Im Winter 1945 verlieren sich zwei achtjährige ostpreußische Freundinnen. Elsa kommt in Mecklenburg und Hanni im Oldenburgischen unter. Nach den traumatischen Fluchterlebnissen lernt jede für sich, den Demütigungen als Flüchtlingskind auszuweichen. Elsa macht sich unsichtbar. Hanni schweigt drüber weg. Sie finden sich durch den Suchdienst wieder und schreiben einander, bis es nicht mehr sein darf. Wie weit sich die Schere ihrer Lebenswege allmählich öffnet und schließlich zwei in ihrem Umfeld verankerte Frauen das jeweils Naheliegende als richtig empfinden, wird in parallelen, mehrfach verknüpften Handlungssträngen erzählt. Im Alter reden sie Klartext miteinander. Ein Ost-West-Roman über Ankunft, Anpassung und Aufbruch.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Frank Pergande hält Katrin Sobotha-Heidelks Buch für ergreifend. Wie die Autorin die Geschichte zweier durch die deutsche Teilung getrennter, aus Königsberg stammender Schwestern im perspektivischen Wechsel erzählt, vom Krieg bis nach der Wende, findet Pergande gekonnt, weil die Autorin vom Verschweigen der Geschichte erzählt und doch das Verschwiegene erahnen lässt. Eine Geschichte von Flucht, Vertreibung und Krieg, die Pergande auch mit fesselnden Dialogen überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2021Generation Schweigen
Herkunft unerwünscht: Katrin Sobotha-Heidelks fesselnder Roman "Interzonenjahre"
Elsa und Hanni stammen aus Königsberg. Als kleine Mädchen erleben sie die Flucht, Hanni strandet im Westen, Elsa im Osten. Über den Suchdienst des DRK finden sie sich wieder, schreiben einander kurze, eigentlich belanglose Grüße. Einmal treffen sie sich noch vor dem Mauerbau in Westberlin. Dann verliert sich der Kontakt, zu unterschiedlich werden ihre Welten. Die jetzt im mecklenburgischen Schwerin lebende Elsa fürchtet überdies, ihr als SED-Genossin könnten harmlose Briefe von Hanni als Westkontakte vorgeworfen werden - was auch prompt geschieht.
Katrin Sobotha-Heidelk - sie ist Schwerinerin - erzählt die Geschichte ihrer beiden Heldinnen auf raffinierte Weise, mehr verschweigend als enthüllend. Sie schildert die Begebnisse abwechselnd aus Elsas und Hannis Sicht. Und diese Sichten erfassen je nach Alter immer nur einen Teil dessen, was passiert. Doch der Leser erahnt aus Andeutungen die ganze Geschichte - und wird so gefesselt, dass er mit dem Lesen nicht mehr aufhören mag.
Dabei genügt es Sobotha-Heidelk, Szenen aus dem Alltag beider Frauen zu erzählen, bei der Arbeit, am Esstisch, bei der Chorprobe, bei Geburt, Liebe und Tod. Und doch scheint eine ganze, dabei ja geteilte Welt auf. Da offenbart sich auf einmal, wie beide Teile Deutschlands nach dem Krieg praktisch vom ersten Tag an getrennt waren, wie sich das auf die Menschen auswirkte und weshalb es nach der Wiedervereinigung vielen, sowohl in Ost als auch in West, schwer wurde, im neuen Deutschland anzukommen. Denn gerade der Generation von Elsa und Hanni, der Generation von Krieg, Flucht, Vertreibung, Nachkriegszeit im geteilten Deutschland, ist Be- und Verschweigen gleichsam zur Lebensbedingung geworden. Diese Generation will nicht reden, darf nicht reden. So jedenfalls sieht sie sich selbst.
Nur manchmal bricht das vorsichtig auf, und gerade über solche Momente schreibt Sobotha-Heidelk funkelnde Dialoge. Etwa im Gespräch zwischen Hanni und einer Schulkameradin im Westen: ",Wo kommst du denn her, Hanni?', fragte Toni in der Pause. ,Meinst du: wirklich?' ,Ja, also wo kommst du richtig her?' ,Aus Gutenfeld bei Königsberg. Und du?' ,Aus Habelschwerdt bei Glatz. Niederschlesien.' ,Ist ja jetzt auch egal, oder?', fragte Hanni vorsichtig. ,Nicht ganz, finde ich.' ,Stimmt, ganz nicht.'" Oder im Osten bei Elsa: ",Ich bin aus Königsberg, Mutter, aus Ostpreußen', sagte Elsa bestimmt. Sie fühlte ein Unbehagen, als sollte sie ihr altes Zuhause, das ihr ohnehin genommen worden war, auch noch in ihrer Erinnerung tilgen. ,Kind, du bist nicht aus Ostpreußen, du bist einfach dumm', zischte Mutter und schluchzte kurz auf." Am Ende wird in solchem Klima selbst ein Gespräch über Königsberger Klopse zur Unmöglichkeit.
