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Optimale Besetzung: Jean-Claude Junckers Erfahrungen und Entscheidungen
Es gab hässliche Aspekte in der Auseinandersetzung um die Bestellung des Kommissionspräsidenten.
Um das Amt des Kommissionspräsidenten musste Jean-Claude Juncker heftig kämpfen. Zunächst stieß er nicht nur auf Gegenliebe, als er im Dezember 2013 seine Kandidatur für die Position des Spitzenkandidaten der EVP bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ankündigte. Beim EVP-Kongress im März 2014 musste er sich einer Kampfabstimmung mit Michel Barnier stellen. Dann war ein aufreibender Wahlkampf quer durch Europa zu absolvieren. Und schließlich musste Juncker den Nervenkrieg gegen den britischen Premierminister David Cameron bestehen, der mit allen Mitteln verhindern wollte, dass der siegreiche Spitzenkandidat tatsächlich mit dem Präsidentenamt betraut wird.
In der Darstellung von Margaretha Kopeinig kann man das noch einmal nachlesen. Die österreichische Journalistin, seit vielen Jahren auf die Europa-Berichterstattung beim "Kurier" spezialisiert, bietet Instant-Zeitgeschichte, die bis zur Vorstellung der von Juncker nominierten Kommissare am 10. September 2014 geht. Dabei wird auch an die hässlichen Aspekte der Auseinandersetzung um die Bestellung des Kommissionspräsidenten erinnert: die Warnungen vor einem angeblichen Alkoholproblem Junckers, die auf eine höchst missverständliche Talkshow-Äußerung seines Nachfolgers als Präsident der Euro-Gruppe Jeroen Dijsselbloem zurückgehen; die Verunglimpfung seines zwangsrekrutierten Vaters als angeblichen Kollaborateur des Naziregimes; die Diffamierung als altersmüder Vertreter eines Europas von gestern, die auch in seriösen deutschen Medien zu finden war.
Kopeinig liefert leider keine Antwort auf die Frage, warum Juncker sich das eigentlich alles antut. Nach 24 Jahren als luxemburgischer Finanz- beziehungsweise Schatzminister, 18 Jahren als Regierungschef, zweimaliger EU-Ratspräsidentschaft und acht Jahren als Vorsitzender der Euro-Gruppe musste sich der 1954 Geborene nichts mehr beweisen. Nach dem Wechsel der luxemburgischen Sozialdemokraten zu einer Koalition mit Liberalen und Grünen im Oktober 2013, der ihn seine Regierungsämter kostete, bot sich ihm auch eine sehr reizvolle Perspektive als Elder Statesman an. Über Junckers persönliche Motive erfährt man hier aber nichts. Bis auf ein nicht sehr ergiebiges Interview zur Euro-Krise bietet der Band kein Hintergrundmaterial.
Man kann daher nur vermuten, dass Junckers Kandidatur für das europäische Spitzenamt auch auf einem schlechten Gewissen beruhte. 2004 hätte er schon einmal Kommissionspräsident werden können - und er hätte es nach dem übereinstimmenden Wunsch aller Regierungschefs und aller großen Fraktionen des Europäischen Parlaments auch werden sollen. Juncker hat das abgelehnt, weil er seinen Wählern versprochen hatte, in Luxemburg zu bleiben; und er hat an dieser Ablehnung auch festgehalten, als er heftig bedrängt wurde. In der Tat wurde er damals dringend gebraucht. Die Episode zeigt, was den Europapolitiker Juncker auszeichnet. Kopeinig zitiert Helmut Kohl, der in seiner Laudatio zur Verleihung des Aachener Karlspreises betonte, dass "Juncker ein Mann ist, der stets tut, was er sagt, und nicht nur in den Tag, sondern auch in die Zukunft sieht. Er hat sein charmantes und freundliches Wesen bewahrt, scheut sich aber nicht vor unangenehmen und deutlichen Worten."
Dass diese Charakterisierung zutrifft, wird in den Rückblicken auf die Euro-Einführung und die Euro-Krise deutlich. Sie zeigen einen Europapolitiker, der insbesondere zwischen französischen und deutschen Sichtweisen zu vermitteln weiß und so immer wieder tragfähige Lösungen entwirft, die auch die notwendigen Mehrheiten finden. Europapolitischer Ehrgeiz und realistische Herangehensweise ergänzen sich bei ihm scheinbar mühelos. Wer immer noch Zweifel hat, ob das Amt des Kommissionspräsidenten mit Jean-Claude Juncker eine optimale Besetzung gefunden hat, wird durch die Lektüre dieses Porträts eines Besseren belehrt.
WILFRIED LOTH
Margaretha Kopeinig: Jean-Claude Juncker. Der Europäer. Czernin Verlag, Wien 2014. 239 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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