Porträt der Dichterin als junge Frau Im Herbst 1945 macht sich die 19-jährige Ingeborg Bachmann auf den Weg, den sie später als ihren »längsten« bezeichnen wird, hinaus aus dem Kärntner Tal, über Innsbruck und Graz nach Wien. Die im Krieg schwer beschädigte, von den Alliierten besetzte Stadt wird ihr zu einer neuen »Heimat an der Grenze: zwischen Ost und West, zwischen einer großen Vergangenheit und einer dunklen Zukunft.« Sie studiert Philosophie, Germanistik und Psychologie, gehört bald zum engeren Kreis um Hans Weigel im Café Raimund und lernt Paul Celan, Ilse Aichinger, Milo Dor und viele andere Schriftsteller und Künstler kennen. Nach ihrer Promotion findet sie Arbeit als Rundfunkautorin beim amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot und veröffentlicht erste Gedichte sowie Erzählungen, die in diesem Band erstmals wieder abgedruckt sind. Kenntnis- und detailreich schildert Joseph McVeigh Ingeborg Bachmanns Entwicklung im geistig-kulturellen Milieu der Nachkriegszeit, von den Studienjahren bis zu ihrem großen Erfolg bei der Lesung der Gruppe 47 im Mai 1953 und ihrem langen Abschied aus Wien.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Was Ingeborg Bachmann von ihren frühen, teils traumatischen Jahren in Wien nur literarisch verschlüsselt preisgab, enthüllt nun der amerikanische Germanist Joseph McVeigh in seinem verdienstvollen Buch, berichtet Markus Schwering. Aufmerksam liest er hier nach, wie Bachmanns scheiternde Beziehung zu ihrem Mentor Hans Weigel geradezu "selbstzerstörerische" Züge annahm und ihre Flucht aus Wien ihren lebenslangen Zustand der Heimatlosigkeit einläutete. Mit Blick auf die von McVeigh erstmals ausgewerteten Briefe Bachmanns an Weigel verzeiht der Rezensent gern die sprachliche "Beflissenheit" des Autors.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.02.2016Seitensprünge und Nachlass-Angst
Joseph McVeighs biografische Studie über Ingeborg Bachmanns
Wiener Jahre und die Rolle, die am Beginn ihrer Autorschaft ihr Liebhaber Hans Weigel spielte
VON HELMUT BÖTTIGER
Ingeborg Bachmann, die Sphinx der neueren Literaturgeschichte, hat schon etliche Restaurierungen, Verschönerungen und Neugestaltungen erlebt. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet, verändert sich ihr Aussehen. Man kann die unterschiedlichsten Gemütsregungen und Charakterdispositionen in ihr vermuten. Sie wurde von einer jungen lyrischen Göttin in den Fünfzigerjahren zu einer geheimnisvoll sich verschließenden Dichterin in den Sechzigern und schließlich zur feministischen Ikone in den Siebzigern – immer mit einem großen Identifikationspotenzial versehen und immer mit einem gewissen Raunen. Es sind bereits etliche biografische Versuche erschienen, die sich vor allem aus diversen Dunkelheiten des Bachmann’schen Privatlebens speisen. Der Reiz dabei ist, dass man zwar wenig weiß, es aber gleichwohl viele Andeutungen und Spuren gibt.
Da fällt es auf, dass nun mit Joseph McVeigh ein unverkennbar positivistischer amerikanischer Germanist eine Biografie über Bachmanns frühe Wiener Jahre vorlegt. Sein Buch stützt sich auf nachweisbare Fakten und bisher unbekannte Quellen. Sein wichtigster Bezugspunkt sind Ingeborg Bachmanns Briefe an Hans Weigel. Es geht ihm dabei darum, die Person Bachmanns zu erden und in ihrem spezifischen persönlichen und zeitgeschichtlichen Umfeld zu verankern. Die 1926 geborene Ingeborg Bachmann lebte von Ende 1946 bis Sommer 1953 in Wien und entwickelte sich in dieser Zeit von einer unbekannten Provinzlerin zur legendenumrankten Lyrikerin und Geliebten mehrerer intellektuell und künstlerisch brillierender Männer. Es handelt sich um die lange links liegen gelassene Vorgeschichte jenes eruptiven Ereignisses, mit dem sie im Frühling 1953 den Preis der Gruppe 47 erhielt und ihr Image als ätherische, nicht recht greifbare und doch erotisch aufgeladene Diva entstand.
