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Auch einer, der Tiktok an den Kragen will: Björn Staschen nimmt soziale Netzwerke aufs Korn
Das sei keine wissenschaftliche Analyse, sondern eine Streitschrift, kündigt Björn Staschen im Vorwort an und holt zum Rundumschlag aus. Der Medienwissenschaftler und Journalist macht aus seinem Zorn keinen Hehl. Gerichtet ist er gegen viele Algorithmen, Likes und Filterblasen und mehr noch gegen jene Plattformen, die für sie verantwortlich sind. Denn für diesen Autor zerstören soziale Netzwerke schlichtweg das, was unser Zusammenleben bisher bestimmt hat. Instagram, Tiktok, Facebook - alle will Staschen abgeschafft sehen.
Um zu erklären, wieso, holt er weit aus und beginnt mit einem von ihm erdachten Zukunftsszenario. Das sieht so aus: Ein von Google gefördertes Unternehmen verfasst automatisierte Pressemitteilungen. Nur ein großes, den Boulevard dominierendes Medienhaus und eine überregionale Qualitätszeitung sind noch übrig geblieben. Die "Freien Bürger" gewinnen mit Tiktok-Videos die Bundestagswahl und schaffen die öffentlich-rechtlichen Sender ab. Desinformationen verbreiten sich immer schneller. Die Plattformen haben die Herrschaft übernommen.
Dabei erwähnt Staschen wichtige Themen, etwa wenn er darüber schreibt, wie erfolgreich Extremisten die sozialen Netzwerke nutzen. Oder wenn er ausführt, wie abhängig die Medienhäuser von Google geworden sind, um ihre Reichweiten zu erhöhen. Doch wieder in der Realität angekommen, trägt der Autor nur wenig neue Erkenntnisse zur Debatte um die großen Plattformbetreiber und ihre durchaus besorgniserregende Macht bei.
Staschen fasst die meiste Zeit längst gewonnene Erkenntnisse zusammen. Er schreibt etwa über Depressionen, die durch die Nutzung sozialer Netzwerke entstehen können, und erklärt das Phänomen der Filterblasen. Zwischen Algorithmen und personalisierten Inhalten darf dann auch die Geschichte von Cambridge Analytica nicht fehlen, ebenso wenig wie der Vergleich von sozialen Netzwerken und Suchtmitteln. Hier allerdings in einer etwas schrägen Variante, wenn Staschen schreibt: "Die vermeintlichen sozialen Medien nutzen 235 Mal so viele Deutsche, wie von Cannabis abhängig sind."
Dabei schreibt der Autor eingangs immerhin selbst, ihm kämen einige seiner Gedanken banal vor. Doch der Banalität entkommt er mit dieser Entschuldigung nicht, wenn er beispielsweise beschreibt, wie es bei seinen Kindern geholfen habe, Whatsapp zu verbieten, um alternative Dienste auch bei deren Freunden zu verbreiten. Getoppt wir diese Anekdote von der Suggestivfrage: "Sind wir nicht auf diese Weise - mit Verboten - auch energiefressende Glühbirnen losgeworden?" Eine Erkenntnis, die, wie er selbst schreibt, ein wenig "altbacken" und "zeitgeistfern" erscheint.
An anderer Stelle wird es dann richtig abenteuerlich: Staschen vergleicht die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken mit der Abhängigkeit von Rohöl, und solche Abhängigkeiten, "toxische Beziehungen", könnten eben schnell zum Problem werden. Dafür stellt der Autor eine Reihe von Alternativen zu den üblichen Plattformen vor. Mastodon statt X, Signal statt Whatsapp für den Gruppenchat. Außerdem empfiehlt er aus Datenschutzgründen unter anderem den "Tor Browser", mit dem Nutzer durch eine verschlüsselte IP-Adresse anonym im Netz unterwegs sein können. Obwohl Anonymität im Internet nicht unbedingt der Weg ist, um es zu - Stichwort Strafverfolgung - einem besseren Ort zu machen. Dass dieser Browser seinen Nutzern auch den Weg ins Darknet ebnet, bleibt unerwähnt.
Dann fordert Staschen noch mehr Medienkompetenz in Schulen, verpflichtende Nachrichtensendungen auf Netflix und einen Demokratiepass, durch den Bürger zweihundert Euro im Jahr vom Staat erhalten, um seriöse Medien zu nutzen. Auf dass mit der Vision einer besseren Zukunft als der eingangs geschilderten Dystopie geschlossen werden kann: Medienhäuser sind da nun dank gestärkten dezentralen Plattformen weniger abhängig von den großen Spielern. Der Demokratiepass sichert das Überleben von Qualitätszeitungen, rechtsextreme Parteien haben auf Tiktok keine Chance, weil investigativer Journalismus bezahlbar ist. So einfach geht's.
Am Ende kündigt der Autor noch an, die letzten Plattformen, die er noch frequentiert, zu verlassen. Darunter auch Instagram. Sein Wort hat er gehalten - nachdem er in seinem allerletzten Beitrag noch Werbung für sein Buch machte. MINA MARSCHALL
Björn Staschen: "In der Social Media Falle". Wie wir unsere digitale Freiheit retten.
S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2023. 222 S., geb., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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