Dieter Kosslick ruft dazu auf, das Kino zu retten – und beschreibt, wie das gelingen kann. Er schildert seine Liebe zum Film, seine abenteuerlichen Erlebnisse als Chef der Berlinale und warum er überzeugt ist, dass Filme die Welt verändern können. Ob er eine Großbaustelle zum Stillstand bringen musste, damit die Rolling Stones schlafen konnten, ausgerechnet an 9/11 zum ersten Mal nach Hollywood reist, mit allen Mitteln Martin Scorsese überzeugen muss, nach Berlin zu kommen, nach Nordkorea zu Kim Jong-un, nach Kuba zu Fidel Castro oder in den Palast des größten Bollywoodstars Shah Rukh Khan reiste, oder Meryl Streep in der Not einen Blumenstrauß von der Tankstelle überreicht – Dieter Kosslick hat als Chef der Berlinale viel erlebt. Wichtiger aber als Stars und Glamour war ihm stets der Anspruch, Filme zu zeigen, die die Kraft haben, die Gesellschaft zu verändern. Seine Mottos lauteten schon kurz nach der Jahrtausendwende »accept diversity« und »towards tolerance«. Engagement für Gerechtigkeit und Menschenwürde prägten den Charakter des Festivals, auch wurde die Berlinale zum ersten CO2-zertifizierten Filmfestival der Welt, denn der Klimawandel ist auch im Filmgeschäft von bedeutender, bislang unterschätzter Bedeutung. Kann Green Shooting dazu beitragen, das Klima zu schützen und darf die öffentliche Hand überhaupt noch Filme subventionieren, deren Produktion Taudende Tonnen CO2 verbraucht? Mit Corona ist auch das Kino in eine schwere Krise gestürzt, die mit dem Aufkommen der Streamingdienste existenziell geworden ist. Dieter Kosslick gibt in diesem persönlichen und anekdotenreichen Buch Auskunft, wie Kino in Zukunft funktionieren muss und warum gerade auch die Filmbranche dringend lernen muss, nachhaltiger zu produzieren. - Unterwegs mit Weltstars: ein höchst unterhaltsamer Blick hinter die Kulissen - Green Shooting: Wie Filmproduktion in Zeiten des Klimawandelns nachhaltiger werden kann und muss - Was wir dem Kino verdanken und warum wir es retten müssen »Dieter Kosslick ist eine lebende Imagekampagne für den Kinofilm.« Maria Furtwängler
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2021Berliner Gastgeber
Dieter Kosslick über sich und das Kino
Anfang der achtziger Jahre schrieb Dieter Kosslick in der Zeitschrift "konkret" eine Kolumne über "Ökotipps". Er interessierte sich damals bereits für das Schicksal der Bienen, lange bevor deren massenhaftes Sterben zur Sorge Anlass gab. Die Qualität von Bio-Haarshampoos, um die er sich auch kümmerte, war allerdings im Vergleich zum Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nachrangig, wie ihn strikte Marxisten wissen ließen. Und so hatte er ein offenes Ohr, als sich eine Gelegenheit ergab, in leitender Funktion in das damals ganz neue Hamburger Filmbüro zu wechseln, eine Institution, die wegweisend für die deutsche Filmförderungslandschaft werden sollte.
Mit diesem Schritt betrat er ein Feld, in dem er dann eine höchst erfolgreiche Laufbahn absolvierte: Nach einer weiteren Station in Köln an einer maßgeblichen Schnittstelle zwischen der mächtigen westdeutschen Medienindustrie und den neuen europäischen Subventionskulturen wurde Kosslick 2001 Direktor der Berlinale. Er leitete das größte deutsche Filmfestival bis 2019 und wurde in diesen Jahren die Figur, von der man nun auch einen Memoirenband wie den eben erschienenen erwarten durfte: Der Teppich, auf den sein Titel anspielt, ist natürlich der rote, über den die Stars gehen, wenn sie eine Premiere beehren. In der Aufmarschzone der geladenen Gäste ließ er seine immer betont gute Laune sprühen und unterlief alle Versuche eines etwaigen strengeren Protokolls. Das Publikum liebte ihn für sein radebrechendes Englisch und seine ansteckende Heiterkeit, und wenn man seinen Schilderungen glauben darf, wogegen wenig spricht, dann liebten ihn auch die Stars dafür.
