Wolfgang Hardtwigs "Der Hof in den Bergen, Eine Kindheit und Jugend nach 1945" ist der erste Teil seiner Autobiografie – und war ein großer Erfolg. Zahlreiche Rezensionen und mehrere Auflagen bezeugen das breite Interesse an seiner "intellektuellen Heimatliteratur" über seine Kindheit und Jugend auf dem Land in Oberbayern, von der Gustav Seibt in der SZ schrieb, man könne eine autobiografische Erzählung kaum besser machen. Im vorliegenden zweiten Teil der Autobiografie beginnt der junge Wolfgang Hardtwig sein Studium der Geschichte in Basel, wechselt nach München, um dort zu promovieren und sich zu habilitieren, tritt seine erste Professur in Erlangen an und lehrt zeitweise in Atlanta, USA. 1992 wechselt er an die Humboldt-Universität zu Berlin – für das DDR-Regime zuvor ein Zentrum marxistisch interpretierter Kultur- und Gesellschaftswissenschaft. Seine Berufung und seine Arbeit dort sind Teil der ebenso notwendigen wie umstrittenen Reformen der Universitäten in Ostdeutschland. Hardtwig räsoniert über das Studieren im alten Sinne, er beschreibt Varianten der traditionellen "Ordinarien-Universität" und ihre Krise während der Studentenrevolution 1968 sowie in den Reformjahren danach. Den west-östlichen Transformationsprozess beschreibt er auf der Basis seiner persönlichen Erinnerungen und ausgewählter Quellen. So beleuchtet er erstmals die Positionen und Kontroversen an den ostdeutschen Universitäten der 1990er-Jahre aus der Innensicht eines westdeutsch geprägten unmittelbar Beteiligten. Die Profilierung als Historiker und die Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung ermöglichen symptomatische Einblicke in den heutigen Wissenschaftsbetrieb und in die akademische Arbeit. Wolfgang Hardtwig bietet über die autobiografische Betrachtung hinaus eine vorzüglich geschriebene Studie über die Kulturen des Studierens und Lehrens im fundamentalen Wandel der deutschen Universitätssysteme seit den 1960er-Jahren und leistet damit auch einen signifikanten Beitrag zum Verständnis der prekären Geschichte der deutschen Vereinigung von 1990 bis heute.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Patrick Bahners scheint den zweiten Memoiren-Band des Historikers Wolfgang Hardtwigs nicht nur Wissenschafts-Nerds empfehlen so wollen. Ja, es geht viel um Wissenschaftsgeschichte, nicht zuletzt um den Umbau der Humboldt-Universität, an der Hardtwig lehrte. Auch die Grübeleien darüber, von einem Michael Rutschky nicht als Dozent gemocht worden zu sein, scheinen nicht im Zentrum von Bahners' Interesse zu stehen. Was ihn allerdings fasziniert, ist, wie Hardtwig auf schonungslos ehrliche Art und Weise - durchaus auch sich selbst gegenüber, staunt Bahners - implizit die "Befindlichkeit einer ganzen Wissenschaftskultur" bloßlege; so etwa in der Anekdote einer Audienz mit US-Präsidentschaftskandidat Jimmy Carter, in der Hardtwig keinen Hehl aus dem unangenehmen Clash zwischen "Staatskunst und Historiografie" macht - was Bahners dem Autor hoch anrechnet. Für ihn beweist Hardtwig nicht nur hier ein ausgeprägtes "Sensorium für Umgangs- und Kommunikationsformen". Einzig die Häufung an faktischen Fehlern im Buch wecken beim Kritiker Irritation, die auch die Einordnung dieser Fehler in Hardtwigs Hang zum "Antiakademischen" nicht ganz aufzuheben vermag.
© Perlentaucher Medien GmbH
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