Sinnliche Streifzüge durch Landschaften, Kulturräume und Küchen. Was sieht und riecht ein großer, lebensweiser, mehrfach preisgekrönter Europäer, wenn er durch Europa reist? Einer, der in seiner Person viele Kulturen vereint und den der Krieg staatenlos gemacht hat … Welche Bilder entstehen in seinem Kopf, wenn er den Duft von Aprikosen atmet – oder den von Zimt, Kaffee, Vanille … wenn er in Rom vor den Trümmern der Antike steht, vor dem verschmitzt lächelnden heiligen Prokulus in Naturns, vor den sanft gewellten Weinbergen von Melk und Krems, wenn er in die weltbeste Salami aus dem umbrischen Norcia beißt oder in Wien auf den Künstler Spoerri trifft …? Ćosić lässt uns teilhaben an seinem inspirierenden Gedankenstrom, an den überraschenden Assoziationen, die ihn auf seinen Reisen nach Italien und entlang der Donau bewegen – und die sich schließlich zu einem wundersamen Bild Mitteleuropas fügen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019Im Labyrinth
Bora Ćosić negiert Europas Grenzen
Grenzen haben mitunter etwas beinahe schon hilflos lächerliches. Weil sie eben keineswegs strikt voneinander trennen, was sie separieren sollen. Dass sie einerseits durchlässig sind und andererseits trotzdem für viele Menschen ein Hindernis darstellen, scheint willkürlich und ist besonders dort tragisch, wo die Verbindungen über diese Grenzen hinweg eng sind. Und wo solche Barrieren vor allem dazu dienen sollen, den Bessergestellten die Schlechtergestellten vom Hals zu halten.
Der serbische, im heutigen Kroatien geborene und lebende Schriftsteller Bora Ćosić führt einem das in dem Band „Immer sind wir überall“ vor Augen. Nicht anklagend, eher süffisant. Weil der Grenzverkehr von Menschen, Waren und Ideen zwischen Österreich, Italien, Deutschland und den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ein jahrhundertealter Fakt ist, der von Nationalisten zwar schlechtgeredet und attackiert, aber nicht nachhaltig unterbunden werden kann. Ćosić schildert den Grenzverkehr in zwei essayhaften Texten, die ursprünglich in der Berliner Kulturzeitschrift Lettre International erschienen sind. In ihnen liest man deutlich die mitunter diebische Freude darüber heraus, für wie selbstverständlich Ćosić diese Freizügigkeit nimmt.
Im ersten Text „Italienreise“ nähert er sich von Istrien aus behutsam den nördlichen Nachbarn. Erst über die Erbschaft, die das Habsburgerreich seiner Heimat hinterlassen hat, dann durch häufige Reisen über die Grenze hinweg nach Triest. An einer Stelle bezeichnet er die Stadt als sein Einfallstor nach Italien. Von dort aus springt Ćosić immer schneller durch das Nachbarland, wechselt mitunter innerhalb eines Gedankens die Stadt und die Region, schließlich bleibt er in Rom haften. Dort liest er „Bei den Hyperboreern“ von Miloš Crnjanski – ein Buch über Rom, geschrieben in Rom, von einem Serben. Ćosić nennt viele Kronzeugen für eine derartige Aneignung des verwandten Fremden, Crnjanski ist ihm der wichtigste. Bei ihm und bei anderen macht er noch einen weiteren Punkt fest: Diese Autoren würden immer auch über ihre Heimat schreiben, so Ćosić, der Nachbar diene als Metapher fürs Eigene.
Der zweite Text „Donaubaedecker“ ist eine Reise entlang des Stroms, von Linz aus bis auf den nördlichen Balkan. Hier kommt Ćosić neben der Literatur auf ein zweites verbindendes Element: den Wein. Und ob nicht das Einende innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie der Umstand gewesen sei, dass im Grunde von Krems bis hinunter auf den Balkan eine recht lückenlose Weingegend reicht. Das serbokroatische Wort „loza“ meint die Rebe ebenso wie den Stammbaum.
Bora Ćosić verwebt philosophische Überlegungen mit seinen alltäglichen Beobachtungen. In Rom schätzt er vor allem das kleine, versteckte Quartiere Coppedè nordöstlich der Villa Borghese – weil es „zu nichts gehört, am wenigsten zu Rom“. Jedes Portal, jede Fassade „und das ganze System dieser paar Sträßchen, die auf einen winzigen Platz hinausgehen, all das wer weiß wo herausgerissen und in diese Stadt geworfen, bekannt für alles andere, nur nicht dafür“. Das Reine interessiert Bora Ćosić nicht, sondern das vielfach Beeinflusste, die kulturellen Promenadenmischungen.
Kultur und Kulinarik gehören für Bora Ćosić fest zusammen, weil sich darin Geisteshaltungen ausdrückten. Er empfiehlt das Buch „Kochen unter anderen Sternen“ des slowenisch-kärtnerischen Verlegers Lojze Wieser. „Dies könnte ein besseres Handbuch gegen den Rechtsradikalismus seiner Gegend sein als vieles andere“, schreibt Ćosić. Und taucht dann ein in die Anarchie, die die Händler vom Balkan auf dem Wiener Naschmarkt etabliert haben. In Labyrinthen fühlt er sich erkennbar am wohlsten.
