(Deutsch)Im vielfältigen Werk Peter Handkes gehören die Journale gewiss zu den Büchern, in denen uns Leserinnen und Lesern der Dichter am nächsten kommt, auch in seinem »Ideal«, in der »Souveränität eines, der von niemandem etwas will, von niemandem etwas fordert, von niemandem etwas erwartet«. Seine über die Jahre gesammelten Aufzeichnungen sind ein Wunder der Literatur. Handke zitiert darin (auswendig) aus seinen Lektüren, aus Tolstoi, Goethe, Doderer, Simenon, aus der Apostelgeschichte u. a., blättert im bereits knisternden Griechisch-Deutsch-Schulwörterbuch, schreibt an der »Obstdiebin «, später an »Zdeněk Adamec« und an »Das zweite Schwert«, zweifelt, wundert sich, horcht, beobachtet mit zartem Blick seine nahe Umgebung und erdichtet wieder und wieder ein 11. Gebot. Wir dürfen ihn durch die Jahre bei all dem begleiten, auch durch die »Quarantänestille « der jüngsten Zeit.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Claus-Jürgen Göpfert liest interessiert Peter Handkes "Innere Dialoge an den Rändern". Der bald 80-jährige Literaturnobelpreisträger versammelt darin zum wiederholten Male Aufzeichnungen, die diesmal zwischen 2016 und 2021 entstanden sind, erklärt Göpfert. Hier findet der Rezensent hunderte von Textsplittern, die sich zu einem vertrauten Puzzle zusammenfügen, Selbstkritik, erstaunliche Bekenntnisse und Notizen über literarische Vorbilder wie Tolstoi und Balzac, jedoch kaum Illusionäres oder gesellschaftliche Wirklichkeit. Dass Handke sich in seinem "Bemühen, eine poetische Gegenwelt heraufzubeschwören" allerdings zum Begräbnis von Serbiens Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic und einem Treffen mit dem verurteilten serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic hat verleiten lassen hat, vergisst der Rezensent nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2022Vage
Genauigkeit
Peter Handke kämpft im neuen Band seiner
poetischen Tagebücher weiter gegen die Abnutzung
der Sprache – mal zärtlich, mal zornig
VON HELMUT BÖTTIGER
Die Journale Peter Handkes haben von Anfang an irritiert. Es sind zwar durchaus Mitschriften der Zeit, aber sie setzen dem chronologischen Ablauf etwas ganz Anderes entgegen. Worin allerdings dieses ganz Andere besteht, ist eine Frage, die ihn ständig umtreibt. Privates oder Politisches findet sich in diesen Notizen programmatisch nicht, dafür kommt es immer wieder zu typischen Wiedererkennungsfanfaren. Zuverlässig stößt man auch in den Aufzeichnungen der Jahre 2016 bis 2021 auf poetische Fundstücke wie „Horizontzwitscherer“ oder „Tautropfenspektrum“. Solcherart „Zeitraumerblühen“ gelten viele Beobachtungen. Durch sie sind alle Handke-Journale, von den siebziger Jahren bis heute, strukturiert. Es geht um das Festhalten des Augenblicks, und damit arbeitet Handke unbeirrbar an seiner Form von Literatur, die mit allgemeinen Zuweisungen nichts zu tun haben will.
Seine Suchbewegungen in der Sprache, dazu ruft er sich selbst immer wieder auf, sind geleitet von Sinnlichkeit, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Es ist merkwürdig, wie sehr er genau dadurch provoziert – denn alles, was für ihn vorgestanzt, thesenhaft oder, was er selbst nie so formulieren würde, diskursiv wirkt, lehnt er vehement ab. Seit er seine Tagesaufzeichnungen veröffentlicht, ist er aus der Zeit gefallen. Schon immer, gerade auch in den Sechzigern, hat Handke seine literarische Sprache strikt von der politischen abgesetzt und ihr einen ureigenen Raum zu erschreiben versucht. Deshalb galten seine Sympathien seit jeher den Außenseitern, den Randständigen und Sonderlingen, die sich von den Alltagsnormen und der Alltagsrede absetzen, den von ihm vielfältig beschworenen Kaspar Hauser-Figuren.
