Eine deutsche Südseeballade In »Imperium« erzählt Christian Kracht eine Aussteigergeschichte in den deutschen Kolonien der Südsee, indem er virtuos und gut gelaunt mit den Formen des historischen Abenteuerromans eines Melville, Joseph Conrad, Robert Louis Stevenson oder Jack London spielt. Die Welt wollte er retten, eine neue Religion stiften, gar ein eigenes Reich gründen - eine Utopie verwirklichen, die nicht nur ihn selbst, sondern die Menschheit erlöst, fernab der zerstörerischen europäischen Zivilisation, die gerade aufbricht in die Moderne und in die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Doch in der Abgeschiedenheit der Südsee, in einer Kolonie des wilhelminischen Deutschland, gerät ein von einem vegetarischen Spleen besessener Sonnenanbeter in eine Spirale des Wahnsinns, die die Abgründe des 20. Jahrhunderts ahnungsvoll vorwegnimmt.In seinem vierten Roman zeichnet Christian Kracht die groteske, verlorene Welt von Deutsch-Neuguinea, eine Welt, die dem Untergang geweiht ist und in der sich doch unsere Gegenwart seltsam spiegelt. Zugleich aber ist Christian Krachts »Imperium« eine erstaunliche, immer wieder auch komische Studie über die Zerbrechlichkeit und Vermessenheit menschlichen Handelns.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2012Mit Mahlerschleife
Keine Fragen: Christian Kracht liest im Frankfurter Literaturhaus
Leibwächter hatte er nicht dabei. "Aber er hat ja mich", murmelte Hausherr Hauke Hückstädt vor dem Auftritt seines Gastes Christian Kracht im Frankfurter Literaturhaus. Der große Saal mit seinen 220 Plätzen war bei der Veranstaltung mit der Frankfurter Bürgerstiftung ausverkauft, viel junges, anderes Publikum als sonst wartete auf den Schweizer Schriftsteller, der mit seinem jüngsten Roman "Imperium" eine Debatte unter Literaturkritikern ausgelöst hatte. Im Magazin "Der Spiegel" hatte ihn Georg Diez als Wegbereiter rechten Denkens bezeichnet. Seitdem geht Kracht nur noch aufs Podium, um zu lesen. Fragen beantwortet er nicht, Gesprächen weicht er aus. Dafür hat er sich einen melodramatischen Auftritt inszeniert: mit einer Wiederholungsschleife aus dem Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie.
"Das Wenigste in dieser Debatte stimmt", kommentierte Hückstädt jetzt das intellektuelle Hickhack, als er Autor und Buch vorstellte. "Ein rarer Held" sei der Protagonist August Engelhardt, denn die deutsche Gegenwartsliteratur habe sich um die Kolonialgeschichte nie gekümmert: "Eine starke Figur." Auch habe Kracht hier nicht Hitler porträtiert, wie mancher Rezensent gemutmaßt hatte, sondern: "die deutsche Seele vor dem Ersten Weltkrieg". Tatsächlich fühlte man sich während der Lesung immer wieder an Thomas Mann ("Betrachtungen eines Unpolitischen") und Hermann Hesses Begeisterung für die "Lebensreform" erinnert. Nur dass der kokovore Sonnenanbeter Engelhardt auf seinem Eiland in Deutsch-Neuguinea endgültig ins Psychotische abdriftet: eine Gefahr, die beide Dichter mit ihren Werken zu bannen wussten.
