Angesichts der sich verändernden Weltordnung nehmen Schwellenländer zunehmend Einfluss auf die gegenwärtige Dynamik regionaler Sicherheiten. Die Autorin beschreibt, wie sich die sicherheitspolitische Rolle Indiens im indo-pazifischen Raum in den letzten zwei Jahrzehnten weiterentwickelt und ausgeweitet hat. Es zeigt sich, dass zwischen der politischen Rhetorik Neu-Delhis und dem politischen Handeln vor Ort eine deutliche Kluft besteht. Die Gründe für diese Ineffektivität werden in dem Buch weiter untersucht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2022Funktional und flexibel
Indien als außenpolitischer Akteur im asiatisch-pazifischen Raum
Der Begriff "Indo-Pazifik" steht bereits seit einigen Jahren im Zentrum geo- und sicherheitspolitischer Debatten. Dabei geht es um ein Rahmenkonzept, in dem Ostasien, der pazifische Raum und der Indische Ozean als eine strategisch zusammenhängende Großregion verstanden werden. Erstaunlich wenig findet sich dazu bisher in der Literatur aus der Sicht Indiens, neben China bedeutendste Großmacht im indopazifischen Raum; dies liegt auch daran, dass die indische Regierung keine Weißbücher zur Außen- oder Verteidigungspolitik veröffentlicht und es bis heute daher kaum offizielle indische Dokumente zum Thema Indo-Pazifik gibt. Der Schwerpunkt von Forschungsarbeiten liegt vielmehr auf China, dessen rasanter Aufstieg und Vordringen in den Indischen Ozean nicht nur vom Erzrivalen als zunehmende Bedrohung wahrgenommen wird.
Ebendiese Lücke zu schließen ist Anliegen der vorliegenden Studie. Die Verfasserin weist Indien im Zusammenspiel mit den USA, Australien und Japan eine zentrale Rolle zu, um Chinas Machtanspruch zu begegnen, sicherheitspolitisch wie ökonomisch. Dabei ergeben sich die Herausforderungen für Indien aus ihrer Sicht gleich an mehreren Fronten: Chinas zunehmend aggressiveres Auftreten, einschließlich militärischer Manöver, die als "strategische Einkreisung" wahrgenommen werden; die Bedrohung der Freiheit der Schifffahrt im neuen wirtschaftlichen und politischen Epizentrum des Weltgeschehens, das fast die Hälfte des globalen Handels und zwei Drittel des weltweit gehandelten Öls und Gases passieren; Japans außenpolitisches Erwachen (erstmals wurde die Indo-Pazifik-Idee in einer Rede des damaligen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe 2007 erwähnt, woraufhin die Gründung des "Quad" erfolgte, eines informellen Kooperationsformats zwischen Indien, Japan, Australien und den USA); schließlich der partielle Rückzug der USA aus der Region. Mit ihnen hat sich die regionale Dynamik fundamental im Sinne der Region als ein Mikrokosmos der neuen globalen Machtverhältnisse verändert.
Was bedeutet dies für die indische Außen- und Sicherheitspolitik? Zwei Trends sind in diesem Zusammenhang aus der Sicht Indiens zu beobachten. Erstens, die generell stärkere sicherheitspolitische Rolle Neu Delhis im Rahmen von Kooperationspartnerschaften sowohl mit südost- (Vietnam, Singapur und Indonesien) wie ostasiatischen Staaten (Südkorea) bei gleichzeitiger Modernisierung seiner eigenen Streitkräfte. Indiens Marine kooperiert mit diesen Staaten in gemeinsamen Übungen, unter anderem im Bereich Humanitarian Assistance and Disaster Relief (HADR). An der seit den 1990er-Jahren existierenden maritimen Militärübung "Malabar", die zunächst bilateral mit den USA durchgeführt wurde, nimmt seit 2015 auch Japan regelmäßig teil. Mit Indonesien teilt Indien die Überzeugung vom Indo-Pazifik als einem zunehmend umkämpften maritimen Gebiet, in dem der Bau künstlicher, militärisch genutzter chinesischer Inseln im Südchinesischen Meer, die Modernisierung der chinesischen Marine, aber auch die Piraterie die wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt bedrohen. Das "Quad"-Format bezweckt entsprechend mit seinen Initiativen, vor allem Chinas Einfluss in der Region einzudämmen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die teilnehmenden Staaten teilweise unterschiedliche strategische Ziele verfolgen; Indiens Abstimmungsverhalten in der UN-Versammlung im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine machte dies deutlich.