So ist Robert Walser auch in den neuen Journalen wieder eine feste Bezugsgröße, und mit Rolf Dieter Brinkmann, den er als einen der wenigen Generationskollegen hochhält, erklärt er den „Dichter“ nicht für „zuständig“. Der jüngste Schriftsteller, den er in diesem Zusammenhang nennt, ist Wilhelm Genazino. Die Radikalität, die sich in dieser Auffassung von Literatur zeigt, ist beileibe nicht immer eine verschwiegene.
Handke wendet sich polemisch gegen die landläufige Abnutzung der Sprache. Das „Journalistische“ ist für ihn eindeutig das Gegenteil der Literatur. Eines der jedes Mal sehr kurzen, nur wenige Zeilen umfassenden Notate lautet: „Ohne die ‚homerische Quelle‘ (Antonio Machado) geht es nicht. Weg mit der Journalistenprosa!“ Und was es mit dieser oft beschworenen, nicht unbedingt nur pathetisch zu verstehenden „homerischen Quelle“ auf sich hat, umkreist Handke genauso wie das Baumwipfelrauschen oder die Blütenschnüre der Edelkastanien. Das Epische, das Erzählen ist für ihn das Gegenteil von „Wissen“, ja: vom Wissen sein Leben zu bestreiten, nennt er „eine Art Tod“. Handke reagiert äußerst allergisch auf das journalistische Prinzip der „Genauigkeit“, und er proklamiert, sich vor allem vor der „Ideologiefalle Genauigkeit“ hüten zu wollen. Stattdessen plädiert er für eine „Genauigkeit des Vagen“. Und brüsk richtet er sich gegen alle Anweisungen für ein zeitgemäßes Schreiben, die gleichermaßen für Romane wie für Reportagen gelten, und hält offensiv dagegen, was die Literatur ausmacht: „Eine Klärung durch Rätselhaftigkeit, Rätselhaftwerden, ‚Schleierhaftwerden‘“. Das „Schleierhaftwerden“ ist für Handke geradezu ein Gütesiegel. Und damit ist der Bogen zurückgeschlagen zu all jenen großen Schriftstellern, die immer für Randfiguren und Sonderlinge gehalten wurden.
Handke will jedes Mal neue Wörter finden und nicht die alten wiederholen. Ein charakteristisches Leitmotiv ist die immerwährende Suche nach den richtigen Zeitwörtern, auch jetzt findet er wieder neue: „Verb zur einen Schwalbe hoch im Himmel: sie ‚sichelt‘“. Oder: „Verb zu den Meisenflügeln beim Durchqueren der ersten Morgensonne: sie ‚glimmern‘“. Es ist nicht so, dass dieser Schreibende sich von seiner unmittelbaren Gegenwart abwenden möchte, ganz im Gegenteil. Aber er operiert auch mit ziemlich schweren Gegengewichten. Davon zeugen das alte griechische Wörterbuch und seine Lektüren, die ihn über diese Jahre begleiten, von Wolfram von Eschenbach oder der Apokalypse des Johannes bis zu Adalbert Stifter. Über letzteren heißt es gar: „kein Autor, der so spannend ist“! Handke weiß wohl, wie das auf viele von ihm als solche konnotierte „Unerreichbare“ heute wirkt, aber er betont das so überzeugt wie theatralisch.
Mit dem Theatralischen und Spielerischen geraten auch wunde Punkte seiner Autorschaft und seines Selbst in den Blick, um die er durchaus weiß. In manchen seiner aufs Empfindlichste gesteigerten Beobachtungsekstasen ist etwas davon spürbar: „mit dem Fichtenzweig baumeln in der Morgenbrise“: Steckt in dieser vermeintlichen Leichtigkeit nicht auch eine gewisse Anspannung, ein Sich-Zwingen? Im Pathos des vermeintlich Kleinen und Beiläufigen schwingt manchmal eine Überreizung mit, eine Hypersensibilität, die womöglich auch in etwas Aggressives kippen kann. Das abrupte Umschlagen von Zärtlichkeit in Zorn lässt sich in einigen dieser Sätze ahnen, und „Zorn“ wie auch „Wut“ werden häufiger thematisiert – als dazugehörig. „Die Schlechten geraten nie in Zorn, daran erkennst du sie“, hält er einmal fest, und in seiner ständigen Suche nach den passenden Benennungen gibt es auch ein „Verb zum Zorn: ‚sieht klar und farbig‘“.