Auch stilistisch schließt Kracht mit seiner elaborierten Hypotaxe und seinen manierierten Bildern an Mann an. Im Übrigen hat er sich großzügig aus dem Abenteuerfundus der Weltliteratur bedient: Stevenson, Conrad und London standen Pate. Das schadet aber nicht. Auch Shakespeare und Brecht haben abgeschrieben und dennoch Neues geschaffen. Schließlich ist ein Roman keine Dissertation, und ein Dichter kein akademischer Erbsenzähler. Ein Pirol singt in dem Roman sein Lied. Hat Kracht etwa auch Andreas Maiers "Bullau" gelesen? Viel interessanter aber war es zu hören, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus gewaltbereiter Gendarmerie, Lebensreformern und imperialistischen Hochstaplern eine Gemengelage zusammenbraute, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitete.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keine Fragen: Christian Kracht liest im Frankfurter Literaturhaus
Leibwächter hatte er nicht dabei. "Aber er hat ja mich", murmelte Hausherr Hauke Hückstädt vor dem Auftritt seines Gastes Christian Kracht im Frankfurter Literaturhaus. Der große Saal mit seinen 220 Plätzen war bei der Veranstaltung mit der Frankfurter Bürgerstiftung ausverkauft, viel junges, anderes Publikum als sonst wartete auf den Schweizer Schriftsteller, der mit seinem jüngsten Roman "Imperium" eine Debatte unter Literaturkritikern ausgelöst hatte. Im Magazin "Der Spiegel" hatte ihn Georg Diez als Wegbereiter rechten Denkens bezeichnet. Seitdem geht Kracht nur noch aufs Podium, um zu lesen. Fragen beantwortet er nicht, Gesprächen weicht er aus. Dafür hat er sich einen melodramatischen Auftritt inszeniert: mit einer Wiederholungsschleife aus dem Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie.
"Das Wenigste in dieser Debatte stimmt", kommentierte Hückstädt jetzt das intellektuelle Hickhack, als er Autor und Buch vorstellte. "Ein rarer Held" sei der Protagonist August Engelhardt, denn die deutsche Gegenwartsliteratur habe sich um die Kolonialgeschichte nie gekümmert: "Eine starke Figur." Auch habe Kracht hier nicht Hitler porträtiert, wie mancher Rezensent gemutmaßt hatte, sondern: "die deutsche Seele vor dem Ersten Weltkrieg". Tatsächlich fühlte man sich während der Lesung immer wieder an Thomas Mann ("Betrachtungen eines Unpolitischen") und Hermann Hesses Begeisterung für die "Lebensreform" erinnert. Nur dass der kokovore Sonnenanbeter Engelhardt auf seinem Eiland in Deutsch-Neuguinea endgültig ins Psychotische abdriftet: eine Gefahr, die beide Dichter mit ihren Werken zu bannen wussten.
Auch stilistisch schließt Kracht mit seiner elaborierten Hypotaxe und seinen manierierten Bildern an Mann an. Im Übrigen hat er sich großzügig aus dem Abenteuerfundus der Weltliteratur bedient: Stevenson, Conrad und London standen Pate. Das schadet aber nicht. Auch Shakespeare und Brecht haben abgeschrieben und dennoch Neues geschaffen. Schließlich ist ein Roman keine Dissertation, und ein Dichter kein akademischer Erbsenzähler. Ein Pirol singt in dem Roman sein Lied. Hat Kracht etwa auch Andreas Maiers "Bullau" gelesen? Viel interessanter aber war es zu hören, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus gewaltbereiter Gendarmerie, Lebensreformern und imperialistischen Hochstaplern eine Gemengelage zusammenbraute, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitete.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2015Ironie für
Impfgegner
Christian Kracht stellt den Roman
„Imperium“ in New York vor
Der Roman „Imperium“ von Christian Kracht ist jetzt auch in den USA erschienen, bei Farrar, Straus and Giroux. Übersetzt hat ihn Daniel Bowles. Und als der Autor deswegen diese Woche in New York war, um das Buch vorzustellen, da bestätigte ihm der Germanist Eric Jarosinski, den seine vielen vor allem deutschen Twitter-Follower auch als @NeinQuarterly kennen, dass es eine sehr gelungene Übersetzung sei, welche die thomasmännelnde Ironie des Urtextes nahezu perfekt ins Englische übertrage. Das war wirklich eine hübsche Begegnung im sogenannten Deutschen Haus der New York University: der amerikanische Adorno-Experte, der sehr erfolgreich mit dem Habitus des gescheiterten Intellektuellen spielt, und der scheu tuende Schweizer Literat, der dem deutschen Sprachraum für die schöne Sprache dankt, selber dort aber unmöglich mehr leben könne. Kracht wohnt seit einigen Monaten in Los Angeles. Das mag nach Afrika, Argentinien, Florenz ein wenig gewöhnlich wirken, weil es unter sogenannten Kulturschaffenden ja doch recht populär geworden ist, nach Los Angeles zu ziehen. Aber für deutschsprachige Exilschriftsteller ist das natürlich ein traditionsreicher Boden. Kracht lobte ihn als „wundervollen Unort“, worüber sie sich in New York milde freuten. (Dieser L.A.-Boom irritiert den Kulturbetrieb hier doch erheblich.)
