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"Der Krieg gehörte den Erwachsenen, wir liefen sehr einsam dazwischen herum." - Ernst wächst behütet in einer süddeutschen Kleinstadt des späten Kaiserreichs auf, und seine Welt scheint zunächst intakt. Doch tatsächlich ist die Gesellschaft gezeichnet durch die grundlegenden Konfliktlinien der Zeit: Antisemitismus, politische Kämpfe zwischen Linken und Rechten, Armen und Reichen. Der Krieg überbrückt zunächst alle diese Gräben, doch je länger er dauert, desto deutlicher wird, wie fragwürdig der Hurrapatriotismus und wie brüchig die bisherige Ordnung ist. Glaeser verknüpft die äußeren…mehr

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Produktbeschreibung
"Der Krieg gehörte den Erwachsenen, wir liefen sehr einsam dazwischen herum." - Ernst wächst behütet in einer süddeutschen Kleinstadt des späten Kaiserreichs auf, und seine Welt scheint zunächst intakt. Doch tatsächlich ist die Gesellschaft gezeichnet durch die grundlegenden Konfliktlinien der Zeit: Antisemitismus, politische Kämpfe zwischen Linken und Rechten, Armen und Reichen. Der Krieg überbrückt zunächst alle diese Gräben, doch je länger er dauert, desto deutlicher wird, wie fragwürdig der Hurrapatriotismus und wie brüchig die bisherige Ordnung ist. Glaeser verknüpft die äußeren Ereignisse mit dem Innenleben seines Protagonisten, der sich sexuelle Erfahrungen ebenso wie die eigene Meinung gegen die prüde Welt der Väter und deren hohl gewordenen Moralismus erkämpfen muss: "Der Krieg, das sind unsere Eltern." Als Glaesers Roman 1928 erscheint, trifft er den Nerv der Zeit. Er bringt das Trauma jener Generation auf den Punkt, die ihre Desillusionierung hinter den Frontlinien des Ersten Weltkriegs erlebt. Das Buch - von der zeitgenössischen Kritik hoch gelobt - wird zum internationalen Sensationserfolg.

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Autorenporträt
Ernst Glaeser (1902 -1963) studierte in Freiburg und München, war Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung und des Südwestdeutschen Rundfunks. 1933 wurden seine Schriften als pazifistisch und marxistisch verbrannt, woraufhin er in die Schweiz emigrierte. 1939 kehrte er überraschend nach Deutschland zurück und wurde Soldat und Schriftleiter einer Wehrmachtszeitung. Nach 1945 publizierte Glaeser noch mehrere Bücher, mit denen er allerdings an seine früheren Erfolge nicht anknüpfen konnte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2014

Es zitterten 1914 die morschen Strukturen des Kaiserreichs
Die lohnende Wiederentdeckung eines großen Romanerfolgs der Weimarer Republik: Ernst Glaesers "Jahrgang 1902" ist in einer Neuausgabe erschienen

Eine Kleinstadt im Südwesten Deutschlands, gesehen mit den Augen eines zwölfjährigen Jungen. Es geht um den Schulalltag und um Freundschaften, so mit dem bewunderten Ferd, dem Sohn eines freidenkerischen Majors, und so mit Leo Silberstein, einem schwächlichen Judenjungen, der Beschützerinstinkte weckt. Es geht um soziale Unterschiede, die dem Beamtensohn Ernst beim Besuch des Schulkameraden August bewusstwerden, dessen Vater wegen der Aufwiegelung streikender Arbeiter verhaftet wird. Und es geht um erste Liebeleien und das Geheimnis der Sexualität, das die Erwachsenen wie einen Augapfel hüten. Und dann kommt auf einmal der Krieg.