Der „Zorn“ wird in seiner Selbstwahrnehmung immer mit bedacht. Angesichts des Randgängers, des Streuners, des Bewohners von Zwischenräumen und Zwischenzeiten stellen die verachteten „Unerreichbaren“ zwangsläufig die Mehrheit dar, und das führt zu Erkenntnissen, die auch abgründige Selbsterkenntnisse sind: „Gütige Menschen machen keine Revolution. Höchstens rebellieren sie, oder, eher noch, laufen Amok.“
Die Sensibilität Handkes ist immer auf dem Sprung. Auch in seinen längeren Prosatexten und den vielschichtigen Theaterstücken gibt es des öfteren Visionen von Jähzorn und Gewalt, und seine poetologischen Notate reflektieren das mit: „Hochmut ist bei Gelegenheit am Platz – als Platzanweisung“ heißt es einmal. Auch das kann sich selbstverständlich einer „homerischen Quelle“ versichern.
Direkt danach wird der französische Nationaltorwart Hugo Lloris zitiert: „Es gefiel mir immer, dem Gegner wehzutun.“ Peter Handke kann die Literatur auch sportlich sehen. Er ist alles andere als ein zarter Poet. Manchmal sieht er Rot.
In die Zeit dieser Aufzeichnungen fällt unter anderem auch die Arbeit am langen Epos „Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“ – und die Verleihung des Nobelpreises an ihn 2019. Auch dieses Literaturbetriebsereignis finden keinen konkreten Eingang in Handkes poetologische Notate – außer, man fasst den Eintrag, der ausdrücklich mit dem Datum „13. Oktober 2019“ versehen ist, also drei Tage nach der offiziellen Verkündung, so auf. Als „Motto des Tages“ steht hier ein Zitat aus einem Hit von Eric Burdon, einem der Heroen aus Handkes früher Pop-Phase in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren: „When I think of all the good times I have wasted having good times“. Das wirkt ziemlich souverän.
Einen journalistischen Nachklapp muss es aber doch noch geben. Eine der Notizen kann man nämlich durchaus als Reaktion auf die Skandalisierungen nach dem Nobelpreis lesen, als Handke seine Parteinahme für Serbien selbst von vielen Freunden und Bewunderern vorgeworfen wurde. Sie handelt unverkennbar vom Balkankrieg. Die Medienöffentlichkeit ist bekanntlich nicht sein Terrain. Hier aber heißt es: „,Völkermord‘? – Nein, etwas Anderes, etwas anders Schreckliches: Brudermord. – Kain und Abel? – Kain und Kain“.
Das „Journalistische“ ist
für ihn eindeutig das Gegenteil
der Literatur
Peter Handke: Innere Dialoge an den Rändern. 2016-2021. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2022. 371 Seiten, 26 Euro.
„Eine Klärung durch Rätselhaftigkeit, Rätselhaftwerden, ‚Schleierhaftwerden‘“, das macht für Peter Handke, der 2019 den Nobelpreis erhielt, Literatur aus.
Foto: Anders Wiklund/picture alliance/dpa/TT News Age
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Genauigkeit
Peter Handke kämpft im neuen Band seiner
poetischen Tagebücher weiter gegen die Abnutzung
der Sprache – mal zärtlich, mal zornig
VON HELMUT BÖTTIGER
Die Journale Peter Handkes haben von Anfang an irritiert. Es sind zwar durchaus Mitschriften der Zeit, aber sie setzen dem chronologischen Ablauf etwas ganz Anderes entgegen. Worin allerdings dieses ganz Andere besteht, ist eine Frage, die ihn ständig umtreibt. Privates oder Politisches findet sich in diesen Notizen programmatisch nicht, dafür kommt es immer wieder zu typischen Wiedererkennungsfanfaren. Zuverlässig stößt man auch in den Aufzeichnungen der Jahre 2016 bis 2021 auf poetische Fundstücke wie „Horizontzwitscherer“ oder „Tautropfenspektrum“. Solcherart „Zeitraumerblühen“ gelten viele Beobachtungen. Durch sie sind alle Handke-Journale, von den siebziger Jahren bis heute, strukturiert. Es geht um das Festhalten des Augenblicks, und damit arbeitet Handke unbeirrbar an seiner Form von Literatur, die mit allgemeinen Zuweisungen nichts zu tun haben will.