Es ging erfreulicherweise viel um literarische Fragen an diesem Abend, vor allem um den naseweisen Erzähler des Romans, eine Figur, die Kracht selbst nicht ganz geheuer ist. Dass das Buch von den Exzessen deutscher Lebensreform-Apostel in den überseeischen Kolonialbesitzungen des Kaiserreichs handelt, schreckt die amerikanischen Leser offenkundig nicht ab. Die Themen Lebensreform und deutscher Kolonialismus sind hier nur unwesentlich unbekannter als im heutigen Deutschland. Aber scheiternder Idealismus, scheiternde Utopien sind Gegenstände von eigenständiger Relevanz. Und die, die um 1900 irräugig und in härenen Gewändern ausschritten, eine naturhaftere Menschheit zu begründen, werfen ihre Echos immerhin bis in den homöopathisch-impfgegnerischen Komplex der besseren Wohnviertel von heute. Nicht zuletzt in Amerika.
Es passiert ja leider nicht so oft, dass deutsche Romane in den USA übersetzt werden und dann auch noch eine geradezu euphorische Resonanz bekommen. Das Buch lese sich streckenweise wie „der beste Werner-Herzog-Film, den Werner Herzog erst noch drehen muss“, schrieb ein Kritiker. Die Abenteuer-Parodie, der Corto-Maltese-Appeal, das alles kommt offensichtlich so weit gut an in Amerika, wo es auch kein Geheimnis ist, dass es in erster Linie der Ton ist, der die Musik macht. Dass eine Geschichte über die Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg in den USA immer auch als Vorgeschichte jener Deutschen gelesen wird, die dann den Zweiten Weltkrieg gemacht haben, versteht sich dabei von selber. Damit, dass sich weder Erzählfigur noch Autor irgendwie zu fassen bekommen und auf moralische Verbindlichkeiten festnageln lassen, kommt die amerikanische Kritik bislang besser klar als Teile der deutschen. Der bizarre Versuch, den Roman deswegen als irgendwie rechtsnationalistisches Gedankengut zu skandalisieren, in den sich ein deutsches Magazin verirrt hatte, der spielt in der amerikanischen Rezeption bisher jedenfalls keine Rolle.
PETER RICHTER
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Impfgegner
Christian Kracht stellt den Roman
„Imperium“ in New York vor
Der Roman „Imperium“ von Christian Kracht ist jetzt auch in den USA erschienen, bei Farrar, Straus and Giroux. Übersetzt hat ihn Daniel Bowles. Und als der Autor deswegen diese Woche in New York war, um das Buch vorzustellen, da bestätigte ihm der Germanist Eric Jarosinski, den seine vielen vor allem deutschen Twitter-Follower auch als @NeinQuarterly kennen, dass es eine sehr gelungene Übersetzung sei, welche die thomasmännelnde Ironie des Urtextes nahezu perfekt ins Englische übertrage. Das war wirklich eine hübsche Begegnung im sogenannten Deutschen Haus der New York University: der amerikanische Adorno-Experte, der sehr erfolgreich mit dem Habitus des gescheiterten Intellektuellen spielt, und der scheu tuende Schweizer Literat, der dem deutschen Sprachraum für die schöne Sprache dankt, selber dort aber unmöglich mehr leben könne. Kracht wohnt seit einigen Monaten in Los Angeles. Das mag nach Afrika, Argentinien, Florenz ein wenig gewöhnlich wirken, weil es unter sogenannten Kulturschaffenden ja doch recht populär geworden ist, nach Los Angeles zu ziehen. Aber für deutschsprachige Exilschriftsteller ist das natürlich ein traditionsreicher Boden. Kracht lobte ihn als „wundervollen Unort“, worüber sie sich in New York milde freuten. (Dieser L.A.-Boom irritiert den Kulturbetrieb hier doch erheblich.)
