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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Büro-Roman des Künstlers PeterLicht
Wie vor Kurzem in einer Dissertation festgestellt wurde, handelt der Angestelltenroman meistens von einer Krise. Das Büro wird zu deren Bühne. Der Angestellte, schreibt der Verfasser Lucas Alt, fungiere "als Abstandhalter und Puffer zwischen den verfeindeten Lagern von Bourgeoisie und Proletariat". Für das kapitalistische System werde er so zur "prototypischen Kippfigur" zwischen sozialem Auf- und Abstieg. Während die Verhältnisse der Angestellten von Abhängigkeit und nicht selten von Prekarität geprägt seien, pflegten sie dennoch "ein bürgerliches Selbstverständnis". In diesem Spannungsverhältnis verkörperten sie, heißt es, die kapitalistische Krise.
Der vorliegende Büroroman des Liedermachers und Künstlers PeterLicht wirkt zunächst wie ein Anwendungsbeispiel für diese These - gleich im ersten Satz beschließt sein Erzähler, "endlich voranzukommen". Um kurz darauf festzustellen: "Was muss man für Energie reinstecken für ein richtig schönes Vorankommen!" Er denkt dann: "Oje, man kann nicht immer arbeiten. Oje, Leistungsgesellschaft. Oje, Neoliberalismus." Und klappt im nächsten Moment eine Schaumstoffmatratze auf, die er hochkant an seine Bürotür gegurtet hat: "Ich brauche sie, wenn schnelles Hinlegen angezeigt ist. Manchmal haut es mich einfach um bei meiner Arbeit beziehungsweise meinem Leben."
Vergleicht man diesen Erzähler mit einem literarischen Vorgänger, Wilhelm Genazinos "Abschaffel", der auch schon die Krise und die Farce des Bürolebens verkörpert hatte ("ein erster Höhepunkt des Betrugs waren die Berufsbezeichnungen der Angestellten"), so ist er einen Schritt weiter: Denn dieser Erzähler ist nicht mehr Angestellter einer Firma, sondern Freischaffender in einem "Coworking Space" der Kreativen. Die müssen ihre Kreativität selbst verwalten, niemand zwingt sie dazu. Die Krise zwischen Vorankommen und Hinlegen, zwischen Schaffen und Aufschieben, wird dadurch aber nicht kleiner.
Der Roman selbst kippt oft aus dem Realistischen ins Groteske: Nicht nur sieht ein Coworking-Kollege aus "wie derjenige, der Warten auf Godot geschrieben hat", eine andere Kollegin, die sogenannte "Allroundkünstlerin", arbeitet in einem Raum, in dem sich ihr Vorgänger, auch Künstler, an einem Stahlträger erhängt hat. "Die Selbsterhängung des Künstlers zog eine Kaskade von Umnutzungen, Neugestaltungen und Neuorientierungen nach sich." Also macht nun die Allroundkünstlerin einen Film über Männer, die von ihren Krisen berichten. "Du würdest super reinpassen", sagt sie zum Erzähler. Der flüchtet daraufhin zur Kaffeebude, um dort einem anderen Kollegen den Part in dem Film schmackhaft zu machen.
So geht es satirisch voran, mit weiterem Personal wie einem Armutsforscher und einem Hundeführer in der Coworking-Küche, von Projekt zu aufgeschobenem Projekt, bei Ladehemmung oder Verspannung auch mal ein Stockwerk höher in die "Gesundheitsetage", in der die Chiropraktikerin "dem Wirbelsäulenspuk ein Ende bereiten" soll. Und manchmal auch in Träumen, die dem Erzähler beim Büroschlaf kommen. Etwa von einem Banküberfall oder vom Durchbrennen mit der Allroundkünstlerin ans kretische Meer.
Was sich aus der Satire aber immer deutlicher herausschält, ist ein Kern von Schmerz, der sich in einem überraschenden Kapitel über den Tod eines Angehörigen ebenso konkretisiert wie in einem ausgerenkten Halswirbel des Erzählers. Dessen mit Witz geschildertes Prokrastinations-Dasein kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise, die dieser Roman schildert, auch eine des Nichtmehrabschaltenkönnens in der digitalen Gegenwart ist. Menschen werden immer mehr zu Maschinen; etwas lässt uns ständig arbeiten, auch wenn wir nicht wollen. Unter dem Pflaster dieses Buches liegt nicht der Strand, sondern eine krankmachende Matrix, in der es keine Trennung mehr zwischen Arbeit und Freizeit gibt. Ob die verrückte Party im Coworking Space, auf die der Roman zusteuert, eine kathartische Wirkung hat, liegt im Auge des Betrachters. Aber immerhin erfährt er auch: "Die Geschichte der Chiropraktik ist eine Geschichte mit Happy End." JAN WIELE
PeterLicht: "Ja okay, aber". Roman.
Tropen Verlag,
Stuttgart 2021. 232 S., geb., 20,- Euro.
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