Jan Tinbergen was the first Nobel Prize winner in Economics and one of the most influential economists of the 20th century. This book argues that his crucial contribution is the theory of economic policy and the legitimation of economic expertise in service of the state. It traces his youthful socialist ideals which found political direction in the Plan-socialist movement of the 1930s for which he developed new economic models to combat the Great Depression. After World War II he was able to synthesize that work into a theory of economic policy which not only provided a lasting framework for economic policy around the world, but also secured a permanent place for economic experts close to government. The book then turns to an examination of his attempt to repeat this achievement in the development projects in the Global South and at the international level for the United Nations.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDer Ordnungsingenieur
Biographie über Nobelpreisträger Jan Tinbergen
Der Niederländer Jan Tinbergen (1903 -1994) ist vielen Ökonomen als einer der Gründungsväter der modernen Makroökonomik und der Ökonometrie sowie als Theoretiker der Wirtschaftspolitik geläufig. 1969 erhielt er, gemeinsam mit Ragnar Frisch, den ersten Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Erwin Dekker, bis letztes Jahr an Tinbergens langjähriger Wirkungsstätte Rotterdam und mittlerweile an der George Mason University in Virginia tätig, hat eine sehr lesenswerte Biographie vorgelegt, die packend das Leben und Werk Tinbergens präsentiert.
Dekker verwebt das Leben Tinbergens mit den jahrzehntelangen Wandlungen des Faches, aber auch mit der Entwicklung der westlichen Welt seit den 1920er-Jahren. Gerade Tinbergens Jugend in den Niederlanden fällt in eine Zeit, die durch Instabilität und Krisen zunehmend an unsere Zeit erinnert, wodurch Tinbergens Suche nach Stabilisierung der Wirtschaft und Befriedung der Gesellschaft zahlreiche Lehren für heute enthält.
Die Prägungszeit Tinbergens als Ökonom sind die 1930er, als eine erst mal als üblich empfundene Krise ab 1931/32 in Form der ausufernden Weltwirtschaftskrise zunehmend existenziell wird und besonders nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland über das Ökonomische hinauswächst. Tinbergens frühes Engagement bei den Sozialdemokraten elektrisiert ihn ganz besonders für den aufkommenden Kampf gegen den Faschismus, wobei sich sein Fokus bald auf die implodierende internationale Ordnung richtet.
Zu den bekanntesten Beiträgen Tinbergens gehört sein makroökonometrisches Modell, das er im Auftrag des Genfer Völkerbundes entwirft und das ihn endgültig mit den internationalen Spitzenforschern in Kontakt bringt, die sich regelmäßig in Genf treffen. Die berühmte Auseinandersetzung mit Keynes, der der aufkommenden Ökonometrie skeptisch gegenübersteht, fällt in diese Phase der späten 1930er-Jahre. Tinbergens Ausbildung als Ingenieur passt zur Kritik Keynes', dem - in diesem Punkt seinem sonstigen Widersacher Hayek nicht unähnlich - das ingenieurhafte Denken dieser frühen Modelle ungeheuer ist.
Ein typischer "Sozialingenieur", wie er oft genannt wird, ist Tinbergen dennoch nicht. Dekker zeigt, dass Tinbergens positive Ökonomik nicht immer von seinem normativen Anliegen zu trennen ist, das stets um den Begriff "Stabilität" kreist. In Tinbergens Vokabular nimmt auch der Begriff "Ordnung" eine zentrale Rolle ein - ähnlich wie damals bei den Neoliberalen auf beiden Seiten des Atlantiks. Genau wie sie denkt auch Tinbergen über positive Ordnungen theoretisch nach, nimmt aber öffentlich eine explizit normative Verteidigung der von ihm bevorzugten Ordnung vor. Tinbergen ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Denken in Ordnungen weder ein deutscher Sonderweg noch eine liberale Eigentümlichkeit ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Tinbergen in den Niederlanden verbringt und dabei eine eingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung eingeht, verstärkt sich sein Fokus auf die internationale Ordnung. Er denkt über Währungs- und Handelsfragen nach, allerdings immer mit besonderem Augenmerk auf die Instabilität, die aus der ungleichen Entwicklung im Norden und im globalen Süden entstehen kann. Einen Kollaps wie in den 1930er-Jahren gilt es unter allen Umständen zu verhindern.