Dass sie in Wien die Geliebte des achtzehn Jahre älteren umtriebigen Feuilletonisten und Literaturmagnaten Hans Weigel gewesen war, wusste man durch dessen Schlüsselroman „Unvollendete Symphonie“ und einige Briefzitate. Weigel schien aber nie so recht in das allgemeine Bachmann-Bild zu passen und fungierte vor allem, neben Max Frisch, als männliche Zielscheibe feministischer Exegetinnen. Joseph McVeigh liefert nun einiges an Material, das die weithin dunkle Inkubationszeit der großen Lyrikerin zumindest ein bisschen erhellt.
Neben und nach ihrem Philosophiestudium setzte Ingeborg Bachmann ihre literarischen Versuche fort. Und wenn sie damit Erfolg haben wollte, ging das offenkundig nur über Hans Weigel. Der Wiener Jude, der 1938 in die Schweiz emigriert war, kehrte 1945 sofort nach Wien zurück, betätigte sich als engagierter Förderer junger Autoren und wurde zu einem entscheidenden Strippenzieher im Literaturbetrieb. Seine Hauptgegner waren dabei weniger die in Österreich weiter waltenden völkisch-nationalistischen Funktionäre, sondern die auf die Sowjetunion ausgerichteten Kommunisten. Anfang der 1950er-Jahre zum Beispiel erreichte er einen Boykott der Stücke Brechts auf sämtlichen Wiener Bühnen.
Der Kreis junger Autoren, die Weigel im Café Raimund um sich scharte, hatte aber einen dezidiert literarischen und unpolitischen Charakter. Er verschaffte Veröffentlichungsmöglichkeiten und Aufmerksamkeit. Am 5. September 1947 fand die Premiere der von Weigel verantworteten Revue „Seitensprünge“ im Theater in der Josephstadt statt, und vor der Aufführung bat ihn eine schüchterne, aus Kärnten stammende und sich als Journalistin ausgebende Studentin um ein Interview. Dies war der Beginn der Beziehung zwischen Weigel und Ingeborg Bachmann. Joseph McVeigh hält sich mit weiteren Analysen sehr zurück und teilt nur mit, dass ein entsprechender Text Bachmanns nirgends aufzufinden sei.
Die Vorzüge seiner Biografie bestehen in der genauen Nachzeichnung der literarischen und politischen Verhältnisse im Wien dieser Zeit, den unterschiedlichen Interessen und Verästelungen, dem Weg Bachmanns von der Akademikerin über eine sich kaum über Wasser halten könnende Journalistin bis zur Stelle als Script-Girl bei dem amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot ab Herbst 1951, wo sie mit Übersetzungen und eigenen Hörspielen schnell Karriere machte. Sein Hauptaugenmerk richtet er aber auf die Beziehung Bachmanns zu Weigel. Ihre ersten Briefen an den Mentor und Liebhaber charakterisiert er als „enthusiastische Liebesbriefe“, die gleichermaßen dem Förderer und Erwecker sowie der Metropole Wien gelten. Nach einem Jahr allerdings, Weigel ist inzwischen seit einiger Zeit in New York, schreibt sie ihm, dass sie mittlerweile kein „junger Aff“ mehr sei: Sie werde ihm nach seiner Rückkehr „gleich meine gefestigte Lebensanschauung ins Gesicht schleudern oder besser ins Gesicht küssen und gar nicht abwarten, ob Du willst oder nicht.“
Bachmann probiert sich offenkundig aus, und eine reizvolle Entdeckung McVeighs ist ein Illustrierten-Foto, auf dem Bachmann als Mannequin mit schwarzer Lederjacke posiert – es geht um ein Preisausschreiben, das der Sender Rot-Weiß-Rot in seinem Programm-Magazin veranstaltete und bei dem jene Lederjacke der 5. Preis war. Kokett schreibt sie an Weigel, der in seinem eigenen Interesse Wert auf eine offene Beziehung legt, sie habe durchaus auch Kontakt zu anderen „Herren“. Auf den wichtigsten dieser Herren, Paul Celan, geht McVeigh allerdings kaum ein. Aufschlussreich, aber keineswegs eindeutig ist ein Brief, den Bachmann Weigel aus Paris schickt, wo sie im Herbst 1950 die Beziehung zu Paul Celan wieder aufnimmt und rasch merkt, welche Komplikationen das mit sich bringt. Celan habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, und keck fügt sie hinzu: „Darüber wollen wir noch sehr schlafen. Du und ich, meine ich.“
Ein toller Fund, dazu geeignet, die Spekulationsmaschine über Autor-Strategien und Selbstinszenierungen neu anlaufen zu lassen, ist ein Brief, den Bachmann als noch völlig unbekannte Autorin 1948 an Weigel schreibt und in dem sie von ihrer „Nachlass-Angst“ spricht. Denn in ihren Briefen würden zu viele private Details verhandelt: „Irgendein so ein windiger, wichtigtuerischer Dissertant“ würde das später entdecken und schreiben: „ein zweiundzwanzigjähriges, völlig amoralisches, minderwertiges Geschöpf, deren unerquickliche schamlose Affairen aus dem Briefwechsel Mai bis August 1948 hervorgehen“.