Zweitens zeichnet sich eine Verschiebung von multilateralen hin zu bi-, tri- oder minilateralen Formen der Zusammenarbeit ab, die neben sicherheitspolitischen Fragen auch Aspekte wie wirtschaftliche Prosperität und Konnektivität thematisieren. Solche Formate sind funktional und flexibel und aus Sicht Neu Delhis daher besser geeignet als bestehende multilaterale Institutionen in Asien, die vor allem im Umgang mit den zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region versagt haben. Neben Quad kommt aus Sicht der Verfasserin der "Look East"-Politik (seit 1991) und der "Act East"-Politik (seit 2014) mit dem Fokus auf Südostasien größere Bedeutung zu. Während beide sich in den weiteren Indo-Pazifik-Rahmen einpassen und von den traditionellen Grundpfeilern indischer Außenpolitik, Blockfreiheit und strategischer Autonomie, getragen sind, stellt Letztere explizit den Ausbau der Kooperation zur maritimen Sicherheit mit Japan in Aussicht, durch Verbesserung der Konnektivität in der weiteren Region Indo-Pazifik, eine stärkere Kooperation mit der ASEAN sowie regelmäßige Diskussionen zwischen Strategen und Fachleuten beider Länder.
Über die pragmatische Kooperation und Annäherung an die südostasiatischen Staaten (im Rahmen der regionalen ASEAN-zentrierten Organisationen (EAS, ADMM-Plus) und Japan hinaus haben die Jahre unter Ministerpräsident Modi auch neue Impulse im Verhältnis zu Südkorea, Australien, Neuseeland und den pazifischen Inseln gebracht. Die kritische Haltung gegenüber Chinas Seidenstraßen-Projekt führte nicht nur zu Infrastruktur- und Konnektivitätspartnerschaften mit Japan (Projekte in Indien und der "Asia-Africa Growth Corridor"), sondern über den sogenannten Nord-Süd-Korridor auch mit Russland und Iran, auch wenn Letzterem noch erhebliche Hürden im Weg stehen. Die strategische Partnerschaft mit Russland wiederum sieht das Land als eine Demonstration indischer strategischer Autonomie - beide Staaten träten für eine starke multipolare Weltordnung ein. Schließlich erfolgte in der globalen strategischen Partnerschaft mit den USA eine Wiederannäherung beider Seiten, die von der Vision eines offenen, stabilen und wohlhabenden Indo-Pazifiks getragen wird.
Vor dem Hintergrund so vieler konkurrierender Ordnungsvorstellungen und teils überlappender strategischer Partnerschaften in der Region scheint Malhotras rollentheoretische Einordnung der indischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region plausibel. Zahlreiche endo- wie exogene Faktoren lassen sie als ein Rollenkonzept erscheinen, das sowohl eigene Vorstellungen - Weltbilder, Werte - als auch Erwartungen der Außenwelt (Rollenerwartungen) bezüglich eines angemessenen Verhaltens in den internationalen Beziehungen enthält. STEFAN FRÖHLICH
Aditi Malhotra:
India in the Indo-Pacific.
Barbara Budrich Verlag, Opladen 2022. 355 S., 69,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Indien als außenpolitischer Akteur im asiatisch-pazifischen Raum
Der Begriff "Indo-Pazifik" steht bereits seit einigen Jahren im Zentrum geo- und sicherheitspolitischer Debatten. Dabei geht es um ein Rahmenkonzept, in dem Ostasien, der pazifische Raum und der Indische Ozean als eine strategisch zusammenhängende Großregion verstanden werden. Erstaunlich wenig findet sich dazu bisher in der Literatur aus der Sicht Indiens, neben China bedeutendste Großmacht im indopazifischen Raum; dies liegt auch daran, dass die indische Regierung keine Weißbücher zur Außen- oder Verteidigungspolitik veröffentlicht und es bis heute daher kaum offizielle indische Dokumente zum Thema Indo-Pazifik gibt. Der Schwerpunkt von Forschungsarbeiten liegt vielmehr auf China, dessen rasanter Aufstieg und Vordringen in den Indischen Ozean nicht nur vom Erzrivalen als zunehmende Bedrohung wahrgenommen wird.
Ebendiese Lücke zu schließen ist Anliegen der vorliegenden Studie. Die Verfasserin weist Indien im Zusammenspiel mit den USA, Australien und Japan eine zentrale Rolle zu, um Chinas Machtanspruch zu begegnen, sicherheitspolitisch wie ökonomisch. Dabei ergeben sich die Herausforderungen für Indien aus ihrer Sicht gleich an mehreren Fronten: Chinas zunehmend aggressiveres Auftreten, einschließlich militärischer Manöver, die als "strategische Einkreisung" wahrgenommen werden; die Bedrohung der Freiheit der Schifffahrt im neuen wirtschaftlichen und politischen Epizentrum des Weltgeschehens, das fast die Hälfte des globalen Handels und zwei Drittel des weltweit gehandelten Öls und Gases passieren; Japans außenpolitisches Erwachen (erstmals wurde die Indo-Pazifik-Idee in einer Rede des damaligen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe 2007 erwähnt, woraufhin die Gründung des "Quad" erfolgte, eines informellen Kooperationsformats zwischen Indien, Japan, Australien und den USA); schließlich der partielle Rückzug der USA aus der Region. Mit ihnen hat sich die regionale Dynamik fundamental im Sinne der Region als ein Mikrokosmos der neuen globalen Machtverhältnisse verändert.