Deshalb steht er der Europäischen Integration ambivalent gegenüber, da er die Gefahr sieht, dass sie zur protektionistischen Abschottung gegenüber Nichtmitgliedern führen und damit die globalen Ungleichgewichte vertiefen kann. Das Streben nach Befriedung geht manchmal auch mit einer gewissen politischen Naivität einher, gerade was die Koexistenz der demokratischen Welt mit den totalitären Systemen angeht. Seine Hoffnungen zielen auf eine vernunftgeleitete Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion und mittelfristig auf die Konvergenz beider Systeme. Auch seine Beratungsreisen zu problematischen Regimen wie in der Türkei oder Indonesien zeugen nicht immer von politischem Fingerspitzengefühl.
Tinbergens Position zur Rolle des Experten in der Wirtschaftspolitik ist spannend und spannungsreich zugleich. Seine Theorie der Wirtschaftspolitik, seit dem klassischen Lehrbuch von 1956 in die Ausbildung ganzer Ökonomengenerationen integriert, wird oft als Rezeptbuch der Expertokratie verstanden, in dem die klare Zuordnung zwischen Zielen und Mitteln der Wirtschaftspolitik die führende Rolle des Experten zementiert. Gleichzeitig zeigt Dekker auf, wie wichtig es Tinbergen war, ein Leben lang mit Auftritten auch vor kleinsten Versammlungen die Bürger von der Bedeutung der ökonomischen Bildung zu überzeugen, damit der Experte nicht unhinterfragt über den Kopf des Souveräns hinweg gestalten darf.
Der Mensch Tinbergen kommt im Buch nicht zu kurz. Durch die Darstellung seiner Vita erfährt der Leser viel über die Geschichte der Niederlande in der Zwischen- und Nachkriegszeit, auch über deren Schattenseiten wie etwa den indonesischen Unabhängigkeitskrieg. Dekker baut viele deutsche Quellen ein und zeigt auf, dass trotz aller Katastrophen der deutschen Geschichte Tinbergen an einem Dialog mit seinen deutschen Kollegen interessiert bleibt. Ideologisch, methodologisch und disziplinär ist Tinbergen ein Wanderer zwischen den Welten, der gerade damit eine Quelle für Inspirationen wird, wie Stabilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft heute noch möglich ist. STEFAN KOLEV
Erwin Dekker: Jan Tinbergen (1903 -1994) and the Rise of Economic Expertise, Cambridge University Press, Cambridge 2021, 484 Seiten, 40 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Biographie über Nobelpreisträger Jan Tinbergen
Der Niederländer Jan Tinbergen (1903 -1994) ist vielen Ökonomen als einer der Gründungsväter der modernen Makroökonomik und der Ökonometrie sowie als Theoretiker der Wirtschaftspolitik geläufig. 1969 erhielt er, gemeinsam mit Ragnar Frisch, den ersten Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Erwin Dekker, bis letztes Jahr an Tinbergens langjähriger Wirkungsstätte Rotterdam und mittlerweile an der George Mason University in Virginia tätig, hat eine sehr lesenswerte Biographie vorgelegt, die packend das Leben und Werk Tinbergens präsentiert.
Dekker verwebt das Leben Tinbergens mit den jahrzehntelangen Wandlungen des Faches, aber auch mit der Entwicklung der westlichen Welt seit den 1920er-Jahren. Gerade Tinbergens Jugend in den Niederlanden fällt in eine Zeit, die durch Instabilität und Krisen zunehmend an unsere Zeit erinnert, wodurch Tinbergens Suche nach Stabilisierung der Wirtschaft und Befriedung der Gesellschaft zahlreiche Lehren für heute enthält.
Die Prägungszeit Tinbergens als Ökonom sind die 1930er, als eine erst mal als üblich empfundene Krise ab 1931/32 in Form der ausufernden Weltwirtschaftskrise zunehmend existenziell wird und besonders nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland über das Ökonomische hinauswächst. Tinbergens frühes Engagement bei den Sozialdemokraten elektrisiert ihn ganz besonders für den aufkommenden Kampf gegen den Faschismus, wobei sich sein Fokus bald auf die implodierende internationale Ordnung richtet.