Joseph McVeigh ist von seinen Weigel-Erkenntnissen aber vielleicht doch ein bisschen zu sehr hingerissen. Er bezieht Ingeborg Bachmanns Traumata und ihren Wegzug aus Wien fast ausschließlich auf Hans Weigel. Dass dieser im Juli 1951 die Schauspielerin Elvira Hofer heiratete, sei für Bachmann geradezu der Schock ihres Lebens gewesen. Die Dimension ihres Verhältnisses zu Paul Celan scheint er zu unterschätzen, und manche Analogien zwischen Werk und Biografie, die er zieht, wirken allzu mechanisch.
Doch bleibt es sein Verdienst, die Wiener Jahre Bachmanns, ihren Witz und ihre Adaption des „süßen Mädels“ detailliert nachgezeichnet und dabei nachdrücklich auf die Rolle Hans Weigels verwiesen zu haben. Die Wiener „edition atelier“ hat jetzt Weigels „Unvollendete Symphonie“ von 1951 noch einmal ediert, und beim Lesen dieses Romans erkennt man durchaus den Charme und das Bezwingende, das Weigel ausgestrahlt haben muss. Über das Verhältnis zu Ingeborg Bachmann sagt der Roman gar nicht so viel aus, und dass er das Liebesverhältnis aus der Perspektive der Frau erzählt, gibt ihm zudem Gelegenheit zu einigen narzisstischen Überhöhungen.
Der Roman enthält aber einige wunderbar dicht und feuilletonistisch geschriebene Passagen über die Stadt Wien, die Rolle der Geigenklänge und der Musik wie über die Atmosphäre beim Heurigen in der Vorstadt. „Keine Symphonie reicht an die Unvollendete heran“, heißt es in einer hinreißend suggestiven Passage. Und im Subtext heißt das auch: Über Ingeborg Bachmann wird noch viel geschrieben werden.
Joseph McVeigh: Ingeborg Bachmanns Wien 1946-1953. Insel Verlag, Berlin 2016. 313 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Hans Weigel: Unvollendete Symphonie. Roman. Herausgegeben von Alexander Kluy. Edition Atelier, Wien 2015. 182 Seiten, 19,95 Euro.
Hans Weigel förderte junge
Autoren und war Strippenzieher
im Wiener Literaturbetrieb
Im Schutz des Löwen: Ingeborg Bachmann in einer undatierten Aufnahme.
Foto: ddp images
Hans Weigel 1952 in Wien.
Foto: John McVeigh, Insel Verlag
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Joseph McVeighs biografische Studie über Ingeborg Bachmanns
Wiener Jahre und die Rolle, die am Beginn ihrer Autorschaft ihr Liebhaber Hans Weigel spielte
VON HELMUT BÖTTIGER
Ingeborg Bachmann, die Sphinx der neueren Literaturgeschichte, hat schon etliche Restaurierungen, Verschönerungen und Neugestaltungen erlebt. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet, verändert sich ihr Aussehen. Man kann die unterschiedlichsten Gemütsregungen und Charakterdispositionen in ihr vermuten. Sie wurde von einer jungen lyrischen Göttin in den Fünfzigerjahren zu einer geheimnisvoll sich verschließenden Dichterin in den Sechzigern und schließlich zur feministischen Ikone in den Siebzigern – immer mit einem großen Identifikationspotenzial versehen und immer mit einem gewissen Raunen. Es sind bereits etliche biografische Versuche erschienen, die sich vor allem aus diversen Dunkelheiten des Bachmann’schen Privatlebens speisen. Der Reiz dabei ist, dass man zwar wenig weiß, es aber gleichwohl viele Andeutungen und Spuren gibt.