Es ging erfreulicherweise viel um literarische Fragen an diesem Abend, vor allem um den naseweisen Erzähler des Romans, eine Figur, die Kracht selbst nicht ganz geheuer ist. Dass das Buch von den Exzessen deutscher Lebensreform-Apostel in den überseeischen Kolonialbesitzungen des Kaiserreichs handelt, schreckt die amerikanischen Leser offenkundig nicht ab. Die Themen Lebensreform und deutscher Kolonialismus sind hier nur unwesentlich unbekannter als im heutigen Deutschland. Aber scheiternder Idealismus, scheiternde Utopien sind Gegenstände von eigenständiger Relevanz. Und die, die um 1900 irräugig und in härenen Gewändern ausschritten, eine naturhaftere Menschheit zu begründen, werfen ihre Echos immerhin bis in den homöopathisch-impfgegnerischen Komplex der besseren Wohnviertel von heute. Nicht zuletzt in Amerika.
Es passiert ja leider nicht so oft, dass deutsche Romane in den USA übersetzt werden und dann auch noch eine geradezu euphorische Resonanz bekommen. Das Buch lese sich streckenweise wie „der beste Werner-Herzog-Film, den Werner Herzog erst noch drehen muss“, schrieb ein Kritiker. Die Abenteuer-Parodie, der Corto-Maltese-Appeal, das alles kommt offensichtlich so weit gut an in Amerika, wo es auch kein Geheimnis ist, dass es in erster Linie der Ton ist, der die Musik macht. Dass eine Geschichte über die Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg in den USA immer auch als Vorgeschichte jener Deutschen gelesen wird, die dann den Zweiten Weltkrieg gemacht haben, versteht sich dabei von selber. Damit, dass sich weder Erzählfigur noch Autor irgendwie zu fassen bekommen und auf moralische Verbindlichkeiten festnageln lassen, kommt die amerikanische Kritik bislang besser klar als Teile der deutschen. Der bizarre Versuch, den Roman deswegen als irgendwie rechtsnationalistisches Gedankengut zu skandalisieren, in den sich ein deutsches Magazin verirrt hatte, der spielt in der amerikanischen Rezeption bisher jedenfalls keine Rolle.
PETER RICHTER
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Für Roman Bucheli ist der Skandal, der um Christian Krachts jüngsten Roman entstand, ein Sturm im Wasserglas und er macht sich Sorgen um den Stand der Literaturkritik. Georg Diez hatte den Autor einen "Türsteher" "rechten Gedankenguts" genannt, Kritiker und Schriftstellerkollegen waren Kracht zur Seite gesprungen und Diez hatte seine Kritik flugs zurückgezogen, wie der Rezensent referiert. Dabei findet Bucheli es durchaus angebracht, Fragen zu stellen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem 2004 veröffentlichten Schriftwechsel Krachts mit dem "politischen Wirrkopf" David Woodhard, in dem die beiden sich Gedanken um eine Wiederbelebung der deutschen Kolonie "Nueva Germania" in Paraguay machen und über ihre "spleenige Vorliebe" für koreanische Diktatoren austauschen. Der Rezensent meint, es sei legitim, den vorliegenden Roman auch im Kontext mit dem Briefwechsel zu lesen und nach der zugrunde liegenden "Geisteshaltung" zu fragen. In "Imperium" erzählt Kracht in durchaus unterhaltsamen Episoden die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt, der in der Südsee eine Kolonie gründet, die Nacktheit, Naturnähe und die Kokosnuss als ausschließliche Nahrung predigt, erfahren wir. Dabei gelinge es ihm, in dieser Figur die Schrecken und Verirrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu bündeln, lobt der Rezensent sogar. Allerdings findet er, dass das forciert Selbstironische und Spielerische im Gegenzug keinen "ästhetischen Mehrwert", geschweige denn einen intellektuellen böte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Christian Krachts Imperium ist der große deutschsprachige Roman dieses Frühjahrs. Ein Buch, das uns noch lange beschäftigen wird.« Denis Scheck ARD druckfrisch 20120226