"Jahrgang 1902" hat Ernst Glaeser seinen Roman genannt, der 1928 erschienen ist und zu einem der großen Bucherfolge der Weimarer Republik wurde. Der Titel macht es deutlich: Entscheidend ist nicht die individuelle Geschichte, sondern entscheidend ist der Anspruch, damit die Befindlichkeit einer ganzen Generation einzufangen. Jahrgang 1902 - also zu jung, um noch selbst in den Ersten Weltkrieg zu müssen, aber schon zu alt, um die Kriegsereignisse ausblenden zu können. Als überzeugendes Generationenporträt und "Tatsachenroman" wurde das Werk von der zeitgenössischen Kritik gelobt; es zeige, dass der Krieg der Jugend "das Jungsein nahm". "Der Stil ist scharf und schnell. Es gibt kein Pathos, keine anklägerischen Tiraden", urteilte Carl von Ossietzky in der "Weltbühne", und Thomas Mann vermerkte in seinem Tagebuch lakonisch, dass der Roman "bestimmt bleiben" werde - als "liebenswerte Urkunde und vor allem Wahrheit".

Damit greift er eine wichtige literaturtheoretische Positionierung auf, die Glaeser dem zweiten Romanteil vorangestellt hat. "Ich habe mit diesem Buch nicht die Absicht zu ,dichten'. Ich will die Wahrheit, selbst wenn sie fragmentarisch ist wie dieser Bericht", heißt es hier, und an anderer Stelle äußerte der Autor: "Ein Dichter hat weiter nichts als das Leben zu gestalten, nicht aber es zu stilisieren."

Wenn der Herausgeber Christian Klein auf das Ideal der "Neuen Sachlichkeit" als Hintergrund verweist, ist dies durchaus einsichtig. Der meist schnörkellose, berichtende Ton passt hierzu ebenso wie die zahlreichen Parallelen zur Biographie des Autors, der in einem ähnlichen Umfeld aufgewachsen ist und selbst dem Jahrgang 1902 angehört (er starb 1962). Und doch lassen sich die spezifisch romanhaften Konstellationen und Zuspitzungen nicht übersehen.

Da ist zum Beispiel Ernst Glaesers Vorliebe für kontrastive Brechungen. An dem Tag, als der Ich-Erzähler zum Zeugen eines plumpen Beischlafes wird und voller Scham und Verwirrung wegläuft, erreicht die Nachricht vom Attentat in Sarajevo die Kleinstadt und führt dazu, dass keiner die Gefühlsverwirrung und das schlechte Gewissen des Jungen bemerkt. Parallel zu den großen Verbrüderungsszenen bei Kriegsausbruch und dem ersten Schwips des Ich-Erzählers stirbt Leo Silberstein, dessen Leichenzug dann auch noch von marschierenden Truppen behindert wird. Und mitten in die Euphorie über den ersten Sieg im Osten platzt die Nachricht, dass Ferds Vater gefallen ist. Der Krieg, so zeigt sich, hat von Anfang an seine eigenen Gesetze, und es ist nur narzisstische Einbildung, ihn zum Schicksal verklären oder die eigene Biographie damit aufwerten zu wollen.

Und doch hat auch der Ich-Erzähler teil an der kurzen Phase der Kriegsbegeisterung, bevor die große Desillusionierung einsetzt. Dabei markiert Glaeser deutlich genug, dass es eigentlich der Krieg der Elterngeneration ist, der die Jungen nichts angeht. Lange nimmt der Ich-Erzähler die warnenden Kriegsstimmen nicht ernst, und auf dem Höhepunkt der Julikrise ist er ausgerechnet in einem Sanatorium in der französischsprachigen Schweiz, wo die kleine internationale Gästezahl die wachsenden Feindbilder im Kleinen vorlebt. "La guerre, ce sont nos parents, mon ami", sagt sein französischer Altersgenosse Gaston dort bezeichnenderweise zu ihm, bevor sich ihre Wege durch den Druck der Erwachsenen endgültig trennen.