Da fällt es auf, dass nun mit Joseph McVeigh ein unverkennbar positivistischer amerikanischer Germanist eine Biografie über Bachmanns frühe Wiener Jahre vorlegt. Sein Buch stützt sich auf nachweisbare Fakten und bisher unbekannte Quellen. Sein wichtigster Bezugspunkt sind Ingeborg Bachmanns Briefe an Hans Weigel. Es geht ihm dabei darum, die Person Bachmanns zu erden und in ihrem spezifischen persönlichen und zeitgeschichtlichen Umfeld zu verankern. Die 1926 geborene Ingeborg Bachmann lebte von Ende 1946 bis Sommer 1953 in Wien und entwickelte sich in dieser Zeit von einer unbekannten Provinzlerin zur legendenumrankten Lyrikerin und Geliebten mehrerer intellektuell und künstlerisch brillierender Männer. Es handelt sich um die lange links liegen gelassene Vorgeschichte jenes eruptiven Ereignisses, mit dem sie im Frühling 1953 den Preis der Gruppe 47 erhielt und ihr Image als ätherische, nicht recht greifbare und doch erotisch aufgeladene Diva entstand.
Dass sie in Wien die Geliebte des achtzehn Jahre älteren umtriebigen Feuilletonisten und Literaturmagnaten Hans Weigel gewesen war, wusste man durch dessen Schlüsselroman „Unvollendete Symphonie“ und einige Briefzitate. Weigel schien aber nie so recht in das allgemeine Bachmann-Bild zu passen und fungierte vor allem, neben Max Frisch, als männliche Zielscheibe feministischer Exegetinnen. Joseph McVeigh liefert nun einiges an Material, das die weithin dunkle Inkubationszeit der großen Lyrikerin zumindest ein bisschen erhellt.
Neben und nach ihrem Philosophiestudium setzte Ingeborg Bachmann ihre literarischen Versuche fort. Und wenn sie damit Erfolg haben wollte, ging das offenkundig nur über Hans Weigel. Der Wiener Jude, der 1938 in die Schweiz emigriert war, kehrte 1945 sofort nach Wien zurück, betätigte sich als engagierter Förderer junger Autoren und wurde zu einem entscheidenden Strippenzieher im Literaturbetrieb. Seine Hauptgegner waren dabei weniger die in Österreich weiter waltenden völkisch-nationalistischen Funktionäre, sondern die auf die Sowjetunion ausgerichteten Kommunisten. Anfang der 1950er-Jahre zum Beispiel erreichte er einen Boykott der Stücke Brechts auf sämtlichen Wiener Bühnen.
Der Kreis junger Autoren, die Weigel im Café Raimund um sich scharte, hatte aber einen dezidiert literarischen und unpolitischen Charakter. Er verschaffte Veröffentlichungsmöglichkeiten und Aufmerksamkeit. Am 5. September 1947 fand die Premiere der von Weigel verantworteten Revue „Seitensprünge“ im Theater in der Josephstadt statt, und vor der Aufführung bat ihn eine schüchterne, aus Kärnten stammende und sich als Journalistin ausgebende Studentin um ein Interview. Dies war der Beginn der Beziehung zwischen Weigel und Ingeborg Bachmann. Joseph McVeigh hält sich mit weiteren Analysen sehr zurück und teilt nur mit, dass ein entsprechender Text Bachmanns nirgends aufzufinden sei.
