Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Anglistik - Literatur, Note: 1, Universität Hamburg (Anglistik und Amerikanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Ein sich auffallend oft wiederholendes Thema bei Edgar Allan Poe sind sterbende Frauen. Frauen werden in Poes Kurzgeschichten meist plötzlich von einer mysteriösen und unheilbaren Krankheit befallen, durchleben dann eine Phase des Leidens und sterben am Ende der Kurzgeschichte. Übrig bleibt ein völlig verwirrter bis wahnsinniger männlicher Erzähler, der sich mit übernatürlichen Ereignissen wie der Wiederauferstehung nach dem Tod oder der Reinkarnation der Frau mit einer anderen Person konfrontiert sieht. Das Bild der toten Frau beschäftigt seit mehreren Generationen Literaturwissenschaftler. Viele haben in der Vergangenheit versucht, einen Zusammenhang zwischen der Biografie Edgar Allan Poes und den mysteriösen Todesfällen in seinen Kurzgeschichten zu ziehen. Poes leibliche Mutter, Poes sieben Jahre jüngere Cousine und Ehefrau Virginia Clemm und seine Pflegemutter Frances Allan starben alle in einem relativ jungen Alter an der damals noch unheilbaren Krankheit Tuberkulose. Besonders der Tod von Poes leiblicher Mutter gibt vielen Literaturwissenschaftlern Anlass dazu, Poes Gedichte und Kurzgeschichten psychoanalytisch zu interpretieren und die Basis der Interpretation in Poes Vergangenheit zu suchen. Sie betrachten die sterbende Frau und deren Verlust als Vergangenheitsbewältigung des Erzählers der Kurzgeschichte und setzen den Erzähler mit Poe gleich. Es ist eine Art der Trauer, eine Rückkehr in die Vergangenheit, so als ob Poe versuchte, die Dinge wieder gut zu machen. In manchen Fällen erscheint diese Lesart sinnvoll, gerade in den Fällen der später geschriebenen Gedichte wie The Raven oder Annabel Lee. Für einige Kurzgeschichten in Tales of the Grotesque and Arabesque, halte ich diese Lesart nicht für sinnvoll. Die Kurzgeschichten Berenice, Morella, Ligeia und The Fall of the House of Usher handeln zwar von sterbenden Frauen, sollten dennoch nicht als Vergangenheitsbewältigung des Autors verstanden werden, weil der Erzähler in diesen Kurzgeschichten nicht mit einem naiven, schwachen und zärtlichen weiblichen Geschlecht konfrontiert wird, sondern mit einem starken, intellektuellen weiblichen Geschlecht. Wenn die Kurzgeschichten nicht von Frauen handeln, die stellvertretend für die Trauer um den Verlust von Poes leiblicher Mutter stehen, dann stellt sich die Frage, wofür diese Frauen stehen, was sie symbolisieren oder auf welches Problem Poe mit dieser Thematik hinweisen wollte.
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