Essay aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Philosophie - Philosophie der Antike, Note: 2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Philosophische Fakultät I), Veranstaltung: Platon: Protagoras, Sprache: Deutsch, Abstract: Kommt einen der Begriff „Tugend“ in Verbindung mit der Antike zu Ohren, muß man zu aller erst unweigerlich an die vier platonischen Kardinaltugenden denken. Unter diesen umhüllenden Mantel fallen die überragenden Tugenden der Tapferkeit, Besonnenheit, Klugheit und Gerechtigkeit, die zu einem glücklichen Leben befähigen. Die Bezeichnung Kardinaltugend fußt im Lateinischen „cardo“ und bedeutet so viel wie „Türangel“. Es wird deutlich, daß es sich um Rahmenbedingungen, ja Grundtugenden handelt, die unerläßlich für das Ansehen eines guten Mannes, eines guten Bürgers durch die Gesellschaft, aber vor allem durch ihn selbst sind. Aufgrund dessen nehmen die vier Kardinaltugenden für das gesamte soziale Zusammenleben und um auf den Spuren Platons zu bleiben, auch für die Gründung einer Polis, eine essentielle Rolle ein. Die Grundtugenden gelten dabei für Platon als Garant für die Gesundheit der Seele, indem sie für eine gute Lebensführung sorgen. Diesem Weg zu folgen stellt den obersten Bezug allen Handelns dar. Die Gerechtigkeit (dikaiosynê) ist eine von Zeus gegebene Tugend, die durch die Lebenserfahrung weiter entwickelt und geprägt wird. Sie postuliert eine innere ethische und moralische Gesetzgebung des Denkens und Verhaltens, die sich individuell verfestigt und durch sich selbst zwingend und maßgebend ist. Gerecht gilt in der Polis derjenige, der an den in der Gesellschaft anerkannten Sitten und Bräuchen sein Handeln ausrichtet und der seinen Pflichten als Bürger und seinem Gott gegenüber nachkommt. Nach Platon ist Gerechtigkeit die oberste Tugend, denn diese stellt sich automatisch ein, wenn ein Einklang zwischen den anderen drei Tugenden und den entsprechenden Seelenteilen (thymmoeides = Begierdeteil, epithymêtikon = Mutteil, logistikon = Vernunftteil) herrscht. Dieses harmonische Verhältnis kann nur dadurch herbeigeführt werden, indem jeder Seelenteil ausschließlich seine Funktion und Aufgabe verrichtet, ohne seinen Fokus auf andere Dinge zu richten. Geleitet werden dabei alle Seelenteile von der Idee des Guten. Dieses Schema läßt sich ohne weiteres auch auf die Beziehung zwischen den Individuen und ihrem Kollektiv übertragen, denn für Platon ist der Staat das Abbild der menschlichen Seele. Auch hier muß eine Harmonie zwischen den subjektiven Belangen und dem allgemeinen Wohl hergestellt werden. [...]