Die Vorzüge seiner Biografie bestehen in der genauen Nachzeichnung der literarischen und politischen Verhältnisse im Wien dieser Zeit, den unterschiedlichen Interessen und Verästelungen, dem Weg Bachmanns von der Akademikerin über eine sich kaum über Wasser halten könnende Journalistin bis zur Stelle als Script-Girl bei dem amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot ab Herbst 1951, wo sie mit Übersetzungen und eigenen Hörspielen schnell Karriere machte. Sein Hauptaugenmerk richtet er aber auf die Beziehung Bachmanns zu Weigel. Ihre ersten Briefen an den Mentor und Liebhaber charakterisiert er als „enthusiastische Liebesbriefe“, die gleichermaßen dem Förderer und Erwecker sowie der Metropole Wien gelten. Nach einem Jahr allerdings, Weigel ist inzwischen seit einiger Zeit in New York, schreibt sie ihm, dass sie mittlerweile kein „junger Aff“ mehr sei: Sie werde ihm nach seiner Rückkehr „gleich meine gefestigte Lebensanschauung ins Gesicht schleudern oder besser ins Gesicht küssen und gar nicht abwarten, ob Du willst oder nicht.“
Bachmann probiert sich offenkundig aus, und eine reizvolle Entdeckung McVeighs ist ein Illustrierten-Foto, auf dem Bachmann als Mannequin mit schwarzer Lederjacke posiert – es geht um ein Preisausschreiben, das der Sender Rot-Weiß-Rot in seinem Programm-Magazin veranstaltete und bei dem jene Lederjacke der 5. Preis war. Kokett schreibt sie an Weigel, der in seinem eigenen Interesse Wert auf eine offene Beziehung legt, sie habe durchaus auch Kontakt zu anderen „Herren“. Auf den wichtigsten dieser Herren, Paul Celan, geht McVeigh allerdings kaum ein. Aufschlussreich, aber keineswegs eindeutig ist ein Brief, den Bachmann Weigel aus Paris schickt, wo sie im Herbst 1950 die Beziehung zu Paul Celan wieder aufnimmt und rasch merkt, welche Komplikationen das mit sich bringt. Celan habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, und keck fügt sie hinzu: „Darüber wollen wir noch sehr schlafen. Du und ich, meine ich.“
Ein toller Fund, dazu geeignet, die Spekulationsmaschine über Autor-Strategien und Selbstinszenierungen neu anlaufen zu lassen, ist ein Brief, den Bachmann als noch völlig unbekannte Autorin 1948 an Weigel schreibt und in dem sie von ihrer „Nachlass-Angst“ spricht. Denn in ihren Briefen würden zu viele private Details verhandelt: „Irgendein so ein windiger, wichtigtuerischer Dissertant“ würde das später entdecken und schreiben: „ein zweiundzwanzigjähriges, völlig amoralisches, minderwertiges Geschöpf, deren unerquickliche schamlose Affairen aus dem Briefwechsel Mai bis August 1948 hervorgehen“.
Joseph McVeigh ist von seinen Weigel-Erkenntnissen aber vielleicht doch ein bisschen zu sehr hingerissen. Er bezieht Ingeborg Bachmanns Traumata und ihren Wegzug aus Wien fast ausschließlich auf Hans Weigel. Dass dieser im Juli 1951 die Schauspielerin Elvira Hofer heiratete, sei für Bachmann geradezu der Schock ihres Lebens gewesen. Die Dimension ihres Verhältnisses zu Paul Celan scheint er zu unterschätzen, und manche Analogien zwischen Werk und Biografie, die er zieht, wirken allzu mechanisch.
Doch bleibt es sein Verdienst, die Wiener Jahre Bachmanns, ihren Witz und ihre Adaption des „süßen Mädels“ detailliert nachgezeichnet und dabei nachdrücklich auf die Rolle Hans Weigels verwiesen zu haben. Die Wiener „edition atelier“ hat jetzt Weigels „Unvollendete Symphonie“ von 1951 noch einmal ediert, und beim Lesen dieses Romans erkennt man durchaus den Charme und das Bezwingende, das Weigel ausgestrahlt haben muss. Über das Verhältnis zu Ingeborg Bachmann sagt der Roman gar nicht so viel aus, und dass er das Liebesverhältnis aus der Perspektive der Frau erzählt, gibt ihm zudem Gelegenheit zu einigen narzisstischen Überhöhungen.
Der Roman enthält aber einige wunderbar dicht und feuilletonistisch geschriebene Passagen über die Stadt Wien, die Rolle der Geigenklänge und der Musik wie über die Atmosphäre beim Heurigen in der Vorstadt. „Keine Symphonie reicht an die Unvollendete heran“, heißt es in einer hinreißend suggestiven Passage. Und im Subtext heißt das auch: Über Ingeborg Bachmann wird noch viel geschrieben werden.
Joseph McVeigh: Ingeborg Bachmanns Wien 1946-1953. Insel Verlag, Berlin 2016. 313 Seiten, 24,95 Euro. E-Book 21,99 Euro.
Hans Weigel: Unvollendete Symphonie. Roman. Herausgegeben von Alexander Kluy. Edition Atelier, Wien 2015. 182 Seiten, 19,95 Euro.
Hans Weigel förderte junge
Autoren und war Strippenzieher
im Wiener Literaturbetrieb
Im Schutz des Löwen: Ingeborg Bachmann in einer undatierten Aufnahme.
Foto: ddp images
Hans Weigel 1952 in Wien.
Foto: John McVeigh, Insel Verlag
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»Der Roman enthält einige wunderbar dicht und feuilletonistisch geschriebene Passagen ...« Helmut Böttiger Süddeutsche Zeitung 20160215