Das Buch hat drei Teile mit deutlich unterschiedlichen Zielen. Zu Beginn schildert Kosslick seinen Werdegang, im zweiten Teil widmet er sich den Jahren mit der Berlinale, und schließlich beschäftigt er sich mit allgemeineren Fragen zur Zukunft des Kinos, im Speziellen der Nachhaltigkeit einer Branche, die durchaus exzessive Emissionsbilanzen aufweist. Kosslick kann hier noch einmal an den Autor der "Ökotipps" anschließen, wie sich überhaupt durch seine Tätigkeit als Festivaldirektor eine deutlich Spur des anderen möglichen Weges zieht, der ihm 1981 auch offenstand: Er hätte so etwas wie ein früher Gastrosoph werden können, ein Pionier von Slow Food in Deutschland, ein Verfechter von Tofu schon zu einer Zeit, als vom Veganismus nur wenige wussten.
Natürlich werden das lesende Publikum vor allem die Erinnerungen an die Berlinale interessieren. Allerdings verdient auch der Teil davor durchaus etwas Aufmerksamkeit. Denn Kosslick war, schon damals mit seiner "schwäbisch-badischen integrierenden Art", in jungen Jahren Teil eines interessanten Milieus, hatte in München Kontakt zu progressiven Jesuiten und kam später in Hamburg in das Umfeld einer Sozialdemokratie, die in Bürgermeister Hans-Ulrich Klose einen herausragenden Vertreter hatte.
Als Direktor der Berlinale wurde er dann zu einem Gastgeber, der Berühmtheiten aus der internationalen Welt des Kinos in Empfang nahm. Ein eigenes Kapitel widmet er beispielsweise den Jury-Präsidentinnen. Um Meryl Streep musste er sich viele Jahre bemühen, schließlich kam sie dann doch und bestand nicht einmal auf ein First-Class-Ticket. Kosslick gewährt Einblick in das Innere eines Festivals von Weltgeltung, wahrt aber die Diskretion. Das schwierige Verhältnis mit der aufstrebenden Großmacht China wird letztlich mit einer Anekdote über einen kulturdiplomatischen Besuch in Peking abgehandelt. Dabei war Kosslicks letzte Berlinale de facto mit einem Affront konfrontiert worden, als "One Second" von Zhang Yimou in allerletzter Minute aus dem Programm genommen werden musste. Bis heute lief der Film nur in China, und auch da nur in zensurierter Form. Leider wird auch dieser brisante Fall nur beiläufig angesprochen.
Der stets gutgelaunte, aber auch ein wenig kurzatmige Gleichmut, mit dem diese Erinnerungen verfasst sind, lässt erkennen, warum Kosslick als Berlinale-Direktor auch umstritten war: Die schwierigen Verhältnisse zwischen Ästhetik und Politik kehrt er unter den Teppich, auf dem er in seinem Element war.
BERT REBHANDL.
Dieter Kosslick: "Immer auf dem Teppich bleiben". Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021. 336 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieter Kosslick über sich und das Kino
Anfang der achtziger Jahre schrieb Dieter Kosslick in der Zeitschrift "konkret" eine Kolumne über "Ökotipps". Er interessierte sich damals bereits für das Schicksal der Bienen, lange bevor deren massenhaftes Sterben zur Sorge Anlass gab. Die Qualität von Bio-Haarshampoos, um die er sich auch kümmerte, war allerdings im Vergleich zum Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nachrangig, wie ihn strikte Marxisten wissen ließen. Und so hatte er ein offenes Ohr, als sich eine Gelegenheit ergab, in leitender Funktion in das damals ganz neue Hamburger Filmbüro zu wechseln, eine Institution, die wegweisend für die deutsche Filmförderungslandschaft werden sollte.
Mit diesem Schritt betrat er ein Feld, in dem er dann eine höchst erfolgreiche Laufbahn absolvierte: Nach einer weiteren Station in Köln an einer maßgeblichen Schnittstelle zwischen der mächtigen westdeutschen Medienindustrie und den neuen europäischen Subventionskulturen wurde Kosslick 2001 Direktor der Berlinale. Er leitete das größte deutsche Filmfestival bis 2019 und wurde in diesen Jahren die Figur, von der man nun auch einen Memoirenband wie den eben erschienenen erwarten durfte: Der Teppich, auf den sein Titel anspielt, ist natürlich der rote, über den die Stars gehen, wenn sie eine Premiere beehren. In der Aufmarschzone der geladenen Gäste ließ er seine immer betont gute Laune sprühen und unterlief alle Versuche eines etwaigen strengeren Protokolls. Das Publikum liebte ihn für sein radebrechendes Englisch und seine ansteckende Heiterkeit, und wenn man seinen Schilderungen glauben darf, wogegen wenig spricht, dann liebten ihn auch die Stars dafür.