Dieses Be- und Verschweigen berührt auch die Generation der Kinder von Elsa und Hanni. Die Autorin, Jahrgang 1968, gehört noch dazu. Ihr Roman ist der Versuch, das ziemlich fest versperrte Tor hinaus in eine Offenheit aufzuschließen. Dass sich am Ende beide Heldinnen, inzwischen Frauen, die auf die Rente zugehen, nach der Wiedervereinigung noch einmal treffen, der Moment, auf den der Leser viel mehr als die Frauen selbst die ganze Zeit mit Spannung wartet, ist für den Roman nicht mehr von Bedeutung und schon gar kein Happy End. Sobotha-Heidelk gelingt das Großartige, mehr als dreihundert Seiten lang vom Be- und Verschweigen zu erzählen und dabei doch alles zu sagen. Ein ergreifendes Buch.
FRANK PERGANDE
Katrin Sobotha-Heidelk: "Interzonenjahre". Ein Ost-West-Roman. Roman.
Lehmanns Media, Berlin 2020. 346 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Herkunft unerwünscht: Katrin Sobotha-Heidelks fesselnder Roman "Interzonenjahre"
Elsa und Hanni stammen aus Königsberg. Als kleine Mädchen erleben sie die Flucht, Hanni strandet im Westen, Elsa im Osten. Über den Suchdienst des DRK finden sie sich wieder, schreiben einander kurze, eigentlich belanglose Grüße. Einmal treffen sie sich noch vor dem Mauerbau in Westberlin. Dann verliert sich der Kontakt, zu unterschiedlich werden ihre Welten. Die jetzt im mecklenburgischen Schwerin lebende Elsa fürchtet überdies, ihr als SED-Genossin könnten harmlose Briefe von Hanni als Westkontakte vorgeworfen werden - was auch prompt geschieht.
Katrin Sobotha-Heidelk - sie ist Schwerinerin - erzählt die Geschichte ihrer beiden Heldinnen auf raffinierte Weise, mehr verschweigend als enthüllend. Sie schildert die Begebnisse abwechselnd aus Elsas und Hannis Sicht. Und diese Sichten erfassen je nach Alter immer nur einen Teil dessen, was passiert. Doch der Leser erahnt aus Andeutungen die ganze Geschichte - und wird so gefesselt, dass er mit dem Lesen nicht mehr aufhören mag.
Dabei genügt es Sobotha-Heidelk, Szenen aus dem Alltag beider Frauen zu erzählen, bei der Arbeit, am Esstisch, bei der Chorprobe, bei Geburt, Liebe und Tod. Und doch scheint eine ganze, dabei ja geteilte Welt auf. Da offenbart sich auf einmal, wie beide Teile Deutschlands nach dem Krieg praktisch vom ersten Tag an getrennt waren, wie sich das auf die Menschen auswirkte und weshalb es nach der Wiedervereinigung vielen, sowohl in Ost als auch in West, schwer wurde, im neuen Deutschland anzukommen. Denn gerade der Generation von Elsa und Hanni, der Generation von Krieg, Flucht, Vertreibung, Nachkriegszeit im geteilten Deutschland, ist Be- und Verschweigen gleichsam zur Lebensbedingung geworden. Diese Generation will nicht reden, darf nicht reden. So jedenfalls sieht sie sich selbst.
Nur manchmal bricht das vorsichtig auf, und gerade über solche Momente schreibt Sobotha-Heidelk funkelnde Dialoge. Etwa im Gespräch zwischen Hanni und einer Schulkameradin im Westen: ",Wo kommst du denn her, Hanni?', fragte Toni in der Pause. ,Meinst du: wirklich?' ,Ja, also wo kommst du richtig her?' ,Aus Gutenfeld bei Königsberg. Und du?' ,Aus Habelschwerdt bei Glatz. Niederschlesien.' ,Ist ja jetzt auch egal, oder?', fragte Hanni vorsichtig. ,Nicht ganz, finde ich.' ,Stimmt, ganz nicht.'" Oder im Osten bei Elsa: ",Ich bin aus Königsberg, Mutter, aus Ostpreußen', sagte Elsa bestimmt. Sie fühlte ein Unbehagen, als sollte sie ihr altes Zuhause, das ihr ohnehin genommen worden war, auch noch in ihrer Erinnerung tilgen. ,Kind, du bist nicht aus Ostpreußen, du bist einfach dumm', zischte Mutter und schluchzte kurz auf." Am Ende wird in solchem Klima selbst ein Gespräch über Königsberger Klopse zur Unmöglichkeit.
Dieses Be- und Verschweigen berührt auch die Generation der Kinder von Elsa und Hanni. Die Autorin, Jahrgang 1968, gehört noch dazu. Ihr Roman ist der Versuch, das ziemlich fest versperrte Tor hinaus in eine Offenheit aufzuschließen. Dass sich am Ende beide Heldinnen, inzwischen Frauen, die auf die Rente zugehen, nach der Wiedervereinigung noch einmal treffen, der Moment, auf den der Leser viel mehr als die Frauen selbst die ganze Zeit mit Spannung wartet, ist für den Roman nicht mehr von Bedeutung und schon gar kein Happy End. Sobotha-Heidelk gelingt das Großartige, mehr als dreihundert Seiten lang vom Be- und Verschweigen zu erzählen und dabei doch alles zu sagen. Ein ergreifendes Buch.
FRANK PERGANDE
Katrin Sobotha-Heidelk: "Interzonenjahre". Ein Ost-West-Roman. Roman.
Lehmanns Media, Berlin 2020. 346 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main