Millionen Muslime sind in den vergangenen Jahrzehnten als Gastarbeiter überwiegend aus der Türkei, als Flüchtlinge aus Syrien und anderen Staaten des Nahen Ostens nach Deutschland gekommen. Hamed Abdel-Samad rechnet ab mit der Politik, die die Integration zu lange konterkariert und der Muslime, die sich in Parallelgesellschaften verbarrikadiert haben. Deutsch-Türken unterstützen Erdogan, in Europa geborene Muslime verüben Terroranschläge. Hamed Abdel-Samad prangert die integrationsverhindernden Elemente der islamischen Kultur an. Er rechnet aber auch mit europäischen Integrationslügen ab. Denn wer jahrzehntelang von "Gastarbeitern" spricht, der verweigert Integrationsangebote - und darf sich nicht über Parallelgesellschaften wundern. Wer die Augen verschließt vor kulturellen, mentalitären und religiösen Unterschieden, der muss in seinem Bemühen scheitern. Abdel-Samad formuliert einen Forderungskatalog an Politik und Gesellschaft, denn am Thema Integration wird sich die Zukunft Deutschlands entscheiden.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.04.2018Düstere
Diagnose
Hamed Abdel-Samads Integrationsanalyse fällt
pauschal einseitig aus. Doch er stellt richtige Fragen
VON BERND KASTNER
Dieses Buch wird gut ankommen in Kreisen, die der AfD oder gar Pegida zuneigen, bei Lesern, für die weder der Islam noch die Muslime zu Deutschland gehören. Hamed Abdel-Samad hat sich die zu erwartende Rezeption selbst zuzuschreiben. Aber es wäre zu billig, seine Argumente und Kritik in die rechte Ecke einzusortieren. Er stellt notwendige Fragen zur Integration von Migranten, der noch immer das Konzept fehlt. Auf den ersten etwa 230 Seiten breitet er seine Diagnose aus, die schon der Untertitel zusammenfasst: „Ein Protokoll des Scheiterns“. Düster wirkt das Deutschland Abdel-Samads, bedroht von Integrationsverweigerern.
Der Autor, geboren 1972 in Ägypten, Sohn eines Imams, beginnt mit seiner eigenen Migrationsgeschichte und beschreibt, wie er als Student gehadert hat, mit Deutschland und dem Islam. Seine persönlichen (Irr-)Wege haben den Politikwissenschaftler zu einem der bekanntesten Islamkritiker gemacht, er formuliert zugespitzt und provokant: „Kaum jemand hat den Mut, zu sagen, was es braucht, damit Integration tatsächlich gelingt.“ Soll heißen: Ich, Hamed Abdel-Samad, bin einer der wenigen Mutigen. Er listet auf, was wo alles schiefläuft bei der Integration der muslimischen Zuwanderer, die Stichworte lauten: Bildung, Wertevermittlung, Ab- und Ausgrenzung, Politisierung des Islam, Anspruchsmentalität, „Naivität der Politiker“, Fehlen einer offenen Streitkultur, und, und, und. Überall liegt was im Argen.