Was bedeutet dies für die indische Außen- und Sicherheitspolitik? Zwei Trends sind in diesem Zusammenhang aus der Sicht Indiens zu beobachten. Erstens, die generell stärkere sicherheitspolitische Rolle Neu Delhis im Rahmen von Kooperationspartnerschaften sowohl mit südost- (Vietnam, Singapur und Indonesien) wie ostasiatischen Staaten (Südkorea) bei gleichzeitiger Modernisierung seiner eigenen Streitkräfte. Indiens Marine kooperiert mit diesen Staaten in gemeinsamen Übungen, unter anderem im Bereich Humanitarian Assistance and Disaster Relief (HADR). An der seit den 1990er-Jahren existierenden maritimen Militärübung "Malabar", die zunächst bilateral mit den USA durchgeführt wurde, nimmt seit 2015 auch Japan regelmäßig teil. Mit Indonesien teilt Indien die Überzeugung vom Indo-Pazifik als einem zunehmend umkämpften maritimen Gebiet, in dem der Bau künstlicher, militärisch genutzter chinesischer Inseln im Südchinesischen Meer, die Modernisierung der chinesischen Marine, aber auch die Piraterie die wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt bedrohen. Das "Quad"-Format bezweckt entsprechend mit seinen Initiativen, vor allem Chinas Einfluss in der Region einzudämmen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die teilnehmenden Staaten teilweise unterschiedliche strategische Ziele verfolgen; Indiens Abstimmungsverhalten in der UN-Versammlung im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine machte dies deutlich.
Zweitens zeichnet sich eine Verschiebung von multilateralen hin zu bi-, tri- oder minilateralen Formen der Zusammenarbeit ab, die neben sicherheitspolitischen Fragen auch Aspekte wie wirtschaftliche Prosperität und Konnektivität thematisieren. Solche Formate sind funktional und flexibel und aus Sicht Neu Delhis daher besser geeignet als bestehende multilaterale Institutionen in Asien, die vor allem im Umgang mit den zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region versagt haben. Neben Quad kommt aus Sicht der Verfasserin der "Look East"-Politik (seit 1991) und der "Act East"-Politik (seit 2014) mit dem Fokus auf Südostasien größere Bedeutung zu. Während beide sich in den weiteren Indo-Pazifik-Rahmen einpassen und von den traditionellen Grundpfeilern indischer Außenpolitik, Blockfreiheit und strategischer Autonomie, getragen sind, stellt Letztere explizit den Ausbau der Kooperation zur maritimen Sicherheit mit Japan in Aussicht, durch Verbesserung der Konnektivität in der weiteren Region Indo-Pazifik, eine stärkere Kooperation mit der ASEAN sowie regelmäßige Diskussionen zwischen Strategen und Fachleuten beider Länder.
Über die pragmatische Kooperation und Annäherung an die südostasiatischen Staaten (im Rahmen der regionalen ASEAN-zentrierten Organisationen (EAS, ADMM-Plus) und Japan hinaus haben die Jahre unter Ministerpräsident Modi auch neue Impulse im Verhältnis zu Südkorea, Australien, Neuseeland und den pazifischen Inseln gebracht. Die kritische Haltung gegenüber Chinas Seidenstraßen-Projekt führte nicht nur zu Infrastruktur- und Konnektivitätspartnerschaften mit Japan (Projekte in Indien und der "Asia-Africa Growth Corridor"), sondern über den sogenannten Nord-Süd-Korridor auch mit Russland und Iran, auch wenn Letzterem noch erhebliche Hürden im Weg stehen. Die strategische Partnerschaft mit Russland wiederum sieht das Land als eine Demonstration indischer strategischer Autonomie - beide Staaten träten für eine starke multipolare Weltordnung ein. Schließlich erfolgte in der globalen strategischen Partnerschaft mit den USA eine Wiederannäherung beider Seiten, die von der Vision eines offenen, stabilen und wohlhabenden Indo-Pazifiks getragen wird.
Vor dem Hintergrund so vieler konkurrierender Ordnungsvorstellungen und teils überlappender strategischer Partnerschaften in der Region scheint Malhotras rollentheoretische Einordnung der indischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region plausibel. Zahlreiche endo- wie exogene Faktoren lassen sie als ein Rollenkonzept erscheinen, das sowohl eigene Vorstellungen - Weltbilder, Werte - als auch Erwartungen der Außenwelt (Rollenerwartungen) bezüglich eines angemessenen Verhaltens in den internationalen Beziehungen enthält. STEFAN FRÖHLICH
Aditi Malhotra:
India in the Indo-Pacific.
Barbara Budrich Verlag, Opladen 2022. 355 S., 69,90 Euro.
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