Das Buch hat drei Teile mit deutlich unterschiedlichen Zielen. Zu Beginn schildert Kosslick seinen Werdegang, im zweiten Teil widmet er sich den Jahren mit der Berlinale, und schließlich beschäftigt er sich mit allgemeineren Fragen zur Zukunft des Kinos, im Speziellen der Nachhaltigkeit einer Branche, die durchaus exzessive Emissionsbilanzen aufweist. Kosslick kann hier noch einmal an den Autor der "Ökotipps" anschließen, wie sich überhaupt durch seine Tätigkeit als Festivaldirektor eine deutlich Spur des anderen möglichen Weges zieht, der ihm 1981 auch offenstand: Er hätte so etwas wie ein früher Gastrosoph werden können, ein Pionier von Slow Food in Deutschland, ein Verfechter von Tofu schon zu einer Zeit, als vom Veganismus nur wenige wussten.
Natürlich werden das lesende Publikum vor allem die Erinnerungen an die Berlinale interessieren. Allerdings verdient auch der Teil davor durchaus etwas Aufmerksamkeit. Denn Kosslick war, schon damals mit seiner "schwäbisch-badischen integrierenden Art", in jungen Jahren Teil eines interessanten Milieus, hatte in München Kontakt zu progressiven Jesuiten und kam später in Hamburg in das Umfeld einer Sozialdemokratie, die in Bürgermeister Hans-Ulrich Klose einen herausragenden Vertreter hatte.
Als Direktor der Berlinale wurde er dann zu einem Gastgeber, der Berühmtheiten aus der internationalen Welt des Kinos in Empfang nahm. Ein eigenes Kapitel widmet er beispielsweise den Jury-Präsidentinnen. Um Meryl Streep musste er sich viele Jahre bemühen, schließlich kam sie dann doch und bestand nicht einmal auf ein First-Class-Ticket. Kosslick gewährt Einblick in das Innere eines Festivals von Weltgeltung, wahrt aber die Diskretion. Das schwierige Verhältnis mit der aufstrebenden Großmacht China wird letztlich mit einer Anekdote über einen kulturdiplomatischen Besuch in Peking abgehandelt. Dabei war Kosslicks letzte Berlinale de facto mit einem Affront konfrontiert worden, als "One Second" von Zhang Yimou in allerletzter Minute aus dem Programm genommen werden musste. Bis heute lief der Film nur in China, und auch da nur in zensurierter Form. Leider wird auch dieser brisante Fall nur beiläufig angesprochen.
Der stets gutgelaunte, aber auch ein wenig kurzatmige Gleichmut, mit dem diese Erinnerungen verfasst sind, lässt erkennen, warum Kosslick als Berlinale-Direktor auch umstritten war: Die schwierigen Verhältnisse zwischen Ästhetik und Politik kehrt er unter den Teppich, auf dem er in seinem Element war.
BERT REBHANDL.
Dieter Kosslick: "Immer auf dem Teppich bleiben". Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021. 336 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Amüsant findet Rezensentin Susan Vahabzadeh die Anekdoten, die der frühere Berlinale-Chef Dieter Kosslick in seinem Memoiren ausplaudert, von den Rolling Stones, für die er die Baustellen am Potsdamer Platz stilllegen ließ, oder von Fidel Castro, den er zum Entsetzen des Auswärtigen Amts zur Berlinale einlud. Wenn Kosslick dann allerdings vom ökologischen Filmemachen erzählt, sieht sie den "Weltverbesserer" hochkommen, der sie schon als Filmkritikerin nervte. Auch dass er mehr übers Essen als über Filme spricht und über die "bösartige" Filmkritik schimpft, ärgert Vahabzadeh.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2021Der lustige Strippenzieher
Star-Anekdoten und Öko-Tipps: Der ehemalige Berlinale-Chef Dieter Kosslick hat seine Memoiren geschrieben
Es gibt Geschichten, die kann ein Festivaldirektor erst erzählen, wenn er kein Festivaldirektor mehr ist. Dazu gehören alle Anekdoten, in denen sich Stars als ziemlich schräge Typen entpuppen, oder sich herausstellt, dass die Leute um sie herum die noch viel schrägeren Typen sind. Als die Rolling Stones etwa mal zur Berlinale kamen, weil dort Martin Scorseses Stones-Doku „Shine a Light“ zur Eröffnung lief, setzte der Festivaldirektor Dieter Kosslick alles daran, die Baustelle des Humboldt-Forum stillzulegen, weil die Band nur unter der Bedingung zur Berlinale kommen wollte, wenn kein Baulärm ihren Schönheitsschlaf stört. Kosslick erzählt davon am Ende Keith Richards, der das schon ganz nett findet, aber darauf hinweist, dass man nach einem halben Jahrhundert als Rockstar ohnehin nicht mehr viel hört.