Seine Suchbewegungen in der Sprache, dazu ruft er sich selbst immer wieder auf, sind geleitet von Sinnlichkeit, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Es ist merkwürdig, wie sehr er genau dadurch provoziert – denn alles, was für ihn vorgestanzt, thesenhaft oder, was er selbst nie so formulieren würde, diskursiv wirkt, lehnt er vehement ab. Seit er seine Tagesaufzeichnungen veröffentlicht, ist er aus der Zeit gefallen. Schon immer, gerade auch in den Sechzigern, hat Handke seine literarische Sprache strikt von der politischen abgesetzt und ihr einen ureigenen Raum zu erschreiben versucht. Deshalb galten seine Sympathien seit jeher den Außenseitern, den Randständigen und Sonderlingen, die sich von den Alltagsnormen und der Alltagsrede absetzen, den von ihm vielfältig beschworenen Kaspar Hauser-Figuren.
So ist Robert Walser auch in den neuen Journalen wieder eine feste Bezugsgröße, und mit Rolf Dieter Brinkmann, den er als einen der wenigen Generationskollegen hochhält, erklärt er den „Dichter“ nicht für „zuständig“. Der jüngste Schriftsteller, den er in diesem Zusammenhang nennt, ist Wilhelm Genazino. Die Radikalität, die sich in dieser Auffassung von Literatur zeigt, ist beileibe nicht immer eine verschwiegene.
Handke wendet sich polemisch gegen die landläufige Abnutzung der Sprache. Das „Journalistische“ ist für ihn eindeutig das Gegenteil der Literatur. Eines der jedes Mal sehr kurzen, nur wenige Zeilen umfassenden Notate lautet: „Ohne die ‚homerische Quelle‘ (Antonio Machado) geht es nicht. Weg mit der Journalistenprosa!“ Und was es mit dieser oft beschworenen, nicht unbedingt nur pathetisch zu verstehenden „homerischen Quelle“ auf sich hat, umkreist Handke genauso wie das Baumwipfelrauschen oder die Blütenschnüre der Edelkastanien. Das Epische, das Erzählen ist für ihn das Gegenteil von „Wissen“, ja: vom Wissen sein Leben zu bestreiten, nennt er „eine Art Tod“. Handke reagiert äußerst allergisch auf das journalistische Prinzip der „Genauigkeit“, und er proklamiert, sich vor allem vor der „Ideologiefalle Genauigkeit“ hüten zu wollen. Stattdessen plädiert er für eine „Genauigkeit des Vagen“. Und brüsk richtet er sich gegen alle Anweisungen für ein zeitgemäßes Schreiben, die gleichermaßen für Romane wie für Reportagen gelten, und hält offensiv dagegen, was die Literatur ausmacht: „Eine Klärung durch Rätselhaftigkeit, Rätselhaftwerden, ‚Schleierhaftwerden‘“. Das „Schleierhaftwerden“ ist für Handke geradezu ein Gütesiegel. Und damit ist der Bogen zurückgeschlagen zu all jenen großen Schriftstellern, die immer für Randfiguren und Sonderlinge gehalten wurden.
Handke will jedes Mal neue Wörter finden und nicht die alten wiederholen. Ein charakteristisches Leitmotiv ist die immerwährende Suche nach den richtigen Zeitwörtern, auch jetzt findet er wieder neue: „Verb zur einen Schwalbe hoch im Himmel: sie ‚sichelt‘“. Oder: „Verb zu den Meisenflügeln beim Durchqueren der ersten Morgensonne: sie ‚glimmern‘“. Es ist nicht so, dass dieser Schreibende sich von seiner unmittelbaren Gegenwart abwenden möchte, ganz im Gegenteil. Aber er operiert auch mit ziemlich schweren Gegengewichten. Davon zeugen das alte griechische Wörterbuch und seine Lektüren, die ihn über diese Jahre begleiten, von Wolfram von Eschenbach oder der Apokalypse des Johannes bis zu Adalbert Stifter. Über letzteren heißt es gar: „kein Autor, der so spannend ist“! Handke weiß wohl, wie das auf viele von ihm als solche konnotierte „Unerreichbare“ heute wirkt, aber er betont das so überzeugt wie theatralisch.