Zu den bekanntesten Beiträgen Tinbergens gehört sein makroökonometrisches Modell, das er im Auftrag des Genfer Völkerbundes entwirft und das ihn endgültig mit den internationalen Spitzenforschern in Kontakt bringt, die sich regelmäßig in Genf treffen. Die berühmte Auseinandersetzung mit Keynes, der der aufkommenden Ökonometrie skeptisch gegenübersteht, fällt in diese Phase der späten 1930er-Jahre. Tinbergens Ausbildung als Ingenieur passt zur Kritik Keynes', dem - in diesem Punkt seinem sonstigen Widersacher Hayek nicht unähnlich - das ingenieurhafte Denken dieser frühen Modelle ungeheuer ist.
Ein typischer "Sozialingenieur", wie er oft genannt wird, ist Tinbergen dennoch nicht. Dekker zeigt, dass Tinbergens positive Ökonomik nicht immer von seinem normativen Anliegen zu trennen ist, das stets um den Begriff "Stabilität" kreist. In Tinbergens Vokabular nimmt auch der Begriff "Ordnung" eine zentrale Rolle ein - ähnlich wie damals bei den Neoliberalen auf beiden Seiten des Atlantiks. Genau wie sie denkt auch Tinbergen über positive Ordnungen theoretisch nach, nimmt aber öffentlich eine explizit normative Verteidigung der von ihm bevorzugten Ordnung vor. Tinbergen ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Denken in Ordnungen weder ein deutscher Sonderweg noch eine liberale Eigentümlichkeit ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, den Tinbergen in den Niederlanden verbringt und dabei eine eingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung eingeht, verstärkt sich sein Fokus auf die internationale Ordnung. Er denkt über Währungs- und Handelsfragen nach, allerdings immer mit besonderem Augenmerk auf die Instabilität, die aus der ungleichen Entwicklung im Norden und im globalen Süden entstehen kann. Einen Kollaps wie in den 1930er-Jahren gilt es unter allen Umständen zu verhindern.
Deshalb steht er der Europäischen Integration ambivalent gegenüber, da er die Gefahr sieht, dass sie zur protektionistischen Abschottung gegenüber Nichtmitgliedern führen und damit die globalen Ungleichgewichte vertiefen kann. Das Streben nach Befriedung geht manchmal auch mit einer gewissen politischen Naivität einher, gerade was die Koexistenz der demokratischen Welt mit den totalitären Systemen angeht. Seine Hoffnungen zielen auf eine vernunftgeleitete Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion und mittelfristig auf die Konvergenz beider Systeme. Auch seine Beratungsreisen zu problematischen Regimen wie in der Türkei oder Indonesien zeugen nicht immer von politischem Fingerspitzengefühl.
Tinbergens Position zur Rolle des Experten in der Wirtschaftspolitik ist spannend und spannungsreich zugleich. Seine Theorie der Wirtschaftspolitik, seit dem klassischen Lehrbuch von 1956 in die Ausbildung ganzer Ökonomengenerationen integriert, wird oft als Rezeptbuch der Expertokratie verstanden, in dem die klare Zuordnung zwischen Zielen und Mitteln der Wirtschaftspolitik die führende Rolle des Experten zementiert. Gleichzeitig zeigt Dekker auf, wie wichtig es Tinbergen war, ein Leben lang mit Auftritten auch vor kleinsten Versammlungen die Bürger von der Bedeutung der ökonomischen Bildung zu überzeugen, damit der Experte nicht unhinterfragt über den Kopf des Souveräns hinweg gestalten darf.
Der Mensch Tinbergen kommt im Buch nicht zu kurz. Durch die Darstellung seiner Vita erfährt der Leser viel über die Geschichte der Niederlande in der Zwischen- und Nachkriegszeit, auch über deren Schattenseiten wie etwa den indonesischen Unabhängigkeitskrieg. Dekker baut viele deutsche Quellen ein und zeigt auf, dass trotz aller Katastrophen der deutschen Geschichte Tinbergen an einem Dialog mit seinen deutschen Kollegen interessiert bleibt. Ideologisch, methodologisch und disziplinär ist Tinbergen ein Wanderer zwischen den Welten, der gerade damit eine Quelle für Inspirationen wird, wie Stabilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft heute noch möglich ist. STEFAN KOLEV
Erwin Dekker: Jan Tinbergen (1903 -1994) and the Rise of Economic Expertise, Cambridge University Press, Cambridge 2021, 484 Seiten, 40 Euro.
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