In seinem neuen Buch „Immer auf dem Teppich bleiben“ erzählt Dieter Kosslick, der von 2002 bis 2019 die Berlinale leitete, viele solche Anekdoten. Wie er zum Beispiel einst auf George Michael wartete, der 2005 Gegenstand des Films „A Different Story“ war. Nach ausführlichem Hin und Her darüber, wer George Michael wann begegnen darf, wartet Kosslick also allein auf seinen Stargast. Dann bringen fremde Männer zwei Kisten herein, und angesichts dieser stillen Szene muss Kosslick an Pina Bauschs Ballett „Café Müller“ denken. Schließlich kommt George Michael, schleicht wortlos um die Kisten herum, nimmt aus einer eine Sonnenbrille, setzt sie auf, lächelt und wird gesprächig. Das liest sich ganz lustig. Kosslick hätte jedenfalls, wenn der solche Anekdoten früher erzählt hätte, kein Star mehr vertraut. Es gehört zum Job von Festivaldirektoren, über die Marotten ihrer Gäste diskret hinwegzusehen.
Die Berlinale-Leitung, die auf Kosslick folgte – Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek – ist zweigeteilt, Dieter Kosslick war noch alles in einem: künstlerischer Leiter, Organisator, Geld-Beschaffer, Strippenzieher. Kosslicks eigene Auftritte bei der Berlinale waren immer unterhaltsam. Ein wenig schade ist deshalb, dass es im Buch nun nicht mehr Blicke hinter die Kulissen gibt. Geschichten etwa wie die von der Krisensitzung wegen des iranischen Regisseurs Jafar Panahi (dessen „Taxi“ später den Goldenen Bären gewann), von bei der Ausreise aus Iran geöffneten Koffern und von Diplomatie auf dem roten Teppich, damit Asghar Farhadi, der mit „Nader und Simin – eine Trennung“ erst die Berlinale und dann den Oscar gewann, zu Hause keine Schwierigkeiten bekommt.
Kosslick war vorher bei der Filmförderung, mit Taktik und politischen Verwicklungen kennt er sich aus. Was allerdings – es ist eine der schönsten Anekdoten in seinen Memoiren – nicht verhinderte, dass ihm selbst ein Fehler unterlief, als er 2003 zur Premiere von Oliver Stones Dokumentarfilm „Comandante“ mit dem Argument, alle Hauptdarsteller würden eingeladen, Fidel Castro auf den roten Teppich holen wollte. Nicht jeder Festivaldirektor wird vom Außenminister höchstpersönlich gerüffelt – und kaum einer könnte so selbstironisch davon berichten: „Wenn Sie noch mal mithelfen wollen, einen Weltkrieg zu inszenieren, rufen Sie mich vorher an“, zitiert er Joschka Fischer. Fidel Castro war dann doch nicht bei der Berlinale.
Als nicht ganz falsch erweist sich bei der Lektüre die Vermutung, dass Kosslicks Fokus immer eher auf der Politik und der von ihm selbst geschaffenen Reihe „Kulinarisches Kino“ gelegen habe als auf dem großen Berlinale-Wettbewerb. Wesentlich leidenschaftlicher beschreibt er, was er bei einer Dienstreise in Los Angeles auf dem Teller hatte, als was es da auf der Leinwand gab. Und mit den Anekdoten ist in „Immer auf dem Teppich bleiben“ dann auch bald schon wieder Schluss.