Mit dem Theatralischen und Spielerischen geraten auch wunde Punkte seiner Autorschaft und seines Selbst in den Blick, um die er durchaus weiß. In manchen seiner aufs Empfindlichste gesteigerten Beobachtungsekstasen ist etwas davon spürbar: „mit dem Fichtenzweig baumeln in der Morgenbrise“: Steckt in dieser vermeintlichen Leichtigkeit nicht auch eine gewisse Anspannung, ein Sich-Zwingen? Im Pathos des vermeintlich Kleinen und Beiläufigen schwingt manchmal eine Überreizung mit, eine Hypersensibilität, die womöglich auch in etwas Aggressives kippen kann. Das abrupte Umschlagen von Zärtlichkeit in Zorn lässt sich in einigen dieser Sätze ahnen, und „Zorn“ wie auch „Wut“ werden häufiger thematisiert – als dazugehörig. „Die Schlechten geraten nie in Zorn, daran erkennst du sie“, hält er einmal fest, und in seiner ständigen Suche nach den passenden Benennungen gibt es auch ein „Verb zum Zorn: ‚sieht klar und farbig‘“.
Der „Zorn“ wird in seiner Selbstwahrnehmung immer mit bedacht. Angesichts des Randgängers, des Streuners, des Bewohners von Zwischenräumen und Zwischenzeiten stellen die verachteten „Unerreichbaren“ zwangsläufig die Mehrheit dar, und das führt zu Erkenntnissen, die auch abgründige Selbsterkenntnisse sind: „Gütige Menschen machen keine Revolution. Höchstens rebellieren sie, oder, eher noch, laufen Amok.“
Die Sensibilität Handkes ist immer auf dem Sprung. Auch in seinen längeren Prosatexten und den vielschichtigen Theaterstücken gibt es des öfteren Visionen von Jähzorn und Gewalt, und seine poetologischen Notate reflektieren das mit: „Hochmut ist bei Gelegenheit am Platz – als Platzanweisung“ heißt es einmal. Auch das kann sich selbstverständlich einer „homerischen Quelle“ versichern.
Direkt danach wird der französische Nationaltorwart Hugo Lloris zitiert: „Es gefiel mir immer, dem Gegner wehzutun.“ Peter Handke kann die Literatur auch sportlich sehen. Er ist alles andere als ein zarter Poet. Manchmal sieht er Rot.
In die Zeit dieser Aufzeichnungen fällt unter anderem auch die Arbeit am langen Epos „Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“ – und die Verleihung des Nobelpreises an ihn 2019. Auch dieses Literaturbetriebsereignis finden keinen konkreten Eingang in Handkes poetologische Notate – außer, man fasst den Eintrag, der ausdrücklich mit dem Datum „13. Oktober 2019“ versehen ist, also drei Tage nach der offiziellen Verkündung, so auf. Als „Motto des Tages“ steht hier ein Zitat aus einem Hit von Eric Burdon, einem der Heroen aus Handkes früher Pop-Phase in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren: „When I think of all the good times I have wasted having good times“. Das wirkt ziemlich souverän.
Einen journalistischen Nachklapp muss es aber doch noch geben. Eine der Notizen kann man nämlich durchaus als Reaktion auf die Skandalisierungen nach dem Nobelpreis lesen, als Handke seine Parteinahme für Serbien selbst von vielen Freunden und Bewunderern vorgeworfen wurde. Sie handelt unverkennbar vom Balkankrieg. Die Medienöffentlichkeit ist bekanntlich nicht sein Terrain. Hier aber heißt es: „,Völkermord‘? – Nein, etwas Anderes, etwas anders Schreckliches: Brudermord. – Kain und Abel? – Kain und Kain“.
Das „Journalistische“ ist
für ihn eindeutig das Gegenteil
der Literatur
Peter Handke: Innere Dialoge an den Rändern. 2016-2021. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2022. 371 Seiten, 26 Euro.
„Eine Klärung durch Rätselhaftigkeit, Rätselhaftwerden, ‚Schleierhaftwerden‘“, das macht für Peter Handke, der 2019 den Nobelpreis erhielt, Literatur aus.
Foto: Anders Wiklund/picture alliance/dpa/TT News Age
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