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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Das 20. Jahrhundert war die Epoche, in der die Kunst multimedial wurde. Für die Literatur hat Karl Corino etwa nachgewiesen, dass in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" eine Fotografie der Tennisspielerin Suzanne Lenglen als Vorlage für eine Passage diente. Einen vergleichbaren Fall kann man in der Biographie finden, die der in Princeton lehrende Romanist David Bellos dem großen Filmkomiker Jacques Tati gewidmet hat.
Man kennt Tati als Schöpfer der Figur des Monsieur Hulot, der mit steifen Beinen durch die Nachkriegszivilisation stakste und einen Gag nach dem anderen auslöste. Aber schon 1932 drehte Tati einen Film, der leider verschollen ist: "Oscar champion de tennis". Und Bellos präsentiert dazu eine Fotografie. Anders als bei Musil ist es keine aus den Medien, sondern eine private. Sie zeigt Georges-Emmanuel Tatischeff, den Vater des Künstlers, beim Tennisspiel.
Das Bild ermöglicht mehr als nur eine Abgleichung zwischen Herkunft und schöpferischem Prozess. Es eröffnet einen Raum, den Jacques Tati (der seinen russischen Namen abkürzte) bald für eine prekäre Kunst verließ. Denn der Weg, der ihn zum Kino führte, begann mit einer Trennung von der Familie, mit einer Preisgabe der großbürgerlichen Privilegien, die sein Vater mit einem Geschäft für Bilderrahmen erarbeitet hatte.
Tati begab sich in eine Welt, in der es nicht auf Solidität ankam, sondern auf Improvisation. Der Sport war für ihn nur eine Brücke in die Unterhaltung. Er begann, die Bewegungen der Athleten so nachzuahmen, dass sie einerseits in ihrer Virtuosität noch genauer erkennbar wurden. Weil aber der Kontext eines Wettbewerbs fehlte, wurden sie auch komisch. Tati machte Pantomime aus den Bruchstücken von Duellen im Tennis oder beim Boxen. Und er legte damit die Grundlage für die Kunstfigur, mit der man ihn heute vor allem verbindet. In der Filmkomödie "Die Ferien des Monsieur Hulot" griff er später seine Tennis-Nummer aus dem Varieté wieder auf.
Eine Tati-Biographie hat es mit zwei höchst unterschiedlichen Aufgaben zu tun. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie vor allem Lebensgeschichte, geht es darum, wie aus dem "France profonde", das so lange gegen den Fortschritt auf lebensweltliche Dauer setzte, eine Kreativität entstand, die sich nach 1945 an die neuen Techniken (Farbfilm, Breitwandfilm) hängen konnte. David Bellos arbeitet sehr gut heraus, dass Tati stark an diesem traditionellen Frankreich hing. Mit "Jour de fête" ("Tatis Schützenfest", 1949) schuf er einen Befreiungsfilm, der noch deutlich zurückschaute und der implizit auch eine Rechtfertigung für Vichy enthielt, zumindest als denkbare Lesart.
Mit dem Briefträger, der sich im Taylorismus eines in jeder Sekunde beschleunigungsoptimierten Berufslebens abstrampelt, kreierte er eine Epochenfigur, die er dann konsequent in die Konsum- und Designmoderne führte. Für die Jahre, in denen Tati seine Meisterwerke - von "Mon Oncle" bis "Playtime" - schuf, muss Bellos zugleich Philologe und Bilanzprüfer sein. Er mutet dem Publikum dabei auch die eine oder andere Sezierstunde zu: Den Gags nähert er sich mit begrifflichem Skalpell und zerlegt sie gekonnt in ihre kinetischen, akustischen und sonstigen Bestandteile.
Mit dem Opus magnum "Playtime" ging dann eine Produktionsgeschichte einher, die zu einem finanziellen Desaster führte. Es hat etwas Tragisches, wenn Bellos den späten Tati dabei schildert, wie er danach skandinavischen Fernsehproduzenten ein paar Stunden Drehzeit unterzujubeln versucht, die er auf eigene Projekte umleiten kann.
In der nun vorliegenden Übersetzung des bereits 1999 erschienenen Buchs ist ein Kapitel hinzugekommen, in dem die Geschichte von Helga erzählt wird, der Tochter, die Tati nie anerkannte. Biographen sind immer auch Detektive. David Bellos weiß vom Detail auf das Genie (und dessen Fehlbarkeit) zu schließen. Und zu Jacques Tati gibt es nun auch auf Deutsch eine Biographie von Rang. BERT REBHANDL
David Bellos: "Jacques Tati". Sein Leben und seine Kunst.
Aus dem Englischen von Angelika Arend. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2024. 544 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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