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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Das begehbare Netzwerk: Zwei neue Bücher beschreiben, wie sich der Jakobsweg vom religiösen Pilgerpfad hin zu einem ausgeklügelten Marketingprojekt entwickelt hat
Von Stefan Fischer
Man waißt nit ob sant Jacob oder ain todter hund oder ein todts roß da liegt, (. . .) laß raisen wer da wil, bleib du daheim.” Martin Luthers Skepsis ist durchaus nachvollziehbar: Denn ob tatsächlich die sterblichen Überreste des Apostels Jakob - Sant Iago auf Spanisch - in Santiago de Compostela begraben liegen, darf sehr wohl bezweifelt werden. Das hat Christen über die Jahrhunderte aber kaum davon abgehalten, Luthers Rat in den Wind zu schlagen.
Compostela ist trotz seiner geographischen Randlage seit mehr als tausend Jahren neben Jerusalem und Rom der wichtigste Pilgerort der Christenheit, wenn auch die Anziehungskraft im Zuge der Reformation vorübergehend nachgelassen hat. Die Krise der Pilgerfahrten, die es in der frühen Neuzeit tatsächlich gab, lässt sich jedoch auf Luthers Appell allein nicht zurückführen. Die Kritik an Pilgerfahrten, an Wunder- und Reliquienglauben ist so alt wie diese selbst. Entscheidender waren Kriege und der damit folgende Passzwang in Frankreich, die spanische Inquisition und eine Verlotterung der Pilgerbeherbergung. Der Dreißigjährige Krieg drosselte die Bewegungsfreiheit später zusätzlich.
Klaus Herbers schildert diese Zusammenhänge bündig und doch aufschlussreich in seinem Bändchen „Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt”. Für die meisten Jakobspilger mag tatsächlich ihr religiöses Empfinden der entscheidende Antrieb zu einer derart strapaziösen Reise gewesen sein - und schon das zweifelt Herbers an: Denn „Pilgern verband sich (. . .) meist mit politischen und diplomatischen Aufgaben”, ob jemand eine profane Reise mit einer Pilgerfahrt verknüpfte oder umgekehrt, ließe sich deshalb oft gar nicht sagen. Trotz manch aufrichtig empfundener Heiligenverehrung also ist die Geschichte des Jakobswegs vor allem ein Lehrbeispiel in Sachen Lobbyarbeit, Marketing und der Entwicklung einer touristischen Infrastruktur.
Nicht das Ziel, vielmehr der Weg wurde als maßgeblicher Faktor definiert und in regelmäßigen Abständen mit kleineren Wallfahrtsstätten versehen. Auf diese Weise wurde die Reise fassbarer und planbarer für die Menschen des Mittelalters. Mit Hilfe dieses Tricks, einige Pilgerzentren zu etablieren, sie jedoch als untergeordnet zu klassifizieren, als bloße Zwischenstation auf dem Weg zum ideellen Zentrum der Jakobspilgerschaft, rückte Santiago de Compostela, das an keiner wichtigen Handelsroute lag, in der Wahrnehmung der Menschen näher heran. Die Reiseliteratur tat das ihre, um den Jakobsweg, der ja keine fixierte Route, sondern ein Wegenetz ist, zu profilieren.
Richtig schick ist eine Reise auf dieser Pilgerstrecke wieder im Verlauf des letzten Jahrzehnts geworden. Das belegt Heiko Thies Bildband „Abenteuer Jakobsweg”. Der Fotograf ist mit seiner Frau, den beiden Kleinkindern und zwei Pferden aus dem Fränkischen aufgebrochen. Wo anfangs nur die Hilfsbereitschaft von Landwirten den Durchhaltewillen aufrecht hielt - im Kloster Einsiedeln hingegen wurde die Familie abgewiesen -, fädelte das Sextett allmählich in einen wachsenden Pilgerstrom ein, der zuletzt Züge einer Karawane trägt. Es ist dies eine Gemeinschaft, in der Thies ein „Gefühl des Verstehens” zu spüren vermag.
Klaus Herbers
Jakobsweg. Geschichte und
Kultur einer Pilgerfahrt
Verlag C.H. Beck, München 2006.
128 Seiten, 7,90 Euro.
Heiko Thies
Abenteuer Jakobsweg. Mit Kind und Pferd quer durch Europa
Ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2006.
176 Seiten, 25,90 Euro.
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