Abdel-Samad gleitet oft ins Pauschale ab und widerspricht sich schon mal selbst. Da kritisiert er die unzähligen Studien zu Migration und Integration, unter denen sich jeder das Passende aussuchen könne: Alles gut? Alles schlecht? Für jede Argumentation findet sich was. Der Autor bevorzugt deshalb das unmittelbare Gespräch mit Migranten, um der Wahrheit näherzukommen – und sucht sich solche Betroffene und Experten aus, die das dem Autor Passende sagen. Abdel-Samad jedenfalls trifft vor allem Migranten, die seinen Befund stützen, zum Beispiel Ahmad Mansour: „Ich habe mit vielen Schülern geredet“, wird der Islamismus-Experten zitiert, „die sagten, ich bringe meine Schwester um, wenn sie Sex vor der Ehe hat.“
Da kritisiert Abdel-Samad, dass Muslime undifferenziert als homogener Block behandelt werden – und tut es auch selbst, wenn er von dem Muslim spricht, der gefangen sei in seiner Community: „Leider hat sich unter den Muslimen noch kein Gegenkollektiv gebildet, das Freiheit nicht nur toleriert, sondern auch zelebriert. Der freie Muslim ist nach wie vor ein Einzelkämpfer, der nicht nur für seine Freiheit kämpfen, sondern sich dafür bei vielen sogar entschuldigen muss.“
„Bei vielen“: Seine These des Scheiterns stützt Abdel-Samad mit Vorliebe auf die Mengenangabe „viele“. So erzählt er, dass er Migrantenviertel in Paris, Marseille, Brüssel, Amsterdam, Aarhus, Kopenhagen, Malmö, Bonn und Berlin besucht habe: „Nicht überall konnte ich unbeschwert spazieren gehen, in vielen dieser Orte gibt es No-go-Areas, vor denen die Polizei mich gewarnt hat.“ Wie viele sind „viele“ bei neun Städten? Zu oft fehlt die Relation. Über solch ein Argumentationsmuster freuen sich jene, die nicht nur die Defizite der Integration kritisieren, sondern Fortschritt verhindern wollen. Abdel-Samad liefert ihnen passende Wahrheiten, etwa, dass Deutschland fast verloren sei: „Wenn wir uns genauso vehement für unsere Werte einsetzen würden wie die Intoleranten für ihre, könnten wir die Demokratie noch retten.“ Die „Zivilisation“ sei durch intolerante Muslime gefährdet, die „Zersetzungstendenzen“ seien „weit fortgeschritten“. Und gleich noch eine Parallele zur dunkelsten Vergangenheit: Hier die (angeblich) schweigende Mehrheit der Deutschen zwischen 1933 und 1945, hier die schweigende Mehrheit der friedlichen Muslime, die nichts zum heutigen Terror sage.
Dabei hätte der Autor mehr zu bieten. Er stellt berechtigte Fragen und weist auf Widersprüche im politisch linksliberalen Spektrum hin. Wenn er kritisiert, dass Politik und Teile der Gesellschaft Migranten zwar förderten, aber zu wenig fordern, weil man das für Diskriminierung halte. „Ich nenne das ,Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung‘“, weil „diese Leute“ Migranten in ihrer „Opferhaltung“ bestätigten. Überhaupt, mahnt der Autor, dürfe man den Rassismus nicht vorschnell verantwortlich machen für Defizite auf Seiten von Muslimen. Oft liege etwa eine Jobabsage am fehlerhaften Deutsch der Migranten.
Auf den letzten 30 Seiten skizziert Abdel-Samad einen „Marshallplan“ für gelingende Integration. Mag auch diese historische Parallele zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschland deplatziert sein: Würde der Forderungskatalog umgesetzt, das Land käme schneller ans Ziel eines toleranten und freiheitlichen Miteinanders. Er will alle relevanten Akteure in die Pflicht nehmen, von den Schulen bis zu den Islamverbänden. Abdel-Samad aber ist es selbst, der dieses Ziel als kaum erreichbar darstellt, zu düster und pauschal ist zuvor seine Diagnose ausgefallen.
Seine Thesen des Scheiterns
stützt der Autor mit Vorliebe
auf die Mengenangabe „viele“
Vom „Rassismus der gesenkten
Erwartungshaltung“
spricht der Islam-Forscher
Hamed Abdel-Samad:
Integration. Ein Protokoll des Scheiterns. Droemer Knaur München 2018,
272 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 17,99 Euro.
4. September 2015: Ein Flüchtling macht sich in Budapest auf zum Hauptbahnhof, sein Ziel: Deutschland, seine Heldin: die Kanzlerin.
