Der fünfte Band des voluminösen Hauptwerkes von Barthold Heinrich Brockes. Im Siebenten und Achten Teil des "Irdischen Vergnügens in Gott" macht sich zunehmend Brockes` Vertrautheit mit bedeutenden Werken englischer Literatur bemerkbar. Bereits 1740 hatte der Dichter Ausschnitte aus John Miltons "Paradise Lost" und den gesamten "Essay on Man" von Alexander Pope übersetzt, und nun begegnen uns auch Teile aus James Thomsons "Seasons", einer Dichtung, die vollständig erst 1745 in deutscher Sprache vorliegen sollte. Brockes` offene Hinweise auf Vergils "Georgica" im Siebenten Teil und die vom ihm selber vorgenommene Anordnung der Abschnitte nach den Jahreszeiten im Siebenten und Achten Teil weisen auf Thomsons Einfluss. Den "Land-Leben in Ritzebüttel" genannten Siebenten Teil charakterisiert nicht zufällig eine immer wieder spürbar werdende "georgische" Stimmung. Sie setzt sich im Achten fort, dessen drei Betrachtungen über Johann Elias Ridingers Kupferstichfolge "Das Paradies" sinnfällig machen, dass paradiesische Vorstellungen in diesen beiden Teilen des "Irdischen Vergnügens" nicht nur an dieser Stelle anklingen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2021Alles bricht bei Flut
Allzeitthema: Brockes bedichtet Überschwemmungen
Der Hamburger Ratsherr Barthold Heinrich Brockes hat sich längst vom Verdacht bloß schöpfungsharmonisierender Naturlyrik befreit. Die expandierende Forschung zu seinen oft überraschenden und witzigen Gedichten wurde in den letzten Jahren entscheidend durch eine große Gesamtausgabe befördert, die Jürgen Rathje mit unendlicher Akribie und Ausdauer vorantreibt. Jetzt ist der vorletzte Teil des neunbändigen Hauptwerkes "Irdisches Vergnügen in Gott" erschienen, in dem alle Bereiche der Natur, oft mit dem Mikroskop oder Fernrohr in der Hand, lyrisch durchdrungen werden.
Im siebenten Teil (ursprünglich erschienen 1743) dieser enzyklopädischen Weltschau stößt man sogleich auf das höchst aktuelle Katastrophengedicht "Die schreckliche Gewalt des Wassers". Eingeleitet von Sturmversen aus Vergils "Georgica" betrachtet Brockes darin die ungeheure Zerstörungsmacht flüssiger Elementargewalten. Was in den Bergen mit Schnee und Regen klein beginnt, entlädt sich talwärts mit "fremdem Sausen" und "erzürntem Brausen", "alles sinket, stürzet, bricht", das Wasser reißt riesige Steine, Dammstücke, Stämme, Herden und selbst halbe Zimmer, ganze Dächer und Häuser mit sich fort. Weiter unten hat sich die gesamte Landschaft in eine endlose Wasserfläche verwandelt.
Auch wenn Brockes dem Gedanken einer Theodizee, also der Rechtfertigung Gottes im Zeichen des Unglücks, eng verbunden ist, fällt ihm dieser Anblick schwer. Sollen das Gottes "Ruthen" sein? Bedarf es wirklich solcher Mittel, um an des "Schöpfers Macht und Weisheit" zu erinnern? Einer Antwort auf so heikle Fragen entzieht er sich geschickt durch lyrisches Zitieren von Psalm 18, in dem von Gottes Zorn und Schnauben mit entsprechenden Wetterfolgen berichtet wird. kos
Barthold Heinrich
Brockes: "Irdisches
Vergnügen in Gott".
Siebenter und Achter Teil. Werke, Band 5.
Hrsg. von Jürgen Rathje. Wallstein Verlag,
Göttingen 2021.
954 S., geb., 98,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Allzeitthema: Brockes bedichtet Überschwemmungen
Der Hamburger Ratsherr Barthold Heinrich Brockes hat sich längst vom Verdacht bloß schöpfungsharmonisierender Naturlyrik befreit. Die expandierende Forschung zu seinen oft überraschenden und witzigen Gedichten wurde in den letzten Jahren entscheidend durch eine große Gesamtausgabe befördert, die Jürgen Rathje mit unendlicher Akribie und Ausdauer vorantreibt. Jetzt ist der vorletzte Teil des neunbändigen Hauptwerkes "Irdisches Vergnügen in Gott" erschienen, in dem alle Bereiche der Natur, oft mit dem Mikroskop oder Fernrohr in der Hand, lyrisch durchdrungen werden.
Im siebenten Teil (ursprünglich erschienen 1743) dieser enzyklopädischen Weltschau stößt man sogleich auf das höchst aktuelle Katastrophengedicht "Die schreckliche Gewalt des Wassers". Eingeleitet von Sturmversen aus Vergils "Georgica" betrachtet Brockes darin die ungeheure Zerstörungsmacht flüssiger Elementargewalten. Was in den Bergen mit Schnee und Regen klein beginnt, entlädt sich talwärts mit "fremdem Sausen" und "erzürntem Brausen", "alles sinket, stürzet, bricht", das Wasser reißt riesige Steine, Dammstücke, Stämme, Herden und selbst halbe Zimmer, ganze Dächer und Häuser mit sich fort. Weiter unten hat sich die gesamte Landschaft in eine endlose Wasserfläche verwandelt.
Auch wenn Brockes dem Gedanken einer Theodizee, also der Rechtfertigung Gottes im Zeichen des Unglücks, eng verbunden ist, fällt ihm dieser Anblick schwer. Sollen das Gottes "Ruthen" sein? Bedarf es wirklich solcher Mittel, um an des "Schöpfers Macht und Weisheit" zu erinnern? Einer Antwort auf so heikle Fragen entzieht er sich geschickt durch lyrisches Zitieren von Psalm 18, in dem von Gottes Zorn und Schnauben mit entsprechenden Wetterfolgen berichtet wird. kos
Barthold Heinrich
Brockes: "Irdisches
Vergnügen in Gott".
Siebenter und Achter Teil. Werke, Band 5.
Hrsg. von Jürgen Rathje. Wallstein Verlag,
Göttingen 2021.
954 S., geb., 98,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Kein Zweifel: Brockes ist noch im 21. Jahrhundert aktuell.« (Martin Lowsky, literaturkritik.de, 22.11.2021) »Dank des Kommentars dieser Ausgabe sind auch zeitgenössische Leserinnen und Leser in der Lage, die Feinheit und den Witz der Gedichte zu genießen« (Cord-Friedrich Berghahn, Germanisch-Romanische Monatsschrift 72.1, März 2022) »[Das Werk] lädt zeitübergreifend zur Lektüre ein.« (Felix Woywode, Zeitschrift für Germanistik, 02/2022)