STEFAN FISCHER
Bora Ćosić: Immer sind wir überall. Reisen in Italien und Österreich. Aus dem Serbischen von Katharina
Wolf-Grießhaber.
Folio Verlag,
Wien und Bozen 2019. 128 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Bora Ćosić negiert Europas Grenzen
Grenzen haben mitunter etwas beinahe schon hilflos lächerliches. Weil sie eben keineswegs strikt voneinander trennen, was sie separieren sollen. Dass sie einerseits durchlässig sind und andererseits trotzdem für viele Menschen ein Hindernis darstellen, scheint willkürlich und ist besonders dort tragisch, wo die Verbindungen über diese Grenzen hinweg eng sind. Und wo solche Barrieren vor allem dazu dienen sollen, den Bessergestellten die Schlechtergestellten vom Hals zu halten.
Der serbische, im heutigen Kroatien geborene und lebende Schriftsteller Bora Ćosić führt einem das in dem Band „Immer sind wir überall“ vor Augen. Nicht anklagend, eher süffisant. Weil der Grenzverkehr von Menschen, Waren und Ideen zwischen Österreich, Italien, Deutschland und den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens ein jahrhundertealter Fakt ist, der von Nationalisten zwar schlechtgeredet und attackiert, aber nicht nachhaltig unterbunden werden kann. Ćosić schildert den Grenzverkehr in zwei essayhaften Texten, die ursprünglich in der Berliner Kulturzeitschrift Lettre International erschienen sind. In ihnen liest man deutlich die mitunter diebische Freude darüber heraus, für wie selbstverständlich Ćosić diese Freizügigkeit nimmt.
Im ersten Text „Italienreise“ nähert er sich von Istrien aus behutsam den nördlichen Nachbarn. Erst über die Erbschaft, die das Habsburgerreich seiner Heimat hinterlassen hat, dann durch häufige Reisen über die Grenze hinweg nach Triest. An einer Stelle bezeichnet er die Stadt als sein Einfallstor nach Italien. Von dort aus springt Ćosić immer schneller durch das Nachbarland, wechselt mitunter innerhalb eines Gedankens die Stadt und die Region, schließlich bleibt er in Rom haften. Dort liest er „Bei den Hyperboreern“ von Miloš Crnjanski – ein Buch über Rom, geschrieben in Rom, von einem Serben. Ćosić nennt viele Kronzeugen für eine derartige Aneignung des verwandten Fremden, Crnjanski ist ihm der wichtigste. Bei ihm und bei anderen macht er noch einen weiteren Punkt fest: Diese Autoren würden immer auch über ihre Heimat schreiben, so Ćosić, der Nachbar diene als Metapher fürs Eigene.
Der zweite Text „Donaubaedecker“ ist eine Reise entlang des Stroms, von Linz aus bis auf den nördlichen Balkan. Hier kommt Ćosić neben der Literatur auf ein zweites verbindendes Element: den Wein. Und ob nicht das Einende innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie der Umstand gewesen sei, dass im Grunde von Krems bis hinunter auf den Balkan eine recht lückenlose Weingegend reicht. Das serbokroatische Wort „loza“ meint die Rebe ebenso wie den Stammbaum.
Bora Ćosić verwebt philosophische Überlegungen mit seinen alltäglichen Beobachtungen. In Rom schätzt er vor allem das kleine, versteckte Quartiere Coppedè nordöstlich der Villa Borghese – weil es „zu nichts gehört, am wenigsten zu Rom“. Jedes Portal, jede Fassade „und das ganze System dieser paar Sträßchen, die auf einen winzigen Platz hinausgehen, all das wer weiß wo herausgerissen und in diese Stadt geworfen, bekannt für alles andere, nur nicht dafür“. Das Reine interessiert Bora Ćosić nicht, sondern das vielfach Beeinflusste, die kulturellen Promenadenmischungen.
Kultur und Kulinarik gehören für Bora Ćosić fest zusammen, weil sich darin Geisteshaltungen ausdrückten. Er empfiehlt das Buch „Kochen unter anderen Sternen“ des slowenisch-kärtnerischen Verlegers Lojze Wieser. „Dies könnte ein besseres Handbuch gegen den Rechtsradikalismus seiner Gegend sein als vieles andere“, schreibt Ćosić. Und taucht dann ein in die Anarchie, die die Händler vom Balkan auf dem Wiener Naschmarkt etabliert haben. In Labyrinthen fühlt er sich erkennbar am wohlsten.
STEFAN FISCHER
Bora Ćosić: Immer sind wir überall. Reisen in Italien und Österreich. Aus dem Serbischen von Katharina
Wolf-Grießhaber.
Folio Verlag,
Wien und Bozen 2019. 128 Seiten, 20 Euro.
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