Foto: FERENC ISZA/AFP
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Diagnose
Hamed Abdel-Samads Integrationsanalyse fällt
pauschal einseitig aus. Doch er stellt richtige Fragen
VON BERND KASTNER
Dieses Buch wird gut ankommen in Kreisen, die der AfD oder gar Pegida zuneigen, bei Lesern, für die weder der Islam noch die Muslime zu Deutschland gehören. Hamed Abdel-Samad hat sich die zu erwartende Rezeption selbst zuzuschreiben. Aber es wäre zu billig, seine Argumente und Kritik in die rechte Ecke einzusortieren. Er stellt notwendige Fragen zur Integration von Migranten, der noch immer das Konzept fehlt. Auf den ersten etwa 230 Seiten breitet er seine Diagnose aus, die schon der Untertitel zusammenfasst: „Ein Protokoll des Scheiterns“. Düster wirkt das Deutschland Abdel-Samads, bedroht von Integrationsverweigerern.
Der Autor, geboren 1972 in Ägypten, Sohn eines Imams, beginnt mit seiner eigenen Migrationsgeschichte und beschreibt, wie er als Student gehadert hat, mit Deutschland und dem Islam. Seine persönlichen (Irr-)Wege haben den Politikwissenschaftler zu einem der bekanntesten Islamkritiker gemacht, er formuliert zugespitzt und provokant: „Kaum jemand hat den Mut, zu sagen, was es braucht, damit Integration tatsächlich gelingt.“ Soll heißen: Ich, Hamed Abdel-Samad, bin einer der wenigen Mutigen. Er listet auf, was wo alles schiefläuft bei der Integration der muslimischen Zuwanderer, die Stichworte lauten: Bildung, Wertevermittlung, Ab- und Ausgrenzung, Politisierung des Islam, Anspruchsmentalität, „Naivität der Politiker“, Fehlen einer offenen Streitkultur, und, und, und. Überall liegt was im Argen.
Abdel-Samad gleitet oft ins Pauschale ab und widerspricht sich schon mal selbst. Da kritisiert er die unzähligen Studien zu Migration und Integration, unter denen sich jeder das Passende aussuchen könne: Alles gut? Alles schlecht? Für jede Argumentation findet sich was. Der Autor bevorzugt deshalb das unmittelbare Gespräch mit Migranten, um der Wahrheit näherzukommen – und sucht sich solche Betroffene und Experten aus, die das dem Autor Passende sagen. Abdel-Samad jedenfalls trifft vor allem Migranten, die seinen Befund stützen, zum Beispiel Ahmad Mansour: „Ich habe mit vielen Schülern geredet“, wird der Islamismus-Experten zitiert, „die sagten, ich bringe meine Schwester um, wenn sie Sex vor der Ehe hat.“
Da kritisiert Abdel-Samad, dass Muslime undifferenziert als homogener Block behandelt werden – und tut es auch selbst, wenn er von dem Muslim spricht, der gefangen sei in seiner Community: „Leider hat sich unter den Muslimen noch kein Gegenkollektiv gebildet, das Freiheit nicht nur toleriert, sondern auch zelebriert. Der freie Muslim ist nach wie vor ein Einzelkämpfer, der nicht nur für seine Freiheit kämpfen, sondern sich dafür bei vielen sogar entschuldigen muss.“
„Bei vielen“: Seine These des Scheiterns stützt Abdel-Samad mit Vorliebe auf die Mengenangabe „viele“. So erzählt er, dass er Migrantenviertel in Paris, Marseille, Brüssel, Amsterdam, Aarhus, Kopenhagen, Malmö, Bonn und Berlin besucht habe: „Nicht überall konnte ich unbeschwert spazieren gehen, in vielen dieser Orte gibt es No-go-Areas, vor denen die Polizei mich gewarnt hat.“ Wie viele sind „viele“ bei neun Städten? Zu oft fehlt die Relation. Über solch ein Argumentationsmuster freuen sich jene, die nicht nur die Defizite der Integration kritisieren, sondern Fortschritt verhindern wollen. Abdel-Samad liefert ihnen passende Wahrheiten, etwa, dass Deutschland fast verloren sei: „Wenn wir uns genauso vehement für unsere Werte einsetzen würden wie die Intoleranten für ihre, könnten wir die Demokratie noch retten.“ Die „Zivilisation“ sei durch intolerante Muslime gefährdet, die „Zersetzungstendenzen“ seien „weit fortgeschritten“. Und gleich noch eine Parallele zur dunkelsten Vergangenheit: Hier die (angeblich) schweigende Mehrheit der Deutschen zwischen 1933 und 1945, hier die schweigende Mehrheit der friedlichen Muslime, die nichts zum heutigen Terror sage.