Vielleicht reichten sie nicht für ein ganzes Buch. Auf jeden Fall setzt sich bald der Weltverbesserer Kosslick durch. Weite Teile des Buchs befassen sich mit einem seiner Kernanliegen, dem umweltfreundlichen Drehen, bis hin zu Checklisten, auf denen eine Filmproduktionsfirma abhaken kann, was sie schon nachhaltig gestaltet hat, vom Kulissenbau bis zum Catering. Das ist nicht verkehrt, aber es ist doch auch eine eigenwillige Entscheidung, Öko-Ratgeber, Kindheitserinnerungen aus dem Schwäbischen und Filmfestival-Anekdoten im selben Buch zu vermischen.
Tritt da der Grund zu Tage, warum Dieter Kosslik dann womöglich doch nicht der perfekte Festivaldirektor war? Wenn jemand sich so einsetzt für die Verbesserung der Produktionsbedingungen, ist dagegen nichts einzuwenden; dass ein Film mit dem Vorsatz gedreht wurde, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist aber auch keine Garantie für ästhetische Qualität.
An anderer Stelle beschwert sich Kosslick über die „bösartige“ Filmkritik, wobei es sich, da er kein konkretes Beispiel nennt, um eine grundsätzliche Einschätzung zu handeln scheint. Beispiele hätte es gegeben, oft warf ihm diese Filmkritik einen Mangel an Filmgeschmack vor. Die Memoiren können diesen Eindruck allerdings auch nicht widerlegen. So sehr Kosslick etwa auch das Gegenteil behauptet: Der Goldene Bär von 2005 für „U-Carmen“ ist kein rühmlicher Moment der Festivalgeschichte gewesen, und kein Buch der Welt wird es jetzt noch ändern.
SUSAN VAHABZADEH
Ihm wurde oft ein schlechter
Filmgeschmack vorgeworfen. Sein
Buch kann das nicht widerlegen
Dieter Kosslick:
Immer auf dem
Teppich bleiben.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021.
336 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Star-Anekdoten und Öko-Tipps: Der ehemalige Berlinale-Chef Dieter Kosslick hat seine Memoiren geschrieben
Es gibt Geschichten, die kann ein Festivaldirektor erst erzählen, wenn er kein Festivaldirektor mehr ist. Dazu gehören alle Anekdoten, in denen sich Stars als ziemlich schräge Typen entpuppen, oder sich herausstellt, dass die Leute um sie herum die noch viel schrägeren Typen sind. Als die Rolling Stones etwa mal zur Berlinale kamen, weil dort Martin Scorseses Stones-Doku „Shine a Light“ zur Eröffnung lief, setzte der Festivaldirektor Dieter Kosslick alles daran, die Baustelle des Humboldt-Forum stillzulegen, weil die Band nur unter der Bedingung zur Berlinale kommen wollte, wenn kein Baulärm ihren Schönheitsschlaf stört. Kosslick erzählt davon am Ende Keith Richards, der das schon ganz nett findet, aber darauf hinweist, dass man nach einem halben Jahrhundert als Rockstar ohnehin nicht mehr viel hört.
In seinem neuen Buch „Immer auf dem Teppich bleiben“ erzählt Dieter Kosslick, der von 2002 bis 2019 die Berlinale leitete, viele solche Anekdoten. Wie er zum Beispiel einst auf George Michael wartete, der 2005 Gegenstand des Films „A Different Story“ war. Nach ausführlichem Hin und Her darüber, wer George Michael wann begegnen darf, wartet Kosslick also allein auf seinen Stargast. Dann bringen fremde Männer zwei Kisten herein, und angesichts dieser stillen Szene muss Kosslick an Pina Bauschs Ballett „Café Müller“ denken. Schließlich kommt George Michael, schleicht wortlos um die Kisten herum, nimmt aus einer eine Sonnenbrille, setzt sie auf, lächelt und wird gesprächig. Das liest sich ganz lustig. Kosslick hätte jedenfalls, wenn der solche Anekdoten früher erzählt hätte, kein Star mehr vertraut. Es gehört zum Job von Festivaldirektoren, über die Marotten ihrer Gäste diskret hinwegzusehen.
