Eindringliche Erzählung über die Erben des Krieges, verpackt in ein packendes Psychogram einer jungen Frau.
Niederlande 1961. Amsterdam, Zwolle, Den Haag. Seit ihrer Kindheit lebt Isabel im Haus ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter. Alles blieb so, wie es war. Nichts wurde verändert, das Haus
mutiert zu einem Denkmal für die Verstorbene. Isabels Brüder Louis und Hendrik sind längst…mehrEindringliche Erzählung über die Erben des Krieges, verpackt in ein packendes Psychogram einer jungen Frau.
Niederlande 1961. Amsterdam, Zwolle, Den Haag. Seit ihrer Kindheit lebt Isabel im Haus ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter. Alles blieb so, wie es war. Nichts wurde verändert, das Haus mutiert zu einem Denkmal für die Verstorbene. Isabels Brüder Louis und Hendrik sind längst ausgezogen, leben ihr eigenes Leben abseits der Familie, die es als solches nicht mehr gibt. Während Hendrik schon länger sein Glück mit Sebastian gefunden hat, kostet Louis das Leben auf seine Weise aus mit wechselnden Liebschaften. Bis Eva auftaucht, ihm gehörig den Kopf verdreht und sie seinen Geschwistern vorstellt.
Isabel bleibt mehr als distanziert, wie immer. Sie hasst Gesellschaft, ist lieber allein, obwohl sie in ihrer Kindheit ein inniges Verhältnis zu Hendrik pflegte. Ihre wenigen sozialen Kontakte beschränken sich auf ihre junge Haushälterin, seltenen Besuchen ihrer Brüder und den Gottesdiensten. Die Avancen von Jonas lässt sie über sich ergehen, aber die Vorstellungen von körperlicher Nähe grauen ihr.
Bis Eva für ein paar Wochen im großen Haus einzieht. Eva ist lebenslustig, neugierig, das Gegenteil von Isabel. Die Distanz ist groß, Isabel verabscheut diese Gesellschaft, doch tief in ihrer Brust brennt noch eines kleines Feuer, bereit, einen Teil ihrer Misanthropie in Asche zu verwandeln. Ob sie es sich eingestehen wird?
Ihr Misstrauen Eva gegenüber spiegelt sich in einer Liste von Habseligkeiten im Haushalt wieder. Und Isabel stellt fest, das nach und nach Teile fehlen. Löffel, ein Messer oder eine Schale. Bis auf das Service mit dem Hasenmuster, das Isabels Mutter so geliebt hatte und immer schon im Haus war. Ein Haus, in das die Kinder während des Krieges einzogen. Fragen, wenn überhaupt, kommen erst später, als Isabel eine Entdeckung macht …
Das Buch lebt von Isabels innerer Zerrissenheit. Seit ihrer Kindheit, als sie in das Haus eingezogen ist, lässt sie ein unbeschreibbares Gefühl nicht mehr los. Sie kopiert in Ermangelung einer Vaterperson ihre Mutter.
Besonders nach einem einschneidenden, sehr harschen Erlebnis an der Haustür, glaubt sie, hart, eisern, sein zu müssen, ihren Mitmenschen keinerlei Gnade oder Mitgefühl gewähren zu können.
Bis Eva kommt – und so vieles auf den Kopf stellt – sehr lesenswert.
Es geht aber um so viel mehr in diesem Buch. Isabels Gefühlsleben ist nur der Rahmen der Geschichte. Der eigentliche Kern ist zwanzig Jahre zurück in der Vergangenheit zu suchen. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen – denn auch der Klappentext lässt darüber nichts verlautbaren.
Lest das Buch, es lohnt sich so sehr. Es ist weit mehr als sehr gute Unterhaltung. Es lässt einen Damm über Ungesagtes brechen, fesselt und reißt einen mit. Auch wenn manche Schilderungen im zweiten Teil abdriften mögen, der dritte Teil hat es in sich, flutet die Emotionen und zeigt spätestens hier seine wahren Qualitäten als Pageturner.
Dieser Debütroman von Yael van der Wouden stand nicht umsonst auf der Shortlist des Booker Prize 2024.
Ganz große Leseempfehlung!