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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Fund aus dem Archiv: Victor von Falks Ripper-Roman
Man könnte meinen, die Faszination für reale Kriminalfälle sei ein Phänomen, das in der Popkultur erst in jüngerer Zeit Einzug gehalten hat, neuerdings mit sogenannten True-Crime-Podcasts. Seit die amerikanische Journalistin Sarah Koenig 2014 sehr erfolgreich für die Podcast-Reihe "Serial" den realen Mordfall einer Schülerin in Baltimore beleuchtet hat, boomt dieses Format. Auch das deutsche Publikum kann von den Nacherzählungen blutiger Mordfälle nicht genug bekommen. Dass diese Faszination nicht neu ist, zeigt der Band "Jack der Aufschlitzer", den der Berliner Jaron-Verlag neu aufgelegt hat.
1908 ist dieser Kriminalroman zum ersten Mal in Berlin erschienen, also rund zwanzig Jahre nach dem ersten Frauenmord im Londoner East End, den man dem Serientäter "Jack the Ripper" zurechnet. Als Autor ist Victor von Falk vermerkt, ein Pseudonym des Verlegers und Schriftstellers Hans Heinrich Sochaczewski. 1861 in Breslau als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, ging er als junger Mann nach Berlin und gründete dort 1891 einen Zeitschriftenverlag mit Druckerei. Das Genre, auf das Sochaczewski sich als Autor spezialisierte, war der Kolportageroman.
Und so ist auch "Jack der Aufschlitzer" im Stil dieser reißerischen Unterhaltungsliteratur geschrieben, der man die Faszination für die blutigen, wahren Verbrechen, die diesen Roman inspirierten, deutlich anmerkt. Mit ähnlicher Präzision, mit der heutige Podcastmoderatoren die brutalen Details wahrer Verbrechen ausbreiten, malt auch Sochaczewski die Morde aus. Als Kulisse dient dabei ein London, das - wie der Herausgeber des Buches, Mirko Schädel, sehr richtig in seinem Nachwort anmerkt - eher Staffage ist und weniger an den Nebel der Themse-Stadt als vielmehr an das Wilhelminische Berlin erinnert. "Wie überhaupt die Haltung der Charaktere mehr dem Deutschen entsprechen, als ernsthaft als angelsächsische Figuren durchzugehen", schreibt Schädel. Das prägt den Roman deutlich, allein die Namen der Protagonisten sollen englisch klingen, alles weitere speist sich aus der Phantasie des Autors.
Der bedient sich mitunter auch bei literarischen Vorbildern. So ist die Figur, die Sochaczewski als "Jack the Ripper" gestaltet, den Motiven aus Robert Louis Stevensons "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" nachempfunden. Auch der deutsche Autor versucht, eine Person zu charakterisieren, die zwei Gesichter hat und den dunklen Trieben seiner Seele nachts nachgeht. Im Gegensatz zu Stevenson ist Sochaczewskis Roman leider sprachlich weitaus weniger versiert, platte Gefühlsausbrüche bedienen die Affekte seiner Leser, die Szenen suhlen sich mitunter zu sehr im verspritzten Blut.
Zu Recht wundert sich der Herausgeber des Buches, wie viele Stellen des günstigen Taschenbuchs wohl der Zensur zum Opfer gefallen sein mögen (leider hat er darauf keine Antwort). Interessant ist das Buch also weniger als literarische Entdeckung denn als Zeitzeugnis, das belegt, wie stark der Einfluss der Moderne in der populären Kultur zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war.
Sochaczewski versucht sich an psychologischen Deutungen, welche die Ursachen für die Erkrankungen des Geistes in den Traumata der Kindheit finden - natürlich nutzt er Sigmund Freuds Theorien, ohne diesen explizit zu erwähnen. Die Figur eines Psychologen bietet ihm wiederum Gelegenheit, mit allerlei verbotener Sexualität ("Ich erinnere Sie ferner an die doch tausendfach bewiesenen Fälle von Flagellantismus") die Seiten zu füllen.
Die überraschendste Figur findet sich direkt am Anfang, wenn der Polizeidirektor seinen "besten weiblichen Detektiv" auf den Serienmörder ansetzt, da "Frauen in der Beobachtung von Personen um vieles gewandter sind, ein besseres und leichteres Anpassungsvermögen besitzen als die meisten Männer". Zwischen all den Morden an Prostituierten hätte man 1908 dann doch nicht mit solch einem Detektiv gerechnet. MARIA WIESNER
Viktor von Falk: "Jack der Aufschlitzer".
Das blutige Rätsel Londons.
Jaron Verlag, Berlin 2022.
176 S., br., 15,- Euro.
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