. Diskretion bewährt sich immer bei Größendifferenzen. Etwa bei einem Weltuntergang im Miniaturformat. In "Kleiner Weltuntergang" läuft ein Kopfkino ab. Das Ich tritt ins Dunkel der Welt und schreckt einen Igel auf: "ein Igel, der rennt, / das apokalyptische Tier". Es ist das Opfer, das uns an der Apokalypse interessiert.
Die Tiere sagen uns offenbar mehr über die Welt als die Anrufung des Heiligen. So auch in "Imago". Unter den Bedeutungen des Begriffs wählt Kolbe das Insekt. Es feiert das "Fest der Ewigkeit", wenn es seinen Rüssel ins Manna tunkt. Aber Kolbe weiß auch, wie es um diese Ewigkeit bestellt ist: "Den Blütenstaub des nächsten Jahres / tragen andere davon." Ein skeptischer Schluss, er gibt dem Gedicht poetische Tiefe.
Nicht ohne Grund steht der Begriff "Imago" über dem ganzen Buch. Man darf bei Imago auch an das unbewusste Bild einer Person denken - der des Dichters. Er tritt unter der Maske hervor.
HARALD HARTUNG.
Uwe Kolbe: "Imago". Gedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 107 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Gedichte von Uwe Kolbe: "Imago"
Uwe Kolbe ist einer unserer produktivsten Lyriker, aber nicht eben ein Avantgardist. Er schreibt gegen den lyrischen Mainstream an und wechselt die Formen und Traditionen: "Lietzenlieder" (2012), "Psalmen" (2017), "Die sichtbaren Dinge" (2019). In "Imago", seinem jüngsten Gedichtband, schickt er eine alte Figur auf die Reise, den Wanderer: "Der Wanderer geht ohne Furcht, / das Gehen hält ihn auf Erden." Kolbe hebt Eichendorffs wanderlustigen Müller ins Metaphysische, wenn er im Zeitalter der Supermärkte die Symbole der Romantik beschwört: "Dem Bauern Dank um das Brot, / dem Winzer um Wein."
Es ist nicht das erste Mal, dass Kolbe den Verdacht riskiert, epigonal zu sein. Er bedient sich ungeniert aus dem Arsenal alter Bilder und Begriffe. So ist sein "Traumland" ein Gebirge mit Fichten, Burgen und einem festen "Grund in den Himmel". Es ist der Sänger, der diese Welt schafft. Auch für Kolbe ist es immer Orpheus, wenn es singt. Er stimmt sogar, wenngleich ironisch, einen hohen Ton an. "Das Heilige" tönt nach Goethe oder Rilke: "Übers uralt Heilige / hört man wenig sagen, / denn es wirkt das Seinige / ohne Grund und Fragen." Gegen alle Skepsis setzt Kolbe: "Hör ich, so viel hohen Ton / solltest du verweigern, / sag ich, mancher Sängerlohn / fordert sich zu steigern." Doch in Wahrheit will Kolbe weder Rilke noch Goethe sein. Statt sich zu steigern, praktiziert er lieber die mittlere Tonlage: "Es gibt keinen schweren Gedanken, / der nicht leichtes Wort wird."
Oft bemüht sich der Autor um diese Praxis des Leichten, und so gelingen ihm Texte, die das bloß Traditionelle übersteigen. Sie bringen etwa Figuren der Weltliteratur ins Nahe und Intime. Vergil klopft mit einem Ulmenstab an die Tür und bittet um Wasser, "und wie er ging, bekam sein Blick / den Farbton von Vergissmeinnicht". Solch ein rencontre über die Zeiten gelingt, weil der Autor mit Diskretion bei der Arbeit ist. Diskretion bewährt sich immer bei Größendifferenzen. Etwa bei einem Weltuntergang im Miniaturformat. In "Kleiner Weltuntergang" läuft ein Kopfkino ab. Das Ich tritt ins Dunkel der Welt und schreckt einen Igel auf: "ein Igel, der rennt, / das apokalyptische Tier". Es ist das Opfer, das uns an der Apokalypse interessiert.
Die Tiere sagen uns offenbar mehr über die Welt als die Anrufung des Heiligen. So auch in "Imago". Unter den Bedeutungen des Begriffs wählt Kolbe das Insekt. Es feiert das "Fest der Ewigkeit", wenn es seinen Rüssel ins Manna tunkt. Aber Kolbe weiß auch, wie es um diese Ewigkeit bestellt ist: "Den Blütenstaub des nächsten Jahres / tragen andere davon." Ein skeptischer Schluss, er gibt dem Gedicht poetische Tiefe.
Nicht ohne Grund steht der Begriff "Imago" über dem ganzen Buch. Man darf bei Imago auch an das unbewusste Bild einer Person denken - der des Dichters. Er tritt unter der Maske hervor.
HARALD HARTUNG.
Uwe Kolbe: "Imago". Gedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 107 S., geb., 21,- [Euro].
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Uwe Kolbe entwickelt eine gerade in ihrer Machtlosigkeit berührende poetische Kraft, die sich dem Andern zuwendet, Hoffnung auf Geborgensein am Glimmen hält. Tomas Gärtner Dresdner Neuste Nachrichten 20200713