Die Berlinale-Leitung, die auf Kosslick folgte – Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek – ist zweigeteilt, Dieter Kosslick war noch alles in einem: künstlerischer Leiter, Organisator, Geld-Beschaffer, Strippenzieher. Kosslicks eigene Auftritte bei der Berlinale waren immer unterhaltsam. Ein wenig schade ist deshalb, dass es im Buch nun nicht mehr Blicke hinter die Kulissen gibt. Geschichten etwa wie die von der Krisensitzung wegen des iranischen Regisseurs Jafar Panahi (dessen „Taxi“ später den Goldenen Bären gewann), von bei der Ausreise aus Iran geöffneten Koffern und von Diplomatie auf dem roten Teppich, damit Asghar Farhadi, der mit „Nader und Simin – eine Trennung“ erst die Berlinale und dann den Oscar gewann, zu Hause keine Schwierigkeiten bekommt.
Kosslick war vorher bei der Filmförderung, mit Taktik und politischen Verwicklungen kennt er sich aus. Was allerdings – es ist eine der schönsten Anekdoten in seinen Memoiren – nicht verhinderte, dass ihm selbst ein Fehler unterlief, als er 2003 zur Premiere von Oliver Stones Dokumentarfilm „Comandante“ mit dem Argument, alle Hauptdarsteller würden eingeladen, Fidel Castro auf den roten Teppich holen wollte. Nicht jeder Festivaldirektor wird vom Außenminister höchstpersönlich gerüffelt – und kaum einer könnte so selbstironisch davon berichten: „Wenn Sie noch mal mithelfen wollen, einen Weltkrieg zu inszenieren, rufen Sie mich vorher an“, zitiert er Joschka Fischer. Fidel Castro war dann doch nicht bei der Berlinale.
Als nicht ganz falsch erweist sich bei der Lektüre die Vermutung, dass Kosslicks Fokus immer eher auf der Politik und der von ihm selbst geschaffenen Reihe „Kulinarisches Kino“ gelegen habe als auf dem großen Berlinale-Wettbewerb. Wesentlich leidenschaftlicher beschreibt er, was er bei einer Dienstreise in Los Angeles auf dem Teller hatte, als was es da auf der Leinwand gab. Und mit den Anekdoten ist in „Immer auf dem Teppich bleiben“ dann auch bald schon wieder Schluss.
Vielleicht reichten sie nicht für ein ganzes Buch. Auf jeden Fall setzt sich bald der Weltverbesserer Kosslick durch. Weite Teile des Buchs befassen sich mit einem seiner Kernanliegen, dem umweltfreundlichen Drehen, bis hin zu Checklisten, auf denen eine Filmproduktionsfirma abhaken kann, was sie schon nachhaltig gestaltet hat, vom Kulissenbau bis zum Catering. Das ist nicht verkehrt, aber es ist doch auch eine eigenwillige Entscheidung, Öko-Ratgeber, Kindheitserinnerungen aus dem Schwäbischen und Filmfestival-Anekdoten im selben Buch zu vermischen.
Tritt da der Grund zu Tage, warum Dieter Kosslik dann womöglich doch nicht der perfekte Festivaldirektor war? Wenn jemand sich so einsetzt für die Verbesserung der Produktionsbedingungen, ist dagegen nichts einzuwenden; dass ein Film mit dem Vorsatz gedreht wurde, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist aber auch keine Garantie für ästhetische Qualität.
An anderer Stelle beschwert sich Kosslick über die „bösartige“ Filmkritik, wobei es sich, da er kein konkretes Beispiel nennt, um eine grundsätzliche Einschätzung zu handeln scheint. Beispiele hätte es gegeben, oft warf ihm diese Filmkritik einen Mangel an Filmgeschmack vor. Die Memoiren können diesen Eindruck allerdings auch nicht widerlegen. So sehr Kosslick etwa auch das Gegenteil behauptet: Der Goldene Bär von 2005 für „U-Carmen“ ist kein rühmlicher Moment der Festivalgeschichte gewesen, und kein Buch der Welt wird es jetzt noch ändern.
SUSAN VAHABZADEH
Ihm wurde oft ein schlechter
Filmgeschmack vorgeworfen. Sein
Buch kann das nicht widerlegen
Dieter Kosslick:
Immer auf dem
Teppich bleiben.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021.
336 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Dieter Kosslick war nicht einfach nur Direktor der Berlinale, er war der Zeremonienmeister der Filmfestspiele.« Jana Pareigis ZDF "Mittagsmagazin" 20210215