In diesem Sinne ist auch die hemmungslose Hingabe an die angebetete Schaffnerin Anna im letzten Romankapitel zu verstehen. Krieg ist auch noch oder wieder im Sommer 1918 etwas für die anderen - für den Ich-Erzähler zählen nur das private Glück und die Verachtung für die Erwachsenenwelt, repräsentiert durch das humanistische Gymnasium. Doch auch diese Haltung beruht auf einer Illusion, wie sich zeigt. Entsprechend endet der Roman mit dem Tod Annas im feindlichen Bombenhagel.

Anders als die anderen großen deutschen Kriegsromane der zwanziger Jahre, Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" oder Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" etwa, zeigt "Jahrgang 1902" nicht die Kämpfe an der Front, sondern das Schicksal der Daheimgebliebenen. Die zunehmenden Zweifel am Sieg, die ideologische Rolle von Pfarrern und Lehrern oder der grassierende Hunger werden ebenso ersichtlich wie schon zuvor die in sich zerrissene Gesellschaft des Kaiserreichs mit ihren chauvinistischen Untertönen, ihrem strikten Klassendenken oder der Tabuisierung von Sexualität.

Der Standpunkt des Verfassers scheint klar: In linksliberaler Sicht wird die Morschheit des Kaiserreichs aufgezeigt und die Verlogenheit des Krieges, von dem nur wenige profitiert, aber unter dem viele gelitten haben. Doch obwohl bewusst im Rückblick erzählt wird, bleibt die aktuelle Haltung des Erzählers seltsam diffus, spielen Revolution und Republik keine Rolle. Dies ist ein durchaus irritierender Zug bei einem Autor, der so sehr seinen Wahrheitsanspruch betont und ein scheinbar didaktisierendes Konzept verfolgt.

Ähnliche Verwunderung konstatierte Kurt Tucholsky anlässlich Glaesers Folgeroman "Frieden", womit sich eine ideologische Nichtgreifbarkeit ankündigt, die dazu führt, dass man Ernst Glaeser sowohl als verfemten Exildichter wie auch als NS-treuen Autor ansehen kann, kehrte er doch ausgerechnet 1939 aus dem Schweizer Exil nach Deutschland zurück. Der Langzeitwirkung seines Romanerstlings mag diese wenig geradlinige Biographie durchaus geschadet haben, zurückprojizieren auf den Roman muss man sie allerdings nicht. Bei allen ersichtlichen Schwächen und Eigenheiten - der damals freizügige Umgang mit dem Thema Sexualität etwa wirkt heute doch reichlich verquast - ist hier dank der Neuausgabe ein interessanter Text zu entdecken, der den Ersten Weltkrieg aus ungewohnter Perspektive zeigt. Als zeitgenössisches Dokument lohnt seine Lektüre unbedingt.

THOMAS MEISSNER

Ernst Glaeser: "Jahrgang 1902". Roman.

Hrsg. von Christian Klein. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 389 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als zeitgenössisches Dokument findet Thomas Meissner diesen Roman von Ernst Glaser über die Erlebnisse eines Zwölfjährigen in der deutschen Provinz kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs durchaus lesenswert. Meissner stört sich nur wenig an Glasers politischer Unentschlossenheit im Nationalsozialismus. Wichtiger scheint ihm, dass hier ein Autor über das Individuelle hinaus die Befindlichkeit einer ganzen Generation zu fassen sucht. Wenn Glaser dabei der Neuen Sachlichkeit gemäß weitgehend berichtend vorgeht und seine Introspektionen zum Schicksal der Daheimgebliebenen im Krieg sowie zur Verlogenheit im Kaiserreich mit nur wenigen, wenngleich für Meissner unübersehbaren romanhaften Zuspitzungen und Konstellationen garniert, kann der Rezensent damit leben.

© Perlentaucher Medien GmbH
Hier ist »dank der Neuausgabe ein interessanter Text zu entdecken, der den ersten Weltkrieg aus ungewohnter Perspektive zeigt.« (Thomas Meissner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2014)