Dabei hätte der Autor mehr zu bieten. Er stellt berechtigte Fragen und weist auf Widersprüche im politisch linksliberalen Spektrum hin. Wenn er kritisiert, dass Politik und Teile der Gesellschaft Migranten zwar förderten, aber zu wenig fordern, weil man das für Diskriminierung halte. „Ich nenne das ,Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung‘“, weil „diese Leute“ Migranten in ihrer „Opferhaltung“ bestätigten. Überhaupt, mahnt der Autor, dürfe man den Rassismus nicht vorschnell verantwortlich machen für Defizite auf Seiten von Muslimen. Oft liege etwa eine Jobabsage am fehlerhaften Deutsch der Migranten.
Auf den letzten 30 Seiten skizziert Abdel-Samad einen „Marshallplan“ für gelingende Integration. Mag auch diese historische Parallele zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschland deplatziert sein: Würde der Forderungskatalog umgesetzt, das Land käme schneller ans Ziel eines toleranten und freiheitlichen Miteinanders. Er will alle relevanten Akteure in die Pflicht nehmen, von den Schulen bis zu den Islamverbänden. Abdel-Samad aber ist es selbst, der dieses Ziel als kaum erreichbar darstellt, zu düster und pauschal ist zuvor seine Diagnose ausgefallen.
Seine Thesen des Scheiterns
stützt der Autor mit Vorliebe
auf die Mengenangabe „viele“
Vom „Rassismus der gesenkten
Erwartungshaltung“
spricht der Islam-Forscher
Hamed Abdel-Samad:
Integration. Ein Protokoll des Scheiterns. Droemer Knaur München 2018,
272 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 17,99 Euro.
4. September 2015: Ein Flüchtling macht sich in Budapest auf zum Hauptbahnhof, sein Ziel: Deutschland, seine Heldin: die Kanzlerin.
Foto: FERENC ISZA/AFP
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Bernd Kastner wirft dem Autor Hamed Abdel-Samad vor, mit seinem Buch den Islamkritikern in die Hände zu spielen. Das düstere Bild von Deutschland, das der Autor zeichnet, der als Sohn eines Imams eine eigene Integrationsgeschichte zu erzählen hat, findet Kastner pauschal, in Teilen undifferenziert und provokant. Kastner findet es zwar selbst "zu billig", Abdel-Samad in die rechte Ecke zu stellen, beschreibt das Buch aber vor allem als Stichwortgeber für die AfD. Diskussionswürdig findet er immerhin den "Marshallplan" des Autors, der Institutionen und Muslime gleichermaßen in die Pflicht nehmen will. Das könnte ein Weg sein, ahnt Kastner. Abdel-Samad hat sich übrigens auf Facebook gegen Kastners Kritik gewehrt: "Ich habe den Eindruck, dass die Priorität der meisten Politiker und auch der meisten Journalisten nicht die Lösung der Integrationsmisere ist, sondern der symbolische Kampf gegen die AFD."
© Perlentaucher Medien GmbH
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"hautnah und sehr verständlich" lifestylesite (Blog) 20180920